N. Terrenato: The early Roman Expansion into Italy

Cover
Titel
The early Roman Expansion into Italy. Elite Negotiation and Family Agendas


Autor(en)
Terrenato, Nicola
Erschienen
Anzahl Seiten
XX, 327 S.
Preis
£ 75.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Simon Lentzsch, Historisches Institut, Alte Geschichte, Ruhr-Universität Bochum

Bereits seit der Antike hat die römische Expansion zur Auseinandersetzung mit der Geschichte Roms und seiner politischen Ordnung angeregt. Dabei gilt die frühe römische Geschichte nicht nur, aber auch hinsichtlich des Phänomens der Expansion Roms aufgrund der herausfordernden Quellenlage als besonders schwierig zu bearbeitendes Feld.1

Auf diesem Feld seit geraumer Zeit tätig, legt Nicola Terrenato mit dem hier zu besprechenden Buch nun die Frucht jahrelanger Arbeit vor. Das Ziel besteht in nicht weniger als dem Entwurf eines in weiten Teilen neuen Bildes der frühen römischen Expansion. Diese sei in einem viel höheren Ausmaß, als dies in der Regel angenommen werde, von Kooperation zwischen römischen und italischen Eliten getragen gewesen und beruhte im Umkehrschluss weitaus weniger stark auf militärischen Erfolgen und dem Drohpotential einer überlegenen römischen Militärmaschinerie.

Seine Grundthese entwickelt Terrenato in sechs Kapiteln, deren Ergebnisse in einer recht ausführlichen Zusammenfassung aufgegriffen werden (S. 249–272), auf die ein Literaturverzeichnis von beachtlichem Umfang (S. 273–321) sowie ein Register (S. 323–327) folgen. Positiv auffallend sind über 40 qualitativ hochwertige Abbildungen, die den Zugang zu einer Vielzahl an materiellen Quellen und Einzelstudien erleichtern. Wenig glücklich erscheint indes die Entscheidung, zugunsten einer vermeintlich höheren Zugänglichkeit auf Belege zu literarischen Quellen (mit Ausnahme von Livius) zu verzichten. Der eigentlichen Untersuchung stellt Terrenato eine weitausgreifende, ebenso lehrreich wie verständlich geschriebene Darstellung philosophischer und geschichtswissenschaftlicher Auseinandersetzungen mit der Geschichte der römischen Expansion voran.

Um den Kontext zu erhellen, aus dem heraus die römische Expansion im 4. Jahrhundert begann, diskutiert Terrenato im zweiten Kapitel (S. 31–72) eine Reihe von Aspekten, die die Geschichte Italiens in der ersten Hälfte des 1. Jahrtausends v.Chr. geprägt hätten. Hierzu zählten demnach die Ausbildung größerer urbaner Zentren, eine Intensivierung von Handel und Kommunikation sowie vor allem die Rolle von lokalen Eliten in diesen Prozessen. Jene Eliten hätten die Möglichkeiten zur Selbstdarstellung und Kommunikation, die die neuen urbanen Räume boten, genutzt und zwar sowohl in Rom wie auch in anderen Städten. Hervorgehoben wird, dass keineswegs von einer außergewöhnlichen Entwicklung Roms in der Zeit vom 8. bis zum 5. Jahrhundert gesprochen werden könne.

Dieser Grundgedanke wird im nächsten Kapitel in Form eines (jeweils recht knappen) Überblicks zur Geschichte von Syrakus, Karthago, Massilia und Tarquinia weiter verfolgt, wobei besonders die Frage nach dem Zeitpunkt einer nennenswerten territorialen Expansion sowie ihrer spezifischen Voraussetzungen, Hindernisse und Ausdehnung im Mittelpunkt steht (S. 73–108). Dabei lasse sich eine ähnliche Entwicklung dahingehend ausmachen, dass alle vier Städte – wie Rom – erst mit dem 4. Jahrhundert damit begonnen hätten, eine größere Expansion voranzutreiben und sich zuvor fremdes Territorium anzueignen.

