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Titel
Forschungswerkstatt Geschichtsdidaktik 17. Beiträge zur Tagung "geschichtsdidaktik empirisch 17"


Herausgeber
Waldis, Monika; Ziegler, Béatrice
Erschienen
Bern 2019: hep Verlag ag
Anzahl Seiten
240 S.
Preis
€ 33,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Isabel Elsner-Schwengelbeck, Theorie und Didaktik der Geschichte, Universität Paderborn

Empirische Forschung ist ein fester Bestandteil der Geschichtsdidaktik. Aber wie steht es um die Übersetzung und mit der Übersetzbarkeit geschichtsdidaktischer Theorieansätze in empirisches Vorgehen und die analytische Auseinandersetzung mit empirischen Ergebnissen? Wie können im Forschungsdiskurs Befunde aus der Empirie an die Theorie rückgebunden werden? Diesen übergeordneten Fragestellungen möchte sich der Band Forschungswerkstatt Geschichtsdidaktik empirisch 17 widmen, der zur Tagung „geschichtsdidaktik empirisch 17“ erscheint, welche unter dem Titel „Translation II“ an ihrem traditionellen Veranstaltungsort Basel stattfand.

Die Herausgeberinnen des Bandes, Monika Waldis und Béatrice Ziegler, haben insgesamt 14 Beiträge unter vier thematischen Schwerpunkten versammelt: Translation II, Geschichtslehrpersonen, Geschichtsunterricht und historische Kompetenzen, wobei sich die Mehrzahl der Beiträge auf den Bereich der Geschichtslehrpersonen konzentriert. Da es nicht möglich ist, an dieser Stelle jeden der Beiträge angemessen zu besprechen, wenngleich sie alle gleichermaßen einer Vorstellung würdig sind, sollen vor allem die vier Themenschwerpunkte allgemein Berücksichtigung finden und exemplarisch Einzelbeiträge andiskutiert werden.

Waldis und Ziegler konstatieren einleitend, dass die geschichtsdidaktische Forschung seit den 1970er-Jahren fest in der empirischen Forschung verankert ist und verdeutlichen – flankiert von Hinweisen auf rege Forschungsaktivitäten in eben diesem Bereich – die Herausforderungen für empirisch forschende Geschichtsdidaktiker:innen, welche sich keines genuin domänenspezifischen Forschungsinstrumentariums bedienen können (S. 9). Sie berücksichtigen das qualitative wie das quantitative Paradigma sowie den Ansatz des „Design-based-Research“, der sich in verschiedenen Fachdidaktiken als vielversprechender Zugang etabliert hat (S. 15) und generieren einen Einblick in die Herausforderungen und Zukunftsperspektiven empirischer Forschung in der Geschichtsdidaktik.

Auf diese ersten Impulse zum Verhältnis von Theorie und Empirie folgt eine Analyse von Michele Barricelli, der den thematischen Schwerpunkt Translation II allein bestreitet. Im Zuge der Reflexion des Sprachgebrauchs in der empirischen Forschung weist er darauf hin, dass Theorieentwicklung nach erfolgter Empirie – gemäß seinem Titel „Translation: Von der Theorie zur Empirie und zurück“ – nicht als „reaktiv“, sondern als „bildend“ zu verstehen ist (S. 38). Barricelli führt Grundeinstellungen aus, die den Weg zu valider Erkenntnis ebnen sollen.

Tobias Langguth, Waltraud Schreiber und Michael Werner eröffnen den thematischen Schwerpunkt der Geschichtslehrpersonen, der in dem Sammelband besonders stark vertreten ist, mit einem Beitrag zur Typisierung von Nutzer:innen des „mBook Belgien“, die auf der Befragung ostbelgischer Lehrkräfte basiert. In ihrem Beitrag „Die Lehrkraft als Faktor der Schulbuchnutzung“ bestätigen sie, dass die empirischen Erkenntnisse, die Gautschi über die Art und Weise der Nutzung analoger Schulbücher abgeleitet hatte1, neben einigen Modifizierungen im Grundsatz auch für digitale Lehr- und Lernmittel gelten und generieren damit wichtige Erkenntnisse für zukünftige Weiterbildungen im Bereich der digitalen Lehr- und Lernmittel.

Die Befunde von Sebastian Barsch und Nina Glutsch bestätigen bestehende Studien insofern, als sich der Einfluss von Vorbildern und eigenen Erfahrungen im eigenen (Geschichts-) Unterricht auf die Berufswahlmotivation auch im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nachweisen lässt.2

Im Beitrag „Beobachtungen und Beurteilungen von angehenden Geschichtslehrpersonen bei der Arbeit mit Unterrichtsvideos“ stellen Philipp Marti und Monika Waldis die Analyse und Auswertung von videografierten Gruppengesprächen an einer schweizerischen Pädagogischen Hochschule vor und zeigen auf, inwiefern die gesetzten Ausbildungsziele erreicht werden und in welchem Maß bei Geschichtslehrpersonen in der Grundausbildung der Aufbau professionellen Wissens und Könnens angeregt werden.

Dass Referendar:innen, die Geschichte studiert haben und noch vor der zweiten Ausbildungsphase stehen, zwar über Geschichtswissen sowie geschichtsdidaktisches Wissen verfügen, dieses in der Praxis des Geschichtsunterrichts aber nicht anwenden können, ist ein zentraler Befund von Mario Resch und Christian Heuer.

