P. Van Nuffelen: Penser la tolérance durant l'Antiquité tardive

Cover
Titel
Penser la tolérance durant l'Antiquité tardive.


Autor(en)
van Nuffelen, Peter
Reihe
Les Conférences de l'École Pratique 294
Erschienen
Anzahl Seiten
181 S.
Preis
€ 16,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexander Thies, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

In den letzten Jahrzehnten fand im Zuge zunehmender religiös motivierter Gewalt eine breite gesellschaftliche Debatte über die vermeintlich inhärente Intoleranz und das Gewaltpotential monotheistischer Religionen statt. Im deutschsprachigen Raum haben spätestens die Thesen des Ägyptologen Jan Assmann bezüglich der „mosaischen Unterscheidung“ diese Diskussion auch in den Kultur- und Religionswissenschaften angeregt.1 Ebenso haben sich Religions- und Althistoriker/innen mit dieser Thematik in der Zeit der Spätantike beschäftigt, als die Kirche die angeblich unheilvolle Symbiose mit dem römischen Staat einging, infolge derer sie dessen Machtmittel instrumentalisierte, um nun – wegen ihrer „intoleranten“, totalitären Haltung (im Gegensatz zum vermeintlich „toleranten“ Heidentum) – religiöse Gewalt gegen Heiden und Häretiker einzusetzen.2

Der belgische Althistoriker Peter Van Nuffelen setzt sich mit seinem neuen Buch „Penser la tolérance durant l’Antiquité tardive“ von dieser Erzählung ab. Dabei handelt es sich um eine ideengeschichtliche, monographische Ansammlung von vier Essays, die er infolge einer Vortragsreihe an der École Pratique des Hautes Études verfasst hat. Grundannahme seines Buches ist, dass unser modernes Konzept der „Toleranz“ mit einem säkularen Staat, der sämtliche Religionsgemeinschaften gleichberechtigt ansieht und sich nicht in ihre Belange einmischt, erst nach den Religionskriegen in der Aufklärung entstanden ist und sich somit nicht für die Beschreibung der spätantiken Verhältnisse (oder anderer vormoderner Zeiten und außereuropäischer Kulturen) eigne. Deshalb möchte er mit seiner Abhandlung stattdessen zeigen, wie im zeitgenössischen, intellektuellen Diskurs über Toleranz, die Lösung religiöser Streitigkeiten, den staatlichen Zwang und die religiöse Gewalt gedacht wurde. Dies möchte er stets im Dialog mit dem modernen Konzept der Toleranz führen, um die vergangenen Spezifika im Vergleich zu den heutigen herauszustellen.

Zunächst beschäftigt sich Van Nuffelen mit der Bestimmung des spätantiken Toleranzkonzepts (S. 39–64). Zu diesem Zweck widmet er sich zeitgenössischen christlichen Apologien gegen die Unterdrückung ihrer Religion, um über die dortigen Argumente auf ein Toleranzkonzept schließen zu können. Apologeten wie Tertullian nutzten zeitgenössische stoische Vorstellungen einer höchsten Gottheit, um das Christentum als eine Variante der Verehrung derselben darzustellen, weswegen den Christen ebenso Religionsfreiheit gewährleistet werden sollte. Da diese Verehrung der höchsten Gottheit „Wahrheit“ sei, würde eine Unterdrückung des Kultes wiederum ein Zeichen der Irreligiosität des römischen Staates darstellen. Diese henotheistische bzw. monarchisch-monotheistische Idee wurde dann auch die Basis für die kaiserlichen Toleranzedikte der 310er-Jahre: Die offizielle Duldung einer Religion sollte nur für jene gelten, die sich zur Verehrung der höchsten Gottheit bereitfanden. Die heidnische Opposition des 4. Jahrhunderts wiederum appellierte ebenfalls aus dieser Sichtweise, dass die pagane Religion als anderer Weg zur Wahrheit betrachtet werden sollte, der als Garant für die Stabilität des Reiches diente und daher toleriert werden sollte. Van Nuffelen sieht demnach die Nützlichkeit einer Religion für den Staat durch die gemeinsame Verehrung der höchsten Gottheit als Unterscheidungsmerkmal zur modernen Toleranz; eine Neutralität des Staates in religiösen Belangen habe nicht existiert.

Anschließend widmet sich der Autor der spätantiken religiösen Debattenkultur (S. 65–91). Es gelingt ihm, überzeugend aufzuzeigen, dass die spätantiken Religionsgespräche als Fortsetzung der Philosophendebatten einen offenen Ausgang zuließen. Diese Religionsgespräche hatten eine sozial reglementierte Form, in der die Diskussion über die objektive Wahrheit stattfand. Die Überzeugung zur Wahrheit im Religionsgespräch, nicht staatlicher Zwang, galt dabei als Ideal, das so erreicht werden sollte. Wenn die Wahrheit argumentativ gefunden wurde, so die Idealvorstellung, sollten sich alle zu ihr bekennen.

