N. Fehlhaber: Netzwerke der „Achse Berlin–Rom“

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Title
Netzwerke der „Achse Berlin–Rom“. Die Zusammenarbeit faschistischer und nationalsozialistischer Führungseliten 1933–1943


Author(s)
Fehlhaber, Nils
Series
Italien in der Moderne
Published
Köln 2019: Böhlau Verlag
Extent
343 S.
Price
€ 45,00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Arnd Bauerkämper, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Die Forschung zu den grenzüberschreitenden Beziehungen und Verflechtungen zwischen Faschisten in Europa – aber auch darüber hinaus – ist in den letzten beiden Jahrzehnten erheblich vorangeschritten. Dabei konnte gezeigt werden, dass die Entwicklung der einzelnen faschistischen Bewegungen und Regimes keineswegs ausschließlich aus der Binnenperspektive erklärt werden kann.1 Erst jüngst ist das Verhältnis zwischen dem italienischen Faschismus und dem Nationalsozialismus untersucht worden, allerdings weitestgehend anhand der Begegnungen zwischen Hitler und Mussolini.2

An diese Studien knüpft Nils Fehlhaber mit seinem Buch (der überarbeiteten Fassung seiner Dissertation) an. Er geht dabei aber von der durchaus originellen These aus, dass erst die Interaktionen deutscher und italienischer Politiker das „Achsen“-Bündnis zwischen den beiden Staaten konstituierten und der Allianz letztlich Stabilität verliehen. Zwar bemühten sich die Auswärtigen Ämter jeweils, die „paralleldiplomatischen Kontakte der zweiten politischen Reihe“ (S. 38) einzudämmen und zu kontrollieren; jedoch konnten sie die Dynamik innenpolitischer Machtkämpfe in beiden Diktaturen nicht unterbinden. Nach Fehlhaber beeinflussten die „polykratischen Herrschaftsstrukturen“ (S. 305) in den Regimes damit letztlich nachhaltig die Entwicklung der bilateralen Beziehungen.

Dazu untersucht Nils Fehlhaber fünf Fallbeispiele: das Streben der zuständigen Minister für Propaganda, Joseph Goebbels und Galeazzo Ciano bzw. Dino Alfieri, nach innenpolitischem Machtgewinn durch Kooperation, die Profilierung Joachim von Ribbentrops als Außenpolitiker bei den Verhandlungen über den Beitritt zum Antikominternpakt (1937) sowie die Zusammenarbeit Baldur von Schirachs und Renato Riccis bei der Mobilisierung der deutschen und italienischen Jugend von 1933 bis 1937. Weitere Fallstudien widmen sich den Vorbereitungen des ersten Besuchs Hitlers in Italien (1934) durch Vizekanzler Franz von Papen sowie Hans Franks Bemühungen, mit Hilfe enger Beziehungen seiner 1933 gegründeten „Akademie für Deutsches Recht“ und deren „Vereinigung der ausländischen Freunde“ zu italienischen Mittelsmänner (besonders dem Juristen Graf Cesare Vernarecci di Fossombrone) seine Stellung in der NS-Diktatur zu stärken. Allerdings wird die Auswahl der Kontakte aus den insgesamt 193 erfassten Besuchen deutscher und italienischer Partei- und Staatsfunktionäre lediglich allgemein begründet (vgl. S. 71f.).

In methodischer Hinsicht gründet Nils Fehlhabers Studie auf neueren Untersuchungsansätzen zur Kulturgeschichte der Außenpolitik, die als Handlungs- und Kommunikationsfeld verstanden wird. Zudem werden Überlegungen zur Praxeologie aufgegriffen, welche die Analyse von sinn- und ordnungsstiftenden Handlungsmustern ermöglichen sollen. Angesichts des Titels und der umfangreichen Ausführungen zur methodologisch-theoretischen Grundlage überrascht, dass Hinweise auf Konzepte zur Untersuchung von Netzwerken fehlen. Es bleibt deshalb ungeklärt, ob die nahezu ausschließlich untersuchten bilateralen Kontakte überhaupt als „Netzwerke“ bezeichnet werden können.3

