U. Hartmann: Das palmyrenische Teilreich

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Titel
Das palmyrenische Teilreich.


Autor(en)
Hartmann, Udo
Reihe
Oriens et occidens 2
Erschienen
Stuttgart 2001: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
532 S.
Preis
EUR 96.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Agnes Henning, Deutsches Archäologisches Institut, Rom

Die Königin Zenobia ist jedem ein Begriff, der sich schon einmal mit der syrischen Oasenstadt Palmyra auseinander gesetzt hat. Dieser heute allzu oft schillernd und sagenumwoben dargestellten Persönlichkeit gelang es im 3. Jh. n. Chr., die politische Rolle ihres verstorbenen Mannes Odaenathus zu übernehmen. Dadurch hatte sie im Osten des Römischen Reiches eine Vormachtstellung inne, die schließlich zur Konfrontation mit dem römischen Kaiser Aurelian und zur Kapitulation Palmyras führte. Das Anliegen der mit dieser Arbeit veröffentlichten Dissertationsschrift von Udo Hartmann ist es, Licht in diese wissenschaftlich bislang wenig erforschte Epoche zu bringen. Die Geschichte des palmyrenischen Teilreiches soll dargestellt und seine historische Rolle im Kontext der Krise des Römischen Reiches im 3. Jh. n. Chr. ausgewertet werden.

Die mehr als 500 Seiten lange Arbeit setzt sich in ihrem ersten Kapitel zunächst mit der notwendigen Definition des Begriffes "Teilreich" auseinander. Die Abgrenzung gegenüber dem Terminus "Sonderreich" erfolgt klar und sinnvoll: Während der Herrscher eines Teilreiches als von Rom legitimierter Kaiserstellvertreter die Sicherung eines Gebietes übernimmt, zielt ein Sonderreich auf die Abspaltung vom Römischen Reich ab. Diese Definition trägt wesentlich zum Verständnis des Charakters der palmyrenischen Dynastie bei. Ein kurzer Abriss der Forschungsgeschichte macht deutlich, dass der Rolle des Odaenathus bislang zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Die Analyse seiner Politik ist jedoch die Grundlage für die Beurteilung der Geschehnisse um Palmyra. In diesem Sinn strebt Hartmann anhand der Nutzung unterschiedlicher historischer Quellen und der Auswertung verschiedener Forschungsmeinungen eine Rekonstruktion der Ereignisse an.

Im zweiten Kapitel folgt ein Abschnitt mit der Darstellung der Überlieferungslage, in welchem das intensive Quellenstudium Hartmanns spürbar ist. Neben den antiken Autoren werden auch orientalische Schriftzeugnisse sowie Primärquellen berücksichtigt. Besonders wertvoll ist die Wiedergabe der persönlichen Sichtweisen der jeweiligen historischen Verfasser. Im dritten Kapitel wird die Entwicklung der Oasenstadt dargestellt. Zwar spricht Hartmann einer hellenistischen Siedlung trotz der jüngsten Forschungen jegliche größere Bedeutung ab, sein Bestreben ist es jedoch aufzuzeigen, wie die Kunst und Kultur des Römischen Reiches und des Partherreiches nebeneinander existierten und daraus eine regelrechte "Verschränkung der Identitäten" (S. 62) entstand. Die Beschreibung dieses Phänomens zeugt vom Gespür Hartmanns im Umgang mit dem sehr schwierigen Thema der Kulturdefinition Palmyras. Die durch den Karawanenhandel begründete Unabhängigkeit der Stadt war im 3. Jh. n. Chr. durch Kriege an den Reichsgrenzen gefährdet, was in der Folge zu innenpolitischen Schwierigkeiten führte. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für den politischen Aufstieg und die Machtübernahme des Odaenathus, was Inhalt des vierten und fünften Kapitels ist.

