Die Annahme, die Franzosen der ersten Haelfte des achtzehnten Jahrhunderts seien "faehig und bereit [gewesen], ueber sich, den Koenig und ihre Beziehung zu ihm nachzudenken" (6-7), klingt fuer sich genommen kaum originell. Angesichts der Forschungslage zum Koenigsbild des Absolutismus aber erweist sie sich als ausgesprochen fruchtbar: So ist zwar das offizielle Herrscherbild, wie es sich etwa in den Selbstinszenierungen des Sonnenkoenigs oder in grossen Staatsakten und Zeremonien darstellt, hervorragend erforscht. Doch die Frage, wie sich die Untertanen dieses offizielle Bild aneigneten und welche Rolle es in ihren Alltagsvorstellungen spielte, wurde bisher nur vereinzelt gestellt. Dabei geht es unter anderem darum, zu erfahren, inwieweit die im offiziellen Bild vermittelte Sakralitaet des Koenigs tatsaechlich rezipiert wurde, und ob demzufolge die Thesen einer Desakralisierung des franzoesischen Koenigtums im achtzehnten Jahrhundert ueber den Bereich des staatstheoretischen Diskurses hinaus Geltung beanspruchen koennen.
Tatsache ist, dass die Franzosen sich nicht damit begnuegten, ihrem Koenig zu verordneter Stunde zuzujubeln oder dem Te Deum zu lauschen, das in der Kirche anlaesslich einer ueberstandenen Krankheit des Koenigs zu singen war. Sie unterhielten sich ueber ihn in Cafes und machten ihrem Aerger oder ihrer Freude in Liedern und Pamphleten Luft. Sie wandten sich an ihn, um seine Hilfe zu erbitten, oder wurden verhaftet, weil sie ihn beschimpft oder verbal bedroht hatten. Welche Bilder sie sich dabei jeweils vom Koenig machten und wie sich diese zum offiziellen Koenigsbild verhielten, untersucht Jens Ivo Engels in seiner Dissertation fuer den Zeitraum von 1680 bis 1750 auf mustergueltige Weise.
An fuenf verschiedenen "diskursiven Orten" (13) spuert er den alltaeglichen Koenigsbildern nach, zunaechst in rund 200 an den Koenig gerichteten Bittschriften. Trotz ihrer formelhaften Sprache und erwartungsgemaessen Naehe zum offiziellen Diskurs liefern sie wertvolle Hinweise darauf, wie unbefangen die Hilfesuchenden das obrigkeitliche Bild fuer ihre Zwecke einzusetzen wussten. Allerdings durften die Untertanen im alltaeglichen Umgang mit dem Koenigsbild gewisse Grenzen nicht ueberschreiten, wie die in den Archiven der Bastille dokumentierten Faelle von Majestaetsverbrechen zeigen. In fallstudienartigen Untersuchungen zeigt Engels anhand der Verhoersprotokolle, dass es sich bei den falschen Denunziationen, den Versuchen, sich dem Koenig raeumlich zu naehern, und den aufruehrerischen Reden letztlich um illegitime Manipulationen des Koenigsbildes handelte, deren radikalste Form das Schreckbild von Komplott und Koenigsmord war.
