Titel
Deutsch, Jahrgang 1921. Ein Lebensbericht


Autor(en)
Just, Gustav
Reihe
Schriftenreihe des Wilhelm-Fraenger-Instituts Potsdam 2
Erschienen
Anzahl Seiten
277 S.
Preis
€ 25,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Jander, Berlin

Wer nach Fakten zur Geschichte der DDR-Opposition in den 50er Jahren sucht, sollte dieses Buch nicht erwerben. So richtig neue Details bringt die Veröffentlichung Justs gegenüber seinem älteren Buch "Zeuge in eigener Sache" (Berlin 1990) nicht. Interessant allerdings ist Justs nachträgliche Reflexion seines Lebens.

In "Deutsch, Jahrgang 1921" lesen wir die Geschichte des 1921 geborenen Gustav Just, der zunächst freiwillig in der Wehrmacht diente, Neulehrer wurde und bis 1957 eine nicht gerade steile, aber doch ansehnliche Karriere auf SED-Nomenklatura-Posten einschlug, die mit seiner Offenbarung, der Wehrmacht als Offizier gedient zu haben, einen empfindlichen Knick bekam.
Mit Janka, Zöger, Harich, Merker u.a. entwickelte er nach dem XX. Parteitag der KPdSU Überlegungen zu einer Reform der DDR und einer Wiedervereinigung Deutschlands und wurde nach seiner Zeugenaussage im Harich-Prozess verhaftet, angeklagt und verurteilt. Er verbrachte 45 Monate in Haft, 24 davon in Einzelhaft.

Von 1960 bis 1986 war er als freischaffender Übersetzer tschechischer Literatur tätig, knüpfte Kontakte zum Reformkommunismus in der Tschechoslowakei und sympathisierte mit dem "Prager Frühling". Das MfS bespitzelte ihn seit seiner Entlassung aus der Haft. 1970 wurde sein "operativer Vorgang" geschlossen. Als Übersetzer richtete sich Just nach eigener Darstellung in einer "Nische" ein. Seit 1982 lebte er mit seiner Frau auf dem Land nahe Bernau, in Prenden, und führte dort die Dorfchronik.

Eine Einladung zu einer öffentlichen Diskussion am 15.11.89 in der Dresdner Annenkirche erlebte er als seine eigentliche "politische Rehabilitierung". Just schilderte dort zum ersten Mal – und später noch viele Male – seine Sicht auf die 50er Jahre in der DDR. Seine 1990 in Ost- und Westdeutschland veröffentlichten Memoiren "Zeuge in eigener Sache" machten ihn bekannt. Er gründete in Prenden die SDP und wurde Abgeordneter und Alterspräsident des Landtags Brandenburg.

Nach einer öffentlichen Debatte über seine Teilnahme an einem Erschießungskommando 1941 in der Ukraine, ausgelöst durch einen Artikel in der Tageszeitung „Die Welt“ am 8. 3. 92, trat Just von seinen politischen Ämtern zurück. Das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft gegen ihn, eingeleitet wegen der Erschießungen, wurde 1995 eingestellt. Die Tat, die Just in einem Tagebuch geschildert hatte, konnte trotz intensiver Nachforschungen - auch in der Ukraine - nicht aufgeklärt werden.
Bemerkenswert ist diese Autobiographie, da sie dem Leser einige ungewöhnliche Einblicke in die Biographie eines DDR-Oppositionellen gibt. Just wurde in einem deutschen Dorf im überwiegend tschechischen Böhmen geboren: Rynovice. Sein Vater war Kommunist. Gustav Just fühlte sich jedoch in seiner Jugend statt zu den Kommunisten eher zum Wandervogel und zur Bündischen Jugend hingezogen.

Die Besetzung der Tschechoslowakei durch Nazideutschland begrüßte er und wurde einer der Organisatoren der Hitlerjugend. In ungewöhnlicher Offenheit zitiert er in "Deutsch, Jahrgang 21" aus seinem Tagebuch vor und während des Krieges.
Just war begeisterter Soldat und später Offizier, wenn auch die Soldaten, die er ins Feuer schickte und die nicht wiederkehrten, ihm "schwer auf der Seele"(S.52) lagen. Desertion oder Widerstand empfand er als "Verrat". Justs Offenheit wäre freilich noch ungewöhnlicher, hätte er in seinem Buch die genauen Einsatzorte seiner militärischen Laufbahn genannt und seine Beteiligung an Verbrechen zumindest skizziert. Diese Untaten bleiben jedoch sein Geheimnis.