Die langanhaltende Friedensperiode im Osten des Römischen Reiches war durch die einfallenden Perser unter Shapur bedroht. Nach der Gefangennahme des römischen Kaisers Valerianus gelang es dem palmyrenischen Exarchen dennoch, die politische Situation in der Region zu stabilisieren. Der nachfolgende Kaiser Gallienus machte Odaenathus schließlich zu seinem Stellvertreter im Osten. Das sechste Kapitel beschreibt, wie sich die Herrschaft des Palmyreners im Orient festigte und sich sein politischer Einfluss bis nach Ägypten ausweitete. Infolge einer Intrige wurde Odaenathus schließlich im Jahr 267/68 ermordet. Die vielen überlieferten Versionen seines Todes zeigen die Tragweite dieser Tat. Als Grund für das Verbrechen favorisiert Hartmann eine Verschwörung im Auftrag des Gallienus, der seinen eigenen Einfluss im Osten offenbar schwinden sah. In Anbetracht der zuvor häufig angesprochenen Loyalität des Odaenathus gegenüber Gallienus und dessen Akzeptanz des Dynasten ist diese Schlussfolgerung allerdings nur schwer nachvollziehbar.

Ein neuer Abschnitt in der Geschichte des palmyrenischen Teilreiches wird zunächst durch das siebente Kapitel eingeleitet, welches die Chronologie der Jahre 268 bis 276 behandelt. Dies geschieht durch die Parallelisierung von ägyptischen Quellen mit dem julianischen Kalender. Auf dieser Grundlage folgt die Schilderung der Regentschaft der Zenobia im achten Kapitel. Vaballathus, der Sohn des Odaenathus, hatte den Königstitel geerbt. Da er jedoch beim Tode seines Vaters kaum zehn Jahre alt war, übernahm seine Mutter Zenobia die Regierungsgeschäfte. Sie konnte mit Hilfe von Beratern und Gefolgsleuten die Stabilität im Osten zunächst fortsetzen. Die Ausweitung ihres Einflusses bis in das westliche Kleinasien scheiterte jedoch. Ein Abschnitt innerhalb dieses Kapitels schildert anschaulich die Verwaltungsstrukturen und das kulturelle Leben im Umkreis der Herrscherin, die sich mit vielen Gelehrten umgab und religiöse Toleranz walten ließ. Das Bild über die Herrscherin wird durch die Beurteilung der Regentschaft aus Sicht der syrischen Juden und in der arabischen Legendentradition komplettiert.

Im neunten Kapitel wird der Konflikt zwischen dem neuen römischen Kaiser Aurelian und Zenobia dargestellt. Aurelian, der die palmyrenische Dynastie nie anerkannt hatte, initiierte nun einen Feldzug gegen die Usurpatoren im Osten. Vaballathus und seine Mutter hatten mittlerweile die Kaisertitulatur angenommen. Der erfolgreiche Vormarsch des Aurelian wird in exakter chronologischer Gliederung beschrieben und mit zeitgenössischen Beurteilungen kommentiert. Die Quellen berichten schließlich von einer Belagerung Palmyras, seiner Einnahme und Zerstörung. In einem übermäßig ausführlichen Abschnitt legt Hartmann dar, dass für diese Zeit archäologisch gar keine Befestigungsanlage nachgewiesen ist, die von den Römern hätte belagert werden können. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass sich die Stadt friedlich dem Kaiser ergab. Das zehnte Kapitel hat nachfolgende aufständische Tendenzen in Palmyra und Ägypten zum Inhalt, welche jedoch von dem römischen Herrscher rasch niedergeschlagen wurden.

Aurelian, dessen Bezeichnung restitutor orbis das elfte Kapitel betitelt, zeichnete sich bei der Beurteilung der Gefangenen durch seine clementia aus. Zenobia hat nach Aussage der Historia Augusta ihren Lebensabend in einer Villa nahe Roms verbracht. Die von Hartmann verfasste Abhandlung über die Lage dieses Anwesens ist jedoch redundant, zumal sie ohne Ergebnis bleibt. Das negative, antirömische Bild der Herrscherin entstand erst in der Spätantike. Palmyra selbst verlor seinen einstigen Ruhm. Die Aussage Hartmanns, nach welcher die Oasenstadt in die Bedeutungslosigkeit sank, wird der weiterhin sehr wichtigen Lage der Siedlung im Zentrum der syrischen Wüste nicht gerecht. Mehrere frühchristliche Kirchen und ein omayyadischer Souk belegen vielmehr, dass es in nachantiker Zeit ein reges Leben in Palmyra gegeben hat, auch wenn die Sachkultur dieser Epoche weniger materialreich ist.

