C. Copley: Nazi Buildings, Cold War Traces and Governmentality in Post-Unification Berlin

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Titel
Nazi Buildings, Cold War Traces and Governmentality in Post-Unification Berlin.


Autor(en)
Copley, Clare
Erschienen
London 2020: Bloomsbury
Anzahl Seiten
254 S.
Preis
£ 76.50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kristin Meißner, Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Über die politische Symbolkraft von Baukultur im öffentlichen Raum wird derzeit viel und intensiv diskutiert. In Debatten zur Rekonstruktion von historischen Bauten und Stadtzentren, zur Herstellung „rechter Räume“1 oder zur Frage, welche historische Architektur bewahrenswert ist und warum, werden gesellschaftliche Wertvorstellungen und Kräfteverhältnisse verhandelt. Mitverhandelt werden dabei gleichbedeutend Geschichts-, Gegenwarts- und Zukunftsperspektiven. Dass solche Debatten wie zum Beispiel zuletzt zum Umgang mit den NS-Skulpturen im Olympiapark in Berlin mit unterschiedlicher Intensität seit den 1990er-Jahren geführt werden, zeigt Clare Copley in ihrer Dissertation „Nazi Buildings, Cold War Traces and Governmentality in Post-Unification Berlin“. Darin untersucht sie die erinnerungskulturelle Inszenierung von drei NS-Prestigebauten (das heutige Detlev-Rohwedder-Haus, das Olympiastadion und der ehemalige Flughafen Tempelhof) nach 1990 und ordnet der „Berliner Republik“ eine spezifische erinnerungspolitische Gouvernementalität der Nachwendezeit zu, die Copley als „post-authoritarian governmentality“ bestimmt.

Bevor sie diese These in drei Kapiteln erörtert, die sich den „politics of the past“ im Umgang mit den NS-Bauten widmen, legt sie in einem der Einleitung folgenden ersten Teil der Studie theoretische Leitgedanken dar (S. 9–37). Mit Blick auf Michel Foucaults Konzept der gouvernementalité interessiert sich die Autorin für diskursive Herrschaftstechniken in Form von geschichtspolitischen Wahrheitsregimen. Unter der Prämisse, dass diese sich vor allem im Zuge gesellschaftlicher Systemveränderungen neu formieren, unterscheidet Copley mit der Forschung nicht nur zwischen liberal, advanced liberal und authoritarian governmentality, sondern leitet den Begriff der „post-authoritarian governmentality“ ab. Damit möchte sie einen erinnerungspolitischen Wandel im Zuge der deutschen Wiedervereinigung erfassen, der dadurch gekennzeichnet sei, dass die Nachwende-Gegenwart über eine Abgrenzung zur diktatorischen Vergangenheit normativ konsolidiert und Geschichtsbewertung politisch neu orientiert wurde. So sei für den postautoritären Neubezug auf Vergangenheit die Betonung von gesellschaftlicher Pluralität, fachlicher Objektivität und politischer Freiheit zentral. Mit Blick auf diskursive Herrschaftspraktiken sucht Copley diese Themenlinien im Spannungsfeld von Anspruch und Wirklichkeit sowie als Prozess gesellschaftlicher Aushandlung zu konturieren, sodass sie mit verschiedenen Akteursgruppen (zum Beispiel aus den Bereichen der Lokal- und Bundespolitik, Fachwelt, Presse oder des Bürgeraktivismus) eine „plurality of voices“ in der Verhandlung des Umgangs mit der gebauten NS-Vergangenheit nachzeichnet.

