M. R. Shayegan (Hrsg.): Cyrus the Great

Cover
Titel
Cyrus the Great. Life and Lore


Herausgeber
Shayegan, M. Rahim
Reihe
Ilex Foundation Series
Erschienen
Boston, Massachusetts 2018: Harvard University Press
Anzahl Seiten
VII, 258 S.
Preis
£ 19.95; $ 24.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Fuad Alidoust, Frankfurt am Main

Kyros II. oder auch Kyros der Große ist eine – auch für antike Verhältnisse – außergewöhnlich sagenumwobene Figur, deren historisch akkurate Erfassung nicht zuletzt deswegen derart schwer, wenn nicht gar unmöglich ist, weil unsere divergenten Quellen aufgrund ihrer jeweiligen Besonderheiten ebenso viele Fragen aufwerfen wie sie vermeintliche Antworten liefern. Insbesondere sind die Angaben zu Kyros‘ Geburt und Erlangung der Herrschaft verwoben in propagandistische, literarische und legendenhafte Narrative, die gleichermaßen zu seiner Lebzeit und nach seinem Ableben zu unterschiedlichen Zwecken in Umlauf gebracht worden sind und die Grenzen zwischen der historischen und fiktiven Figur verwischen.

Das zu rezensierende Buch befasst sich mit eben diesem Begründer der teispidisch-achaimenidischen Dynastie, dessen Leben und Überlieferung im Zentrum der insgesamt 14 Aufsätze stehen, welche das verschriftlichte Ergebnis einer im Oktober 2013 an der University of California abgehaltenen Tagung darstellen. Der Herausgeber, M. Rahim Shayegan, ist als Philologe und Althistoriker ein ausgewiesener Kenner der antiken iranischen Geschichte. In der von ihm verfassten Einleitung werden die Ziele des Bandes benannt: die Beiträge „may hence permit a more adequate evaluation of Cyrus‘ impact on his own age, and more clearly gauge his imprint on posterity“ (S. 1). Man könnte daher das Werk mit zwei weiteren Veröffentlichungen in Beziehung setzen, die sich mit den achaimenidischen Großkönigen Xerxes I. und Dareios III. beschäftigen.1 Im Folgenden können nicht alle Artikel näher vorgestellt werden; dies stellt keine qualitative Selektion dar, sondern ist nicht zuletzt den Interessen des Rezensenten geschuldet.

Das Werk selbst ist nicht in Sektionen unterteilt, doch lassen sich drei größere Komplexe identifizieren. Die ersten fünf Beiträge befassen sich mit dem historischen Kyros zu seiner eigenen Zeit. Zwei Beiträge stammen vom Altorientalisten Hanspeter Schaudig, welcher zum einen – und gleichsam als Grundlage für die nachfolgenden Aufsätze – eine neue kritische Edition samt englischer Übersetzung des Kyros-Zylinders vorlegt (The Text of the Cyrus Cylinder, S. 16–25) und zum anderen dessen literarische Vorlagen diskutiert (The Magnanimous Heart of Cyrus. The Cyrus Cylinder and its Literary Models, S. 67–91). Ausführlich und einleuchtend werden mithilfe von philologischen Beispielen und einer Liste der den korrupten Herrschern zugeschriebenen Sünden die literarischen Bezüge vorgestellt, der Kyros-Zylinder sodann in die babylonische Tempelliteratur ein- und schließlich dem Genre der Apologie zugeordnet. Ein Vorzug des Artikels besteht in der Verortung des Terminus „Ummān-Manda“ in der mentalen Landschaft der Babylonier, welchen man nicht – unbedacht als ethnische Bezeichnung – mit den Medern gleichsetzen sollte. Vielmehr sind damit die barbarischen Horden gemeint, welche dank göttlicher Fügung die frevelnden Herrscher bestrafen.

