Im letzten Jahr ist im Hamburger Ergebnisse-Verlag ein facettenreicher Sammelband erschienen, der sich endlich auch aus alltags- und sozialgeschichtlicher Perspektive der „Nachkriegspolizei“ sowohl in Ost- wie Westdeutschland widmet. Die Herausgeber des Bandes greifen die seit Anfang der neunziger Jahre verstärkt erhobene Forderung auf, historische Forschungen über die Polizei dürften nicht „auf der Ebene von Begriffen, Normen und Organisationserlassen stehen bleiben“. (S. 27) Vielmehr müssten handlungsorientierte, sozial- und geschlechtergeschichtliche Ansätze nutzbar gemacht werden, um somit „alle Aspekte institutionellen und personellen Wandels“ (ebenda) in den Blick zu nehmen. Diesem Anspruch verpflichtet, gelingt den 12 AutorInnen eine detailreiche Annä-herung an unterschiedliche Aspekte der deutsch-deutschen Polizeigeschichte in den ersten 25 Jah-ren nach Ende des Zweiten Weltkrieges, die nicht zuletzt die gängige These Falco Werkentins von der „Restauration“ der bundesdeutschen Polizei, differenziert, modifiziert und konkretisiert. Wäh-rend in der ersten Sektion des Bandes Kontinuitäten und Brüche in den organisatorischen und per-sonellen Strukturen der Polizeibehörden in Ost- und Westdeutschland im Mittelpunkt stehen, geht es im zweiten Teil um die polizeilichen Praktiken und Handlungsmuster sowie die daran geknüpf-ten Interaktionsverhältnisse mit dem Publikum.
Jeffrey S. Richter untersucht in seinem Beitrag die Maßnahmen zur „Entpolizeilichung“ der öffent-lichen Ordnung in der britischen Zone. Die Beseitigung verwaltungspolizeilicher Zuständigkeiten und die Eingrenzung des deutschen Polizeibegriffs auf Verbrechensvorbeugung und -bekämpfung sowie die Kontrolle der Sicherheitskräfte durch von Innenministerium und Kommunen unabhängige Polizeiausschüsse bedeutete eine grundlegende Neupositionierung der Polizei innerhalb des Staats-gefüges. Eine „Entpolizeilichung“ der Verwaltung scheiterte ebenso wie eine Dezentralisierung der Polizei nach britischem Vorbild. So kam auch in den neu entstandenen Ordnungsämtern der Städte und Gemeinden die mit weitgehenden Befugnissen versehene Generalklausel des preußischen Poli-zeiverwaltungsgesetzes von 1931 zur Anwendung. Demnach hatten die Eingriffshandlungen dieser Behörden z.B. gegenüber Obdachlosen oftmals weiterhin polizeilichen Charakter. Allmähliche nachhaltige Veränderungen in der deutschen Verwaltungspraxis resultierten Richter zufolge somit weniger aus den Reformbestrebungen der britischen Besatzungsmacht, als vielmehr aus den Anfor-derungen, die eine zunehmende Ausdifferenzierung der deutschen Gesellschaft mit sich brachte (vgl. S. 50).
