Vergleichende Studien haben ohne Zweifel besonderen Anspruch und besonderen Reiz, da sich das jeweils Charakteristische der Vergleichsobjekte aus der Gegenüberstellung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden außerordentlich prononciert herausstellen lässt. Das Motiv für den Vergleich konstituiert sich in der Regel aus vermuteten oder tatsächlichen Analogien bzw. Affinitäten, die dann einer näheren, verifizierenden oder falsifizierenden Betrachtung unterzogen werden.
Raoul Zühlke folgt diesem Muster nur teilweise, indem er zwar beide Untersuchungsobjekte bestimmten Fragestellungen unterzieht, aber die Bevorzugung gerade von Bremen und Riga offenbar weitgehend auf Zufälligkeit basiert. „Ein differenzierteres, weniger ausschließlich auf die Interessen und die Politik Lübecks konzentriertes Bild hansischer Geschichte zu zeichnen“ (S. 2) und dabei neben „verfassungsrechtlichen vor allem geographische Aspekte“, d.h. hier die Bedeutung der Flusslagen beider Städte „für die Struktur der städtischen Systeme“ (S. 4) in den Vordergrund des Interesses zu stellen, rechtfertigt die Auswahl von Bremen und Riga allenfalls bedingt. Hansische Seehäfen mit gleichzeitiger Flusslage stehen außerhalb von Lübeck in ausreichender Zahl zur Verfügung (z.B. Hamburg/Elbe, Rostock/Warnow, Stettin/Oder, Danzig/Mottlau, Königsberg/Pregel), auch wenn sie im Unterschied zu Bremen und Riga – mit Ausnahme von Hamburg bis 1074 – eines nicht aufwiesen: Sie waren kein Erzbistumssitz, aus dem Raoul Zühlke im Übrigen ausschließlich (!) die ansonsten nicht weiter reflektierte Metropolen-Bezeichnung für Bremen und Riga ableitet (S. 4). Die genannten Städte im sogenannten Kolonisationsgebiet an der südlichen Ostseeküste aber wurden etwa zur gleichen Zeit wie Riga (1201) mit Stadtrecht bewidmet (Rostock 1218, Stettin 1243, Danzig 1236, Königsberg 1300) und hätten somit die Stelle der einen Vergleichsstadt einnehmen können, die im Altsiedelland an der Nordsee gelegene Stadt Hamburg unter Umständen die Stelle der anderen. Freilich ist einzuräumen, dass dann die signifikante West-Ost-Varianz der relativ nah an den westlichen (Brügge, London, Bergen) bzw. östlichen Außenkontoren der Hanse (Nowgorod) befindlichen Vergleichsstädte nicht widergespiegelt worden wäre. Allerdings scheinen solche Überlegungen für die Auswahl der Untersuchungsobjekte eben so wenig von Bedeutung gewesen zu sein wie eine Berücksichtigung des Ursprungs der jeweiligen Stadtrechte: Rostock erhielt lübisches Recht, Stettin Magdeburger Recht, Danzig und Königsberg Kulmer Recht, während Riga bisweilen der Status einer Rechtstochter Hamburgs zugewiesen wird. 1 So viel an sich auch für einen Vergleich von Bremen und Riga spricht, so lässt die fehlende Reflexion der vorstehend aufgeführten Aspekte diesen im Licht der Beliebigkeit erscheinen. Darüber hinaus hätten weitere Aspekte eine Begründung für die letztendlich getroffene Auswahl notwendig gemacht: „In keiner anderen nordwestdeutschen Stadt läßt sich nämlich sonst eine so selbstbewußte und einflußreiche Bürgerversammlung [wie in Bremen] feststellen“ (S. 44). Riga „war eine der am weitesten vom alten Siedlungsgebiet entfernt liegenden deutschen Stadtgründungen“ (S. 67), Riga adaptierte zwischen 1279 und 1294 das Hamburgische Recht von 1270 (S. 152) und im vierten Abschnitt des Bremer Stadtrechts von 1303/08 stimmt eine größere Artikelzahl fast wörtlich mit dem Hamburger Ordelbook von 1270 überein (S. 106).