Matt Waters (Cyrus Rising. Reflections on Word Choice, Ancient and Modern, S. 26–45) macht auf die Bedeutsamkeit der Wortwahl, und zwar sowohl in den antiken Texten als auch in den modernen Übersetzungen, aufmerksam. Seine Analyse fördert mehrere Unklarheiten zutage, darunter die Frage, in welchem verwandtschaftlichen Verhältnis Kyros zu Teispes steht, die Bandbreite reicht vom Urenkel bis zum – unbestimmten – Nachkommen. Die Platzierung des Artikels ist sinnvoll gewählt, denn die skeptischen Überlegungen mahnen zur Vorsicht bei den Analysen.

David Stronach (Cyrus, Anshan, and Assyria, S. 46–66) korrigiert das Bild der elamisch-persischen Akkulturation, indem er über das elamische Element hinaus weitere Anlehnungen und insbesondere die Relevanz der assyrischen Vorbildfunktion für die Genese einer persischen Kunst und Architektur betont. Seiner behutsam ermittelten, gleichwohl überzeugenden Ansicht nach habe sich Kyros aus ideologisch-politischen Erwägungen heraus als Erbe des Vermächtnisses der prestigeträchtigen Kulturen aufgefasst. Nicht zuletzt aufgrund des Konnexes zwischen Urbanität und Herrschaft habe Kyros den Titel „König der Stadt Anschan“ betont.

Schließlich hätte(n) Beate Pongratz-Leisten (“Ich bin ein Babylonier”. The Political-Religious Message of the Cyrus Cylinder, S. 92–105) zufolge der/die Urheber des Zylinders die literarisch-rhetorischen und ideologischen Besonderheiten der Kommunikation zwischen Herrscher und Beherrschten beachtet und konsequenterweise die mannigfachen sozio-kulturellen Bedingungen der babylonischen Hauptstadt (Privilegien der städtischen Eliten, Bedeutsamkeit der Gottheiten für die Konstruktion der Identität) berücksichtigt.

Die Beiträge sechs bis acht setzen sich mit unterschiedlichen Fragestellungen zum Perserreich zur Zeit des Kyros auseinander. In stringenter Weise tritt William Schniedewind (Cyrus and Post-Collapse Yehud, S. 106–116) für die Sichtweise ein, dass Jehud zum Zeitpunkt der Provinzialisierung durch die Perser eine „post-collapse society“ war. Er weist nach, dass die drei von Joseph Tainter2 hervorgehobenen Charakteristiken derartiger Gesellschaften – dramatischer Bevölkerungsschwund, Rückgang monumentaler Konstruktionen und politische Fragmentierung – gemäß archäologischen Erkenntnissen für Jehud vorliegen. Darauf aufbauend interpretiert er die Erfüllung der biblischen Prophezeiung, das heißt die Nennung des Kyros als Messias und seine Erwählung, nach realpolitischen Erwägungen. Durch die Ersetzung der Davididen hätten vornehmlich die Priester die politische Führung in der post-exilischen Gemeinschaft übernommen. Mit Verweis auf die kollabierte Gesellschaft argumentiert er schließlich dafür, dass die davidischen Prinzen eine Fortsetzung ihrer privilegierten Stellung in Babylon einem dauerhaften Aufenthalt in Jehud vorzogen.

Marvin A. Sweeney (Contrasting Portrayals of the Achaemenid Monarchy in Isaiah and Zechariah, S. 117–130) führt die dichotomischen Beschreibungen der achaimenidischen Monarchie in Jesaja und Sacharja auf die unterschiedlichen politisch-sozialen Bedingungen zur Entstehungszeit der Schriften sowie die post-exilischen Erfahrungen zurück.

