J. Anderson: Amerikanische Aristokraten

Cover
Titel
Amerikanische Aristokraten. Die Van Rensselaer-Familie zwischen Kolonialzeit und Früher Republik, 1630-1857


Autor(en)
Anderson, Jonas
Anzahl Seiten
320 S.
Preis
€ 39.99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anne Sophie Overkamp, Seminar für Neuere Geschichte, Universität Tübingen

Amerikanische Aristokraten – das erscheint erst einmal als ein Widerspruch in sich selbst und ist insofern ein gut gewählter Titel für die Studie Jonas Andersons, welche sich der Van Rensselaer-Familie und ihrem großen Landbesitz im heutigen Staat New York von der Mitte des 17. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts widmet. Anderson geht es darum zu zeigen, dass die Amerikanische Revolution keineswegs den „schlagartigen Anbruch der Moderne“ bedeutete, sondern dass vielmehr Gesellschaft, Politik und Wirtschaft in der auf sie folgenden frühen amerikanischen Republik weiterhin von einer „semifeudalen Elite“ geprägt wurden (S. 290). Dazu greift er zum einen weit in die koloniale Vergangenheit zurück und verfolgt zum anderen die Geschicke der Van Rensselaers bis in die Jahre kurz vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg. Und es ist in der Tat die lange Dauer, welche den Reiz dieser Studie ausmacht.

Die Arbeit ist in zwei Teile gegliedert; Teil eins widmet sich dem Landbesitz als Elitengrundlage, während in Teil zwei die Lebensformen dieser amerikanischen Aristokraten im Vordergrund stehen. Den beiden Teilen ist eine Einleitung von gut zwanzig Seiten vorgeschaltet, auf denen Anderson seinen Aristokratiebegriff erklärt und überzeugend darlegt, warum sich dieser zur Charakterisierung der von ihm untersuchten sozialen Gruppe eignet. Darauf folgen theoretisch-methodische Überlegungen, in denen er mit einem ganzen Arsenal von Theoretikern aufwartet: Rudolf Vierhaus zum Konzept der Lebenswelt, Karl Marx zum Klassenbegriff, Max Weber zur ständischen Lage, Anthony Giddens zur Unterscheidung von Klassenbewusstheit und Klassenbewusstsein und Pierre Bourdieu schließlich zur sozialen Distinktion. In dem darstellenden Teil der Arbeit wird zur Analyse jedoch nur Pierre Bourdieu explizit herangezogen.

Die Van Rensselaers stammten aus den Niederlanden und verdankten ihren immensen Landbesitz in der Neuen Welt einem Direktorenposten in der niederländischen Westindien-Kompagnie. Auch nach dem Übergang der niederländischen Kolonien an die englische Krone konnten die Van Rensselaers ihren Besitz halten; schließlich beabsichtigte die englische Regierung in den Kolonien eine Art landed gentry aufzubauen, welche für politische Stabilität sorgen sollte. Landbesitz wurde so, analog zum Mutterland, zum entscheidenden Marker in der sozialen Hierarchie der Kolonie. In der Folge konnten die Van Rensselaers, von denen einige Mitglieder sich dauerhaft auf Rensselaerswyck niederließen, ihre soziale und ökonomische Position weiter ausbauen, bis hin zu dem Punkt, dass ihr Besitz und Einfluss den englischen Gouverneuren zunehmend ein Dorn im Auge waren. Deren Versuche, die großen Landgüter – das der Van Rensselaers war ungefähr doppelt so groß wie das Saarland – zu zerschlagen, waren dann auch der Grund, warum die Van Rensselaers sich auf die Seite der Patrioten schlugen. Sie erhofften sich durch die Unabhängigkeit neue Machtoptionen und wurden in den Anfangsjahren der Republik auch nicht enttäuscht. Erst in den Zeiten des Anti-Rent-War (1839–45) kam das alte System zu einem Ende und die Van Rensselaers verkauften den Großteil des Landes.

Die Entwicklung des Landbesitzes der Van Rensselaers ist flüssig erzählt und folgt der Chronologie. Anderson kann sich hier auch auf etliche Publikationen stützten. Zwar arbeitet Anderson deutlich den Statusgewinn heraus, der Landbesitz bedeutete, doch fehlt eine Einordnung in größere Forschungszusammenhänge und hier vor allem ein Eingehen auf das wichtige Buch The Macchiavallian Moment von John Pocock, der stattdessen nur mit einem Aufsatz zitiert wird.1 Denn die Diskussion um Republikanismus, Elite und Landbesitz sowie die ideologischen Grundlagen der Amerikanischen Revolution wäre schon eine Erwähnung wert gewesen und hätte auch der Darstellung zum Selbstverständnis der Van Rensselaers als politischer Elite im zweiten Teil deutlich schärfen können.

