K. Arnold u. a.(Hrsg.): The Handbook of European Communication History

Cover
Titel
The Handbook of European Communication History.


Herausgeber
Arnold, Klaus; Preston, Paschal; Kinnebrock, Susanne
Erschienen
Oxford 2019: Wiley-Blackwell
Anzahl Seiten
520 S.
Preis
$ 210.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Eggo Müller, Department of Media and Culture Studies, Utrecht University

Mit diesem englischsprachigen Handbuch der europäischen Kommunikationsgeschichte fügt der amerikanische Wiley Verlag seiner Reihe „Handbooks in Communication and Media“ ein bemerkenswertes hinzu. Während die bisherigen Titel ein Teilgebiet der Kommunikationswissenschaft systematisch abdecken, richtet sich „The Handbook of European Communication History“ auf die in der Kommunikationswissenschaft lange Zeit eher vernachlässigte historische Perspektive auf Kommunikation und Medien, und das mit dezidiert europäischem Fokus. Hervorgegangen aus einer Initiative der Sektion für Kommunikationsgeschichte der „European Communication Research and Education Association“ (ECREA) haben die drei Herausgeber:innen in jahrelanger Arbeit eine Gruppe von 79 Autoren aus unterschiedlichsten europäischen Ländern zusammengebracht, die die 25 Beiträge zu diesem Handbuch in Teams geschrieben haben. Klaus Arnold, einer der Herausgeber und, wie seine Mitherausgeber Paschal Preston und Susanne Kinnebrock im Vorwort schreiben, treibende Kraft hinter diesem Handbuch, ist 2017 im Alter von 48 Jahren verstorben und hat dessen Erscheinen nicht mehr erlebt. Aber einer der Schwerpunkte seiner Forschung, die europäische Medien- und Kommunikationsgeschichte, wird in den Beiträgen zu diesem Handbuch facettenreich entfaltet.

Das Handbuch ist, nicht überraschend bei einem historischen Thema, chronologisch aufgebaut. Der erste und umfangreichste Teil versammelt Beiträge zur „Emergence of modern mediated communication institutions and practices“, wobei die Institutionalisierung und Instrumentalisierung von Presse, Film und Radio von 1880 bis zum Zweiten Weltkrieg beschrieben werden. Teil zwei über „Media in ‚a binary Europe‘: the mid-1940s to late 1980s“ behandelt die Phase vom Zweiten Weltkrieg bis zum Mauerfall. Dabei werden wiederum die Presse und zudem die Etablierung des Fernsehens und die Kommerzialisierung der öffentlichen Medien abgedeckt. Der dritte und am wenigsten umfangreiche Teil behandelt die Zeit nach dem Mauerfall: „Media developments in Europe after the end of the Cold War“. Die vier Unterkapitel sind hier der Geschichte der Medien in Zentral- und Osteuropa, der Medienkonzentration und dem Entstehen multinationaler Konzerne, der europäischen Öffentlichkeit und den Folgen des Entstehens des Internets für den Zeitungsmarkt gewidmet. Einzig der vierte Teil des Handbuches bricht aus der Chronologie aus und versammelt kaleidoskopartig Beiträge zu „historischen Themen und Trends in europäischen Medien und öffentlicher Kommunikation“, unter anderen zum Professionalismus im Journalismus, zu neuen Medien und Rezeptionsverhalten, zur Amerikanisierung des Journalismus, zu Gender, Medien und Modernität und zu ethnischen Minderheiten und Medien. Dies sind dringliche Themen und ihre Berücksichtigung im Handbuch ist hervorzuheben, aber ihre Platzierung im letzten Teil, sozusagen als Anhängsel an die historischen Darstellungen, wirft auch die Frage auf, ob sie denn nicht besser in die historisch-chronologischen Beiträge hätten integriert werden können.

Dieser Aufriss des Inhalts zeigt, dass es im Kern um die Geschichte der Massenmedien mit starkem Akzent auf Presse und Journalismus geht. Dabei wird die Entstehung des Internets im historischen Teil nur in einem einzigen Beitrag thematisiert, und das wiederum ausschließlich mit Augenmerk für die Konsequenzen für den Pressemarkt und den Journalismus. Angesichts der einschneidenden Folgen der Entstehung der sozialen Medien für die globalen Kommunikationssysteme und die europäische Medienkultur hätten diese Entwicklungen in einem 2019 veröffentlichtem Handbuch der europäischen Kommunikationsgeschichte sicherlich mehr Aufmerksamkeit verdient. Denn in den Beiträgen und im nützlichen Index finden Twitter, Facebook oder YouTube keine Erwähnung. Der Titel des Handbuches hätte verdeutlichen sollen, dass es sich um eine Geschichte der europäischen Massen-Kommunikation bis 2000 handelt.

