K. Day Good: Technologies of Global Citizenship in American Education

Cover
Titel
Bring the World to the Child. Technologies of Global Citizenship in American Education


Autor(en)
Day Good, Katie
Erschienen
Cambridge 2020: The MIT Press
Anzahl Seiten
XII, 279 S.
Preis
$ 30.00
Rezensiert für die Historische Bildungsforschung Online bei H-Soz-Kult von:
Barbara E. Hof, Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Zürich

Debatten über Bildungstechnologien haben aktuell Konjunktur. Bedingt durch die wochenlange Umstellung des Schulbetriebs auf den Fernunterricht haben sich die Fragen, ob Technologien das schulische Lernen verbessern, erschweren, die Präsenzzeit im Klassenzimmer ersetzen, soziale Ungleichheiten verschärfen und insbesondere, wie sie überhaupt sinnvoll einzusetzen sind, vielen unmittelbar aufgedrängt. Wer jetzt etwas mehr Zeit findet für eine Reflexion und sich über Wesen und Geschichte der Bildungstechnologie informieren will, ist mit dem kürzlich publizierten, aus einer Dissertation hervorgegangenen Buch Bring the World to the Child von Katie Day Good gut ausgerüstet.

Die Häufigkeit des Begriffs „Bildungstechnologie“ in wissenschaftlichen Studien während der 1960er-Jahre und die damals popularisierte Didaktik der „Programmierten Instruktion“ täuschen leicht über die Tatsache hinweg, dass Entwicklung und Einsatz von Technologien in der Schule sehr viel früher begannen.1 Die Medienwissenschaftlerin Katie Day Good erweitert das auf Maschinen, Automaten und Computer verengte Verständnis von Bildungstechnologie, indem sie die Definition nicht nur auf Filmvorführungen und Radiosendungen erweitert, sondern auch Museen, Dias, Sammelalben, Historienumzüge, Theateraufführungen, internationale Brieffreundschaften und den Tausch von Spielzeug in die Analyse einschließt. Dabei konzentriert sie sich nicht auf die Artefakte, sondern auf die mediale Vermittlung. Die Perspektive auf Dinge als Träger von Bedeutung ist erfrischend und ermöglicht wichtige und generelle Erkenntnisse über das Verhältnis von Technologie und Bildung. Allerdings hätte diese Interpretation der Bildungstechnologie als regulative Logik und Diskurs, die Produktion, Förderung und Einsatz von Medien prägen (S. 24), noch expliziter gemacht werden müssen. Anders gesagt ist die Auswahl so unterschiedlicher Gegenstände nicht gerade förderlich, um besser zu verstehen, was qualitativ Bildungsmedien auszeichnet und wie sie begrifflich einzugrenzen sind.

Bring the World to the Child zielt nach mehr, als eine lesenswerte Historisierung von Gegenständen und Medien im Unterricht zu sein. Es ist durch die epochenübergreifende These strukturiert, dass das, was Schüler/innen durch Bildungstechnologien vermittelt wird, von Selektionen und kulturellen Mustern geprägt ist, die der Vermittlung vorgelagert und ihr zugleich immanent sind. Durch Medieneinsatz werden Weltbilder transportiert, wie Katie Day Good exemplarisch an Entwicklungen in den Vereinigten Staaten zeigt. Die Studie reiht sich so ein in jenen Bereich der Kulturgeschichte der Pädagogik, der herausstellt, dass die Erfindung des Buchdrucks nicht nur der Bildungsexpansion Vorschub leistete, sondern auch der religiösen Erziehung diente und Bücher nicht nur Wissen, sondern auch Normen unter das lesende Volk brachten. Auch die im 19. Jahrhundert im Unterricht eingesetzten Schautafeln dienten vorzugsweise der Darstellung biblischer Szenen.2 Den Untersuchungszeitraum bildet das erste Drittel des 20. Jahrhunderts und somit die am Fortschritt orientierte Moderne, als physikalisch bereits vorhandene Medien wie Fotografie und Radio neben dem noch utopischen „Fernlehrapparat“ koexistierten, der „Gymnasiasten“ mit ihren „Fernlehrern“ über Kabel verband.3

Im einleitenden, ersten Kapitel geht die Autorin von der Beobachtung aus, dass die Position, eine durch Medien angereicherte Umgebungen bereite Kinder auf die Welt von morgen vor, in der amerikanischen Gesellschaft zusammen mit der Idee des Weltbürgertums um die Wende zum 19. Jahrhundert aufkam. Den zeitgenössischen Bildungstechnologien sei die Funktion eingeschrieben worden, Kinder über das Weltgeschehen zu informieren und ihnen das Ferne näher zu bringen. Diese Entwicklung stand vor dem Hintergrund der großen Einwanderungswellen und dem Bestreben, Kindern einerseits zivilbürgerliche, amerikanische Werte zu vermitteln und andererseits sie zu einer kosmopolitischen Haltung zu erziehen, um so die europäischen Auswanderungskulturen zu einen. Implizit wurde dadurch der weiße, amerikanische Nationalismus gestärkt, die „eigene“ mit der „fremden Kultur“ kontrastiert und Stereotype über „die Anderen“ verfestigt, etwa durch die bildliche Assoziation von Holland mit Windrädern und Amerika mit den Rocky Mountains und Cowboys.

