Jacob Burckhardts "Griechische Kulturgeschichte", 1898-1902 postum in vier Bänden erschienen, ist der bis heute umfangreichste und in seinem Anregungspotential noch lange nicht erschöpfte Versuch eines einzelnen Autors, ein integrales Bild der Denkweisen, Auffassungen, Handlungsmuster und schöpferischen Leistungen der Griechen im Altertum zu zeichnen. In seinem Streben "nach Erkenntnis der lebendigen Kräfte, der aufbauenden und zerstörenden" im griechischen Leben wählte er eine typisierende, gleichwohl anschauungs- und detailgesättigte Darstellungsweise. Den größeren Teil machten dabei die drei universalhistorischen Potenzen Staat, Religion und Kultur aus, die Burckhardt bereits in der 1868 erstmals gehaltenen Vorlesung "Über das Studium der Geschichte" als geschichtsmächtige Kräfte herausgestellt und in ihrer Wechselwirkung untersucht hatte. Der vierte Band behandelt den "hellenischen Menschen in seiner zeitlichen Entwicklung", verfährt aber ebenfalls in hohem Maße typisierend.1
Die Schlagworte vom "griechischen Pessimismus" oder vom "agonalen Prinzip" kennen auch Nicht-Leser, ebenso Burckhardts Zustimmung zum Diktum seines Lehrers August Boeckh, wonach die Hellenen unglücklicher waren, als meistens angenommen werde. Doch der Basler Gelehrte war weit davon entfernt, Kulturleistungen und Schattenseiten der Griechen einfach gegeneinander zu bilanzieren. Vielmehr begriff er die Voraussetzungen der griechischen Kultur im dialektischen Sinn zugleich als ihre Kosten in der Lebenswelt. Sein Werk ist bedeutsam, weil er diese kostenreichen Voraussetzungen und hohen Folgekosten früher und klarer als andere auf dem Feld des Politischen suchte - einem Feld, das untrennbar zur historischen Existenz Europas gehörte, nachdem die Griechen es einmal abgesteckt hatten. So ist das heuristische Potential von Burckhardts Poliskonzept heute allgemein anerkannt: eine umfassende, die Religion ebenso wie die Kultur prägende integrale Lebensordnung, in der Vernunft und Gewalt keine Antinomien darstellten. Der Begriff "Polis" ist überhaupt erst durch ihn in der Altertumswissenschaft und darüber hinaus heimisch geworden. Was seine Sicht der Griechen von der im 19. Jahrhundert vorherrschenden - jedenfalls bis zum Aufkommen einer 'realistischen Schule' in der Altertumswissenschaft, die sich verbindet mit den Namen Ed. Meyer, Beloch und Wilamowitz - unterschied, hat Burckhardt sehr klar in einer Passage des ersten Bandes formuliert:
"Die griechische Staatsidee nämlich, mit ihrer völligen Unterordnung des Einzelnen unter das Allgemeine, hatte, wie sich zeigen wird, zugleich die Eigenschaft entwickelt, das Individuum auf das Stärkste vorwärts zu treiben. Diese ungeheuren individuellen Kräfte hätten sich nun, laut der idealisierenden Anschauung, völlig im Sinne des Allgemeinen ausgebildet; sie wären dessen lebendigster Ausdruck geworden; Freiheit und Unterordnung wären harmonisch in Eins verschmolzen gewesen. In Tat und Wahrheit ist vor allem die griechische Freiheit zunächst dahin zu modifizieren, dass die Polis, wie gesagt, unentrinnbar war; nicht einmal in die Religion konnte der Einzelne vor ihr fliehen, denn auch diese gehörte dem Staat, und ohnehin war man nicht sicher, dass die Götter gut und barmherzig seien. Die Hochbegabten aber, weil sie dableiben und aushalten mussten, bemächtigten sich nach Kräften der Herrschaft im Staate. Im Namen der Polis regieren hierauf Individuen und Parteien. Die jedes mal herrschende Partei benimmt sich dann völlig so, als ob sie die ganze Polis wäre und deren ganzes Pathos auszuüben das Recht hätte. Wer sich aber im Altertum zur Herrschaft berechtigt glaubt oder sie auch nur begehrt, der erlaubt sich gegen den Gegner oder Konkurrenten sogleich das Äußerste, die Zernichtung."2