Dagegen kommt die europäische Dimension dieser Geschichte in allen versammelten Beiträgen systematisch zur Sprache. Arnold, Preston und Kinnebrock haben die Teams von in der Regel drei bis vier Autoren pro Kapitel transnational zusammengestellt und verpflichtet, ihr Thema mit Blick auf mindestens vier unterschiedliche europäische Länder oder Regionen darzustellen und dabei auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede einzugehen - ein Modell, das Jonathan Bignell und Andreas Fickers schon in der von ihnen herausgegebenen „Europäischen Fernsehgeschichte“1 praktiziert haben. In diesem Handbuch führt diese Herangehensweise in nicht wenigen Fällen zu einem recht schematischen Aufbau der Kapitel, die nach einer kurzen allgemeinen Einleitung der zu thematisierenden Periode oder Problematik in separaten Abschnitten einzelne Länder besprechen, um dann ein knappes Fazit zu ziehen. Im ungünstigeren Fall kommt dabei, wie im Beitrag zu „Medien und dem Kalten Krieg“ von Michael Meyen, Kaarle Nordenstreng, Carlos Barrera und Walery Pisarek, ein Kapitel zustande, in dem jede:r Mitautor:in einen Abschnitt zu seinem oder ihrem eigenen Land beisteuert, mit jeweils unterschiedlicher Ausrichtung und Methodologie. Dabei belässt es in diesem Fall der Hauptautor sogar dabei, Daten aus zwei eigenen, schon veröffentlichten Aufsätzen zusammenzufassen. Im Regelfall aber tragen die unterschiedlichen Länderstudien zu einem erhellenden, komparativen Blick auf die spezifische Periode und die wesentlichen/kennzeichnenden medialen Entwicklungen in ausgewählten europäischen Ländern bei und fügen sich so zu einer „Geschichte der Massenkommunikation in Europa“ zusammen, wie man – hier ein zweiter Vorschlag – im Titel des Handbuches hätte spezifizieren können. Im günstigen Fall jedoch, wie etwa im Beitrag „The Rise of Television: Institutionalization and the Forming of National Audiences“ von Andreas Fickers, Dana Mustata und Anne-Katrin Weber, wird eine wirklich europäische Perspektive auf die Entwicklung des Mediums und seiner Theorie entwickelt, wobei auch die Forschungsgeschichte kurz angerissen wird und ein durch den Beitrag überzeugend begründetes Plädoyer für eine „de-essentialistische und transnationale Perspektive“ auf die „Hybridität des Fernsehens als Technologie, soziales Phänomen, politischer Aktor und kulturelle Form“ (S. 252) gehalten wird. Dieser Beitrag verdeutlicht überzeugend den Mehrwert einer europäischen Herangehensweise, wie sie Andreas Fickers kürzlich auch zusammen mit Pascal Griset (2019) in Buchlänge untermauert hat.2

Mit solchen Beiträgen weist das Handbuch das wissenschaftliche Potenzial einer zukünftigen europäischen Medien- und Kommunikationsgeschichte auf. Es ist trotz der oben angesprochenen „presselastigen“ und auf Massenkommunikation ausgerichteten Zusammenstellung der Beiträge zu begrüßen, dass Medien immer wieder als Technologien, Institutionen und kulturelle Formen berücksichtigt werden. Darum schiene mir dieses Buch schlussendlich den folgenden Titel verdient zu haben: „The Handbook of Media and Mass Communication History in Europe“. Und ein bescheideneres „A“ anstelle des bestimmten Artikels am Anfang wäre sicherlich auch angemessen gewesen angesichts der unausweichlichen Selektivität eines solchen Handbuches, die teils wohl auch durch seinen institutionellen Ursprung als gemeinsames Projekt der ECREA-Sektion für Kommunikationsgeschichte begründet ist.

Anmerkungen:
1 Jonathan Bignell / Andreas Fickers (Hrsg.), A European Television History, London 2008.
2 Andreas Fickers / Pascal Griset, Communicating Europe. Technologies, Information, Events, London 2019.

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