Waren die Briten im Bereich der Polizei- und Verwaltungsreform nicht allzu erfolgreich, so blieben wie Frank Liebert und Stefan Linck zeigen, auch die Ergebnisse ihrer Entnazifizierungspolitik am-bivalent. Liebert rekonstruiert die verschiedenen Phasen dieser Maßnahmen am Beispiel der „politi-schen Säuberungen“ in der niedersächsischen Polizei zwischen 1945 und 1951. Die Briten befanden sich zunächst in einem Zielkonflikt: Einerseits war man um eine umfassende Entnazifizierung be-müht, andererseits benötigte die Militärverwaltung deutsches Personal um den Polizeidienst auf-recht zu erhalten. Folgten dem Einmarsch der britischen Truppen umfangreiche Verhaftungs- und Internierungsmaßnahmen, wurden ab September 1945 zahlreiche Personen wieder aus den Lagern entlassen. Einheitliche Entnazifizierungsrichtlinien existierten bis Januar 1946 nicht. Die (Wie-der)einstellung von Polizeibeamten durch deutsche Dienstsstellen war unter Aufsicht der britischen Behörden von Pragmatismus geprägt. Zu entscheidenden Kategorien avancierten Kriterien wie „Entbehrlichkeit“ oder das Verhalten im Alltag. Entlassungen aus politischen Gründen gab es zu diesem Zeitpunkt dagegen relativ selten. Zahlreiche Polizisten behaupteten, ihre Tätigkeit während des Nationalsozialismus sei lediglich „fachlich“ gewesen. Ab 1947 fanden die „politischen Säube-rungen“ ein allmähliches Ende. Das Gesetz zum Artikel 131 des Grundgesetzes vom April 1951, ermöglichte dann sogar ehemaligen Beamten des Reichsicherheitshauptamtes die Wiedereinstellung in staatliche Behörden. Dennoch möchte Liebert nicht von einem vollständigen Scheitern der Maß-nahmen sprechen: „Die Erfahrung einer zeitweiligen beruflichen Ausgrenzung und einer damit ver-bundenen sozialen Deklassierung nahm den Betroffenen nach ihrer Wiederaufnahme in den Poli-zeidienst offenbar den Antrieb zu politischer Betätigung im Sinne ihrer alten Überzeugungen“ (S. 102).
Stephan Linck beschäftigt sich in seinem Beitrag mit der „Personalpolitik der britischen Besat-zungsmacht gegenüber der deutschen Kriminalpolizei“ nach 1945 am Beispiel Schleswig-Holsteins. Auch er betont den Pragmatismus, der die Haltung der britischen Militärverwaltung kennzeichnete. Mehr noch: Linck korrigiert die gängige Vorstellung, zu einer „Restauration“ oder gar „Renazifizie-rung“ der Polizei sei es erst mit der Übernahme der Staatsgewalt durch die deutschen Länderregie-rungen gekommen. Vielmehr habe die britische Public Safety Branch (PSB) von vornherein eine relativ unkritische Haltung gegenüber der deutschen Kriminalpolizei und deren Praktiken während der Zeit des Nationalsozialismus eingenommen. Hauptanliegen der PSB war der Aufbau einer effi-zienten Polizeiorganisation, wofür auch und besonders die Kenntnisse der ehemaligen Mitarbeiter des Reichskriminalpolizeiamtes genutzt werden sollten. Die PSB unterlief unter Inkaufnahme offe-ner Konflikte mit dem FSS die alliierten Dezentralisierungspläne für die deutsche Polizei. „Durch diese Handlungsweise der PSB“ so Linck, „wurde nicht nur die Polizeireform hintertrieben, sondern die Grundlagen gelegt für die bereits 1947 beginnende ‚Renazifizierung‘ der deutschen Polizei“ (S. 121) unter deutscher Aufsicht. Wobei anzumerken ist, dass sich diese „Renazifizierung“ nicht nur in den personellen Kontinuitäten zeigte, sondern auch im Fortwirken eines „Ordnungsdenkens“ zum Ausdruck kam, „das die Ausgegrenzten der Gesellschaft zum Problem erhob, nicht aber die Aus-grenzung problematisierte“ (S. 127).