Dass ein breites Lesepublikum seit mehr als einem Jahrhundert überhaupt Burckhardts Schilderungen genießen und sich mit seiner Konzeption kritisch auseinandersetzen kann, ist indes ein Glücksfall. Der Gelehrte (1818-1897) hat an der Universität Basel die Vorlesung zur "Griechischen Culturgeschichte", die er seit Anfang der 1860er Jahre durch ausgedehnte Quellenlektüre vorbereitet hatte, zwischen 1872 und 1885/86 in immer wieder modifizierter Form insgesamt siebenmal gehalten; Exzerpte und Notizen belegen eine kontinuierliche Arbeit am Manuskript bis 1892. Was ihn etwa dreißig Jahre lang intensiv beschäftigte, erreichte zunächst nur die Hörer des Kollegs, das für Basler Verhältnisse mit etwa 60 Studierenden sehr gut besucht war. Es wäre ohne längere Wirkung geblieben, hätte nicht Jacob Oeri nach dem Tode seines Onkels das hinterlassene Material als einheitlichen Lesetext in vier Bänden ediert. Ein Neudruck der Oerischen Ausgabe, mit Korrekturen von Lesefehlern und Ergänzungen nach der Burckhardt-Gesamtausgabe, gilt seit ihrem Erscheinen 1956/57 als die maßgebliche Edition und erfuhr durch eine Taschenbuchausgabe bei dtv und eine CD-ROM denkbar weite Verbreitung.3
Die Materialgrundlage für Oeris verdienstvolle und glückliche Edition war sehr unterschiedlich. Nur für die beiden ersten Bände, die sich - in Burckhardts Drei-Potenzen-Lehre gesprochen - mit dem Staat und der Religion befassten4, lag ein ausgearbeitetes handschriftliches Manuskript im Folioformat vor, das wahrscheinlich die Grundlage für eine zeitweise ins Auge gefasste Buchpublikation bilden sollte, von Burckhardt jedoch immer wieder durch Zusätze, Korrekturen und eingelegte Blätter verändert und erweitert wurde. Für Band 3 und Band 4 konnte sich Oeri lediglich auf ein vielschichtiges Konvolut aus Notaten für die Vorlesung stützen, die ausformulierte Sätze, gliedernde Übersichten und lose gereihte Stichworte boten, jeweils ergänzt durch Zusätze, kommentierende Bemerkungen, Quellenzitate und -exzerpte und strukturiert durch sog. Übersichtsblätter. Die Anzahl der Blätter mit einer durchlaufenden Grundpaginierung wurde in einem Abschnitt des Materials von der Zahl der Beiblätter sogar übertroffen. Eine chronologische Schichtung zu ermitteln und damit so etwas wie einen Text letzter Hand zu rekonstruieren ist nicht möglich. Oeri zog daneben - wie auch schon für die beiden ersten Bände - die ausführliche Vorlesungsnachschrift des Hörers Hans Trog heran; da Burckhardt den Stoff nach seinen Manuskripten und Exzerpten zu memorieren und frei vorzutragen pflegte, sollte die Nachschrift helfen, dem tatsächlich Gesagten möglichst nahe zu kommen. Auch thematisch einschlägige Vortragsmanuskripte Burckhardts fanden ihren Weg in den Text. Die Bände 3 und 4 sind nach den Worten der Bearbeiter der nunmehr zur Hälfte vorliegenden Kritischen Ausgabe der "Griechischen Culturgeschichte" jedenfalls "die editorische Konstruktion eines diskursiven Textes" (JBW 19, S. 529).
Indem die Neuausgabe diese Konstruktion rückgängig macht, kann und will sie die vorliegenden Ausgaben nicht überflüssig machen; wer Burckhardt zum Einstieg bequem lesen möchte, darf guten Gewissens zu den Bänden der "Gesammelten Werke" greifen. Die Neuausgabe ist Teil der Kritischen Gesamtausgabe aller Werke Burckhardts sowie seines Nachlasses (JBW), die seit 2000 erfreulich zügig erscheint und auf insgesamt 27 Bände veranschlagt ist. Die Edition bietet jeweils die Manuskripte letzter Hand, also bei Band 1 und 2 das ausgearbeitete Foliomanuskript, bei Band 3 und 4 das Notatmaterial, jeweils unter Berücksichtigung aller Zusätze, Marginalien, Streichungen und Umstellungen. Der Kritische Apparat im Anhang verzeichnet diese Schichten von Burckhardts Arbeit am Grundtext akribisch und in aller wünschenswerten Kürze und Klarheit. Die eingelegten Blätter, meist Exzerpte aus den Quellen, sind als Nachträge an den Haupttext angehängt, während Oeri sie teilweise in diesen integriert und dabei um des Anschlusses willen mitunter in den Text eingegriffen hat. Insgesamt aber unterscheidet sich im vorliegenden Band 1 (= JBW 19) der Text der Kritischen Ausgabe naturgemäß über weite Strecken nicht sehr von dem der bisher maßgeblichen in den "Gesammelten Werken", sieht man von der Orthographie und Interpunktion ab, die selbstverständlich nicht modernisiert wurde. Die von Oeri dem Gesamtwerk vorangestellte programmatisch-konzeptuelle Einleitung findet sich nunmehr in ihrer originalen Gestalt im Anhang; zum Vergleich hier eine Passage in beiden Versionen (dtv-Ausgabe, Bd. 1, S. 5, bzw. JBW 19, S. 363-364, jeweils ohne kursive Hervorhebungen):
