Die nationalsozialistischen Verbindungen zur arabisch-islamischen Welt sind ein Thema, das in der Debatte um einen islamischen Antisemitismus in der Gegenwart noch immer ideologisch geführte Kontroversen auslöst. Auch in der Forschung ist in einer großen Zahl von Publikationen eine „Vergegenwärtigung der Vergangenheit“1 zu beobachten, um dieses Thema für den modernen Israel-Palästina-Konflikt – auf beiden Seiten – nutzbar zu machen.
Der Politikwissenschaftler Matthias Küntzel ist durch zahlreiche Veröffentlichungen zur wichtigsten deutschen Stimme auf diesem Gebiet geworden, räumt jedoch gleich zu Beginn ein, das Buch aus einem „gewissen Maß an Parteilichkeit“ geschrieben zu haben. Auch in Bezug auf den Nahostkonflikt bezeichnet er sich als „nicht vollständig neutral“ (S. 17). Für ihn könne es aus historischen Gründen keine andere als die pro-Israel-Position geben.
Im ersten Kapitel definiert Küntzel den islamischen Antisemitismus als Phänomen, das über das islamistische Lager weit hinausgeht und allgemein das religiöse Potential der Judenfeindschaft im Islam mobilisiert. Das Christentum und der Islam unterschieden sich durch einen „Erfolg“ der Juden über Christus gegenüber einem „Misserfolg“ gegen Mohammed (S. 30). Juden seien daher für Muslime feindlich aber ungefährlich, wohingegen sie für Christen eine obskure Gefahr darstellten. Die These von der jüdischen Weltverschwörung, so Küntzel, konnte deshalb nur im christlichen Europa entstehen. Im 20. Jahrhundert hätten auch Muslime begonnen, diese christlich-europäische Vorstellung zu übernehmen. Dabei habe eine „Verquickung“ der „alt-islamischen Bilder von jüdischer Schwäche und Feigheit mit der westlichen Verschwörungsparanoia vom Juden, der heimlich die Fäden zieht“, (S. 34) stattgefunden. Besonders Amin el-Husseini, der Großmufti von Jerusalem, und die Muslimbrüder seien dafür verantwortlich gewesen. Das Judenbild des Koran habe durch das Hinzufügen der Weltverschwörungstheorie eine „eliminatorische Dimension“ (S. 39) erfahren.
Im zweiten Kapitel soll der Beweis dafür geliefert werden, dass der islamische Antisemitismus schon 1937 in Verbindung mit dem ersten Teilungsplan für Palästina (Peel-Plan) entstand, der damals durch die Opposition des Muftis verhindert worden sei. Seither habe sich eine Wende hin zu einem ideologisierten Feindbild vollzogen, das den Koran und das Wirken Mohammeds einzig auf die Feindschaft zu den Juden reduziert. Vor allem die Konferenz von Bludan im September 1937 sei „eine Manifestation der Judeophobie“ (S. 67) gewesen und habe als Verbreitungsplattform für die Hetzschrift „Islam und Judentum“, den „grundlegenden Text“ (S. 70) für den islamischen Antisemitismus – dessen Autorenschaft ungeklärt ist – gedient. „Dieser frühe Zeitpunkt legt nahe,“ so Küntzel, „dass nicht die späteren Zuspitzungen des Nahostkonfliktes den Antisemitismus bewirkt haben, sondern der früh geschürte Antisemitismus jene Zuspitzung“ (S. 66).
Das dritte Kapitel behandelt die nationalsozialistische Rundfunkpropaganda auf Arabisch. Nach Küntzel „verankerte die sechsjährige Dauerbeschallung den islamischen Antisemitismus im Bewusstsein der ‚arabischen Straße‘ und beeinflusste selbst noch die Nachkriegszeit“ (S. 78). Der Mufti sei es gewesen, der ab 1941 den NS-Antisemitismus per Radio in die arabische Welt exportierte und nach 1947 die Araber gegen Israel aufstachelte. Auch wenn der Effekt der Propaganda ansonsten eher gering war, so habe sie bei „Verbreitung und Eskalation von Judenhass in diesem Teil der Welt“ (S. 99) großen Erfolg gehabt. Heute seien Ankara und Teheran die Führungsmächte des Antisemitismus. Mit der Rückwendung zum Religiösen und der Gegnerschaft zum Liberalismus setzte sich „im arabischen Teil der islamischen Welt nicht der Modernismus eines Kemal Atatürk, sondern eine konservative Lesart des Koran und der islamische Antisemitismus durch“ (S. 110).