Rémy Boucharlat (Cyrus and Pasargadae. Forging an Empire – Fashioning “Paradise”, S. 131–149) geht in seinem Beitrag der ungeklärten Frage nach, wann und wie Kyros die Residenz Pasargadae hat bauen lassen. Er hebt trotz vieler Unwägbarkeiten aufgrund teils dürftiger Erkenntnisse die Neuartigkeit (keine Befestigungsanlagen, Steinhäuser, ausgeklügeltes unterirdisches Bewässerungssystem) der Anlage hervor, welche eine Vielzahl der architektonischen, artistischen und technologischen Elemente aus dem ganzen Reich in der Schaffung eines persischen Stils vereinigte. Darüber hinaus zieht der Autor in Betracht, dass dort die persische Erfindung eines geometrisch angeordneten Gartens zu konstatieren sei. Der Artikel macht vor allem klar, dass viele fragliche Aspekte weiterhin untersucht werden müssen.

Die weiteren Beiträge untersuchen die Kyros-Rezeption. Daniel Beckmann (Cyrus the Great and Ancient Propaganda, S. 150–169) diskutiert die antike Propaganda, die mit Kyros zusammenhängt. Die Definition von Alan Lloyd übernehmend, wonach Propaganda im antiken Kontext als „a conscious attempt by a social group to impose or encourage an attitude by exploiting communication media“3 aufgefasst werden könne, prüft Beckmann die drei Komponenten – Urheber, Botschaft, Rezipienten – sowohl im Kyros-Zylinder als auch in den Kyros-Darstellungen bei Herodot, Xenophon und Ktesias. Er fördert zutage, dass die differierenden Narrative für die anvisierten Adressaten maßgeschneidert waren und bestimmten politischen Zielen dienten. Allerdings läuft eine solche Herangehensweise Gefahr, die beiden letztgenannten griechischen Autoren mehr oder minder vereinfachend als Mittler der rivalisierenden Propaganda von Kyros dem Jüngeren bzw. Artaxerxes II. aufzufassen. Zweifellos verfolgten sie zuvörderst andere und eigene Absichten. Folgerichtig ist jedoch seine Beobachtung, dass bereits zur Zeit der Achaimeniden eine Transformation der Kyros-Bilder zu konstatieren sei.

Die Althistorikerin Maria Brosius (Cyrus the Great. A Hero’s Tale, S. 171–182) verweist in ihrer Untersuchung auf die narrativen Techniken zur Kreation eines Helden, die sowohl in den antiken Darstellungen zu Kyros als auch in modernen filmischen Umsetzungen, insbesondere in der Figur des Jason Bourne, Anwendung finden. Dieser Vergleich überrascht und nicht jede aufgezeigte Gemeinsamkeit zwischen „the two men in search of identity“ (S. 171) überzeugt – so ist etwa der Hinweis auf die „mental manipulation“ nicht annähernd auf Kyros übertragbar (S. 175f.). Gleichwohl ist ihre Schlussfolgerung plausibel, dass uns die nahöstlichen Quellen mit einem König vertraut machen, der von Beginn an und in gekonnter Weise einen beträchtlichen Wert darauf gelegt hat, von der Macht zur Beeinflussung und Selbstdarstellung Gebrauch zu machen.

Wie wurde Kyros von den Römern wahrgenommen und welche Konsequenzen sind daraus für ihre Sichtweise auf die zeitgenössischen Arsakiden abzuleiten? Diesen Fragen geht Jason Schlude (Cyrus the Great and Roman Views of Ancient Iran, S.183–197) nach, leider bezieht er nicht die Sāsāniden – wie der Titel es nahelegen würde – mit in seine Überlegungen ein. Der Autor versucht das einseitige Verständnis, „the Parthians were a quintessential other for the Romans“ (S. 187), zu korrigieren. Seinem Dafürhalten nach „it is hard to view Cyrus as anything but positive among Roman intellectuals” (S. 195). Diese zwei Erwägungen führt er zu der Folgerung zusammen, die arsakidischen Parther hätten es vornehmlich des wohlbeleumundeten Kyros zu verdanken, dass sie nicht auf die Rolle der unterlegenen Feinde in der römischen Imagination reduziert worden seien. Diese Konklusion muss allerdings aus zwei Gründen infrage gestellt werden: erstens kommt die Prämisse, Kyros sei durchweg positiv aufgefasst worden, nur durch eine selektive Auswahl der Bemerkungen zu Kyros zustande. Ferner muss differenzierter dargelegt werden, in welcher Hinsicht diese Herrscherfigur für die römische Aristokratie ein Vorbild darstellte. Zweitens wird seine Bedeutung für die teils widersprüchlichen, jedoch in der Gesamtheit sehr wohl abfälligen römischen Bewertungen der Arsakiden und des Arsakidenreiches in dieser Diskussion über Gebühr hervorgehoben. Denn Kyros wurde – abgesehen von anders motivierten exempla – vornehmlich als fähiger Eroberer und gerechter Herrscher gerühmt und diese Linienziehung zu den arsakidischen Herrschern wird nicht selten zur Diffamierung der überheblichen und grausamen Arsakiden verwendet.4