Anders als der erste Teil ist Teil zwei thematisch gegliedert. Im ersten, nur neun Seiten langen Kapitel widmet sich Jonas Anderson dem Verhältnis von Großgrundbesitzer (dem in den niederländischen Kolonien sogenannten Patroon) und Untergebenen. Er analysiert dieses Verhältnis als ein „komplexes Spiel aus Inszenierung, Erwartung und Austausch“ (S. 177) und kann mit einer schönen Vignette zur „Herrschaftsübernahme“ durch Stephen van Rensselaer 1785 aufwarten, die er überzeugend als sozio-kulturellen Akt deutet. Darauf folgt ein Kapitel zum herrschaftlichen Landhaus der Familie, das er im Kontext der britischen Country-House-Forschung betrachtet. Allerdings versäumt er es hier, Bezug auf jüngere Arbeiten etwa von Jon Stobart und Mark Rothery Bezug zu nehmen wie auch generell die gesamte Forschungslandschaft zur Konsumgeschichte unberücksichtigt bleibt.2 Das ist schade, denn wie der kurze Einblick in den im Landhaus gepflegte Alkoholkonsum zeigt, hätten die Quellen hierzu sicherlich noch deutlich mehr geboten und die Praktiken des Landhauslebens noch an Plastizität gewinnen können. Das gilt auch für die Korrespondenz der beiden nach Europa reisenden Van Rensselaers Ende des 18. Jahrhunderts, deren dortigen Einkäufe Anderson nur summarisch erwähnt.

Die anschließenden vier Kapitel widmen sich dem politischen, militärischen und bürgerschaftlichen Engagement der Familie sowie ihrer Verortung innerhalb der atlantischen Welt. Im Vordergrund der Analyse steht hierbei das Nachzeichnen der als aristokratisch titulierten Lebenswelt, was im Falle von Politik und Militär in weiten Strecken gelingt. Hier irritiert nur die Bezeichnung „großer Mann“ oder „große Männer“ – soll das ein analytischer Begriff sein? Die Analyse des gesellschaftlichen Engagements vor allem Stephen III. van Rensselaers überzeugt dagegen nur bedingt. Denn die Gründung von und Mitgliedschaft in gemeinnützigen Gesellschaften sowie die Zugehörigkeit zu den Freimaurern waren kein genuin aristokratisches Betragen, sondern vielmehr Teil einer übergreifenden, ständetranszendierenden Bewegung, welche die Auflösung der ständischen Ordnung auch in Europa anzeigte und vorantreiben half. Hier hätte es sich angeboten, den Fokus über die landbesitzende Elite hinaus zu richten und auch andere elitäre Führungszirkel wie etwa die New Yorker Kaufmannschaft mit in den Blick zu nehmen.3 Denen stand der Sinn ebenso nach improvement und allgemeiner gesellschaftlicher Verbesserung wie den Van Rensselaears, auch wenn sie es sich vielleicht nicht leisten konnten, über Jahrzehnte hinweg eine Hochschule zu finanzieren.

Das Schlusskapitel fasst die thematischen Kapitel noch einmal prägnant zusammen und stellt die sozio-kulturellen Merkmale der landbesitzenden Elite heraus. Auf die eingangs genannten Theoretiker kommt Anderson allerdings nicht mehr zurück. Die Bezugnahme der Studie auf Großkonzepte wie „Klasse“ oder „ständische Lage“ bleibt somit vage; auch das Konzept der Lebenswelt, das ja auch durchaus Kritik erfahren hat, bleibt ohne abschließende Würdigung. Ein schwerwiegenderer Kritikpunkt an der gesamten Arbeit ist der unreflektierte Gebrauch der Bezeichnung „vormodern“ etwa für Strukturen, Gesellschaftsvorstellungen oder Formen des Umgangs. Denn damit unterläuft der Autor seine eigene Absicht, die von ihm aufgearbeiteten aristokratischen und semi-feudalen Elemente innerhalb der jungen amerikanischen Republik als wichtige und stabilisierende Faktoren zu betonen, statt sie als Anachronismen abzuqualifizieren. So bleibt die Arbeit letztendlich im Fortschrittsdiskurs der Moderne (und der teleologischen Interpretation der Amerikanischen Revolution) verhaftet; und die amerikanischen Aristokraten bleiben in den normativen Prämissen einer „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ als Ewiggestrige gefangen.

Anmerkungen:
1 John G. A. Pocock, The Macchiavellian Moment, Princeton 1975.
2 Jon Stobart / Mark Rothery, Consumption and the Country House, Oxford 2016.
3 Vgl. hierzu etwa die Arbeit von Lisa Sturm-Lind, Actors of Globalization. New York Merchants in Global Trade, 1784–1812, Amsterdam 2018.

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