Erst seit dem Ende der fünfziger Jahre rückten diese personellen und ideologischen Kontinuitäten innerhalb der Sicherheitsbehörden verstärkt ins öffentliche Bewusstsein, wie Patrick Wagner an-hand der „Affäre um das Bundesamt für Verfassungsschutz“ (BfV) in den Jahren 1963/64 exempla-risch zeigt. Die Affäre spiegelte zum einen die Umbruchssituation am Ende der Ära Adenauer wi-der, die durch Auseinandersetzungen zwischen einem autoritären Staatsverständnis und einer zu-nehmenden Sensibilisierung für bürgerrechtliche Fragen gekennzeichnet war. Zum anderen offen-barten sich Veränderungen in den vergangenheitspolitischen Debatten, regte sich doch Unmut über die Beschäftigung ehemaliger Mitarbeiter nationalsozialistischer Terrororganisationen im öffentli-chen Dienst. War die Tätigkeit früherer Gestapo- und SD-Beamten für das BfV noch Mitte der fünfziger Jahre kein Thema das größere Empörung hervorrief, empfand man diesen Zustand im Kontext publik gewordener rechtlich fragwürdiger Bespitzelungspraktiken des BfV nun äußerst bedrohlich. Dass sich die Verhältnisse beim BfV im Jahr 1963 zu einer viel diskutierten Affäre ausweiten konnten führt Wagner auf das Zusammentreffen mehrerer Faktoren zurück. So hatte die Spiegel-Affäre auf die Gefahren des Missbrauchs staatlicher Gewalt h aufmerksam gemacht. Dar-über hinaus wurden im Jahr 1963 innerhalb weniger Monate zahlreiche ehemalige Gestapo- und SD-Mitarbeiter in führenden Positionen bundesdeutscher Sicherheitsbehörden „entdeckt“. Ein Um-stand der auch deshalb Beachtung fand, weil sich spätestens mit dem Eichmann-Prozess in Jerusa-lem 1961 das Bild des NS-Täters zu wandeln begann. Als Träger des nationalsozialistischen Terrors wurde nun vor allem der „Schreibtischtäter“ identifiziert, der seine mörderische Tätigkeit unauffäl-lig in den Amtsstuben der Behörden verrichtete.
War die Entnazifizierung in der britischen Zone stark von pragmatischen Gesichtspunkten geprägt, so stellte sich im Vergleich dazu die polizeiliche Personalpolitik in der sowjetischen Besatzungszo-ne anders dar, wie Herbert Reinke in seinem Aufsatz über die „Anfänge der Volkspolizei in den sächsischen Großstädten Leipzig und Dresden“ zwischen 1945 und 1947 nachweist. Die Entwick-lung der Polizei in diesen beiden Städten „reflektiert“, so Reinke, „eine doppelte Polizeierfahrung“ (S. 67), die aber durchaus für die gesamte SBZ charakteristisch war. Demnach stand auf der einen Seite „das Bemühen, unter den Bedingungen der unmittelbaren Nachkriegszeit Ordnung und Si-cherheit im hergebrachten Sinne zu gewährleisten“ Auf der anderen Seite „bestanden die Aufgaben der Polizei [...] darin, die aufzubauende ‚antifaschistisch-demokratische‘ Ordnung in der sowjeti-schen Besatzungszone zu sichern“ (ebenda). Das letztgenannte Ziel sollte u.a. durch eine umfassen-de Entnazifizierung des Polizeiapparates erreicht werden. Tatsächlich hatte man bis zum Ende des Jahres 1945 das Personal der Polizei in Sachsen fast komplett ausgetauscht Diese Maßnahmen brachten freilich etliche Probleme mit sich: Die personelle Fluktuation war hoch, die Ausbildung der neu eingestellten Beamten schlecht. In manchen Bereichen vollzogen sich jedoch auch in der SBZ die Umgestaltungen nicht allzu schnell. So wurde etwa in Sachsen lange Zeit das Polizeiver-waltungsgesetz von 1931 weiterhin gewohnheitsrechtlich angewandt. Ebenso blieb das Reichsstraf-gesetzbuch die Rechtsgrundlage auf dem polizeiliches Handeln erfolgte. Die Indienstnahme der Polizei für den Aufbau einer neuen politischen und sozialen Ordnung zeigte sich darüber hinaus in der Definition „neuer Methoden der Kriminalität“. Polizisten u.a. sollten der Verbreitung „übler Gerüchte“ entgegentreten, die angeblich das „deutsche Volk“ und das „sowjetische Volk“ schädig-ten.