Die politische Liedkultur und die Pariser Neuigkeitenkultur der Kaffeehaeuser und Promenaden bieten Einblicke in Koenigsbilder, die weitaus naeher am tagespolitischen Geschehen sind. Die Analysen der "Vaudevilles" ueber den Koenig und der Polizeispitzelberichte mit ihren belauschten Gespraechsfetzen ergeben, dass es sowohl am Ende des 17. als auch in der Mitte des 18. Jahrhunderts zu einem Ansehensverfall des Koenigs kam, der sich bis zu dessen Tod steigerte, um schliesslich in hasserfuellten Parodien der offiziellen Inszenierung zu enden. Engels moechte diese umgekehrte inoffizielle "Grabesrhetorik [...] als rituell-symbolischen Akt [ansehen], der eine Regentschaft beendete und die alten Geister bannte" (105). Dem neuen Herrscher galt indessen zunaechst Lob und Wohlwollen. Diese Ergebnisse deutet Engels im Sinne eines "Erneuerungskreislaufs" (127-128) der Monarchie: Grundsaetzlich gingen die Untertanen davon aus, dass ein selbstaendig regierender Koenig ganz selbstverstaendlich das Wohl seiner Untertanen im Auge habe. Um dieses Idealbild mit ihrer aktuellen Unzufriedenheit in Einklang zu bringen, griffen sie auf stets dieselben klischeehaften Vorstellungen - oder wertneutral 'Musterbilder' - zurueck: unfaehige Minister und machtbesessene Maetressen verheimlichten dem Koenig entscheidende Informationen oder lenkten ihn von den Regierungsgeschaeften ab. Damit war der Koenig zwar nicht vollstaendig schuldlos, doch blieb den Untertanen die Hoffnung auf sein 'Machtwort' oder die Selbstregierung. Nicht politische Entscheidungen oder Programme, sondern dieses im Laufe der Regierungszeit schwindende "Hoffnungspotential" bildete die Grundlage des Urteils der Untertanen ueber ihren Koenig.
Dieser Gegenentwurf zu der These eines sich bis zur Revolution steigernden Ansehensverfalls des Koenigtums wird im Kapitel ueber die Untergrundliteratur weiterentwickelt. Gegen Robert Darnton argumentiert Engels, die Themen und Motive der 'heimlichen Bestseller' der letzten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts tauchten schon in den Pamphleten gegen Ludwig XIV. auf. Dies gelte auch fuer den Bereich der koeniglichen Sexualitaet. Mit Blick auf die Arbeiten von Antoine de Baecque weist er darauf hin, dass die Impotenz des Koenigs nicht erst in der Revolutionszeit, sondern vereinzelt schon von den Zeitgenossen des Sonnenkoenigs als Symbol fuer dessen Regierungsunfaehigkeit bemueht wurde.
In der zweiten Haelfte des Buches wird die Vernetzung der verschiedenen Quellengruppen anhand zweier ausserordentlicher Ereignisse beleuchtet. Die spektakulaere Buchuebergabe des Richters Carre de Montgeron an Ludwig XV. im Juli 1737 ist der Ausgangspunkt einer Analyse des jansenistischen Koenigsbildes. Die Selbsteinschaetzung dieser religioes-oppositionellen Gruppe basierte wesentlich auf einem Musterbild, demzufolge Minister und Jesuiten dem Koenig die Wahrheit ueber den Jansenismus boeswillig vorenthielten. Da sie auf falschen Informationen basierten, konnten so koenigliche Stellungnahmen gegen den Jansenismus von vornherein entwertet werden, ohne die Wuerde des Koenigs oder das jansenistische Selbstbild als koenigstreue Verteidiger der Wahrheit anzutasten. Paradoxerweise war dieses Selbstbild jedoch genau in dem Augenblick gefaehrdet, als Montgeron die praktischen Konsequenzen aus dem Musterbild zog und dem Koenig die 'Wahrheit des Jansenismus' in Buchform praesentierte.
Das Jahr 1744 offenbarte das grosse Zustimmungspotential, das der Koenig mobilisieren konnte, wenn er der Idealvorstellung seiner Untertanen entsprach: Selbstregierung, militaerische Erfolge und sexuelle Enthaltsamkeit. Die Sorge um den erkrankten Koenig steigerte bei den Untertanen das "politische Gefuehl" (194) der Liebe, so dass sie Ludwig spontan den Ehrentitel "le bien-aime" beilegten. Ihre Liebe war allerdings nicht an politische Inhalte geknuepft, die Franzosen feierten in erster Linie ihr Gefuehl der Einheit mit dem Koenig.