Marek J. Olbrycht (The Shaping of Political Memory. Cyrus and the Achaemenids in the Royal Ideologies of the Seleucid and Parthian Periods, S. 198–220) referiert neben bekannten Inanspruchnahmen von konstruierten Genealogien kleinerer Königreiche die spekulative Überlegung, dass die Achaimeniden zur Zeit des Artaxerxes II. eine eheliche Allianz mit den Dahern eingegangen wären, wodurch sich für die Folgezeit eine arsakidisch-achaimenidische Verbindung herstellen ließe. Hauptsächlich argumentiert er, dass die Arsakiden aufgrund ihres herausragenden eponymen Gründers keine Veranlassung sahen, in stärkerem Maße Gebrauch zu machen von einer Anlehnung an Kyros.

Weshalb Kyros im spätantiken Sāsānidenreich in Vergessenheit geriet, beschäftigt Touraj Daryaee (On Forgetting Cyrus and Remembering the Achaemenids in Late Antique Iran, S. 221–231), zumal jüdische, armenische und christliche Quellen an Kyros erinnern. Seine Erklärung stellt die zoroastrische/avestische Weltdeutung in den Mittelpunkt, welche die Legitimierung der sāsānidischen Herrschaft beabsichtigte und die Achaimeniden in die Obskurität verabschiedete.

Schließlich bespricht Olga M. Davidson (Traces of Poetic Traditions about Cyrus the Great and his Dynasty in the Šāhnāme of Ferdowsi and the Cyrus Cylinder, S. 232–241) mögliche poetische Verbindungen zwischen einer Episode aus Firdausis Šāhnāme, die vom mythischen Helden Kai Chosrau handelt, und dem Kyros-Zylinder.

Insgesamt ist zu konstatieren, dass dieser Sammelband weiterführende Beiträge von Expert/innen aus verschiedenen Disziplinen vereinigt. Diese notwendige Interdisziplinarität ist zugleich eine Stärke des Bandes, wenngleich nicht jede vorgestellte Überlegung innovativ und abgesichert ist. Forschende, die ihre Auseinandersetzung mit Kyros II. und seiner Rezeption vertiefen wollen, werden durch die anzuratende Lektüre vor allem erfahren, welche Diskussionen vorherrschen und welche Felder es noch zu bearbeiten gilt.

Anmerkungen:
1 Pierre Briant, Darius in the Shadow of Alexander, übers. v. Jane Marie Todd, Cambridge 2015 (ursprünglich Darius dans l'ombre d'Alexandre, Paris 2003); und Emma Bridges, Imagining Xerxes. Ancient Perspectives on a Persian King, London 2015.
2 Joseph Tainter, The Collapse of Complex Societies, Cambridge 1988.
3 Alan B. Lloyd, Nationalist Propaganda in Ptolemaic Egypt, in: Zeitschrift für Alte Geschichte 31 (1982), 1, S. 33.
4 Exemplarisch sei auf die auch von Schlude herangezogene Passage Tac. 6.31 verwiesen, welche jedoch ohne Berücksichtigung der taciteischen Bewertungen des vermeintlich grausamen und maß- und erfolglosen Artabanos II. nicht angemessen gedeutet werden kann.

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