"Ein Vorteil der kulturhistorischen Betrachtung überhaupt ist nun vor allem die Gewißheit der wichtigeren kulturhistorischen Tatsachen gegenüber den historischen im gewöhnlichen Sinne, den Ereignissen, welche der Gegenstand der Erzählung sind. Letztere sind mannigfach ungewiß, streitig, gefärbt oder, zumal bei dem griechischen Talente zum Lügen, von der Phantasie oder vom Interesse völlig erdichtet. Die Kulturgeschichte dagegen hat primum gradum certitudinis, denn sie lebt wichtigernteils von dem, was Quellen und Denkmäler unabsichtlich und uneigennützig, ja unfreiwillig, unbewußt und andererseits sogar durch Erdichtungen verkünden, ganz abgesehen von demjenigen Sachlichen, welches sie absichtlich melden, verfechten und verherrlichen mögen, womit sie wiederum kulturgeschichtlich lehrreich sind. Sie geht auf das Innere der vergangenen Menschheit und verkündet, wie diese war, wollte, dachte, schaute und vermochte. Indem sie damit auf das Konstante kommt, erscheint am Ende dieses Konstante größer und wichtiger als das Momentane, erscheint eine Eigenschaft größer und lehrreicher als eine Tat; denn die Taten sind nur Einzeläußerungen des betreffenden innern Vermögens, welches dieselben stets neu hervorbringen kann. Das Gewollte und Vorausgesetzte also ist so wichtig als das Geschehene, die Anschauung so wichtig als irgend ein Tun; denn im bestimmten Momente wird sie sich in einem solchen äußern:
'Hab' ich des Menschen Kern erst untersucht,
So weiß ich auch sein Wollen und sein Handeln.'
Aber auch, wenn eine berichtete Tat in Wahrheit gar nicht oder doch nicht so geschehen ist, so behält die Anschauung, die sie als geschehen oder in einer bestimmten Form geschehen voraussetzt, ihren Wert durch das Typische der Darstellung; die ganze griechische Tradition wimmelt von Angaben dieser Art. Vielleicht ist aber das Konstante, das aus diesen typischen Darstellungen hervorgeht, der wahrste 'Realinhalt' des Altertums, eher noch als die Antiquitäten."
"Vortheile der culturgeschichtlichen Betrachtung überhaupt: Vor allem die Gewißheit der wichtigern culturgeschichtlichen Thatsachen gegenüber den historischen im gewöhnlichen Sinn, der Erzählung, der sog. Ereignisse. Letztere sind mannigfach ungewiß, streitig, gefärbt oder völlig erdichtet, von der Phantasie oder vom Interesse; die Culturgeschichte [dazu Fußnote: Sie hat primum gradum certitudinis] dagegen lebt wichtigernteils von dem was Quellen und Denkmäler unabsichtlich und uneigennützig, ja unfreiwillig, unbewußt und andererseits sogar durch Erdichtungen verkünden, ganz abgesehen von demjenigen Sachlichen, welches sie absichtlich melden, verfechten und verherrlichen mögen, womit sie wiederum culturgeschichtlich lehrreich sind. Vielleicht ist dieß der wahrste 'Realinhalt' des Alterthums, eher als die Antiquitäten. Sie geht auf das Innere der vergangenen Menschheit und erkundet, wie und was diese war, wollte, dachte, schaute und vermochte. Sie kommt damit auf das Constante. Da erscheint am Ende das Constante größer und wichtiger als das Momentane, eine Eigenschaft größer und für uns lehrreicher als eine That; denn die Thaten sind Einzeläußerungen des betreffenden innern Vermögens, welches dieselben stets neu hervorbringen kann. Dazu das griechische Talent zum Lügen. Wie die Griechen und die Dinge anschauten, das ist auch Geschichte; es sind geistige Thatsächlichkeiten Es braucht sie aber nicht einmal hervorzubringen; sondern nur potentiell in sich zu besitzen. Für die Culturgeschichte ist schon der bloße Gedanke, das bloße Wort bedeutend; das Gewollte und Vorausgesetze so wichtig als das Geschehene die Anschauung so wichtig als irgend eine That. Denn im bestimmten Moment wird sie sich in einer That äußern, - oder auch dieselbe, wenn sie nicht geschehen ist, doch als geschehen voraussetzen. (Das Typische), Oder wenn die That anders geschehen ist, wird die Anschauung sie typisch umbilden. 'Hab' ich des Menschen Kern erst untersucht So weiß ich auch sein Wollen und sein Handeln.' (Wall. Tod II,3). Die ganze griechische Tradition wimmelt von Angaben dieser Art."