Als Korrektur zum auf Livius basierenden Narrativ von Roms Expansion im 4. Jahrhundert möchte Terrenato im vierten Kapitel die Stationen der römischen Machterweiterung besonders aus der Perspektive anderer italischer Gemeinwesen untersuchen (S. 109–154). Statt von vornehmlich militärischen Eroberungen auszugehen, sollten wir in vielen Fällen eher Kooperationen zwischen lokalen Eliten in Rom und jener Städte annehmen, die in das römische Territorium integriert wurden. So nimmt Terrenato an, dass Teile der Elite Veiis mit Standesgenossen in Rom ein Bündnis geschlossen hätten, was zur gewaltsamen Vertreibung ihrer internen Gegner und dem Aufgehen Veiis im römischen Bürgerverband geführt habe. Ähnliche Entwicklungen seien auch für Caere und Arrezo anzunehmen, wobei jeweils einzelne römische Familien mit Teilen der lokalen Eliten kooperiert hätten, die dieses Bündnis zunächst als kleineres Übel angesehen haben mochten, doch insgesamt profitieren konnten. Verlierer waren dabei dann natürlich die Konkurrenten der lokalen Eliten in den jeweiligen Städten, die an Einfluss verloren oder vertrieben wurden.

Im folgenden Kapitel (S. 155–193) verfolgt Terrenato diesen Gedanken weiter, indem er sich bemüht zu rekonstruieren, wie „individual groups and networks“ von Römern und Nichtrömern ( S. 157) den Prozess der römischen Expansion vorantrieben. Als Gesamtbild entsteht so ein Netzwerk italischer Eliten, die über die Grenzen einzelner Städte hinweg miteinander konkurrierten und kooperierten, dabei stets die politische Landkarte des Mittelmeerraumes im Auge behaltend, um dem eigenen Haus den größten Einfluss zu sichern.

Letztlich entsteht das Bild von Rom als einer „Hauptstadt“ von Faktionen italischer Eliten, die die Stadt als Bühne von, mitunter durchaus blutigen, Machtkämpfen und Aushandlungsprozessen genutzt hätten, um für sich und verbündete Gruppen größeren Einfluss zu gewinnen („Consequences of Expansion“, S. 194–248). Eine Perspektive auf „staatliches“ Handeln und Projekte oder gar Gemeinwohl sei von diesen Gruppen nicht zu erwarten gewesen, entsprechende antike Aussagen als Rückprojektionen späterer Epochen zu interpretieren.

Den Blick auf verschiedene Formen und Grade der Kooperation zwischen römischen und italischen Eliten zu lenken, um die Ausweitung römischer Macht auf der Halbinsel zu erklären, ist grundsätzlich ein nachvollziehbares und sinnvolles Unterfangen, das indes durchaus schon an anderer Stelle diskutiert wurde.2 Abweichungen ergeben sich hinsichtlich der Gewichtung dieser Faktoren. Hier bestehen nach dem Eindruck des Rezensenten drei offene Fragen. Zunächst sei, erstens, darauf hingewiesen, dass viele von den Vorgängen, die Terrenato annimmt, auf einer fragilen Quellenlage rekonstruiert werden. Von „Hinterzimmerdeals“ zwischen römischen und italischen Eliten berichten historiographische Quellen naturgemäß selten und auch elaborierte archäologische Forschung gerät hier an Grenzen. Diesen Einwand nimmt Terrenato vorweg, meint indes, die Wahrscheinlichkeit der Gesamtrekonstruktion erlaube gewisse Konjekturen.

