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Titel
Auschwitz darstellen. Ästhetische Positionen zwischen Adorno, Spielberg und Walser


Autor(en)
Krankenhagen, Stefan
Reihe
Beiträge z. Gesch.-Kultur 23
Erschienen
Köln 2001: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
284 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan-Holger Kirsch, Universität Bielefeld

Auschwitz ist in der Quizshow angekommen. „Wozu wurde das Haar verwendet, das den Inhaftierten im KZ Auschwitz geschoren wurde? Welche Maße hatten die Stehzellen im KZ Auschwitz? Ordnen Sie folgende Konzentrationslager von Nord nach Süd: A: Auschwitz, B: Bergen-Belsen, C: Dachau, D: Ravensbrück.“ So lauteten einige Fragen, die die Kandidaten von Christoph Schlingensiefs „Quiz 3000“ in der Berliner Volksbühne zu beantworten hatten. Es sollte offenbar signalisiert werden, daß die Spaßgesellschaft keine Tabus kenne 1. Ein Pendant aus der ernsthafteren Kulturszene ist die Ausstellung „Mirroring Evil“ des Jewish Museum New York: Auch dort wurde vorgeführt, daß im Umgang mit dem Nationalsozialismus alles erlaubt sei, sofern es nur Provokationen verspreche und Aufmerksamkeit errege 2. Die „Frage, was wir mit dem Holocaust-Gedenken alles anstellen“ 3, erscheint seltsam unzeitgemäß. Dennoch – oder gerade deshalb – ist es nützlich, ihr genauer nachzugehen und mögliche Alternativen zur jetzigen Situation aufzuzeigen.

Stefan Krankenhagen untersucht „nicht, ob Auschwitz darstellbar ist, sondern (...) was es heißt, Auschwitz als ein darstellbares oder ein undarstellbares Ereignis darzustellen“ (S. 15). Dies wiederum sei nicht abstrakt, sondern am besten auf der Basis einer historischen Analyse zu klären: „Gefordert ist ein Verständnis, das die aktuellen Fragen nach einer authentischen Darstellung, nach einer Instrumentalisierung der Opfer oder der grundsätzlichen Problematisierung der Darstellbarkeit aus ihrer über fünfzigjährigen Entwicklungsgeschichte heraus versteht. Ein solches Verständnis würde auch die massenmediale Vermittlung des Holocaust übergreifend als eine Darstellungsform begreifen: als zeitbedingten Ausdruck dafür, daß Auschwitz vergessen wird.“(S. 19) Krankenhagen unterscheidet vorab zwischen ‘primären’ und ‘sekundären’ Darstellungen (S. 10-14): Erstere seien von Holocaust-Überlebenden geschaffen worden und besäßen heute eine „gesellschaftlich legitimierte Autorität“ (S. 13). Thema des Buchs sind jedoch alle übrigen Darstellungen, die bezüglich Form und Inhalt einer stärkeren Rechtfertigung bedürfen.

Den notwendigen Ausgangspunkt solcher Reflexionen bildet Theodor W. Adornos 1951 veröffentlichtes ‘Diktum’: „Kulturkritik findet sich der letzten Stufe der Dialektik von Kultur und Barbarei gegenüber: nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, und das frißt auch die Erkenntnis an, die ausspricht, warum es unmöglich ward, heute Gedichte zu schreiben.“ (zitiert auf S. 15 und S. 23) In Abgrenzung vom verbreiteten ‘halbierten’ Zitieren dieses Satzes betont Krankenhagen mit Recht: „Adorno sprach kein Darstellungsverbot aus, sondern forderte ein Bewußtsein für die ‘Nichterfaßbarkeit’ von Auschwitz.“ (S. 63) Dabei sei es ihm freilich nicht um Darstellungen VON Auschwitz im engeren Sinne gegangen. Adorno beschäftigte sich vielmehr damit, wie Kunstwerke beschaffen sein müßten, um der gesellschaftlichen und kulturellen Situation NACH Auschwitz Rechnung zu tragen. Wie Krankenhagen erläutert, war Samuel Becketts „Endspiel„ (das auf der Gegenstandsebene kein Stück ÜBER Auschwitz ist) für Adorno paradigmatisch: „Die Aporie der Adornoschen Erkenntnis, die das Unbegreifbare an Auschwitz begreifbar machen wollte, fand ihre Parallele in einem Kunstwerk, das durch eine bewußte und damit gerade sinnhafte Dekonstruktion ihrer ästhetischen Formen auf die Sinnlosigkeit jeglicher Kunst nach Auschwitz reagierte.“ (S. 67)