Den Abschluss bildet ein zwölftes Kapitel. Darin werden die zuvor ausführlich geschilderten Ereignisse zusammengefasst und weiterführende Fragen gestellt, die sich jedoch in der relativen Länge des Abschnittes leicht verlieren. Als wichtigstes Ergebnis bleibt festzuhalten, dass die Usurpation der palmyrenischen Herrscher ein Lösungsversuch der strukturellen Probleme des Römischen Reiches im 3. Jh. n. Chr. war. Sowohl für Odaenathus als auch für seine Frau Zenobia stand der Schutz des Orients im Vordergrund ihrer Bestrebungen. Die Ursachen sind weniger im kulturellen Gegensatz zwischen Ost und West als vielmehr in der Labilität der zentralistischen kaiserlichen Herrschaft zu sehen. Es gelang den palmyrenischen Dynasten nicht, ihre Interessen mit denen der römischen Regierung in Einklang zu bringen, was schließlich zur separatistischen Politik der Zenobia und zu ihrem Konflikt mit Aurelian führte.

Die Arbeit wird durch zwei Appendizes erweitert, deren erster die Inschriften der palmyrenischen Dynasten auflistet. Im zweiten Anhang ist Hartmann bemüht, einen Einblick in die Rezeptionsgeschichte der Zenobia in der Literatur, Musik und bildenden Kunst zu geben. Ohne kunsthistorische Bewertung bleibt dem Leser der Nutzen dieser Abhandlung jedoch verborgen. Schließlich vervollständigen ein Quellen- und ein Literaturverzeichnis, ein Index sowie einige Abbildungen die wissenschaftliche Untersuchung.

Die Arbeit von Udo Hartmann überzeugt vor allem durch den kritischen Umgang mit den Quellen. Die einzelnen Überlieferungsstränge werden dargestellt und auf ihre Historizität überprüft. Der Gewinn für die althistorische Forschung liegt in der Einbeziehung der orientalischen Schriftzeugnisse, die ein sehr fundiertes Bild entstehen lassen. Hartmann hat seine in der Einleitung formulierte Fragestellung konsequent verfolgt. Darüber hinaus ist der Text gut zu lesen, leicht verständlich und schlüssig gegliedert. Für den Leser ist es einfach, sich einzelne Kapitel herauszugreifen. Allerdings hätte der Arbeit in Anbetracht ihres Umfangs die Straffung einiger Textpassagen nicht geschadet. Auch fehlen die Verweise auf die Abbildungen, bei denen statt der Münzbildnisse in mittelmäßiger Druckqualität und zweier Stadtpläne von Palmyra einige Landkarten mit der Markierung der verschiedenen erwähnten Feldzüge sicherlich hilfreicher gewesen wären. Trotz des Schwerpunktes auf Odaenathus und Zenobia wird ihr Sohn, Vaballathus, in seiner Rolle als Usurpator zu aktiv geschildert, wenn man davon ausgeht, dass dieser während der Ereignisse erst zwischen zehn und vierzehn Jahre alt gewesen sein muss; die politische Führung übernahm zu Recht seine Mutter.

Die wenigen Kritikpunkte beeinträchtigen die wissenschaftliche Bereicherung durch diese Arbeit jedoch keineswegs. Die Untersuchungen von Hartmann liefern zahlreiche Informationen, die zu unserem Gesamtverständnis von der kulturellen Struktur in der antiken Region des heutigen Nahen Ostens und zur politischen Situation des Römischen Reiches im 3. Jh. n. Chr. beitragen. Vor diesem Hintergrund bietet sich die Chance, weiterführende Einzelstudien anzuschließen und auch das palmyrenische Kunstschaffen dieses bewegten Jahrhunderts neu zu bewerten.

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