Ungeachtet dessen nimmt Raoul Zühlke seine Untersuchung vor. Sie gliedert sich in zwei Teile, d.h. einen chronologischen und einen systematischen Vergleich. Ersterer will „die Entwicklungslinien Bremens und Rigas unter besonderer Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Probleme [...] von den Anfängen der Siedlungen bis zur Reformation“ darstellen (S. 4). Er läuft letztlich aber auf Abrisse der Stadtgeschichte hinaus, d.h. Stadtentstehung bzw. –gründung und Entwicklung bis Anfang des 13. Jahrhunderts, Ratsentstehung und Ausgestaltung der Stadtverfassung. Bereits im Vorfeld wird diesbezüglich ein „phasenweise verhältnismäßig deskriptives Vorgehen, das sich als Methode begreift“ avisiert und sowohl mit der Vergleichbarkeit langfristiger Entwicklungsstränge als auch mit dem Fehlen einer modernen Stadtgeschichte Rigas begründet (S. 5). Diese Vorgehensweise erweist sich in zweierlei Hinsicht als problematisch: Einerseits erstreckt sich dieser erste Teil über fast 170 Seiten, während der zweite gerade mal etwas über 100 Seiten füllt. Andererseits wird vornehmlich aus der Sekundärliteratur sowie bisweilen aus in derselben auch nicht unbemerkt gebliebenen Standardquellen geschöpft, so dass der Erkenntniszuwachs eher fraglich bleibt. Rechtfertigend ließe sich zwar im Grunde „eine neue Wertung von Bekanntem“ (S. 280) ins Feld führen, aber eben das lassen Raoul Zühlkes überaus zahlreiche hypothetische Annahmen vermissen.
In diesem Sinne werden beispielsweise überflüssige Fragestellungen wie die nach den Gründen „für die Notwendigkeit eines Rates in Bremen“ (S. 57) aufgebaut – überflüssig aufgrund der Banalität („Vereinfachung der Verwaltung“, S. 58 Anm. 292) bzw. weil die Herleitung der Fragestellung bereits die Antwort enthält („ohne ihn [den Rat] konnte die Gemeinde nämlich auch nicht handeln“, S. 57). Gelegentlich werden Argumente auch auf falschen Prämissen aufgebaut, etwa wenn Rostock „schon bei der Gründung 1218 eine Ratsverfassung“ erhalten haben soll (S. 52, 60) oder wenn Rostock – im Unterschied zur neu erarbeiteten Rigaer Verfassung – mit einer solchen bei seiner Gründung ausgestattet worden sein soll (S. 67 Anm. 345): Ganz abgesehen von der doch richtigen Feststellung, dass es „eine Stadterhebungsurkunde oder so etwas ähnliches für keine deutsche Stadt in dieser Zeit gegeben [hat]“ (S. 18), erlebte Rostock 1218 keinen Gründungsakt und folglich auch keine Institutionalisierung einer Ratsverfassung, sondern erhielt lediglich eine Bestätigung des bereits in seinem Gebrauch befindlichen lübischen Rechts. Vollends zum Paradoxon geraten die angesprochenen Mutmaßungen jedoch in den folgenden Beispielen: So wird innerhalb eines bestimmten Zeitraumes „eine späte Datierung wahrscheinlicher, weil eine frühe Institutionalisierung eher zweifelhaft ist“ (S. 50); so wird „die sich rasch ausbreitende Schriftlichkeit“ als einer von zwei wichtigen Faktoren „für die flächendeckende Ausbreitung von Räten im niederdeutschen Raum“ geltend gemacht und einen Wimpernschlag später eine schwer zu erfassende Bedeutung der Ausbreitung der Schriftlichkeit konstatiert (S. 58); so wird einer Nachricht aus dem Jahre 1398 die Gültigkeit für „180 Jahre früher liegende Verhältnisse“ (S. 62 Anm. 313) attestiert und unmittelbar darauf die Anwendbarkeit der „Verhältnisse des 14. Jahrhunderts [...] auf das 13. Jahrhundert“ in Frage gestellt (S. 63 Anm. 318).
Vielleicht ließe sich über manches dieser (und anderer gleichartiger) Defizite hinwegsehen, wenn der chronologische Vergleich überzeugen würde. Einerseits mangelt es dafür jedoch an den komparativen Elementen, wie unten noch näher auszuführen sein wird. Andererseits fehlt es auch an den Inhalten, d.h. an einer Darstellung der über die Institutionalisierung der Ratsherrschaft und die Entwicklung des Stadtrechts hinausweisenden innerstädtischen Entwicklungen. Während die außenpolitischen Rahmenbedingungen wie beispielsweise Bremens Rolle im staufisch-welfischen Konflikt (S. 18-28) oder die „Aufsegelung Livlands“ (S. 28-39) in einer aufgrund der guten Forschungslage nicht gerechtfertigten Intensität ausgebreitet werden, finden „die Fülle“ der 1376 aufgezeichneten Rigaer Burspraken, die Rigaer Bauordnung von 1293 oder das Rigaer Schuldbuch für den Zeitraum 1286-1352 – sämtlich exzellente Quellen für eine Darstellung innerer Verhältnisse – bloße Erwähnung (S. 163, 172), ohne in die Untersuchung zu den Rigaer Verhältnissen einbezogen zu werden!