Zur Aufklärung seiner Beteiligung an der Erschießung der sechs angeblichen Partisanen in einem Dorf in der Ukraine, die er in seinem Tagebuch notierte, trägt er in "Deutsch, Jahrgang 21" nichts bei. Er habe – so von Anfang bis Ende seines Buches – auf Befehl gehandelt, es "gab für mich als jungen Soldaten damals überhaupt nicht die Alternative einer Befehlsverweigerung, nicht einmal in Gedanken." (S. 261). Er beklagt hingegen im Rückblick, dass diese Haltung von jüngeren Menschen nicht nachvollzogen werden könne.

Sehr detailliert – und dies ist eine wirkliche Stärke der Autobiographie – schildert Just jedoch seine Wandlung vom Nationalsozialisten zum Kommunisten in der DDR. Auf ihn träfe eine Parabel Erich Loests zu, schreibt er, ein Schlittschuhläufer laufe zunächst "in eine bestimmte Richtung, erkennt das Falsche dieser Richtung, macht kehrt und läuft eigentlich in die gleiche Richtung weiter, nur rückwärts." (S. 71)

Die in seiner Autobiographie weiterhin sehr offenherzig ausgebreiteten Tagebucheintragungen machen deutlich, dass Just am DDR-Sozialismus eben das schätzte, was ihm auch an den Nazis gefiel: die Unterordnung unter das große Ganze, das Hintanstellen der Persönlichkeit und der individuellen Wünsche, der Autoritarismus eben. Bei den Nazis war Just Soldat, bei den Kommunisten – wie er selbst schreibt – "Parteisoldat". Er vergleicht die SED deshalb auch direkt mit einer Armee: eine "auf Treu und Glauben verschweißte Schicksalsgemeinschaft" (S. 102). Klarer haben nur wenige DDR-Oppositionelle der 50er Jahre eine mögliche gleiche Faszination von Nationalsozialismus und Stalinismus als eigenes Handlungsmotiv einsehbar gemacht.

Ohne Scheu bekennt Just deshalb auch, woran er sich in den Jahren der Haft festhielt, wenn ihn Verzweiflung packte: "Mir fielen die vielen Lieder ein, die ich bei den Bündischen, bei der Hitlerjugend, bei den Soldaten und schließlich bei der SED gesungen hatte, Lieder der Revolution und der Arbeiterbewegung. Und so sang ich diese Lieder leise vor mich hin." (S. 180)
Sein Drama bleibt: Er glaubte, dass nach dem XX. Parteitag der KPdSU eine Veränderung der DDR, eine Reform des SED-Sozialismus, ein nationaler Sozialismus möglich werden könnte. Er orientierte sich auf dieses Ziel und glaubte, dabei ganz im Sinne der SED zu handeln. Er täuschte sich.

Mit der Autobiographie liegt der Bericht einer doppelten Wandlung vor. Die Erfahrung seiner Verhaftung, seines Prozesses und der Haft gaben Just einen konkreten Begriff von der "Diktatur des Proletariats". Er wandelte sich in der Haft erneut, nun vom Kommunisten zum Sozialdemokraten. Gleichwohl glaubt er in der Rückschau, dass er "trotz aller Um- und Irrwege" in seinem Leben "im Grunde genommen immer einem Leitstern gefolgt" sei, "dem Streben nach sozialer Gerechtigkeit" (S. 187). Der Jungnazi, der geläuterte Kommunist und erneut gewandelte Sozialdemokrat Gustav Just folgte immer dem Leitstern Gerechtigkeit? Mir scheint, Just macht sich etwas vor.

Das Buch lohnt sich für diejenigen, die gerne Lebensbeichten lesen und nähere Aufklärung über die psychologischen Hintergründe von Opposition und Widerstand in der DDR der 50er Jahre suchen. In Gustav Justs Leben "kreuzen sich die wesentlichen Linien der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert", hat der Verlag in den Klappentext geschrieben. Man vergaß hinzuzufügen, dass Gustav Just wesentlichen Tendenzen der deutschen Geschichte, einigen ihrer Irrlehren nämlich, erlegen ist. Er berichtet darüber selbst in großer Offenheit.

Das Geheimnis der sechs toten "Partisanen" will er jedoch mit ins Grab nehmen. Schade. Just hat offenbar Probleme mit der ganz individuellen Verantwortung. So ganz mag ich ihm deshalb seine offenen Schilderungen und Wandlungen nicht glauben.

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