Cover
Titel
Inclusion and Exclusion in Mediterranean Christianities. 400–800


Herausgeber
Fox, Yaniv; Buchberger, Erica
Reihe
Cultural Encounters in Late Antiquity and the Middle Ages 25
Erschienen
Anzahl Seiten
VII., 293 S.
Preis
€ 80,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Eber, Geschichte der Spätantike und des frühen Mittelalters, Friedrich-Meinecke-Institut (FMI), Freie Universität Berlin

Der vorliegende Sammelband fragt nach den Wirkungsweisen von In- und Exklusion in christlich geprägten Gesellschaften des Mittelmeerraums im Übergang von der Spätantike zum frühen Mittelalter. In- und Exklusion definiert Yaniv Fox in seiner Einleitung dabei unter anderem als „instruments in the service of the discourse of identity“ (S. 3). In Fortführung der Forschung der letzten Jahrzehnte zum Identitätsbegriff1 soll hier also in einer Reihe von bewusst exploratorisch angelegten Beiträgen aufgezeigt werden, wie bestimmte Gleichheiten und Differenzen aktiviert wurden, um kollektive Identitäten zu konstituieren (S. 2–3). Der hier gewählte geographische und chronologische Rahmen eignet sich besonders gut zur Behandlung dieser Frage, handelt es sich doch um eine Umbruchszeit, in der in- und out-group oft wechselten und kollektive Identitäten (sei es religiös-konfessionell, ethnisch oder politisch) immer neu verhandelt werden mussten (S. 4). Schon durch den Plural Christianities im Titel wird deutlich, dass der Band auch in der Tradition Peter Browns und seinem Konzept der micro-Christendoms2 steht: Die hier behandelten christlichen Gesellschaften verorteten sich zwar in einem universal gedachten Christentum, ihre In- und Exklusionsstrategien aber waren stark lokal geprägt.

Der Band beginnt mit drei Beiträgen zur Frage, wie Texte als In- und Exklusionsinstrumente wirken konnten („Literate Communities and Their Texts“) – oder auch nicht: Carmela Franklin zeigt, dass die Interpolationen im Text der B-Klasse des Liber Pontificalis nicht auf die Inklusion der Karolinger in die Papstgeschichte abgezielt hätten. Vielmehr seien sie auf ergänzende Marginalglossen ohne besonderes politisches Programm zurückzuführen. Dirk Rohmann zeichnet nach, wie die Anwendung des Begriffes „Häresie“ auf Texte aus divergenten christlichen wie aus paganen philosophischen Traditionen dazu führte, dass beide denselben Exklusionsstrategien ausgesetzt waren: der Bücherverbrennung. Shane Bjornlie liest „Beowulf“ als eine Projektion angelsächsischer Ängste vor den skandinavischen Siedlern in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft. Das Setting im mythischen, vorchristlichen Königreich der Getae habe erlaubt, diese Ängste in einem sicheren, weil abgeschlossenen, Kontext zu bearbeiten.

Der zweite Block („The Internal Dialogue of the Church“) geht besonders auf die Möglichkeit des Nicht-Aktivierens von Exklusionsstrategien ein. Yonatan Livneh zeigt anhand der Kirchenhistorien des Sokrates Scholastikos und des Sozomenos, dass Mitglieder einer in-group nicht notwendigerweise positiv auf Versuche der Abgrenzung zu einer out-group reagieren müssen (S. 110f.). Die christologischen Debatten des vierten und fünften Jahrhunderts werden dort als „Streit über Worte“ (S. 104) dargestellt, die nur den Gegnern der christlichen Orthodoxie in die Hände spielten. Sehr ähnlich argumentiert David Neary, der in den hagiographischen Werken des Antonios von Choziba den Versuch sieht, den Fokus der Mönche seines Klosters weg vom „bösen spekulativen Geist“ (S. 126) der theologischen Debatten auf die Perfektion ihrer eigenen asketischen Lebensweise zu richten. Peter Schadler weist darauf hin, dass melchitische Christen im Nahen Osten zwar die dogmatischen Ergebnisse des fünften und sechsten ökumenischen Konzils anerkannten, für ihre Selbstdefinition aber die ersten vier, kulminierend mit Chalcedon, entscheidend blieben.