Ursula Nienhaus und Richard Bessel widmen sich in ihren Beiträgen innerpolizeilichen Reforman-sätzen in Ost- wie Westdeutschland, die aber gleichermaßen weitgehend scheiterten. Gemeint sind die Versuche in den vierziger Jahren die Männerdomäne „Polizei“ auch für Frauen zu öffnen. Nien-haus beschreibt in ihrem Aufsatz über „Weibliche Polizei in Berlin 1945-1952“ wie die von den Alliierten durchaus geförderte Beschäftigung von Polizistinnen fortwährenden Vorbehalten der männlichen Beamten ausgesetzt war. Neben den „klassischen“ Aufgaben der Weiblichenkriminal-polizei (WKP) - die Betreuung „verwahrloster“ Jugendlicher oder weiblicher Opfer sexueller Ge-walt - sah darüber hinaus ein Beschluss des Alliierten Kontrollrates vom Juli 1945 auch die Be-schäftigung von Frauen in anderen polizeilichen Bereichen vor. Zahlreiche männliche Beamten verhielten sich gegenüber diesen Plänen von Anfang an abweisend und scheuten sich nicht davor selbst die dümmlichsten Klischees über die angeblich „natürlichen“ Eigenschaften der Frauen he-ranzuziehen, um gegen die vermeintlich drohende weibliche Konkurrenz zu argumentieren. Den-noch waren im März 1947 in allen vier Berliner Sektoren insgesamt über 350 uniformierte Beam-tinnen tätig. Im Zuge der „Kalten Krieges“ und einer damit einhergehenden Militarisierung der Po-lizei wurde allerdings - vor allem in West-Berlin - die Bedeutung der weiblichen Schutzpolizei im-mer stärker zurückgedrängt.
Eine Entwicklung die auch in Ostdeutschland zu beobachten war. Richard Bessel weist in seinem Aufsatz über „Volkspolizistinnen in der SBZ und frühen DDR 1945-1952“ darauf hin, dass die Be-strebungen in der sowjetisch verwalteten Zone Frauen für den Dienst bei der Polizei zu gewinnen, wesentlich intensiver verliefen als in den westlichen Zonen. Bessel erinnert in diesem Zusammen-hang daran, dass ausgehend von den demographischen Geschlechterverhältnissen, die Gesellschaft der SBZ in der unmittelbaren Nachkriegszeit vermutlich die „weiblichste“ in ganz Europa war (vgl. S. 155f.). In der Volkspolizei stellten, die Polizistinnen, Ende der vierziger Jahre knapp ein Sechstel des Gesamtpersonals. Zwar wurde die Einstellung von Frauen in die Polizei offiziell als wichtige Maßnahme zur Gleichberechtigung der Geschlechter gefeiert, im polizeilichen Alltag konnte davon jedoch nicht die Rede sein. Ähnlich wie die Schutzpolizistinnen in Berlin, sahen sich auch die Volkspolizistinnen den Ressentiments ihrer männlichen Kollegen ausgesetzt. Darüber hinaus erreg-ten die weiblichen Angestellten den Unmut der SED-Ideologen, da diese „eine gewisse Naivität und Uninteressiertheit“ an den Tag legen würden und aus diesen Gründen besonders schwierig „weltan-schaulich zu schulen“ seien (zit. nach S. 165). Die zunehmende Politisierung und Militarisierung der Polizei in der SBZ/DDR schwächte die Position der Frauen, die, so das Fazit von Bessel, trotz aller anderslautenden Rhetorik „in der Rolle einer Hilfstruppe für die Männer“ (S. 167) blieben.
