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Titel
Zwei Seiten der Geschichte. Lebensbericht aus unruhigen Zeiten


Autor(en)
Iggers, Wilma und Georg
Erschienen
Göttingen 2002: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
320 S., 15 Abb.
Preis
€ 25,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jens Alexander Hacke, Institut für Sozialwissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Die Wissenschaftler- und ganz besonders die Historiker-Autobiografie ist ein undankbares Genre, denn das, was andere Lebensberichte lesenswert macht, nämlich vielfältige Erfahrung, wechselvolle Karrieren oder spannende Bekanntschaften in Politik und Öffentlichkeit, bleibt beim Historiker meist völlig absent. Er sitzt in Bibliotheken und Archiven, fährt zu Fachkonferenzen, wo er Kollegen trifft, die grundsätzlich dasselbe tun. In Lebensbilanzen geht es dann vorrangig darum, seinen wissenschaftlichen Werdegang zu schildern, frühe Einsichten mit lange vergessenen eigenen Schriften zu belegen und Begegnungen mit mehr oder minder wichtigen Zeit-, d.h. Zunftgenossen zu erzählen. Zeitgeschichte wird dann oftmals mit dem Pathos der rückwärtsgewandten Prophetie versehen. Gern wird en passant der eine oder andere Ehrendoktor erwähnt oder die eigene Festschrift referiert. Da die wenigsten Historiker begnadete Erzähler sind, verharrt Privates im etwas hölzern geratenen Narrativ und reißt den Leser selten mit.

So ist das nun einmal bei Historikern, und dies alles gilt auch für die gemeinsam verfasste Autobiografie des Ehepaar Iggers – allzu viel Esprit sollte man nicht erwarten: Weder liegt hier große Literatur vor, noch muss nach der Lektüre die Wissenschaftsgeschichte einer Revision unterzogen werden. Dennoch: Sich an solchen Kritikpunkten aufzuhalten, ist womöglich verfehlt. Die hohe persönliche Integrität, das aufrechte gesellschaftliche Engagement und die gemeinsame erfolgreiche Lebensgeschichte zweier der nationalsozialistischen Verfolgung entronnenen Juden nötigen einem hohen Respekt ab. Wilma (Jg. 1921) und Georg Iggers (Jg. 1926) waren wie so viele europäische Juden (darunter auch die Historiker Fritz Stern, Peter Gay und George Mosse) dazu gezwungen, noch als Jugendliche – dank vorausschauender Eltern – das NS-beherrschte Mitteleuropa zu verlassen. Es sind dies zwei Lebenswege, die das Schicksal des europäischen Judentums im letzten Jahrhundert abbilden und daher exemplarisch immer wieder erzählt werden müssen. Beide erinnern in den frühen Kindheitsschilderungen an eine vergangene Welt und bemühen sich, diese für den Leser lebendig werden zu lassen. Wilmas Erzählungen aus ihrer böhmischen Jugend führten noch einmal die Vielfalt des multikulturellen Habsburger Erbes vor Augen. Als Tochter eines jüdischen Gutsbesitzers wuchs sie im nicht immer spannungsfreien Miteinander des deutschen und tschechischen Kulturkreises auf, sehr säkularisiert und als emanzipierte junge Frau schon frühzeitig ihren literarischen Interessen nachgehend. Anders ihr Mann Georg: Der jüdische Kaufmannssohn aus Hamburg schien, eine schwierige Kindheit gehabt zu haben. Alles deutet darauf hin, dass der Junge sehr sensibel und seinem Alter weit voraus war, ein anstrengendes Kind, sonst ist kaum verständlich, wie sich ein 12-jähriger gegen das recht weltliche Elternhaus opponierte und eigenständig Interessen für das orthodoxe Judentum entwickelte.

Beide emigrierten mit ihren Familien 1938 nach Amerika, lernten sich 1944 in Chicago kennen und heiraten vier Jahre später. Im amerikanischen Exil hat Georg Iggers schließlich wohl auch mit Hilfe seiner älteren Frau zu sich selbst gefunden; das junge Ehepaar lebte Bürgerengagement im besten Sinne vor, in dem es sich entschlossen für die Aufhebung der Rassendiskriminierung einsetzte und schon in den 1950er Jahren in den von Segregation geprägten Südstaaten an schwarzen Colleges unterrichtete. Aktive Unterstützung der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und der Protest gegen den Vietnam-Krieg waren für die Eheleute selbstverständlich. Georg Iggers fiel der Weg über die akademischen Hürden leicht. Er legte eine universitäre Bilderbuchkarriere hin, während Wilma mit mehr Eigensinn, aber auch gegen den Widerstand der männlich dominierten Akademikerwelt ihren Weg zu einer angesehenen Literaturwissenschaftlerin zurücklegte.

