Ein Lexikon, das nicht in der schwerfälligen Gestalt eines mehrbändig-gewichtigen opus magnum und ohne Panzerung durch die Autorität einer großen Zahl hochspezialisierter Beiträger daherkommt, erweckt heutzutage auf den ersten Blick Misstrauen - zumal wenn es vorgibt, einen in Forschung und populärer Literatur so ausufernd bemühten Gegenstand wie "Die Renaissance" zu behandeln.
Doch schnell stellt sich auch eine eigentümliche Faszination ein, wenn man das Buch in Händen hält, verheißt es doch nicht weniger als die kompakte Gesamtverfügbarkeit eines immens weitgefächerten und vielschichtigen Themenfeldes in einem beinah zierlichen Oktav-Bändchen. Angesichts dessen muss der erste Blick dem Lemma Renaissance gelten, wäre hier doch neben der Sachinformation auch Programmatisches zum vorliegenden Werk zu vermuten. Zunächst: Dieser Artikel ist mit gut fünf Seiten nicht der ausführlichste des Bandes; der größte Raum wird mit satten elf Seiten den 'Condottieri' geboten. Die Autoren kennzeichnen den von ihnen behandelten Gegenstand zurecht als unscharf und schwebend, geben ihm in der Folge aber doch die vertrauten Umrisse, indem sie auf die durchaus nicht deckungsgleiche Prägung des Begriffs durch Jules Michelet und Jacob Burckhardt im 19. Jahrhundert verweisen, die zeitliche Eingrenzung vom späten 14. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts wählen und den Schwerpunkt auf Italien legen. Auf knappem Raum werden zudem die Aufstiegs- und Niedergangsszenarien, die der Begriff selbst impliziert, angerissen sowie unterschiedliche Interpretationsansätze zu den sozialen Trägerschichten und zur Einordnung in weiter greifende Zivilisationskonzepte benannt.
Anders als die alphabetisch-lexikalische Anlage vermuten lässt, versuchen die 82 Artikel, aus denen der Band komponiert ist, gar nicht erst, eine systematische Abdeckung des Phänomens zu erzielen. Es überwiegen zahlenmäßig deutlich die thematisch ausgerichteten Beiträge, gefolgt von biographischen Notizen zu Künstlern, Dichtern, Politikern und Geschlechtern sowie der Vorstellung von sechs Städten. Bewusst haben Marina und Herfried Münkler darauf verzichtet, eine gleichmäßig proportionierte Gesamtschau der Renaissance zu entwerfen. Das Werk präsentiert sich daher nicht als Auflösung des Gesamtphänomens in alphabetisch geordnete Atome. Es weist vielmehr erhebliche Asymmetrien auf. Stichworte wie Malerei, Literatur, Architektur und Astrologie sind vertreten, ein Lemma Politik indessen nicht. Während 'Päpste und Papsttum' als mögliche Kristallisationskerne der Renaissancekunst benannt werden, sucht man 'Höfe' als Pendant und findet 'Höflinge', denkt an 'Stadt' und stößt beim Nachblättern allein auf 'Idealstadt'. Hier liegt die beabsichtigte Eigentümlichkeit des Bandes, der wohl besser nicht "Lexikon" getauft worden wäre, bietet er doch eher eine alphabetische Reihung von Phänomen der Renaissance, zuverlässig in der Information, aber bekennendermaßen subjektiv zusammengestellt. Es ist deshalb müßig, über Auswahl und Gewichtung der Stichworte zu streiten; der Rezensent zumindest empfindet lediglich das Fehlen eines bündelnden Beitrags zum Thema Mäzenatentum als schmerzlich.
