Die Versager verteidigen sich
Zwölf Jahre nach der Herbstrevolution haben ehemalige MfS-Angehörige die erste Analyse über den Staatssicherheitsdienst der DDR aus marxistisch-leninistischer Sicht vorgelegt. Es ist eine elfhundertseitige Verteidigungsschrift geworden, die auf den ersten Blick keine nennenswert neuen Erkenntnisse enthält. Das wird eingangs ausdrücklich betont: Die Autoren, elf Generäle und neun Obristen, "schweigen" - Ehrensache (S. 7). Doch bringt eine genauere Durchsicht interessante Zwischentöne zum Vorschein - neben den wohlbekannten Propagandaphrasen finden sich tatsächlich vereinzelt selbstkritische Gedanken besonderer Art.
Wie ein roter Faden zieht sich durch den Doppelband das Legitimationsproblem. Kaum einer der 19 Beiträge, in denen jeweils eine MfS-Diensteinheit vorgestellt wird, verzichtet eingangs auf eine ausführliche Erörterung gesetzlicher Grundlagen - Tenor: alles Rechtens; oder eben das, was in einer Diktatur rechtens ist: So wird wie selbstverständlich die Staatssicherheit als "Repressivorgan" vorgestellt, das "unzweifelhaft" zur "Unterdrückungsfunktion" der DDR gehört habe (S. 61). "Mit diesem repressiven Instrumentarium wurde, wenn erforderlich, Zwang und Druck ausgeübt, wurden individuelle Freiheitsrechte der Bürger eingeschränkt oder unterbunden" (S. 64). Doch bei konkreten Fällen wird weichgezeichnet. Zurecht hielt die Parteiführung dem MfS, wenn es ihr nützlich erschien, Gesetzesverletzungen vor, die nun sehr kleinlaut eingeräumt werden: "Im Nachgang kann wohl zugestanden werden, daß man ... nicht immer angemessen reagiert" habe (S. 146). Für die Anfang der fünfziger Jahre erfolgte Drangsalierung der Kommunisten Lex Ende oder Paul Merker wird die Verantwortung der SED zugeschoben: Das MfS sei "in innerparteiliche Auseinandersetzungen einbezogen und dafür mißbraucht" worden (S. 121). Kein Wort dazu, daß Mielke selbst erheblich an den "Säuberungen" steuernd beteiligt war, selbst die 2. KPD-Vorsitzenden Kurt Müller und Fritz Sperling bösartig und sadistisch vernommen hatte; kein Wort zu Entführungen und Ermordungen Mißliebiger, zu Justizlenkung und Korruption.
Ein Beschwernis eigentümlicher Art, das in vielen Beiträgen beklagt wird, ist das des Versagens (S. 216): Das MfS hat den Parteiauftrag nicht erfüllt, der "letztlich mit der bitteren Konsequenz durchgeführt" wurde, "die Beseitigung der DDR nicht verhindert zu haben" (S. 75). Daran sei nicht das MfS schuld, sondern die Partei. In dieser Hinsicht finden sich einige Anwürfe gegen die Partei und insbesondere Erich Honecker - nicht aber gegen Erich Mielke. Sie beklagen, daß das MfS "politische Defizite der SED-Führung zu kompensieren" hatte (S. 126) und mehr noch, daß Honecker die Berichte der Staatssicherheit ignoriert hat: "Dieses selbstgefällige Nichtzurkenntnisnehmen der Realitäten hat schließlich dazu geführt, was danach als 'Wende', als Einverleibung oder auch als 'Unterwerfung' bezeichnet wird" (S. 198).
Ein weiteres erfreuliches Versagen schieben die Autoren nicht der SED in die Schuhe: Die weithin gescheiterte Vernichtung von IM-Akten. Diese Unterlagen würden zur "Abrechnung, Rache und Vergeltung" genutzt, was "inzwischen mehr Todesopfer als die Mauer" gekostet habe. Es belaste sie "schmerzlich", die IM "nicht ausreichend geschützt zu haben" (S. 381). Darin erschöpft sich ihre Selbstkritik.
Die Fleißarbeit der ehemaligen Tschekisten genügt weder wissenschaftlichen Ansprüchen, noch knüpft es am aktuellen Forschungsstand an, der weitgehend ignoriert wurde. Es handelt sich lediglich um eine Verteidigungsschrift von Versagern.