Küntzels Darstellung ist typisch für die Debatte, die den Mufti, der von 1941 bis 1945 in Berlin residierte, als den Drahtzieher der NS-Rundfunkpropaganda auf Arabisch nennt und sich auf seine Person fokussiert, als sei dieser allein verantwortlich gewesen. Damit bleiben sowohl zahlreiche NS-kritische Stimmen in der arabischen Welt als auch die araberfeindliche Ausrichtung des NS – etwa in Hitlers Buch „Mein Kampf“ – unbeachtet.
Die Hauptthese des Buches bringt Küntzel im vierten Kapitel. Demnach habe die NS-Propaganda den „maßgeblichen Faktor“ (S. 16) dargestellt, der den Krieg der arabischen Staaten gegen Israel 1948 auslöste. Der Krieg sei gar eine „Art Nachbeben“ (S. 16) der Zeit zwischen 1939 und 1945 gewesen. Die Kontinuität dieses antijüdischen Feldzuges verkörperte Amin el-Husseini nach seiner Rückkehr nach Ägypten 1946 zusammen mit einigen geflüchteten NS-Propagandisten. Die gängige Erklärung, dass der arabische Krieg eine Reaktion auf die Gründung des Staates Israel war, hält Küntzel nicht für zwingend. Die arabischen Staaten hätten sich mit dem neuen Staat arrangieren können. Der Auslöser für den Krieg sei einzig der Antisemitismus gewesen.
Somit verflechten sich in Küntzels Buch historisch ausgelegte Kapitel mit Bezügen zu aktuellen politischen Ereignissen, weswegen seine historische Argumentation zuweilen den Eindruck erweckt, vor allem gegenwärtige politische Aussagen stützen zu wollen. So bleibt zum Beispiel unbeachtet, dass in der Anfangszeit (1939–1941) der deutschen Rundfunkpropaganda auf Arabisch die Radikalisierung von Judenhass und Islam noch nicht existierte und die Sendungen eher antibritisch ausgerichtet waren.
Küntzel schließt sein Buch mit dem Blick auf die Gegenwart und den Erfahrungen, die er als Politiklehrer an einer Hamburger Berufsschule im Umgang mit muslimischen Schülern gewonnen hat. Mit Berufung auf Yehuda Bauer sieht er „das Hauptproblem des radikalen Islam darin, dass sich seine Auffassungen im allgemeinen Islam verbreitet haben“.2 Küntzel wirft der deutschen Politik und Forschung eine „aktive Ignoranz“ (S. 163) gegenüber dem radikalen Islam vor und fordert dazu auf, „die Quellen dieser Hass-Ideologie“ (S. 197) dort einzudämmen, wo sie entspringen: in der islamischen Welt. Dass ein anderes, moderneres Verständnis von Islam möglich sei, hätten die Türkei und der Iran in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gezeigt. Küntzels klare Positionierung, allein die NS-Propaganda habe heutigen Hass der muslimischen Welt auf den Westen und die Juden geschürt, blendet allerdings die Erfahrungen in der Region mit dem Kolonialismus gänzlich aus.
Dennoch liefert Matthias Küntzel mit diesem Buch einen überfälligen Beitrag zur Aufklärung und Bewusstwerdung über ein Thema, das, wie der Autor zu Recht beklagt, zu wenig präsent in wissenschaftlichen und allgemein-öffentlichen Diskursen ist.
Anmerkungen:
1 Ulrike Freitag / Israel Gershoni, The Politics of Memory. The Necessity for Historical Investigation into Arab Responses to Fascism and Nazism, in: Geschichte und Gesellschaft 37 (2011), S. 311–331, hier S. 312.
2 Yehuda Bauer, Der islamische Antisemitismus. Eine aktuelle Bedrohung, Berlin 2018, S. 34.