Ernst Jünger hat seit jeher die Meinungen polarisiert. Seit dem durchschlagenden Erfolg seines Erstlingswerkes „In Stahlgewittern“ existiert eine zeitweise erbittert geführte Debatte um die politische und moralische Verortung dieses Autors. Während die einen in ihm einen Kriegsverherrlicher und geistigen Wegbereiter der Nationalsozialisten sahen, zimmerten andere an der Ausarbeitung des von ihm selbst lancierten Diktums, ein „Seismograph“ der Geschichte gewesen zu sein, der die „Taifune“ nur vorhergesehen, nicht aber evoziert habe 1.
In den letzten Lebensjahrzehnten des Hochbetagten verstummte die Kritik zunehmend. Unterstützt wurde die allmähliche Tendenz, Jünger als unpolitischen Beobachter zu sehen, durch die überwiegend literaturwissenschaftliche Ausleuchtung seines Werkes. Richtungsweisend wirkte hier Karl Heinz Bohrers Studie zur „Ästhetik des Schreckens“, in der er die Frühschriften Jüngers unter rein ästhetischen Gesichtspunkten betrachtete 2.
Trotz einer insgesamt wohlwollenden Rezeption ist es erstaunlich, daß es dem ewig Umstrittenen zeitlebens gelingen konnte, seine politischen Schriften der zwanziger Jahre als irrelevant oder „verschollen“ aus dem Kanon seiner gesammelten Werke herauszuhalten. Das Interesse an den insgesamt rund 140 Artikeln, die er zwischen 1920 und 1933 in rechten Zeitschriften veröffentlichte, blieb daher gering. Diese politische Publizistik ist nun, drei Jahre nach dem Tod des Autors, in Jüngers Hausverlag Klett-Cotta endlich erschienen und damit einem breiteren Publikum zugänglich.
In diesen Texten kann weder von kühler Distanz noch von spielerischer Désinvolture die Rede sein. Mit mal rhetorisch geschickter, mal eher säbelrasselnder Sprache verkündete Jünger darin über zehn Jahre hinweg die „nationalistische Revolution“. Martialische Aufrufe wie diese sind typisch für seinen damaligen Stil: „Revolution, Revolution! Das ist es, was unaufhörlich gepredigt werden muß, gehässig, systematisch, unerbittlich (...). Die nationalistische Revolution braucht keine Verbrüderung von Gegensätzen, sie braucht Verkünder des Satzes: Der Herr wird über euch kommen mit der Schärfe des Schwertes! (...) Im großen Kriege hat sich ein neuer, gefährlicher Menschenschlag entwickelt, bringen wir diesen Schlag zur Aktion!“ Wie bei allen Rechten der Weimarer Republik war auch Jüngers erklärter Hauptfeind der Liberalismus, dessen Untergang er in seinen Texten leidenschaftlich ersehnte. Der Sturz der verhassten Weimar Staates war das „revolutionäre“ Ziel; zu dem, was darauf folgen sollte, äußerte sich der Publizist allerdings nur vage.
Es wird aber deutlich, daß es sich dabei um einen militärisch strukturierten, autoritären Staat handeln sollte - eine Vorstellung, die er erst im 1932 erschienenen „Arbeiter“ weiter entwickelte. In seinen Artikeln setzte er dem Liberalismus dagegen weniger ein konkretes politisches Programm als vielmehr eine aggressiv-elitäre Haltung entgegen: „Wir nennen uns Nationalisten - dieses Wort ist uns durch den Haß des gebildeten und ungebildeten Pöbels, durch das Heer der Opportunisten des Geistes und der Materie geweiht. Was dort gehaßt wird, was den seichten Strömen des Fortschritts, des Liberalismus und der Demokratie zuwider ist, das hat zumindesten den Vorzug, nicht allgemein zu sein. Wir fordern nicht das Verallgemeinerte. Wir lehnen es ab, von den allgemeinen Wahrheiten und Menschenrechten bis zur allgemeinen Bildung, zur allgemeinen Wehrpflicht, zum allgemeinen Wahlrecht und zur allgemeinen Nichtswürdigkeit, die das notwendige Ergebnis all dessen ist.“3
Unpolitisch kann man solche Sätze wahrlich nicht nennen, deutlich wird während der Lektüre vielmehr, daß es sich hier einer zum erklärten Ziel gesetzt hat, erbittert und zuweilen durchaus intelligent gegen Demokratie, Aufklärung, Menschenrechte und internationale Diplomatie (zu seinen Lieblingsangriffspunkten gehört die von Stresemann verfolgte Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund) zu argumentieren. Die Artikel sind Zeugnisse eines Weltbildes, das in philosophischer Verfeinerung des sozialdarwinistischen Gedankens jede Handlung, jede Entwicklung als kriegerisch ausgerichtete begreift. Diplomatische Verständigungspolitik erschienen in dieser Perspektive als aufgesetzt und falsch, und die Inbrunst und gedankliche Stringenz, mit der Jünger diese Überzeugung vortrug, machen vielleicht den brisantesten, weil intellektuell verführerischsten Aspekt seiner Schriften aus.