Ein Wort ist über die Bebilderung des Bandes zu verlieren. Der Schutzumschlag lässt mit einem Ausschnitt aus Botticellis 'Frühling' in berückender Weise gleich zwei Implikationen des Renaissance-Begriffs anklingen: die zentrale Bedeutung der Kunst und die naturbezogene Metaphorik des Wiedererwachens, des Wiederaufblühens als Charakteristikum dieser Epochensignatur. Doch dieser Eindruck bleibt flüchtig wie der lose Umschlag. Der Band selbst ist ausschließlich mit Initialen aus dem Figurenalphabet des Meisters E.S. von 1466/67 in Schwarzweiß dekoriert; auf weitere Illustrationen wurde verzichtet. Kein Dürer, kein Michelangelo oder Botticelli schmückt die entsprechenden Artikel, Florenz muss ohne eine Stadtansicht auskommen, der Leser sich Erasmus ohne eines der bekannten Porträts aus der Hand Hans Holbeins vor Augen rufen. Dies ist meist ohne größere Schwierigkeiten möglich, im recht detaillierten Malerei-Kapitel aber erfordert die bloße Vorstellung, wie Botticelli "die Schwere der Materialität neuplatonisch sublimiert" (S. 252) vom Leser doch einen argen imaginatorischen Kraftakt. Die beinahe asketische Strenge bei den Abbildungen scheint unlogisch, hat die Renaissanceforschung doch immer wieder das sinnliche Moment betont. Angesichts des für wiedererkennungsfähige Abbildungen denkbar ungeeigneten Buchformats ist die Entscheidung der Autoren und des Verlags indes konsequent. Der Verzicht auf Porträts, Architekturzeichnungen und Stadtveduten regt vielleicht sogar umso stärker dazu an, sich anderweitig intensiv mit der gegenständlichen Seite des Themas zu beschäftigen; entsprechende Hinweise in den Literaturanhängen hätten daher allerdings eine stärkere Hervorhebung verdient gehabt.
Insgesamt lösen die Autoren den Anspruch ein, Charakteristisches der Epoche vorzustellen, indem sie exemplarisch beleuchten, wen und was sie als konstitutiv für die Renaissance erachten. Sofern man keinen streng systematischen Informationsanspruch verfolgt, wird man den Band als handliches Nachschlagewerk schätzen, mehr noch aber sich zum Schmökern animieren lassen, denn die gewählte Darstellungsform, vermag durchaus einen gewissen Charme zu entfalten. Anstatt das unübersichtliche Thema minutiös zu segmentieren, knüpfen die Münklers ein immer enger werdendes Netz um den Gegenstand ihrer Beschäftigung. Überblicksartikel, etwa zu Humanismus, Entdeckung und Eroberung oder zum Papsttum erschließen breitere Zusammenhänge, die dann durch thematisch engere Themenfelder wie Malerei, Bibliotheken, Diplomatie oder Antikenrezeption detaillierter aufgearbeitet und schließlich durch passende biographische, lokale oder thematische Spezialia verfeinert werden. Freilich kann der buchstäblich von A bis Z an der Renaissance interessierte Leser es auch genau umgekehrt angehen oder eben kreuz und quer; Verweise am Ende der Artikel leiten ihn jeweils zu inhaltlich Verwandtem weiter.
Das "Lexikon der Renaissance" präsentiert sich in vielfacher Hinsicht als Mischwesen zwischen Nachschlagewerk und Lesebuch. Stil und Sprache werfen nicht zuletzt auch die Frage nach der eigentlichen Zielgruppe auf. Interessierte Laien wie versiertere Renaissancefreunde werden das Buch mit Gewinn konsultieren, die durch den Lexikonbegriff geweckte Hoffnung, das gesamte Wissen zu dieser Epoche in kompakter Form in die Hand zu bekommen, kann es indessen aus begreiflichen Gründen nicht erfüllen. Es handelt sich stattdessen um ein gelungenes, klares "Profil der Renaissance in einzelnen Stichworten" (S. 8); aus dieser Selbsteinschätzung der Autoren hätte sich allerdings durchaus auch ein redlicherer Titel formen lassen.