Krankenhagens Hauptziel ist nun keine Adorno-Exegese, sondern eine historisch fundierte Sicht auf das Darstellungsproblem. Dabei begreift er Adornos oben zitierten Satz als „Katalysator für Darstellungen des Holocaust“ (S. 16) und schildert ausführlich die bundesdeutsche Rezeptionsgeschichte dieses Satzes (S. 83-120). Während der 1950er Jahre wurde Adornos Aussage zunächst wenig beachtet; ab 1959 versuchten Enzensberger, Andersch und weitere Autoren dann, den Satz zu ‘widerlegen’. Adorno selbst veröffentlichte von 1962 bis 1967 vier Reformulierungen, die der Diskussion allerdings nicht zu mehr Klarheit verhalfen (vgl. S. 96-109). Erst ab Mitte der 1980er Jahre wurde die aporetische Struktur von Adornos Position stärker gewürdigt. Krankenhagen hebt indes hervor, daß sie in einem spezifischen Kontext der Nachkriegszeit stand und keine zeitenthobene Gültigkeit besitzt: „Eine emanzipatorische Wirksamkeit kann dem Satz zu Gedichten nach Auschwitz (...) heute nicht mehr zugesprochen werden. Vor allem der apodiktisch definierte Kanon adäquater Darstellungsmodi und deren scheinbar kausale Verbindung zur Schuld der Gesellschaft verfehlt die Anforderungen einer gegenwärtigen Auseinandersetzung mit Darstellungsformen des Holocaust. Die gesellschaftliche Realität der neunziger Jahre ist nicht mehr diejenige der sechziger und siebziger Jahre; die Auseinandersetzung mit Auschwitz ist an vielen Stellen zu einem rituellen Selbstläufer, an anderen Stellen aber auch zu einer ernsthaften Auseinandersetzung um eine vielschichtig zu leistende Aufarbeitung geworden. Vor allem aber steht die heutige Auseinandersetzung unter dem Einfluß einer massenmedialen Repräsentation des Holocaust. Dieses wirkt auf die Frage der Darstellbarkeit von Auschwitz zurück. Dem Gedanken einer darzustellenden Undarstellbarkeit des Holocaust tritt eine umstandslose und explizite Darstellung der Vernichtung entgegen. Alle diese Punkte machen es nötig, nicht nur die Mißverständnisse in der Rezeption Adornos aufzuzeigen, sondern vor allem darzulegen, inwieweit es Versuche einer ästhetischen Weiterführung seiner Gedanken gibt.“ (S.120)

Als Beispiel für eine solche Fortführung analysiert Krankenhagen das literarische Großwerk „Festung“ von Rainald Goetz (S. 121-162). Es ist Anfang der 1990er Jahre entstanden und umfaßt fünf Bände mit insgesamt rund 2.500 Seiten. An der Oberfläche handelt es sich um ziemlich bedeutungslose Montagen des massenmedialen Informationsmülls. Verweise auf den Holocaust ragen als unverbundene Zitate und Relikte aber immer wieder in das Arrangement hinein, wobei die individuelle, die familiäre und die öffentliche Ebene thematisiert werden. Goetz veranschaulicht „die leeren Formen der Talkshows, die leeren Formen der Erinnerungspolitik“ (S. 147), aber auch deren automatisierte Kritik. Krankenhagen sieht darin eine überzeugende Aktualisierung von Adornos Prinzipien (S. 161): „Rainald Goetz reagiert (...) einmal auf die seit Adorno grundsätzliche Problematisierung einer Darstellbarkeit von Auschwitz. Die fragmentarisch zerrissene Form seiner Theaterstücke und die immanente Thematisierung der eigenen Form stehen in der Tradition Adornos. Vor allem aber reagiert ‘Festung’ auf die quantitative und qualitative Potenzierung der Darstellungen des Holocaust, darauf, dass Auschwitz zu einer für unterschiedliche Inhalte benutzbaren Projektionsfläche geworden ist.“