Georg Iggers’ Interessen waren im Rahmen der europäischen und insbesondere der deutschen Ideengeschichte weitgefächert: Von der Dissertation über die Saint-Simonisten über die Geschichte des Fortschrittsgedankens bis hin zum Historismus und zur Idee der Menschenrechte – Iggers beackerte ein breites Feld. Am wirkungsmächtigsten blieb wohl seine Pionierstudie „Deutsche Geschichtswissenschaft. Eine Kritik der traditionellen Geschichtsauffassung von Herder bis zur Gegenwart“ aus den 1960er Jahren, die ähnlich den zeitgleich entstandenen Arbeiten von Fritz Stern und Fritz Ringer den geistesgeschichtlichen deutschen Sonderweg ideologiekritisch nachzeichnete.

Die gelegentliche Rückkehr ins Nachkriegsdeutschland musste das Ehepaar Iggers als einen emotionalen Drahtseilakt empfinden, denn die Frage, wer von den Leuten, die man traf, Täter, Mitläufer oder Zuschauer der Nazi-Verbrechen gewesen war, blieb quälend. Es war wohl vor allem Iggers Forschungsgebiet, die deutsche Historiographie, die wieder vertrauensvolle Kontakte mit deutschen Kollegen einleitete. Seine Schilderungen der Begegnungen mit Hans Rothfels, Gerhard Ritter, Hermann Heimpel, Reinhard Wittram, Percy Ernst Schramm, Alfred Heuss und anderen Doyens der damaligen bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaft bleiben jedoch enttäuschend blass. Im erstaunten Rückblick stellt er fest, „wie wenig damals über die NS-Vergangenheit gesprochen wurde. [...] Es wurde auch wenig gefragt.“ Dass Ritter erzkonservativ war und Rothfels vielen im NS tätig gewesenen Historikern Persilscheine ausschrieb, ist bekannt. Etwas bemüht erscheint daher Iggers Versuch, seinen Beitrag zur Debatte um die braune Vergangenheit der deutschen Historiker zu leisten. Dabei wird nichts Neues zutage gefördert. Und auch andere Bekanntschaften mit illustren Gelehrten wie Arnold Bergsträsser, Paul Tillich, Isaiah Berlin, Fritz Stern oder Karl Popper werden für den Leser kaum lebendig.

Eines wird jedoch deutlich: Iggers kannte viele und wurde insbesondere für die in der Entwicklung begriffene linksliberal ausgerichtete deutsche Sozialgeschichte zu einem wichtigen transatlantischen Mittelsmann. Dass er überdies schon seit Mitte der 1960er Jahre wissenschaftspolitisch einen „Wandel durch Annäherung“ mit den ostdeutschen Historikern suchte, stellt er in seinen Erinnerungen ausführlich dar. Die sich daraus entwickelnden engen persönlichen Austauschbeziehungen waren aus heutiger Sicht allerdings von Verblendung gezeichnet, vielleicht auch von Naivität, stehen sie doch seinem moralischen Rigorismus im Hinblick auf die Kritik an den USA seltsam unverbunden gegenüber. Da muss es etwas irritierend wirken, wenn er die Wende von 1989 lediglich mit einem Absatz würdigt. Iggers erwähnt an dieser Stelle eine Rede Hans-Ulrich Wehlers aus dem April 1989, in der dieser über der deutschen Frage unter dem Titel „Warum Deutschland nicht wiedervereinigt werden sollte“ referiert, und stellt lapidar fest: „Wir stimmten alle mit Wehler überein“. Tiefergehende Reflexionen wären hier spannend gewesen.

Was bleibt von dieser Gemeinschaftsautobiografie? Sicherlich, eine notwendige Erinnerung an jüdisches Schicksal, eine bewundernswerte Lebensgeschichte eines sehr gleichberechtigt lebenden Ehepaares, aufrechtes politisches Engagement, stets für das Gute streitend – vielleicht reicht das dem geneigten Leser von Historiker-Memoiren. Vielleicht aber auch nicht.

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