M. Pfrommer: Alexander der Große

Cover
Titel
Alexander der Große. Auf den Spuren eines Mythos


Autor(en)
Pfrommer, Michael
Reihe
Antike Welt, Sonderband
Erschienen
Mainz am Rhein 2001: Philipp von Zabern Verlag
Anzahl Seiten
122 S.
Preis
€ 34,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine Müller, Geschichts- und Kulturwissenschaften, Justus-Liebig-Universität Gießen

Es ist die Intention des Archäologen Michael Pfrommer, in dem reich bebilderten Band den Mythen und Legenden um Alexander den Großen nachzugehen und "ihr Spiegelbild in der Kunst der Antike" (S.3) aufzuzeigen. Wie im Vorwort angekündigt geht es Pfrommer vorrangig um Kunst und Propaganda, es soll jedoch auch der historische Kern der Mythen ergründet werden.

Im ersten Kapitel werden zur Einführung die bedeutendsten historischen Ereignisse in der Laufbahn des Makedonenkönigs knapp umrissen, von seinen Jahren als Kronprinz in Pella bis zu seinem Tod als Herrscher über Asien in Babylon. Pfrommer zeichnet das in der älteren Forschung gängige, vor allem von Schachermeyr geprägte Bild Alexanders als eines Genius, Dämonen und Titanen,1 dessen Leistungen über das Menschliche hinausgingen, "Lichtgestalt und Monster in einem" (S. 4), ein Genie, das nie zu straucheln schien, und dessen Mythos 338 v.Chr. in Chaironeia mit seiner militärischen Bewährung, dem Angriff auf die Heilige Schar Thebens, geboren wurde (S. 22).

Trotz aller Anschaulichkeit der Schilderung fehlt die Auseinandersetzung mit der neueren Forschung, die das von politischen Zeitbezügen verzerrte Portrait des Heroen und Welteroberers Alexander in den letzten Jahrzehnten ins rechte Licht gerückt und sich seiner historischen Person angenähert hat. Vor allem den Untersuchungen von Wirth ist ein differenziertes Alexanderbild zu verdanken, das den Makedonenkönig als einen zu Improvisationen gezwungenen Hasardeur zeigt, der sich nur unter großen Schwierigkeiten gegen eine starke Opposition als Thronfolger durchsetzen konnte und in den Anfängen seiner Regierung auf die Unterstützung der mächtigen makedonischen Adelsfamilien angewiesen war, von deren Einfluss er sich nur allmählich emanzipieren konnte.2 Die Opposition hatte auf verschiedenen Ebenen während Alexanders gesamter Regierungszeit Bestand; Pfrommers Postulat, der König habe in Babylon alles unter Kontrolle gewusst (S. 13), widerspricht dem in den Quellen geschilderten Zustand der Entfremdung Alexanders von seinem Heer und seinen Offizieren, die sich in der Verweigerungshaltung der kriegsmüden Truppen am Hyphasis und in der Meuterei von Opis äußerte und auf eine praktische Isolierung Alexanders in seiner letzten Lebenszeit hinauslief.3

Der programmatische Titel des ersten Kapitels, "Das Staunen der Welt", weist auf die Parallele hin, die Pfrommer zwischen Alexander und Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen zieht, der von seinen Zeitgenossen in einer Mischung aus Ehrfurcht und Unverständnis als Stupor mundi tituliert wurde. Zweifelhaft erscheint dieser Vergleich vor allem in Anbetracht der diplomatischen Leistung des Staufers, in seinen Verhandlungen mit dem Sultan von Ägypten ohne kriegerischen Einsatz und Blutvergießen Jerusalem, Bethlehem und Nazareth zurückzugewinnen. Alexander hingegen vermochte sich nur mit militärischer Gewalt und Terror in Persien durchzusetzen.

Im zweiten Kapitel beschäftigt sich Pfrommer mit der Tradition um Alexanders Gottessohnschaft und setzt sich neben der Ammonssohnschaft Alexanders, die im Hauptkanon der Quellen zur Geschichte des Makedonenkönigs erwähnt wird, auch mit der weniger geläufigen Nektanebos-Alexanderlegende auseinander. Im Zusammenhang mit Alexanders in den Quellen wie in der Forschung stark umstrittenen Verleugnung Philipps als seines leiblichen Vaters spekuliert Pfrommer mit einer Beteiligung Alexanders und seiner Mutter an dem Attentat auf Philipp und entwirft dabei ein abstoßendes Bild von Olympias als einer herrschsüchtigen, brutalen, eifersüchtigen und skrupellosen Intrigantin, das noch von der älteren Forschung vertreten, in neueren Untersuchungen von Carney jedoch als unzutreffendes, frauenfeindliches Zerrbild entlarvt worden ist.4