Dass dieses Ideal nicht immer umgesetzt und stattdessen staatlicher Zwang eingesetzt wurde, behandelt der Autor im dritten Kapitel (S. 93–128) – dem wohl stärksten Teil seiner Abhandlung. Zunächst erklärt er, dass körperliche Züchtigung, Reue und Buße fester Bestandteil sowohl heidnischer Philosophenschulen als auch christlicher Gemeinden und daher allgemein akzeptiert war, solange damit das „größere Wohl“, das Gute bzw. die Tugend erreicht werden konnte. Die Bestrafung ist damit eher eine Erziehungsmaßnahme, die nicht aus Hass (odium), sondern aus Liebe (studium) gegeben wird. Basierend auf Platons Politeia und den Nomoi habe der Neuplatonismus dieses Modell auf den Staat übertragen, was wiederum die christlichen Intellektuellen auf die Kirche und das Imperium bezogen hätten. Das christliche Imperium handelte demnach mit drakonisch wirkenden antipaganen und antihäretischen Gesetzen als „État moralisateur“ (S. 113), um diejenigen, die die Wahrheit des Christentums nicht erkennen wollten, und die einfachen Menschen, die sie nicht erkennen konnten, zu ihrem eigenen Wohl zu zwingen beziehungsweise zu „erziehen“. Der Zwang war kein Ziel an sich, sondern ein Mittel, um der Überzeugung zum Guten den Weg zu ebnen, was Van Nuffelen anhand von Augustinus’ Kontroversen mit den Donatisten zeigt. Allerdings betont er, dass Augustinus den Staat relativ kritisch nur als provisorischen Helfer zu diesem Zweck ansah, da der Staat nur das Gute verfolge, solange er mit der Kirche im Bund sei. Der Autor sieht letztlich im Gegensatz von persönlicher Freiheit und der Orientierung des Einzelnen am Guten den entscheidenden Unterschied von modernem und spätantikem Staat.

Im letzten Kapitel (S. 129–151) widmet sich Van Nuffelen dem Thema der Darstellung religiöser Gewalt. Anhand von zwei Beispielen, der Darstellung der Zerstörung des Serapeions in Rufinus’ Kirchengeschichte und des Briefes des Severus von Menorca über die Bekehrung der Juden auf der Insel, gelingt es ihm, aufzuzeigen, dass verschiedene Formen von Gewalt geschildert werden, die unterschiedlich in ihrer Legitimität bewertet, aber eben nicht als eine triumphalistische Siegesgeschichte des Christentums über das Heidentum bzw. Judentum von den Autoren dargestellt werden. An dieser Stelle wäre vielleicht ein Blick in hagiographische Überlieferungen lohnenswert gewesen, da dort viel häufiger und undifferenzierter christliche Gewalt affirmativ beschrieben wird.

Im Epilog (S. 153–161) fasst Van Nuffelen noch einmal die wichtigsten Ergebnisse seiner Arbeit zusammen, stellt jedoch auch selbst die größten Probleme derselben heraus: Seine Ergebnisse scheinen einen universellen Anspruch für die gesamte Spätantike zu formulieren, obwohl es offensichtlich ist, dass es große Unterschiede zwischen dem 4. und 6. Jahrhundert gegeben hat und wenige Autorenmeinungen als repräsentativ dargestellt wurden. Diese Eigenkritikpunkte sind auf jeden Fall berechtigt, doch liegen sie wohl insbesondere an dem gewählten Darstellungsformat.

Die besonderen Stärken dieses Buches liegen darin, die Erzählung der bedingten Gewaltbereitschaft und Intoleranz des Christentums nach der „Konstantinischen Wende“ infrage zu stellen. Van Nuffelen weist schlüssig nach, dass die Wurzeln der Toleranz, aber auch der Gewaltanwendung, dabei in der klassischen Philosophie begründet waren. Seine Sichtweise des monarchischen Monotheismus als Grundlage religiöser Toleranz in der Spätantike besticht ebenso wie die Überlegungen zum Verhältnis von Überzeugung und staatlichem Zwang. Seine These sollte dabei von Wissenschaftler/innen, die sich mit religiöser Gewalt in der Vormoderne beschäftigen, zukünftig mit einbezogen werden. Auf jeden Fall aber stellen seine Ergebnisse einen Impuls dar, der die Forschung zur Gewalt und Toleranz in der Spätantike wohl zu weiterführenden und neuartigen Interpretationen der religiösen Transformation des römischen Reiches führen wird.

Anmerkungen:
1 Jan Assmann, Die Mosaische Unterscheidung oder Der Preis des Monotheismus, München 2003. Siehe darauf etwa Peter Walter (Hrsg.), Das Gewaltpotential des Monotheismus und der dreieine Gott, Freiburg 2005.
2 Vgl. beispielsweise Polymnia Athanassiadi, Vers la pensée unique. La montée de l’intolérance dans l’Antiquité tardive, Paris 2010; Brent Shaw, Sacred Violence. African Christians and Sectarian Hatred in the Age of Augustine, Cambridge 2011, für die Donatistenverfolgung; Michael Gaddis, There Is No Crime for Those Who Have Christ. Religious Violence in the Christian Roman Empire, Berkeley 2015; Guy Stroumsa, Open Religion and its Enemies, in: Jonathan Sacks / Simon Burridge (Hrsg.), Confronting Religious Violence. A Counternarrative, Waco 2018, S. 59–73. Johannes Hahn, Gewalt und religiöser Konflikt. Studien zu den Auseinandersetzungen zwischen Christen, Heiden und Juden im Osten des Römischen Reiches (von Konstantin bis Theodosius II.), Berlin 2004, sieht unter dem Deckmantel und der Instrumentalisierung des auftretenden religiösen Gegensatzes mit Gewalt hervorbrechende alte soziale und ethnische Konflikte.

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