Einen deutlichen Kontrast zu diesem Ansatz markieren Gestaltungsformen, die Krankenhagen unter dem Leitbegriff „Americanization of the Holocaust“ zusammenfaßt (S. 163-220): das „United States Holocaust Memorial Museum“ in Washington, Goldhagens Buch „Hitlers willige Vollstrecker“ und Spielbergs Film „Schindlers Liste“. Die wesentliche Gemeinsamkeit sei darin zu sehen, daß der Holocaust „als darstellbar Dargestellt“ werde (S. 194). „Die Bedeutung der ‘Americanization of the Holocaust’ wird erst verständlich vor dem Hintergrund dessen, was sie negiert: Sie negiert die Problematisierung der Darstellbarkeit als eine immanente Reflexion des eigenen Ausdrucks“ (S. 166). Die narrativen Mittel dieser Neuorientierung seien die Einführung eines allwissenden Erzählers sowie die deutliche Trennung zwischen verbrecherischer NS-Vergangenheit und demokratischer Gegenwart. Außerdem werde versucht, die für primäre Darstellungen konstitutive „Authentizität der Zeugenschaft“ (S. 182) auf sekundäre Darstellungen zu übertragen, um von der besonderen Autorität der ersteren zu profitieren. So liege der Unterschied zwischen den Filmen „Holocaust“ und „Schindlers Liste“ weniger in deren filmischer Machart als im gewandelten Rezeptionskontext: „1993 mußte eine fiktive Geschichte der Vernichtung der Juden das Prädikat ‘authentisch’ erhalten, während dies 1978 nicht der Fall war.“ (S. 212)

Für die Bundesrepublik der 1990er Jahre identifiziert Krankenhagen andererseits einen „Reglementierungsdiskurs“, der an die frühere Adorno-Rezeption anknüpfe und zugleich signifikant davon abweiche (S. 236): „Das Besondere des gegenwärtigen Reglementierungsdiskurses zeichnet sich durch mehrere Faktoren aus: erstens, daß die Forderung nach einer Beschränkung der Darstellungen des Holocaust von Künstlern, Historikern und Akademikern ausgeht, die sich seit langem und intensiv für eine breitenwirksam aufklärende Auseinandersetzung mit der Geschichte der Vernichtung einsetzen. Zweitens, daß die im Zuge des Reglementierungsdiskurses favorisierte Rede von der Undarstellbarkeit auf massenhaft vorhandene und massenmedial vermittelte Darstellungen des Holocaust trifft. Der Begriff der Undarstellbarkeit steht damit nicht nur im Kontext einer qualitativen Bewertung vorhandener Darstellungen, sondern wendet sich explizit gegen die Quantität der Darstellungen. Und drittens, daß sich der Aufklärungsanspruch, mit dem sich die gegenwärtige Forderung nach einer Reglementierung der Darstellungen präsentiert, mit einem Normalisierungsdiskurs kurzschließt, der im Zuge der politischen Veränderungen nach der deutschen Vereinigung ein Ende der öffentlichen Fokussierung auf den Holocaust fordert. So ergeben sich nicht vorhergesehene Allianzen.“

Anhand der – eng miteinander zusammenhängenden – Debatten um Martin Walsers Friedenspreisrede und um das „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ werden diese Thesen näher ausgeführt. Krankenhagen macht darauf aufmerksam, daß Walser ältere deutsche Opfermythen mit einer Repräsentationskritik amalgamierte, die bislang aus ganz anderen künstlerischen, politischen und wissenschaftlichen Lagern vorgebracht wurde. In Walsers vehementer Ablehnung von Eisenmans Denkmalentwurf erschienen die Deutschen plötzlich als „Opfer der Darstellung“ (S. 251, S. 257). Von einer solchen Position distanziert sich Krankenhagen; seine eigene Skepsis gegenüber Eisenmans Stelenfeld und Libeskinds Bau des Jüdischen Museums Berlin ist anders begründet (S. 258): „Beide sind architektonisch-skulpturale Symbolisierungen einer Undarstellbarkeit des Holocaust, die in ihrer Verklärung des orientierungslosen eigenen Erlebens – im Labyrinth des Stelenfeldes, im zerklüfteten Bau des Museums – die emotionalisierenden Effekte einer ‘Authentizität der
Betrachterperspektive’ ausgeprägt bedienen. ‘In’ Auschwitz zu sein: das versprechen die Eisenman- und Libeskind-Bauten nicht anders als die ‘original castings’ des ‘Holocaust Memorial Museum’.“ Anstelle derartiger, durchaus widersprüchlicher Verbindungen von Darstellbarkeits- und Undarstellbarkeitsbehauptungen verlangt Krankenhagen, daß „die Problematisierung der Darstellbarkeit weiterhin als kritisches Potential gewahrt werden“ solle (S. 259) – womit er Adornos Impulse aufgreift. Thema der Darstellung müßten jedoch in erster Linie „die heutigen Bedürfnisse und Projektionen [sein], die sich an das Wissen um die Vernichtungslager knüpfen“ (S. 260).