Zum Abschluss konfrontiert Engels seine Untersuchungsergebnisse mit der Frage nach der politischen Kultur des Ancien Regime. Die offiziellen Inszenierungen des Koenigs wurden demnach sehr wohl von den Untertanen rezipiert - allerdings blieben letztere dabei nicht passiv. Oft genug ist der Spott der Vaudevilles oder die Aufdeckungsrhetorik der Untergrundliteratur eine Antwort auf das obrigkeitliche Bild, wenn nicht gar dessen Umkehrung. So erweist sich das offizielle Bild als nur eine von vielen moeglichen Wahrheiten, die den Franzosen zum Verstehen der Wirklichkeit zur Verfuegung standen. Was die Sakralitaet des Herrschers als zentrales Element der offiziellen Inszenierung angeht, so laesst sich, wie Engels speziell am Beispiel der Skrofeln-Heilung ueberzeugend darlegt, auf seiten der Untertanen ein Sakralitaetsglauben nicht nachweisen. An dessen Stelle setzt er das leider etwas diffuse Konzept der 'Faszination', die der Koenig auf die Untertanen ausgeuebt habe. Mit der Sakralitaet aber "faellt auch das Konzept der 'Desakralisierung' als mentalitaetsgeschichtliche Grundlage fuer den Untergang der Monarchie" (268).
Ob die inoffiziellen Koenigsbilder dennoch eine Rolle in der politischen Kultur spielten, haengt laut Engels gewissermassen vom Standpunkt ab: Aus der Perspektive des Historikers moegen sie allesamt politisch bedeutsam erscheinen, fuer die Zeitgenossen, denen ein Selbstbewusstsein als politische Oeffentlichkeit weitgehend gefehlt habe, seien sie es selten gewesen. Ihnen sei es weniger um Politik gegangen als um - moeglichst vergnuegliche und spielerische - Wirklichkeitsbewaeltigung, wenn sie ueber den Koenig redeten. Ob dies tatsaechlich fuer alle Kreise der Oeffentlichkeit galt, bleibt freilich insbesondere mit Blick auf das Milieu der Parlements und Jansenisten fraglich. Die Untertanen, so trotz allem ein wesentliches Ergebnis der Arbeit, hatten kein eindeutiges Bild vom Koenig. Je nach ihrer konkreten Situation und Erfahrung machten sie sich unterschiedliche Vorstellungen von ihm. Diese prinzipielle "Offenheit" (273) des Koenigsbildes ermoeglichte es ihnen, zwischen Idealvorstellungen und eigener Erfahrung eine plausible Wirklichkeit auszubalancieren.
Besondere Anerkennung verdient der Verfasser dafuer, dass er einerseits seine eigene Position als Historiker wiederholt kritisch reflektiert, andererseits aber nicht zoegert, in begruendeter Argumentation etablierte Forschungsmeinungen in Frage zu stellen. Schade nur, dass seine 'Koenigsbilder' rein metaphorisch bleiben und Bilder im eigentlichen Sinn nicht in die Untersuchung einbezogen wurden, da sie einem anderen semiotischen System angehoerten (11). Indes steht ja zumindest die Druckgraphik nicht gar so beziehungslos neben der Liedkultur und der Untergrundliteratur - ist doch die fruehneuzeitliche Oeffentlichkeit gerade durch die Vernetzung von Text-, Lied- und Bildpublizistik wesentlich gekennzeichnet. Die diesbezueglichen Skrupel des Verfassers entsprechen freilich der Sorgfalt, mit der er die jeweilige Spezifizitaet seiner Quellen beruecksichtigt. In jedem Fall ist sein auch sprachlich ausgezeichnetes Buch ein unentbehrlicher Beitrag nicht nur zur Diskussion um Sakralitaet und Desakralisierung des franzoesischen Koenigs, sondern auch zum Verstaendnis der Oeffentlichkeit im Ancien Regime.