Die Studie von Roland Bernhard und Christoph Kühberger ist besonders interessant mit Blick auf die Kompetenzorientierung: Die Autoren verfolgen die Frage, welches Verständnis Geschichtslehrpersonen fast ein Jahrzehnt nach dem Paradigmenwechsel hin zu fachspezifischer Kompetenzorientierung aufweisen, wenn sie von Kompetenzen im Zusammenhang mit Geschichtsunterricht sprechen. Ihre Befunde zeigen, dass ein eher fachunspezifisches Verständnis von Kompetenzen vorherrscht. Sich von Defizitzuschreibungen distanzierend, beabsichtigen sie nach kontextbezogenen Faktoren zu suchen, die den Befund und die Lage der Lehrkräfte nachvollziehbarer machen.

Den mit zwei Beiträgen vertretenen Themenschwerpunkt „Geschichtsunterricht“ eröffnet Barbara Christophe mit einer Studie, in der untersucht werden soll, was ein Thema, das von gesellschaftlicher Deutungsunsicherheit geprägt ist, mit Geschichtsunterricht macht. Dabei richtet sie den Blick auf den Kalten Krieg, der noch immer kontrovers verhandelt wird und zu dem es keine standardisierten Deutungsmuster gibt. Bei der Auswertung irritiert das Verhalten der beobachteten Lehrerinnen, die sich auf etablierte Deutungsrahmen stützen, aber alternative Deutungsoptionen verschweigen. Die Lernenden scheitern in beiden Stunden mehrfach daran, die von den Lehrkräften vorgenommenen Rahmungen zu erkennen. Christophe führt dies darauf zurück, dass die Lehrerinnen ihre Positionen nicht als eine von mehreren Alternativen markieren, während die Schüler:innen einen Deutungsrahmen auch hinsichtlich seiner inneren Logik besser erfassen können, wenn ihnen Gegendeutungen aufgezeigt werden.

Andrea Kolpatzik untersucht sprachliche Phänomene der Werturteilsbildung im Geschichtsunterricht. Ihre empirischen Befunde geben ihr Anlass zu der Annahme, dass den Lernenden sowohl konzeptionelles als auch prozedurales Wissen für (selbst-)reflektierte Werturteile fehlt. Weiterhin mangelte es an (bildungs-)sprachlichem Wortschatz und Verständnis für die domänenspezifischen Denkleistungen, die mit den Arbeitsaufträgen verknüpft sind.

Vor dem Hintergrund der im geschichtsdidaktischen Diskurs inzwischen fest verankerten Frage nach Gelingensbedingungen kompetenzorientierten Geschichtsunterrichts stellt Jan Scheller im Themenfeld „Historische Kompetenzen“ eine Studie vor, auf deren Basis analytische Kategorien und Ratingkategorien entwickelt werden sollen, um De-Konstruktionskompetenz zu diagnostizieren. Auf Grundlage des FUER-Modells knüpft er an Items aus der HiTCH-Studie an, mit denen die empirisch bisher wenig beforschte De-Konstruktionskompetenz gemessen werden kann. Das entwickelte Raster schlüsselt die De-Konstruktionskompetenz nach FUER in Teiloperationen auf.

Christiane Bertram, Wolfgang Wagner, Michael Werner, Ulrich Trautwein und Waltraud Schreiber stellen in ihrem Artikel die erste längsschnittlich angelegte Studie zur Kompetenzentwicklung von Lernenden über vier Schuljahre hinweg dar. Dabei ermöglichen sie Einblicke in die Kompetenz- und Interessenentwicklungen in ihren letzten vier Schuljahren. Die Forschenden stützen sich dabei auf einen Datensatz aus der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Studie „Qualität und Quantität der Nutzung eines multimedialen Schulgeschichtsbuchs“ (QQM), wobei über vier Jahre die Umstellung auf einen kompetenzorientierten Bildungsplan in Kombination mit der Einführung des bereits oben erwähnten „mBook“ untersucht wurde. Im vorliegenden Beitrag liegt der Fokus auf der Kompetenz- und Interessenentwicklung der Lernenden während der vierjährigen Studienlaufzeit. Die empirischen Befunden ermöglichen aufschlussreiche Einsichten sowohl in die Kompetenz- als auch in die Interessenentwicklung von Schüler:innen der neunten bis zwölften Klasse.

Kristine Gollin und Martin Nitsche gehen in dem abschließenden Beitrag in einer qualitativen Herangehensweise der Frage nach, welche fachspezifischen Operationen sich während des Schreibprozesses beobachten lassen, wenn Lernende aufgefordert werden, eine historische Argumentation zu verfassen.

Der Tagungsband löst ein, was der Titel verspricht: Den Rezipient:innen wird Einblick in eine Bandbreite empirischer Forschungsprojekte ermöglicht. Die Herausgeberinnen setzen mit ihren einleitenden Gedanken zum Theorie-Empirie-Verhältnis Impulse, die auch innerhalb von Einzelbeiträgen aufgegriffen werden, indem besondere Herausforderungen, Chancen und Grenzen des empirischen Forschens an den konkreten Studien aufgezeigt werden. Auch die immer wieder erfolgte Rückbindung der empirischen Befunde an Theorie spiegelt die Ergiebigkeit des Werkstattcharakters und verdeutlicht die Notwendigkeit dieses Diskurses.

Anmerkungen:
1 Peter Gautschi, Anforderungen an heutige und künftige Schulgeschichtsbücher, in: Beiträge zur Lehrerbildung 28 (2010) 1, S. 125–137, bes. S. 128, URL: <https://www.pedocs.de/frontdoor.php?source_opus=13738> (10.04.2022).
2 Klaus Ulrich, „Ich will Lehrer/in werden“: eine Untersuchung zu den Berufsmotiven von Studierenden, Weinheim 2004.

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