Zweitens taucht die große Mehrheit der Bevölkerung in der Rekonstruktion von Aushandlungsprozessen zwischen den Eliten kaum auf. Womit ließen sich die „99 Prozent“ in Italien und Rom überzeugen, ihren jeweiligen lokalen Anführern (in Rom und anderswo) zu folgen? Vielleicht doch durch die Aussicht auf materielle Gewinne in Form von erobertem Land und beweglicher Beute, zwei Faktoren, die Terrenato als eher gering gewichtet? Dass den Quellen zu Motiven der einfachen Plebs wenige Aussagen zu entlocken sind, wie Terrenato nicht zu Unrecht anmerkt, ist ein eher schwaches Argument, wenn er an anderer Stelle (s.o.) zu großzügigen Konjekturen bereit ist.3

Dass die Fokussierung auf die Expansion im Äußeren eine derartige Vernachlässigung der Entwicklung von (proto-)staatlichen Institutionen und Verfahren mit sich gebracht hat, ist schließlich, drittens, bedauerlich. Denn gerade das ausgehende 4. und das 3. Jahrhundert scheinen doch, gerade in Verbindung und als Reaktion auf die Expansion in Italien und in andere Regionen, in vielfältigen und durchaus widersprüchlichen Prozessen, eine formative Periode für die Ausbildung von Institutionen wie dem Senat, den einzelnen Magistraturen sowie deren Verhältnis untereinander gewesen zu sein. Diese Institutionen stehen uns Ende des 3. Jahrhunderts in den Quellen ja sichtbar gegenüber und ihre Entstehung und Entwicklung in den vorangegangenen Generationen zu suchen, erscheint mir nach wie vor sinnvoll.4

An anderer Stelle hat Raimund Schulz zuletzt hervorgehoben, „dass die Zeit der großen, auf ein Erklärungsmuster setzenden Großentwürfe der römischen Außenpolitik offensichtlich vorbei“ sei „und man deren Komplexität erst wieder richtig“ verstehe, „wenn man mit unterschiedlichen, den jeweils ethnischen, historischen und regionalen Bedingungen angepassten Formen rechnet“.5 In diesem Sinne ist zu hoffen, dass Terrenatos gedankenreiche, thesenstarke und oft zugespitzte Studie in der Forschung tatsächlich als die Herausforderung angenommen wird, als die der Verfasser sie beabsichtigt hat, und der Forschung zur römischen Expansion im 4. und 3. Jahrhundert in Italien neue Impulse verleihen wird.

Anmerkungen:
1 Thema bereits in der Antike präsent (u.a.): Pol. 1,1,5. Zu modernen Studien der letzten Jahrzehnte siehe die Zusammenfassungen zum Forschungsstand u.a. in: Ernst Baltrusch, Außenpolitik, Bünde und Reichsbildung in der Antike, Enzyklopädie der griechisch-römischen Antike 7, München 2008, S. 90–96, 149–151; Karl-Joachim Hölkeskamp, Die Entstehung der Nobilität. Studien zur sozialen und politischen Geschichte der Römischen Republik im 4. Jh. v.Chr., 2. erweiterte Auflage, Stuttgart 2011, S. 305, 316–317; Uwe Walter, Politische Ordnung in der römischen Republik, Enzyklopädie griechisch-römischen Antike 6, Berlin 2017, S. 1–6, 99–101. Zur Quellenlage vgl. nur Hölkeskamp, Entstehung der Nobilität, S. 306–308.
2 Siehe etwa Michael Fronda, Between Rome and Carthage. Southern Italy during the Second Punic War, Cambridge 2010.
3 Zum Komplex der Kriegsbeute demnächst umfassend: Saskia Roselaar / Marian Helm (Hrsg.), Spoils in the Roman Republic. Boon and Bane, Stuttgart 2020.
4 Siehe hierzu, jeweils mit umfangreichen Hinweisen auf entsprechende Forschungen: Hölkeskamp, Entstehung der Nobilität, S. 305–331; Walter, Politische Ordnung, bes. S. 121–126, 154–188; sowie zu den Magistraturen: Hans Beck, Karriere und Hierarchie. Die römische Aristokratie und die Anfänge des cursus honorum in der mittleren Republik, Berlin 2005.
5 Raimund Schulz, Rezension zu Martin Jehne / Francisco Pina Polo (Hrsg.), Foreign clientelae in the Roman Empire. A Reconsideration, Stuttgart 2015, in: Ancient History Bulletin Online Reviews 6 (2016), S. 73–76, hier S. 76.

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