Die Darstellung der verschiedenen Interaktionen belegt überzeugend, dass jeweils eine schwache oder bedrohte Position im Machtgefüge der beiden Diktaturen den Einsatz der beteiligen Akteure für die „Achse“ prägte. Die Begegnungen wurden oft gezielt inszeniert, wie der Autor ebenso hervorhebt. Ein ähnlicher Stil und ein „Zeichensystem“ (S. 209), das sich gleichfalls bewusst vom überlieferten Protokoll abhob, repräsentierten den Erneuerungsanspruch der beiden Regimes und stabilisierten so ihr Bündnis. Die Allianz beruhte damit, besonders in der Außenpolitik, nicht nur auf der Entschlossenheit Hitlers und Mussolinis, eng zusammenzuarbeiten. Zwar gaben beide Diktatoren jeweils die wichtigsten Richtlinien vor; jedoch belebte und verstetigte erst das Engagement untergeordneter Akteure, die damit ihre Interessen durchsetzen wollten, die „Achse“. Auch das Ungleichgewicht, das sich spätestens ab 1938, vor allem aber nach den Niederlagen der italienischen Truppen in Griechenland und Nordafrika herausbildete, blieb damit lange begrenzt.

Allerdings konnten auch Mussolinis Frontbesuche und seine Begegnungen mit Hitler in den Jahren von 1941 bis 1943 die deutliche Asymmetrie in der Allianz nicht mehr verdecken. Sie vermittelten Mussolini nur noch eine Illusion von „Partizipation und Gleichberechtigung“ (S. 292). Die wachsenden Spannungen werden aber nur kursorisch dargelegt (S. 289–304). Überdies gelang es keineswegs allen Funktionären, die bilaterale Kontakte aufnahmen und unterhielten, damit ihre innenpolitische Stellung nachhaltig zu festigen. So konnte sich Ricci nicht gegen die Ambitionen des mächtigeren Sekretärs der faschistischen Partei (Partito Nazionale Fascista), Achille Starace, durchsetzen, dem Mussolini im September 1937 trotz des guten Verhältnisses zwischen Schirach und Ricci die Jugendorganisation Opera Nazionale Balilla unterstellte. Den Sieg Staraces vermag Fehlhabers leitende Deutung letztlich nicht zu erklären (vgl. S. 136–140).

Auch ansonsten reflektiert der Autor die Grenzen seiner Interpretationen zu wenig. Zwar verweist er abschließend auf die Forschungslücken, die seine – angesichts der Quellenlage nachvollziehbare – Fokussierung auf „Minister und höchste Parteichargen“ (S. 307) gelassen hat. Wichtige Trägergruppen der Regime wie hohe Militärs und Unternehmer werden aber ebenso wenig berücksichtigt wie die Wirkungen der Besuche auf das gesellschaftliche Leben im „Dritten Reich“ und im faschistischen Italien. Es bleibt deshalb zu untersuchen, inwiefern die Zusammenarbeit zwischen faschistischen und nationalsozialistischen Führungseliten der zusehends ungleichen Allianz zwischen Italien und Deutschland zumindest bis 1940 Kohärenz verlieh. Jedenfalls werden dabei ideologische Affinitäten und machtpolitische Interessen berücksichtigt werden müssen. Mit der Dynamik, die aus den polykratischen Strukturen der Diktaturen im nationalsozialistischen Deutschland und im faschistischen Italien im Hinblick auf eine bilaterale Kooperation resultierte, hat Nils Fehlhaber jedoch die Aufmerksamkeit auf einen Faktor gelenkt, der in der einschlägigen Historiographie bislang vernachlässigt worden ist. Zu den Vorzügen der Studie gehört zudem die enge analytische Verschränkung von Innen- und Außenpolitik. Damit verleiht das Buch nicht nur der Historiographie des bilateralen Verhältnisses von Deutschland und Italien, sondern darüber hinaus auch der Forschung zu den multilateralen transnationalen Bezügen zwischen faschistischen Bewegungen und Regimes beachtliche Anregungen.

Anmerkungen:
1 Vgl. vor allem Armin Nolzen / Sven Reichardt (Hrsg.), Faschismus in Italien und Deutschland. Studien zu Transfer und Vergleich, Göttingen 2005; Dietrich Orlow, The Lure of Fascism in Western Europe. German Nazis, Dutch and French Fascists 1933–1939, New York 2009; Arnd Bauerkämper / Grzegorz Rossoliński-Liebe (Hrsg.), Fascism without Borders. Transnational Connections and Cooperation between Movements and Regimes in Europe from 1918 to 1945, New York 2017.
2 Christian Goeschel, Mussolini and Hitler. The Forging of the Fascist Alliance, New Haven 2018.
3 Guter Überblick in Christian Stegbauer (Hrsg.), Netzwerkanalyse und Netzwerktheorie. Ein neues Paradigma in den Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008.

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