In der zweiten Sektion des Bandes stehen die Interaktionsverhältnisse und Beziehungsgeflechte zwischen Polizei und Gesellschaft im Mittelpunkt des Interesses. Alle fünf Beiträge verdeutlichen, dass sich die Polizei in einem Kräftefeld bewegt, das zum einen von den Wahrnehmungen und An-sprüchen des Publikums, zum anderen aber von den Selbstbildern der handelnden Polizisten bzw. Polizistinnen geprägt ist. Ein Bereich, in dem sich in der Nachkriegszeit diese Aushandlungsprozes-se in besonderem Maße zeigten, war der Straßenverkehr. Gerhard Fürmetz beschreibt ausgehend von Thomas Lindenbergers Überlegungen zur „Straßenpolitik“ in seinem Beitrag „Polizei und Ver-kehrsdisziplin in Bayern zwischen Kriegsende und beginnender Massenmotorisierung“ wie sich der „Konfliktort Straße“ (S. 199) zu einem zentralen Tätigkeitsfeld polizeilicher Alltagsarbeit entwi-ckelte. In dem enormen Mobilitätsschub der Nachkriegszeit, der seinen Ausdruck auch in rück-sichtslosem Fahrverhalten fand, offenbarten sich bestimmte Bedürfnisse, Erfahrungen und Mentali-tätslagen. Jegliche Form der Einschränkung in diesem Bereich wurde als obrigkeitsstaatliche Gän-gelung aufgefasst. Der Freiheitsdrang der Verkehrsteilnehmer kollidierte allerdings mit dem Ord-nungswillen einer sich neu konstituierenden Polizei. In diesem Konflikt wurden die tatsächlichen Verkehrsregeln „zwischen den Akteuren im Stile eines Tauziehens ausgehandelt“ (S. 228). Um ih-ren Autoritätsanspruch durchzusetzen griffen die Polizeibehörden mancherorts zu drastischen, oft-mals rechtswidrigen Maßnahmen. Seit 1948 wandelten sich allerdings die Strategien der Verkehrs-überwachung. Beeinflusst durch amerikanische Re-Orientation-Programme, setzte die Polizei nicht mehr nur auf repressive Methoden, sondern versuchte an die Vernunft der Verkehrsteilnehmer zu appellieren. Diese zweigleisigen polizeilichen Vorgehensweisen verfestigten sich in den fünfziger Jahren. Hierbei setzte die Polizei verstärkt auf Kooperationen mit „zivilen“ Institutionen wie etwa den Verkehrswachten.
Initiativen, die Polizei mit anderen gesellschaftlichen Akteuren zu vernetzen, gab es aber nicht nur in der Bundesrepublik, sondern in besonderem Maße auch in der DDR. Thomas Lindenberger be-fasst sich in seinem Aufsatz über die „Volkspolizei und ihre enge Verbindung zur Bevölkerung 1952-1965“ mit den organisierten „Freiwilligen Helfern“ der Volkspolizei. Dem Polizeiverständnis der DDR zufolge durften sich polizeiliche Tätigkeiten nicht auf Gefahrenabwehr und Strafverfol-gung reduzieren, vielmehr ging es darum in enger Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Behörden und Parteiorganisationen präventiv disziplinierend und erziehend auf die Gesellschaft einzuwirken. Der Staat sollte wie eine „Vater“ handeln, der seine „Kinder“ umsichtig an neue Aufgaben heran-führt (vgl. S. 232). Die „Freiwilligen Helfer“ nahmen in diesem Konzept eine „symbolische Schlüs-selfunktion“ (S. 230) ein. Zu einem der wichtigsten Tätigkeitsfelder der bis zu 150.000 „Freiwilli-gen Helfer“ avancierte die „diskrete“ und kleinräumige Bespitzelung der Bevölkerung. Die Arbeit orientierte sich an alltäglichen Anforderungen: Die Einhaltung der Sauberkeit in den Wohnvierteln, die Überwachung vermeintlich unangepasster Jugendlicher oder die Kontrolle von Gaststätten in Kooperation mit der Volkspolizei. Besonders der „Gaststättenkontrolle“ kam eine zentrale Bedeu-tung zu. Zum einen bot dieser öffentliche Raum der Polizei seit jeher die Gelegenheit „potentiell gesetzwidrige Verhaltensweisen zu identifizieren, zu überwachen und zu bekämpfen“ sowie „an informellen sozialen Beziehungen beobachtend teilzunehmen“ (S. 252). Zum anderen war die „Gaststättenkontrolle“ aber auch ein Tätigkeitsfeld, in dem die offiziell angestrebte tendenzielle Verschmelzung von Bevölkerung und Staatsgewalt auf der untersten gesellschaftlichen Ebene prak-tische, wenn auch „eigen-sinnige“ Züge annahm.