Wären für die verschiedenen außenpolitischen Aspekte in der Regel statt vieler Druckseiten ein bis zwei Absätze ausreichend gewesen, erfolgt umgekehrt bei einem expliziten Schwerpunktthema eine nicht nachvollziehbare Verkürzung des Wesentlichen. Gemeint sind die „in ihrer Bedeutung für die rigische Rechtsgeschichte einzigartig[en]“ umgearbeiteten Rigischen Statuten aus den Jahren um 1300, die zwar hinsichtlich ihrer „inhaltlichen Strukturen“ (S. 163), aber nicht hinsichtlich ihrer Inhalte analysiert werden. So ist zwar zu erfahren, dass die Statuten sich „aus 11 Teilen bzw. 175 (203) Artikeln“ zusammensetzen, dass „zahlreiche Artikel des [zwischen 1279 und 1294 von Riga übernommenen] Hamburger Statuts“ ausgelassen und andere „durchaus unterschiedlich“ rezipiert wurden, dass die Riga-Hapsaler Rechtsaufzeichnung von etwa 1279 „auf sehr unterschiedliche Weise Eingang in die neuen Statuten“ fand, dass das Hamburger Recht von 1270 „für zwei Artikel als Vorlage diente“, dass „einige Artikel direkt oder indirekt auf das älteste Rigische Recht, das Lübische Recht, sowie die zweite Novgoroder Schra zurückgeführt werden können“ und dass für weitere Artikel, „die zu einem bedeutenden Teil spezifisch rigische Belange regeln“, keine schriftliche Quelle zu ermitteln ist (S. 163ff). Offen bleibt neben diesen statistischen Marginalien jedoch das eigentlich Wesentliche, nämlich auf welche Artikel mit welchem Inhalt bzw. zu welchen spezifischen Belangen und vor allem mit welchen Konsequenzen sich derartige Allgemeinplätze beziehen?
Überhaupt lässt der erste Teil mehr Fragen zurück als Antworten: Woher nahm Riga 1329 die Truppen für Angriffe auf Dünamünde und andere Gebiete des Deutschen Ordens (S. 158)? Warum erfolgt in Bezug auf eine Klage Rigas bei der Kurie nur „eine kurze Bemerkung hinsichtlich der finanziellen bzw. materiellen Möglichkeiten“ der Stadt (S. 161 Anm. 857)? Der zweite Teil ist kürzer und besser geraten. Der geringere Umfang ist dabei auch das Ergebnis stringenterer und besser lesbarer Ausführungen, die sich weniger in verkrampfte Hypothesen flüchten bzw. mehr Bindung und Bezug zu den in den jeweiligen Überschriften ausgewiesenen Fragestellungen aufweisen („Der Raum“ – Lage, Wege, Handel, „Die Umwelt“ – Kirche, Siedlungsumfeld, „Das System“ – Rat inklusive Wahlrecht, Stadtrecht um 1300). Deshalb wiegen die gelegentlichen Rückfälle in die Vorgehensweise des ersten Teils auch weniger schwer, ohne dass das Ergebnis wirklich zufrieden stellen kann. Denn das soeben Aufgebaute wird schnell wieder eingerissen, indem der geradezu zwingend erwartete Schlussvergleich unterbleibt: „Eine komparatistische Arbeit mit einem Schluß zu versehen, verbietet sich eigentlich von selbst. Wie wollte man die vielen kleinen Ergebnisse, die nur in ihrer Fülle Interesse für sich beanspruchen können, auch nur annähernd sinnvoll zusammenfassen oder resümieren, [...] Ein Vergleich muß zwangsläufig für sich sprechen, sonst hat er keinen Wert“ (S. 280).
Dem Schluss des Zitates ist nur zuzustimmen, so dass sich ein weiterer Kommentar dieser eigenartigen Wissenschaftsauffassung erübrigt. In der Tat hat die Darstellung ihre stärksten und interessantesten Passagen dort, wo expressis verbis verglichen wurde – „Vergleich der frühen Ratsherrschaft in Bremen und Riga“ (S. 90-94) und „Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Stadtrechte“ (S. 270-273). In Anbetracht dessen, dass „diese Arbeit also h o f f e n t l i c h ohne eigentlichen Schluß auskommt,“ (S. 280) war offenbar auch Raoul Zühlke selbst von seinem Schlusspostulat nicht ganz überzeugt. Daher ist als Fazit lediglich noch hinzuzufügen, dass unter dem Strich zwei nicht sonderlich überzeugende Einzelstudien vorgelegt wurden, deren komparatistisches Moment eher auf die Buchbindersynthese als auf die Autorenleistung zurück zu führen ist bzw. durch den Leser mühsam erarbeitet werden muss.
Anmerkungen:
1 Ebel, Wilhelm: Lübisches Recht Bd. 1, Lübeck 1971, S. 24f.