Auch bei der Aufschlüsselung des Ursprungs der Legenden um die Ammonssohnschaft, Alexanders Orakelbesuch in der Oase Siwah 331 v.Chr., wäre eine differenziertere Darstellung mit dem Hinweis auf die anhaltende und vielfältige Forschungsdebatte über seine tatsächlichen oder vermeintlichen Vergöttlichungsambitionen wünschenswert gewesen, um dem historischen Kern des Mythos gerecht zu werden. Dabei ist besonders auf Kraft zu verweisen, der plausibel nachgewiesen hat, dass Alexanders Besuch von Siwah allein dem Wunsch zuzuschreiben war, vor der großen Entscheidungsschlacht gegen Dareios das Orakel nach seiner Zukunft zu befragen, und dass sich aus der traditionellen Begrüßung durch den Priester, der Alexander in seiner Position als ägyptischer Pharao gemäß der offiziellen Titulatur als Sohn des Ammon ansprach, keine Konsequenzen in Gestalt einer besonderen kultischen Verehrung des Ammon oder einer öffentlichen Propagierung seiner Gottessohnschaft ergaben.5

Im dritten Kapitel geht Pfrommer anhand bildlicher Quellen wie dem Alexandermosaik in der Casa del Fauno, mit dessen Chronologie und Komposition er sich schon 1998 in einer Veröffentlichung befasst hatte,6 der Frage nach, wie Alexander selbst von der Öffentlichkeit gesehen werden wollte, was sich aufgrund der fehlenden zeitgenössischen Kunstwerke jedoch als schwierig erweist. Ob die von Plutarch erwähnten "schwimmenden Augen" Alexanders, sein sehnsüchtiger und "schmelzender" Blick, tatsächlich auf seinen Alkoholmissbrauch zurückgeht, wie Pfrommer mutmaßt (S. 46), oder nicht viel eher einer symbolischen Darstellung Plutarchs zuzuschreiben ist, soll dahingestellt bleiben.

Im vierten Kapitel beschäftigt Pfrommer sich mit der Schlachtentaktik des makedonischen Heeres und zeigt in überzeugender Weise auf, dass das berühmte Alexandermosaik eine "salomonische Sicht" zeige (S. 70), indem es die beiden unterschiedlichen Traditionen zu Dareios' Rolle in der Schlacht von Issos und seinem Kampfverhalten allgemein verbindet. Während die offizielle Version, überliefert von Arrian nach den Schriften der Zugteilnehmer Aristobul und Ptolemaios, den Großkönig als flüchtenden Feigling abqualifizierte, schilderte ihn die Vulgata, besonders Diodor, wesentlich positiver und berichtete auch über einen Zweikampf mit Alexander, bei dem der Makedonenkönig eine Schwertwunde davontrug.

Im fünften Kapitel wird Alexander "ritterlich und erbarmungslos" gezeigt, einerseits ritterlich gegenüber den gefangenen persischen Frauen der großköniglichen Familie, andererseits erbarmungslos gegenüber seinen Kritikern wie Parmenion, Philotas und Kleitos, die für ihre oppositionelle Haltung mit dem Leben büßen mussten. Das politische Motiv, sowohl für die Milde gegenüber der Königsfamilie wie für die Härte gegenüber der Opposition, wird deutlich hervorgehoben, doch wäre hier eine eingehendere Auseinandersetzung mit den variierenden Quellenaussagen gerade zu dem bedeutenden Ereignis des Philotasprozesses wünschenswert gewesen. Die von Pfrommer paraphrasierte Version des Curtius Rufus hat zu Recht in der neueren Forschung den Argwohn geweckt, durch Rhetorik und Tyrannentopik verzerrt zu sein. Devine wies so auf eine deutliche und kaum unbeabsichtigte Parallele in Alexanders intriganten Verhalten gegenüber Philotas zu Tiberius' nicht minder intrigantem Verhalten gegenüber Seianus hin.7