Man könnte nun argumentieren, daß die New Yorker Ausstellung „Mirroring Evil“ genau dies beabsichtigte, denn ihr theoretisches Fundament war nicht ganz so dürftig, wie es in den meisten Besprechungen behauptet wurde. Daß vor allem Überlebende des Holocaust protestierten, signalisiert freilich ein Problem, das in anderer Weise auch bei der Lektüre von Krankenhagens Studie festzustellen ist: Die Sekundär- und Tertiärdiskurse der Erinnerungskultur gewinnen ein so starkes Eigenleben, daß die auslösenden historischen Ereignisse in den Hintergrund treten. Mit diesem Vorbehalt soll keineswegs Krankenhagens Ansatz entwertet werden, die Darstellungsdebatten zum Gegenstand einer eigenen Darstellung zu machen. Die Zitate haben aber vielleicht schon gezeigt, daß man es hier mit einer verschachtelten Herangehensweise zu tun hat, die sich nicht gerade leicht erschließt. Angesichts dieser (wohl unvermeidlichen) Spezialisierung überrascht andererseits, daß der
Begriff der ‘Darstellung’ kaum differenziert wird – die Unterschiede zwischen wissenschaftlichen Forschungen, politischen Stellungnahmen, literarischen und bildkünstlerischen Ausdrucksformen etc. werden nicht systematisch entfaltet.

Die Leistung des Buchs, das aus Krankenhagens Hildesheimer Dissertation hervorgegangen ist, besteht hingegen in der Kontrastierung von Adornos Theoremen mit Erinnerungsmodi der 1990er Jahre. Dabei wird zum einen deutlich, daß Adornos Zugang der Historisierung bedarf; zum anderen werden bestimmte Schwierigkeiten heutiger Positionen kenntlich. Weitgehend unberücksichtigt bleibt allerdings, wie und warum sich die Inhalte dessen verändert haben, was in der Bundesrepublik unter der Chiffre ‘Auschwitz’ jeweils verstanden wurde. Ein solcher historischer Längsschnitt, der generationen-, geschlechter-, medien- und wissenschaftsgeschichtliche Aspekte mit einer Aufschlüsselung einzelner Deutungsmuster zu verknüpfen hätte, liegt bisher nicht vor (und wäre im Rahmen einer Dissertation auch nicht zu bewerkstelligen). Je größer die Zahl der Spezialforschungen zur Geschichtspolitik und Erinnerungskultur wird, desto klarer zeigt sich, daß der Versuch einer solchen Synthese an
der Zeit wäre 4.

Anmerkungen:
1 Vgl. Peter Laudenbach, In den Fun-Gewittern, in: Tagesspiegel, 17.3.2002, S. 25; Christine Dössel, Ordnen Sie diese KZ von Nord nach Süd, in: Süddeutsche Zeitung, 18.3.2002, S. 11; Peter Kümmel, Der Mann mit der Moralkelle, in: ZEIT, 21.3.2002, S. 50.
2 Vgl. Jörg Lau, Infantile Rebellion, in: ZEIT, 14.3.2002, S. 51; Christian Schröder, Hallo Jerusalem, ich entschuldige mich!, in: Tagesspiegel, 17.3.2002, S. 25; Jordan Mejias, Küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.3.2002, S. 49; Andrian Kreye, Alles, was trivial ist, in: Süddeutsche Zeitung, 20.3.2002, S. 17; Marcia Pally, Du kannst uns nicht schockieren, Damian, in: Frankfurter Rundschau, 27.3.2002, S. 17; Andrea Köhler, Der Holocaust und die Kunst, in: Neue Zürcher Zeitung, 2.4.2002, S. 33.
3 Eva Menasse, Nutzen des Vergessens, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.8.2001, S. 46.
4 Das jüngste Buch von Peter Reichel, Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. Die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur von 1945 bis heute, München 2001, trägt einen irreführenden Titel und kann diese Lücke nicht füllen. (Es geht darin allein um die politische und juristische Ebene, wobei hauptsächlich die 1950er und 1960er Jahre behandelt werden.)

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