Die in drei Kapiteln erörterten Fallbeispiele des erinnerungspolitischen Umgangs mit NS-Prestigearchitektur im Nachwende-Berlin strukturiert Clare Copley chronologisch. Mit dieser Anordnung vollzieht sie drei Stadien und Themenlinien der postautoritären Gouvernementalität nach. Im Kapitel „Plurality? Performing post-authoritarian governmentality at the former Aviation Ministry“ (S. 41–77) rekonstruiert die Autorin anhand des 1935/36 vom Architekten Ernst Sagebiel für das NS-Reichsluftfahrtministerium errichteten Gebäudes in der Wilhelmstraße die Debatten und Vorgänge in den frühen 1990er-Jahren zur Frage, auf welche Weise die Geschichte des Monumentalbaus angemessen zu repräsentieren sei. Überzeugend rekapituliert Copley im Spiegel geschichtspolitischer Diskussionen, wie sich gesellschaftliche Akteur/innen unterschiedlich auf die Zeitschichten des Gebäudes als NS-Propagandabau, als sowjetische Verwaltungszentrale, Haus der Ministerien und Gründungsort der DDR, Ziel des Aufstands des 17. Juni 1953 und bundesdeutsches Finanzministerium seit 1990 bezogen. Copley erörtert, wie entgegen dem postautoritären Anspruch einer Geschichtskultur der heterogenen Perspektiven, die von autoritären Geschichtspolitiken abzugrenzen war, die erinnerungskulturelle Rahmung des Ortes mittels visueller und narrativer Instrumente (unter anderem Informationstafeln, Geschichtspfade, Denkmäler, Kunstwerke oder Plaketten) von politischer Selektivität gekennzeichnet war. So wurde narrativ vergleichsweise schwach auf die visuell präsente NS-Zeitschicht Bezug genommen, während umgekehrt Spuren der DDR-Zeitschicht im Zuge der Renovierung zwar kaum bewahrt, die Diktaturgeschichte der DDR aber kritisch betont wurde. Copley beschreibt in diesem Kapitel, wie sich eine potentielle Offenheit gesellschaftlicher Aushandlung durch politische Entscheidungen wieder verschloss und so der Anspruch einer plural ausgehandelten und objektivierten Erinnerungskultur sich trotz fachlichem Rat und zivilgesellschaftlicher Initiativen ungenügend einlöste. Die in den Ort eingeschriebene Geschichte der Treuhandanstalt (1991–1994) sowie die Umbenennung des Gebäudes nach dem 1991 ermordeten Treuhandpräsidenten Detlev Rohwedder erörtert die Autorin nicht. Als unmittelbare Gegenwart der frühen 1990er-Jahre fehlten (und fehlen teils bis heute) dieser Zeitschicht historische Distanznahme und Aufarbeitung, um über Bezugnahmen, Repräsentationen und Aushandlungen gesellschaftliche Kräfteverhältnisse zu vermessen.

Im Kapitel „Rationality? Negotiating post-authoritarian governmentality at the Olympic Stadium“ (S. 79–125) untersucht Copley die Diskussionen und Planungen rund um das Olympiagelände im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft 2006, in denen eruiert wurde, wie die sichtbare NS-Vergangenheit des Ortes vor einem internationalen Publikum historisch repräsentiert werden sollte. Die Autorin zeigt anhand des von einer Historischen Kommission erarbeiteten Geschichtspfades sowie einer Ausstellung, dass im Unterschied zur Renovierung des Detlev-Rohwedder-Hauses in den 1990er-Jahren hier der Bewahrung von Zeitschichten eine höhere Bedeutung zugemessen wurde. Die visuell-materielle Eindruckskraft der nationalsozialistischen Stelen und Skulpturen am Ort, der Langemarckhalle und des Glockenturms sowie der dramatisierenden Sichtachsen und Raumstrukturen suchte man mit wissenschaftlicher Objektivierung und Materialitäten der architektonischen Moderne zu brechen. Die Performanz einer spezifisch postautoritären Gouvernementalität im Spiegel erinnerungspolitischer Inszenierung erkennt Copley hier in einem starken wissenschaftlichen Eingriff, den sie von Ambivalenzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit gekennzeichnet sieht. So wurde einerseits die NS-Diktatur visuell und narrativ als das Andere der demokratischen Gegenwart markiert und der NS-Geschichtsinstrumentalisierung, welche Copley nicht eigens erörtert, eine offene Geschichtsreflexion entgegengesetzt, die zum Beispiel narrative Binaritäten vermied. Andererseits identifiziert sie mit der wissenschaftlichen Intervention bei gleichzeitiger politischer Verkürzung der Kommissionsempfehlungen Vorgänge, die die Geschichtsrepräsentation nicht nur strukturierten, sondern diese für politische Aussagen zur Gegenwart gouvernemental instrumentalisierten.