Zu sehen ist, wie Oeri im Bemühen um einen gut lesbaren Text auch schon hier Umstellungen und Akzentverschiebungen vorgenommen hat. Der originale Wortlaut des Manuskripts ist vielfach lapidarer, herber und lässt das oft Provozierende der Burckhardtschen Gedanken, auch seine raschen Perspektivwechsel schärfer hervortreten, doch der Gesamtduktus erscheint insgesamt bewahrt. Sehr viel stärker gestaltet hat der Ersteditor wegen des disparaten Materials im dritten Band, wie der Vergleich einer Passage über Thukydides zeigt (dtv-Ausgabe, Bd. 3, S. 412-413, bzw. JBW 21, S. 490):
"Thukydides gibt nun von der damaligen griechischen Geschichte nur, was den großen Kampf berührt, dieses aber fast chronologisch. Er weiß, daß dieser Kampf das größte Ereignis seit Menschengedenken ist, und hat sich vorgenommen, denselben mit vollkommener Wahrheitsliebe zu schildern, ausdrücklich nicht nach bloßem Befinden (hos emoi edokei [dazu Fußnote: 'I, 22. - Dennoch wird in den biographischen Notizen (bei Marcellin u.a.) alles getan, um ihn der Parteilichkeit für Sparta zu zeihen.']), sondern indem er den Dingen mit einer ehernen Objektivität auf den Grund geht. Zu dieser Aufgabe bringt er die Fähigkeit mit, alles, was man ihm berichtet hat, als Kundiger nachzudenken und durch seinen Geist gehen zu lassen; für Gründe, Anlässe, Verlauf und Ergebnis des großen Prozesses hat er den allerweitesten Ausblick: man sieht, wie die Dinge steigen und unvermeidlich werden; ohne aufdringliche Bemerkungen, mit den leisesten Mitteln läßt er uns die Notwendigkeit als solche empfinden."
"Sein Gegenstand: der große Proceß von Athen und Sparta um die Hegemonie. [dazu Fußnote: 'O(tfried) M(üller) L(iteratur)G(eschichte) II, S. 344 ff.] Nur 'die Geschichte des peloponnesischen Krieges', nicht: 'die Geschichte Griechenlands während des peloponnesischen Krieges'. Geschichte im wahren Sinn ist für Thucydides und die seitherige Welt erst die großer Gegensätze, unter welche sich Vieles und Widerstreitendes Einzelnes subsumirt. - Daher Ausscheidung alles dessen aus der Geschichte der griechischen Staaten was nicht den großen Kampf berührt. -Thucydides hatte den Kampf von allem Anfang an als einen entscheidenden angesehen und darauf hin beobachtet; auch der Nikiasfriede machte ihn nicht irre. - Chronologische Behandlung nach Jahren und Jahreszeiten, doch nicht ohne hie und da Zusammengehöriges auch trotz der Zeitunterschiede zusammen zu schildern. Er verhörte beständig Leute beider Parteien und sammelte mit Anstrengung. - Die Gesammtausarbeitung jedoch erst in seinen letzten Jahren, in Athen redigirt. - Über das VIII. Buch s. OM l.c. 351. - Er war fähig, Alles was man ihm berichtete, als Kundiger nachzudenken, durch seinen Geist hindurchgehen zu lassen. - Er erzählte ausdrücklich nicht: hos emoi edokei, nach seinem Parteistandpunkt - dennoch wird in den biographischen Notizen (bei Marcellin und Anderen) Alles gethan um ihn der Parteilichkeit zu zeihen und zwar zu Gunsten Sparta's."
Während Oeri in Band 3 und 4 konstruiert hat, was Burckhardt im besten Fall im Hörsaal gesagt haben könnte 5 beziehungsweise was er in einem von ihm selbst zum Druck beförderten Buch vielleicht geschrieben hätte, bietet die Kritische Edition in möglichst lesbarer Form, aber zugleich ganz streng nur das, was er tatsächlich niedergeschrieben hat und woraus er schöpfte beziehungsweise was ihm als Grundlage eines Buches hätte dienen können. Weil beide Ziele legitim sind, wenn auch in unterschiedlicher Weise für verschiedene Publika, haben beide Ausgaben ihre Berechtigung.