Das sechste Kapitel ist Alexanders letzter Regierungsphase nach dem Indienzug gewidmet, aus dem er Pfrommer zufolge als "sein eigener Mythos" zurückkehrte, sich auf eine Herrschaft stützen konnte, die unangefochten stand, und weder einen Aufstand noch andere Schwierigkeiten befürchten musste (S. 78). Dieser Einschätzung seien die Aussagen von Plutarch und Arrian zur Verfassung des Alexanderreiches 325/24 v.Chr. gegenübergestellt: Plutarch zufolge regte sich überall Widerstand und Unruhe, und Arrian konstatiert einen ernsthaften Autoritätsverlust Alexanders durch seinen lange Abwesenheit in Indien.8 De facto beruhte Alexanders Mythos darauf, bei seinem Zug in Indien weiter als Dionysos gekommen zu sein, im Gegensatz zu Herakles den Aornos bezwungen und sich in der Gedrosischen Wüste einem mythischen Wettkampf gegen Semiramis und Kyros gestellt zu haben, nicht jedoch auf einer vermeintlich unangefochtenen Herrschaft, deren Schilderung im Widerspruch zur Quellenevidenz steht.

Die letzten beiden Kapitel gelten dem Nachleben des Makedonenkönigs, seinem postumen Staatskult und seiner Grablegung in Ägypten sowie dem Alexanderbild in Rom. Pfrommer beschreibt treffend die Ambivalenz des römischen Urteils, das einerseits von Bewunderung für den Eroberer geprägt war, die in der Imitatio Alexandri von Feldherren wie Pompeius und Caesar und Kaisern wie Augustus, Nero oder Caracalla ihren Ausdruck fand. Andererseits herrschte eine negative Haltung gegenüber Alexander vor, die in den Schriften von Justin, Seneca, Livius und Lukan zum Ausdruck kommt, indem sie ihn als entarteten, durch Fortuna und Luxus korrumpierten Tyrannen schilderten.

Pfrommers Veröffentlichung ist dann überzeugend, wenn es um die Auswertung seiner bildlichen Quellen geht; der Vorsatz, dem historischen Kern der Mythen und Legenden auf den Grund zu gehen, wird indes durch das Tradieren von älteren und meist überholten Forschungsmeinungen erschwert. Zudem bleibt die Antwort auf die Grundfrage unklar, wann die Legendenbildung einsetzt und inwieweit bedeutende Ereignisse der Alexandergeschichte dem Mythos oder der historischen Realität zuzuschreiben sind; zu unentschlossen schwankt die Schilderung zwischen der Nacherzählung von Legenden und einem historischen Überblick. Da Alexander selbst zu seiner Mythisierung und heroischen Überhöhung beigetragen hat, gestaltet es sich zweifelsohne schwierig, zwischen Mythos, Propaganda und Historie zu trennen. In welchem Maße mit der Legende zu rechnen ist, bleibt auch nach der Lektüre des Bandes ein Rätsel.

Anmerkungen

1 Schachermeyr, F.: Alexander der Große. Ingenium und Macht, Graz / Salzburg / Wien 1949; ders.: Alexander der Große. Das Problem der Persönlichkeit seines Wirkens, Wien 1973.
2 Wirth, G.: Studien zur Alexandergeschichte, Darmstadt 1985, 168-203; ders.: Der Brand von Persepolis. Folgerungen zur Geschichte Alexanders des Großen, Amsterdam 1993.
3 Vgl. Badian, E.: Alexander the Great and the loneliness of power, in: Journal of the Australasian Universities Language and Literature Association 17 (1961), S. 80-91. "Alexander illustrates with startling clarity the ultimate loneliness of supreme power." (S. 91).
4 Carney, E. D.: Olympias, in: Ancient Society 18 (1987), S. 35-62; dies.: Olympias and the image of the virago, in: Phoenix 47 (1993), S. 29-55. "It is time to recognize the witchy, bitchy caricature of Olympias we have inherited from antiquity as the antique it is and put it where it belongs - in the attic." (S. 55)
5 Kraft, K.: Der "rationale" Alexander (Frankfurter Althistorische Studien 5), Kallmünz 1971, 43-67.
6 Pfrommer, M.: Untersuchungen zur Chronologie und Komposition des Alexandermosaiks auf antiquarischer Grundlage, Mainz am Rhein 1998.
7 Devine, A. M.: The Parthi, the tyranny of Tiberius and the date of Q. Curtius Rufus, in: Phoenix 33 (1979), S. 142-159. "It is clear ... that Curtius has used Alexander as a 'whipping boy' for Tiberius." (S. 157).
8 Plut. Alex. 68,2-3; Arr. 7,4,2-3.

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