Im Kapitel „Freedom? Transcending post-authoritarian governmentality at the former Tempelhof Airport“ (S. 127–175) illustriert Copley, wie die NS-Geschichte des 1935–1941 von Ernst Sagebiel umgebauten Flughafens durch die Weiternutzung als US-amerikanisch kontrollierter Militär- und Zivilflughafen im Kalten Krieg diskursiv überschrieben wurde. Während in dieser Zeit die Geschichte des nationalsozialistischen Konzentrationslagers Columbia (1934–1936) in Vergessenheit geriet, verband sich mit dem Flughafen nach der Berliner Luftbrücke 1948/49 und mit seiner späteren Rolle als Start- und Zielpunkt von Fluchtbewegungen von Ost nach West ein Freiheitsnarrativ, das die NS-Zeitschicht dominant überlagerte. Copley zeigt, wie nach 1990 etwa im Rahmen des öffentlichen Referendums zur Zukunft des Flughafens und nach seiner Schließung 2008 dieses Narrativ weiter Verwendung fand. Für die Vermarktung des Orts als Eventlocation wurden das Image der „Tempelhofer Freiheit“ und gleichermaßen aber auch die neoklassizistischen Architekturelemente Sagebiels positiv hervorgehoben. Auch wenn Bürgerinitiativen, Parteien und wissenschaftliche Expert/innen die historische Aufarbeitung der NS-Geschichte des Geländes forderten, förderten und mit einem historischen Pfad und einer Gedenkstätte zum KZ Columbia-Haus umsetzten, dominierten, so Copley, wirtschaftliche Motive die historische Repräsentation. Dies kennzeichnet sie als Spätphase einer immanent befristeten postautoritären Geschichtsorientierung (im Übergang zu einer advanced liberal governmentality der Geschichtsrepräsentation), mit der auf die Zeitschichten des Ortes als Fundus positiver Inwertsetzung selektiver Bezug genommen und erst nach zivilgesellschaftlichen Protesten deutlicher die NS-Zeitschicht erinnert wurde.

Mit ihrer Dissertation hat Clare Copley eine spannende und klar konzipierte Studie veröffentlicht, die an einigen Stellen aber auch Fragen offenlässt. Die urbane Neugestaltung Berlins nach 1990 ist noch in den Anfängen, geschichtswissenschaftlich rekonstruiert zu werden, sodass Copley mit ihrer Untersuchung der geschichtspolitischen Neubewertung von drei historisch bedeutenden Orten und der Frage, von welchen Faktoren „politics of the past“ im Umgang mit historischen Bauten beeinflusst sind, interessante Zusammenhänge erschließt. Sie kann anhand der historischen Rahmung der Orte/Bauten überzeugend zeigen, wie politische Gegenwart Legitimationsressourcen aus der Art der Geschichtsrepräsentation bezieht, wobei die eng an Foucault orientierte These eines spezifisch postautoritären Zugangs zur Geschichte bisweilen etwas konstruiert erscheint. So wäre zu fragen, inwiefern die von Copley für die post-authoritarian governmentality herausgestellte zentrale Bedeutung der Erinnerungsfrage und deren inhärente Spannungslinien zwischen erinnerungskultureller Objektivität/Subjektivität, politischer Freiheit/Kontrolle und Rhetorik/Praxis sowie der Zugänglichkeit/Verschlossenheit öffentlicher Räume eine zeitspezifische Geschichtspolitik kennzeichnen oder nicht vielmehr allgemeinere Insignien zeitgeschichtlicher Erinnerungspolitiken in demokratischen Gesellschaften darstellen.2 Zur Prüfung ihrer These wären Vergleiche interessant, die Copley weder in diachroner Perspektive etwa mit Blick auf die Geschichtspolitiken der Bonner Republik oder der DDR-Regierung noch in synchroner Perspektive mit Blick auf andere neoliberal-demokratisch verfasste Gesellschaften der Zeitgeschichte zieht. An vielen Stellen bleibt weiterhin die Begründung der Befunde offen, etwa durch den Umstand, dass die Akteur/innen bzw. die Akteurskonstellationen nur schematisch und teils grobkörnig erfasst werden und entsprechend die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse und Motive in der erinnerungspolitischen Aushandlung blass bleiben. So fragt man sich zum Beispiel, ob es Unterschiede von ost- und westdeutschen Perspektiven gab bzw. welcherart die Unterschiede politischer, fachlicher oder zivilgesellschaftlicher Perspektiven auf die erinnerungspolitische Frage waren oder welche Interessen wirtschaftliche Akteur/innen geltend machten, deren Einfluss auf die Konfiguration historischer Repräsentation zwar konstatiert, aber nicht erörtert wird. Zuletzt wäre zu fragen, inwiefern verschiedene Diktaturformen bzw. -erfahrungen mit diesem Konzept zu erfassen sind. Ungeachtet solcher offenen Fragen bereichert Clare Copleys konzeptionell anregende Studie die Forschung an der Schnittstelle von Erinnerungs-, Stadt- und Politikgeschichte.

Anmerkung:
1 Vgl. ARCH+ Zeitschrift für Architektur und Urbanismus, Rechte Räume – Bericht einer Europareise, 235 (2019); Stephan Trüby, Rechte Räume. Politische Essays und Gespräche, Basel (im Erscheinen 2021).
2 Vgl. z.B. François Hartog, Régimes d’historicité. Présentisme et expériences du temps, Paris 2003; Sharon Macdonald, Memorylands. Heritage and identity in Europe today, London 2013.

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