Die Überwachung unangepasster Jugendlicher war aber nicht nur eine Aufgabe für die „Freiwilli-gen Helfer“ der Volkspolizei in der DDR. Auch in der Bundesrepublik stellten sich die Frage wel-che Formen der polizeiliche Umgang mit Jugendlichen annehmen sollte. Mit den Brüchen und Kon-tinuitäten in diesem Bereich beschäftigt sich Tobias Mulot in seinem Beitrag über „Polizistinnen und Polizisten und ihrem Umgang mit Jugendlichen im Zweiten Weltkrieg und in der Nachkriegs-zeit 1939-1952“. Waren die jugendfürsorgerischen Zuständigkeiten der Polizei während der Wei-marer Republik zwar nicht beseitigt, so doch aber beschränkt worden, erhielten die Polizeibehörden in der Zeit des Nationalsozialismus eine Fülle zusätzlicher Befugnisse. Alltägliche Formen von ab-weichendem Verhalten wurden mit drastischen Strafen belegt. Nach dem Zusammenbruch des nati-onalsozialistischen Regimes lösten die Alliierten polizeilichen Jugendschutzlager auf und be-schränkten die Kompetenzen der Polizei. Mulot betont allerdings, dass damit keinesfalls die Versu-che der „Polizierung“ entfielen. So führten die Jugendämter detaillierte Karteien über Jugendliche, die sich vermeintlich oder tatsächlich gesetzeswidrig verhalten hatten. Mulot beschreibt die Verla-gerung der Befugnisse von der Polizei hin zu den Jugendämtern anknüpfend an die Überlegungen von Foucault als einen Austausch unterschiedlicher Disziplinarinstanzen (vgl. S. 274). Die Vorstel-lungen von und die Drohungen mit der Polizei als erzieherischer Institution blieben jedoch bis in die Gegenwart erhalten.
Einem spektakulären Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte widmet sich Thomas Grotum in sei-nem Aufsatz über „Polizei und Halbstarkenkrawalle in Niedersachsen 1956-1959“. Allein in den Jahren 1956/1957 registrierten die Polizeibehörden in der Bundesrepublik 81 sogenannte „Jugend-exzesse“. Die Polizei avancierte für diese Jugendlichen gleichermaßen zum „Angst- als auch zum Hassgegner“ (S. 291). Ansammlungen von „Halbstarken“ wurden oftmals unter Einsatz des Gum-miknüppels aufgelöst. Auch in Niedersachsen stand die Polizei diesem neuen gesellschaftlichen Phänomen zunächst ratlos gegenüber. Dabei verfügte das Bundesland über spezielle polizeiliche Jugendschutzdienststellen, die national, aber auch international große Anerkennung erfahren hatten. In den Dienststellen waren Mitarbeiterinnen der WKP und Jugendsachbearbeiter, mit der Verfol-gung und Vorbeugung von Jugendkriminalität befasst. Im Kollegenkreis wurden diese Beamtinnen und Beamten, die offenbar nicht den polizeilichen Selbstbildern von Männlichkeit und Härte ent-sprachen allerdings oftmals als „Kindergarten-Kriminalisten“ verspottet (zit. nach S. 281). Die Re-aktionen auf die „Halbstarkenkrawalle“ fielen in Niedersachsen ambivalent aus und ließen erken-nen, dass das „Wechselspiel von Hilfe und Sozialdisziplinierung, das bereits zu Beginn des Jahr-hunderts bei der Jugendfürsorge deutlich hervorgetreten war, auch als bewusst eingesetztes Mittel während der fünfziger Jahre“ eingesetzt wurde (S. 300). Zwar gab es bei der Polizei durchaus Stimmen, die Zwangsmaßnahmen für ungeeignet hielten, kohärente weniger repressive Konzepte wurden aber nicht entwickelt. Auch die Jugendschutzdienststellen hielten überwiegend an ihren autoritären Praktiken fest.