Die ersten beiden Beiträge des dritten Blocks („Persecution and Dissent“) richten den Blick auf die Ähnlichkeit der In- und Exklusionsstrategien von homöischen und nicänischen Christen. Éric Fournier zeigt, dass der Vandalenkönig Hunerich für seine Maßnahmen gegen nicänische Christen die auf Betreiben von nicänischen Bischöfen durchgeführten, anti-donatistischen Maßnahmen unter Kaiser Honorius adaptierte, diese dabei aber abschwächte: Er verzichtete auf die Anwendung der Todesstrafe. Robin Whelan tritt am Beispiel der Ost- und Westgoten einer in der Forschung bisweilen zu erkennenden Tendenz entgegen, homöische religiöse und „barbarische“ ethnische Identität als sich gegenseitig bedingend zu interpretieren. Die ohnehin wenigen italienischen Quellen, die homöische Kirche(n) als „gotisch“ bezeichnen, unterzieht er einem „minimalist reading“ (S. 171) und demonstriert, dass die theologischen und pastoralen Texte, die aus homöischen Gemeinschaften überliefert sind, auf eine universalistische, nicht auf eine ethnische Selbstdefinition hindeuten. Tatsächlich stand die Strategie, die eigene, „universale“ christliche Gemeinschaft einem ethnisch partikularen Christentum gegenüberzustellen, Homöern ebenso offen wie Nicänern – im westgotischen Spanien etwa durch die Bezeichnung nicänischer Christen als „römisch“.

Es folgen zwei Beiträge zur Stellung von jüdischen Gemeinden in mediterranean Christianities. Erica Buchberger präsentiert dabei ein Beispiel des Standardmodells von In- und Exklusion („neither new nor particularly surprising“, S. 199): Nach ihrer Konversion zum nicänischen Christentum hätten die Westgoten die nicänischen Hispano-Römer in ihre ethno-religiöse Identität integriert; die gleichzeitige Zunahme von anti-jüdischer Gesetzgebung sei der Tatsache geschuldet, dass die Juden, die letzte verbliebene religiöse Minderheit auf dem Boden ihres Königreichs, dabei als „convenient other“ in der „language of unity“ gedient hätten (S. 212). Thomas MacMaster beleuchtet anti-jüdische Maßnahmen aus einer mediterranen Perspektive und tritt entschieden für die Historizität der Nachricht der Fredegar-Chronik ein, dass Dagobert I. auf Betreiben des Kaisers Heraklios die jüdische Bevölkerung des Frankenreiches zwangstaufen lassen habe. Anti-jüdische Politik sei um 630 im gesamten Mittelmeerraum nachweisbar, im Frankenreich aber habe sie die einschneidendsten Effekte gehabt: Einen Synodalkanon aus der Mitte des 7. Jahrhunderts, der Sklavenhandel über die Grenzen des Frankenreiches hinaus verbietet, weil sonst christliche Sklaven jüdischen Herren dienen könnten, interpretiert er als Indiz dafür, dass es innerhalb dieser Grenzen keine jüdischen Gemeinden mehr gegeben habe.