Weitere Hilfsmittel im Anhang sind neben den textkritischen Anmerkungen jeweils ein knapper Sachkommentar mit Übersetzungen der Zitate aus der antiken Literatur sowie genaueren und modernisierten Stellenangaben, ein Verzeichnis der von Burckhardt zitierten und der im Kommentar benutzten Ausgaben und Literatur, editorische Nachworte und umfangreiche, sehr nützliche Register (Personen-, Werk- und Stellenregister; Sachregister).
Kritische Gesamtausgaben grundlegender Werke sind Schatzkammern intellektueller Tradition, Hilfsmittel zu deren Aneignung und Werkstätten des wissenschaftlichen Weiterdenkens; als solche bleiben sie auch im 21. Jahrhundert unverzichtbar. Sie bieten einen gesicherten Text und oft überraschende Einblicke in die Arbeitsweise der Autoren. Ob sie Renaissancen zu ermöglichen helfen oder eher das Ende der lebendigen Wirkungsgeschichte mit vielbändigen, sarkophagartigen Editionen noch der letzten Entwürfe und Notizzettel besiegeln, ist nicht immer gleich abzusehen. Insofern bilden solche Ausgaben, die bis zur Vollendung oft vieler Jahre und einer Forschungsförderung mit langem Atem bedürfen, unbeeindruckt von allen Moden und Paradigmenwechseln im Publikum und im Wissenschaftsbetrieb auch ein Fundament, das gelegt wird, ohne die darüber zu errichtenden Deutungsgebäude zu präjudizieren.6 Die hier vorgelegte Edition, Resultat einer langwierigen und mit akribischer Sorgfalt betriebenen Forschungsarbeit, stellt in dieser schwierigen Gattung ohne Zweifel ein bewunderungswürdiges Meisterstück dar.
Anmerkungen:
1 Die Literatur zu Autor und Werk ist umfangreich. Genannt seien drei beinahe willkürlich ausgewählte kürzere Einführungen, die jeweils umfangreiche Literaturangaben bieten: Arnaldo Momigliano, Einleitung zu Jacob Burckhardts "Griechischer Kulturgeschichte" (1955), in: ders., Ausgewählte Schriften zur Geschichte und Geschichtsschreibung, Bd. 3 Die moderne Geschichtsschreibung der Alten Welt, hrsg. von G. W. Most, Stuttgart 2000, S. 181-202; S. 417-19; Karl Christ, Hellas. Griechische Geschichte und deutsche Geschichtswissenschaft, München 1999, S. 69-80; Leonard A. Burckhard, Das Bild der Griechen in Jacob Burckhardts "Griechischer Kulturgeschichte", in: A. Aurnhammer; Th. Pittrof (Hgg.), "Mehr Dionysos als Apoll". Antiklassizistische Antike-Rezeption um 1900, Frankfurt a.M. 2002, S. 113-134.
2 Jacob Burckhardt, Griechische Kulturgeschichte, München 1977, Bd. 1, S. 80-81.
3 Jacob Burckhardt, Griechische Kulturgeschichte, hrsg. v. Jacob Oeri, Berlin 1898-1902; dass., hrsg. von Felix Staehelin; Samuel Merian, (= Jacob Burckhardt Gesamtausgabe, Bde. 8-11), Basel 1930-1931 ; dass. (Neuausgabe von Oeri mit den Verbesserungen aus der Gesamtausgabe), (= Jacob Burckhardt, Gesammelte Werke, Bde. 5-8), Basel 1956-1957; ND mit einer Einleitung von Werner Kaegi, München 1977; CD-ROM: Geschichte des Altertums. In Darstellungen von Johann Gustav Droysen, Theodor Mommsen, Jacob Burckhardt, Robert von Pöhlmann und Eduard Meyer. Mit Einführungen von Karl Christ, (= Digitale Bibliothek Band 55), Berlin 2001 .
4 Es sind dies die Abschnitte "Die Griechen und ihr Mythus", "Staat und Nation", "Religion und Kultus", "Die Erkundung der Zukunft" und "Zur Gesamtbilanz des griechischen Lebens".
5 Die erhaltenen Hörernachschriften (eine Aufstellung ist JBW 19, S. 542-545 gegeben) zeigen, dass Burckhardt wohl aus Zeitmangel nicht das ganze Material im Vortrag verwenden konnte.
6 Von daher erklärt sich auch der Verzicht auf einen ausführlicheren exegetischen Kommentar und auf ein Verzeichnis der Sekundärliteratur zu Autor und Werk.