Im zweiten und dritten Kapitel arbeitet Katie Day Good heraus, dass der Einführung von Bildungstechnologien im ersten Drittel der 20. Jahrhunderts Reformbestreben zugrunde lagen, die von John Deweys und Johann Heinrich Pestalozzis Werken inspiriert waren. Das aktive, mit allen Sinnen entdeckende Kind und der Wille, die textbasierte und als provinzialistisch empfundene Schule in eine weltoffene, anregende Umgebung zu transformieren, war in der Argumentation von Befürworter/innen von Museumsbesuchen und Diavorführungen zentral. Dies und die Tatsache, dass die Gegner/innen von Bildungstechnologien in ihnen die Ursache von Konzentrationsproblemen, Hyperaktivität, Ängstlichkeit und Passivität sahen, weist hin auf eine historische Konstante. Die dichte Beschreibung von Organisationen, Personen und einzelnen Schauplätzen ist stellenweise ermüdend, hat aber den interessanten Nebeneffekt, dass aus den Aufzählungen deutlich wird, wie breit die Förderung von und Forderung nach Bildungstechnologien gesellschaftlich getragen war.

Das vierte Kapitel thematisiert Festumzüge als ein Durchspielen fremder Kulturen sowie internationale Brieffreundschaften, für die Kinder oft ermuntert wurden, um die schönen Seiten des Lebens in Amerika zu schildern. Die Rolle der Visualisierung von Aufmärschen der deutschen Nationalsozialist/innen streift Katie Day Good leider viel zu knapp als eine Technologie, die eingesetzt wurde, um amerikanischen Kindern die Gefahren des Nationalsozialismus vorzuführen und den Vorzügen der Demokratie gegenüberzustellen. Genau an solchen Stellen hätte nochmals die Relevanz von politischen und ideologischen Kontexten für die Verbreitung von Bildungstechnologien deutlicher herausgehoben werden können. Der Zweite Weltkrieg kurbelte die Produktion von Propagandamaterial an, denen ein erzieherischer Wert zugeschrieben wurde, und liefert ein gutes Beispiel zur Verdeutlichung eines Konjunkturhochs von Bildungstechnologien. Sie sind nicht ein konstantes „evergreen“ (S. 195), wie Katie Day Good in ihrem Fazit schließt, vielmehr schaffen Krisen Raum für Experimente und können die Implementierung von Bildungstechnologien beschleunigen. Die Stärke von Bring the World to the Child liegt darin, zu zeigen, wie Bildungstechnologien in den Vereinigten Staaten nach 1900 eingesetzt wurden, um Informationen zu filtern und politische Ideen zu transportieren. Diese Position ist anschlussfähig an die Frage im Umkehrschluss, wie amerikanische Werte mittels amerikanischer Produkte in Form von Schulmedien in die Welt getragen wurden.4

Anmerkungen:
1 Robert A. Reiser / Donald P. Ely, The field of educational technology as reflected through its definitions, in: Education Technology Research and Development 45 (1997), S. 63–72; Paul Saettler, The Roots of Educational Technology, in: Innovations in Education & Training International 15 (1978), S. 7–15; ders., A History of Instructional Technology, New York 1967.
2 Marcelo Caruso, Geschichte der Bildung und Erziehung, Medienentwicklung und Medienwandel, Paderborn 2019, S. 123; Jakob Evertsson, Classroom charts and biblical history. A study of educational technology in elementary schools in late nineteen- and early twentieth-century Sweden, in: Paedagogica Historica 50 (2014), S. 668–684; Adam R. Nelson / John L. Rudolph (Hrsg.), Education and the Culture of Print in Modern America, Madison 2010.
3 Kurd Lasswitz, Die Fernschule, in: ders., Nie und Nimmer. Band 2: Traumkristalle. Neue Märchen, Leipzig 1902, S. 81–96. Eine digitale Kopie findet sich unter: http://art-bin.com/art/ofernschule.html (12.04.2020).
4 Morgan Ames, The Charisma Machine, The Life, Death, and Legacy of One Laptop per Child, Cambridge 2019.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit der Historischen Bildungsforschung Online. (Redaktionelle Betreuung: Philipp Eigenmann, Michael Geiss und Elija Horn). https://bildungsgeschichte.de/
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