Was über die nationalistische Agitation hinaus irritiert, ist die offensichtliche Aggressivität, mit der alle moralischen Bedenken als hohl verspottet und verachtet werden. Immer wieder wird raunend der Instinkt und das „Recht des Stärkeren“ beschworen, wenn es beispielsweise heißt: „Das Richtige durchzusetzen, dazu gehört auch noch das instinktive Bewußtsein des Rechts, das den Willen hat, jedes andere Recht durchzusetzen, um sich Geltung zu verschaffen.“ 4
Auch antisemitische Äußerungen finden sich in nicht minderer rhetorischer Schärfe: „Im gleichen Maße jedoch, in dem der deutsche Wille an Schärfe und Gestalt gewinnt, wird für den Juden auch der leiseste Wahn, in Deutschland Deutscher zu sein, unvollziehbarer werden und er wird sich vor seiner letzten Alternative sehen, die lautet: in Deutschland entweder Jude zu sein oder nicht zu sein“ 4. Wie auch dieser Satz bleibt vieles dunkel und ungenau, läßt mehrere Deutungen zu. Die Pose des Eingeweihten, des Verschwörerischen, der Jargon der Ungenauigkeit, all diese Merkmale können als Ausdrücke rechten Denkens und rechtsradikaler Identität dieser Zeit gelten, und sie beherrscht der ansonsten für sprachliche Präzision gerühmte Autor hier perfekt.
Der Herausgeber Sven Olaf Berggötz hat die zahlreichen Artikel mit hilfreichen Anmerkungen und einem solide recherchierten Nachwort versehen, das auch auf Jüngers Verhältnis zur NSDAP vor 1933 eingeht. Dabei erliegt der Bonner Politikwissenschaftler ein wenig der Versuchung, die Distanz Jüngers zum Nationalsozialismus überzubewerten. Die kleinen publizistischen Seitenhiebe, die sich beispielsweise Jünger und Goebbels lieferten, gehörten ganz allgemein zum intellektuellen Stil in der Weimarer Streitkultur, auf der Rechten wie der Linken, sie sollten nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich das nationale Lager in seiner gemeinsamen politischen Stoßrichtung einig war. Im diesem politischen Lager und auch für Jünger galt der Nationalsozialismus in den zwanziger Jahren überdies als eine rechtsradikale Richtung unter vielen, als eine gut organisierte Partei, die man zuweilen als primitiv belächelte und wegen ihrer Hinwendung zu den Massen verachtete. Zur elitären Egozentrik Jüngers paßte es außerdem nicht, sich einem „Führer“ unterzuordnen, da er sich selbst als geistigen Führer einer eigenen Richtung ansah.
Berggötz´ Fazit, in dem er wiederum auf den Topos vom unpolitischen Jünger zurückgreift und ihn als einen „Verführten“ interpretiert, kann nach der Lektüre der Publizistik nicht recht überzeugen. Die Eindeutigkeit und Beharrlichkeit, mit der Jünger politisch Stellung bezog, springt dem Leser in jedem Artikel buchstäblich ins Auge. Gegen die These des „intellektuell Verführten“ spricht vor allem das ostentative Selbstbewußtsein, mit dem Jünger „predigte“- nicht zuletzt sind viele seiner Beschreibungen vom neuen Typus des „Frontsoldaten“ oder dem Habitus des „Nationalisten“ immer auch Formen seiner Selbstdarstellung.
Der Klappentext des Bandes bemüht sich überdies, die Artikel als „provokante Essays“ eines „jungen Wilden“ zu veredeln, der die „Mißstände in Politik und Gesellschaft“ kritisiere. Diese Einordnung ignoriert den agitatorischen Charakter der Texte, die als Kampfschriften verfaßt wurden und als solche eben nicht von essayistischer Reflexion, sondern von beschwörendem Pathos geprägt waren.
Insgesamt aber ist die sorgfältige Edition dieser Texte ein wichtiger Schritt hin zu einem historisch differenzierteren Bild von Ernst Jünger und der rechten Szene vor der nationalsozialistischen Machtergreifung überhaupt. Die Diskussion um ihre Bewertung allerdings ist erst eröffnet.
Anmerkungen:
1 Ernst Jünger, Tagebücher II (Sämtliche Werke, Stuttgart 1980), S. 13.
2 Karl Heinz Bohrer: Die Ästhetik des Schreckens, Frankfurt am Main 1978. Bohrer überging politische Aspekte in Jüngers Frühwerk mit der Annahme, daß „präfaschistische Rezeption und ideologische Wahlverwandtschaft nicht mit dem Prozeß der künstlerischen Produktion selbst unmittelbar identifiziert werden (darf), wie es gemeinhin getan wird, weil man dem Ästhetischen zu wenig an Autonomie zubilligt. Es könnte nämlich sein, daß die künstlerische Begabung eines Schriftstellers gegen seine eigene Ideologie durchschlägt. Wir meinen: So ist es der Fall bei Jünger gewesen (...)“ (S. 18).
3Ernst Jünger: Vorwort des Herausgebers in Friedrich Georg Jünger, Aufmarsch des Nationalismus, Leipzig 1926.
4Ernst Jünger: Unsere Politiker, in: Die Standarte, 6. 9. 1925.