Um Protest, Männlichkeitsvorstellungen und polizeiinterne Konflikte geht es auch im letzten Auf-satz des Bandes. Klaus Weinhauer beschreibt die „Studentenproteste und die Krise der westdeut-schen Schutzpolizei in den sechziger Jahren“. Die oftmals konfrontativ verlaufenden Demonstratio-nen offenbarten eine „doppelte Krise“ der Schutzpolizei die nicht nur die traditionellen Einsatztak-tiken in Frage stellte, sondern auch „die Machtverhältnisse zwischen Führungsbeamten [...] und ihren Untergebenen zumindest zeitweise destabilisiert(e)“ (S. 304). Angesichts der provokanten Auftretens der Studenten, fühlten sich zahlreiche Beamte überfordert und reagierten auf diese Her-ausforderungen mit autoritären, aggressiven und gewalttätigen Handlungsmustern. Zudem bildete sich vor allem unter Angehörigen der geschlossenen Bereitschaftspolizeiverbände kameradschaftli-che Bindungen, die sich nach außen abschotteten und moralische Eigengesetzlichkeiten entwickel-ten. Den Vorgesetzten schlug in diesem Zusammenhang oftmals Misstrauen entgegen, da diese zum einen angeblich nicht für ihre Befehle einstanden, zum anderen für eine vermeintlich zu „lasche“ Einsatztaktik gegenüber den protestierenden Studenten verantwortlich waren. Auf die Zusammen-hänge zwischen Dienstalltag und dem (überharten) Einschreiten bei Demonstrationen wurde poli-zeiintern bereits Ende der sechziger bzw. Anfang der siebziger Jahre hingewiesen. Ebenso setzte sich die Erkenntnis durch, dass ein größeres Maß an Kommunikation innerhalb des Polizeiapparates sowie eine Eigenverantwortung der Beamten zu flexibleren Handlungsmustern führen könne. Zu grundlegenden Reformen kam es in der Folgezeit jedoch nicht. Für die höher positionierte Polizei-beamte blieb der Alltag auf den Dienststellen eine „black box“ (S. 322).
Der Sammelband liefert einen anregenden Einblick in die aktuellen alltags- und sozialgeschichtlich motivierten Forschungen zur Nachkriegspolizei in Deutschland. Hervorzuheben ist, dass in vielen Beiträgen die starren Epochengrenzen überschritten und auf diese Weise Kontinuitäten und Brüche polizeilicher Selbstbilder und Handlungsmuster deutlich werden. Die Beschreibung und Analyse der Interaktionsverhältnisse zwischen Polizei und Publikum liefert nicht nur Erkenntnisse für eine spezialisierte Polizeigeschichte, vielmehr ist mit diesem Ansatz auch einiges über Mentalitäten, Wahrnehmungen und Bedürfnisse anderer gesellschaftlicher Akteure zu erfahren. Der Sammelband dürfte somit nicht nur für Polizeihistoriker interessant sein. Unbefriedigend ist lediglich, eine ge-wisse „regionale Einseitigkeit“ der Beiträge über die polizeiliche Entwicklung in Westdeutschland. Insofern verspricht der Titel des Bandes mehr als er (ent)hält. So wird der institutionelle und perso-nelle Wandel der Polizei ausschließlich für die britische Zone und im Hinblick auf die weibliche Polizei für Berlin beschrieben. Die (ehemalige) amerikanische Zone rückt lediglich in einem Auf-satz in den Mittelpunkt, die Polizeipolitik in der französischen Zone bleibt vollkommen unberück-sichtigt. Da der Band, wie die Herausgeber bemerken, nach jahrelangen Planungen „gleichsam ‚auf dem Reißbrett‘“ entstanden ist (S. 33), wäre dieses Manko vielleicht vermeidbar gewesen. Anderer-seits: Die Forschungslage zur Polizei in der amerikanischen und französischen Zone ist relativ dünn und somit den Herausgebern nicht zum Vorwurf zu machen. Insofern liefern die fehlenden ebenso wie die vorhandenen Beiträge Sammelbandes zahlreiche Anregungen für weitere Forschungen zur Nachkriegspolizei.