Die letzten beiden Beiträge („Elite Networks“) richten den Fokus auf die Möglichkeiten der Inklusion ethnischer Nicht-Römer in römische Elitennetzwerke. Emmanuelle Raga weist nach, dass Sidonius Apollinaris die Beschreibung von Essgewohnheiten der „Barbaren“ in seinem Umfeld nicht einsetzte, um ihre ethnische Alterität auszudrücken, sondern um sie auf einem klassenbasierten sozialen Spektrum zu verorten. Von der idealen aristokratischen Mäßigung des Westgotenkönigs Theoderich zur rusticitas der nach Zwiebeln stinkenden burgundischen Soldaten stand ihnen dabei jede Position in diesem Spektrum offen. Aleksander Paradziński bildet das selbstbewusste Spiel mit Gleichheit und Differenz der einflussreichen Familie der Ardaburii ab: Einerseits voll integriert in die römische Elite, kommunizierten sie andererseits über ihre gotisch/alanischen Namen und ihren homöischen Glauben eine Form der Alterität, die ihnen eine gewisse Flexibilität und auch Zugang zu anderen, nicht-römischen Netzwerken eröffnete. Gleichzeitig konnte diese Alterität gegen sie in Stellung gebracht werden und trug so zur Volatilität ihrer Position bei.

Der Band schließt mit einer Conclusion von Chris Wickham und einem umfangreichen Index.

Die Beiträge dieses Bandes, wie auch diese Rezension, stoßen auf die unvermeidliche Schwierigkeit der Benennung der diversen hier relevanten in- und out-groups, waren doch die meist aus einer (nicänisch-)christlichen Perspektive geprägten Begriffe selbst schon Instrumente der In-/Exklusion. Man liest hier z.B. von pagans und „pagans“, Arians, „Arians“ und Homoians. Während es wohl kaum möglich gewesen wäre, für alle Beiträge gleichermaßen adäquate Begrifflichkeiten zu finden, so wäre doch eine explizitere Auseinandersetzung mit diesem Problem wünschenswert gewesen.3 An einigen Stellen hätte auch die Möglichkeit bestanden, die Beiträge expliziter zu verknüpfen. Zwischen Whelan, Buchberger und MacMaster etwa, oder Rohman, Livneh und Neary gibt es Überschneidungen, aber auch signifikante Unterschiede in den Perspektiven, deren Implikationen explizit zu machen sich gelohnt hätte. Dies ändert freilich an der Qualität der genannten Beiträge nichts.

Zugleich liegt auch die Stärke dieses Bandes in der Diversität seiner Perspektiven. Während Yaniv Fox nämlich zu Recht die Allgegenwart von In- und Exklusion betont (S. 1), zeigen die hier versammelten Beiträge eindrücklich, wie wenig darüber hinaus als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann – vor allem, welche Gleichheiten und Differenzen dafür aktiviert werden (Whelan, Raga, Schadler). Auch sind soziale Gruppen nicht durchgängig mit boundary management beschäftigt (Franklin, Whelan), manchmal sogar aktiv an verschwommenen Grenzen interessiert (Paradziński). Exklusion kann die Solidarität innerhalb der exkludierenden Gruppe stärken (Buchberger), aber auch schwächen (Livneh, Neary); gerade gewaltsame Exklusionsstrategien sind daher erklärungsbedürftig (Fournier, MacMaster). Chris Wickham bringt die zentrale Einsicht am Ende seiner Conclusion auf den Punkt: „Everywhere, inclusion implies exclusion, but only sometimes does this matter“ (S. 287).

Anmerkungen:
1 Hier sind in erster Linie die Ergebnisse der Wiener Historiker/innen um Walter Pohl zu nennen; siehe beispielsweise: Walter Pohl / Gerda Heydemann (Hrsg.), Strategies of Identification. Ethnicity and Religion in Early Medieval Europe (CELAMA 13), Tournhout 2013.
2 Peter Brown, The Rise of Western Christendom. Triumph and Diversity, A.D. 200–1000, 2. Aufl., Malden u.a. 2003 (1. Aufl. 1996), S. 13–17 u. 355–379.
3 Vgl. etwa Guido M. Berndt / Roland Steinacher (Hrsg.), Arianism. Roman Heresy and Barbarian Creed, Farnham 2014, insbes. die Beiträge von Brennecke und Heil. Siehe auch Robin Whelan, Being Christian in Vandal Africa. The Politics of Orthodoxy in the Post-Imperial West, Oakland 2018, S. 10–11.

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