Als Otto Hahn und Fritz Straßmann zu Beginn des Jahres 1939 in der Zeitschrift “Die Naturwissenschaften” die Ergebnisse ihrer kurz zuvor erstmals durchgeführten Kernspaltung veröffentlichten, stand der Zweite Weltkrieg bereits bevor. “So war die weitere Atomforschung bald davon geprägt, eine kriegsentscheidende Waffe zu entwickeln.” (S. 9) Dies war bekanntlich nicht nur in Deutschland der Fall. Obwohl dort zahlreiche Wissenschaftler, die sich mit dem Thema beschäftigten, es nicht darauf anlegten, am Bau dieser Waffe beteiligt zu sein, was sie dann nach 1945 auch erfolgreich verschleiern konnten.
Die Entwicklung der Atombombe wurde zum größten geheimen Unternehmen des 20. Jahrhunderts. Dass die USA diesen dramatischen Wettlauf gewonnen hatten, demonstrierten sie mit den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki. Stalin interpretierte diese Ereignisse als völlige Neugestaltung der geostrategischen, militärischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. “Während sich Briten und Amerikaner von der Ausdehnung des sowjetischen Einflussbereichs in Europa bedroht fühlten, sah Stalin im Atombombenmonopol seiner Kriegsverbündeten eine ebenso große Gefahr für sein Imperium. Das genaue Ausmaß war schwer abzuschätzen, denn die Informationen über Produktion, Zahl und Effektivität der Nuklearwaffen wurden als großes Geheimnis behandelt.” (S. 8) Die Sowjetunion konnte den amerikanischen Vorsprung auf diesem Gebiet aber recht schnell aufholen und zündete ihrerseits im August 1949 die erste Atombombe.
Der Bau von Nuklearwaffen, und dies vor allem auch en masse, erforderte den Besitz einer großen Menge Uranerz. Die bisher von allen Seiten unterschätzten Uranvorkommen in Sachsen und Böhmen gerieten nun ins Blickfeld Stalins, um mit ihnen die sowjetische “Uranlücke” schließen zu können. Unter Aufsicht seines Geheimdienstes entstanden in der kleinen Grenzregion zwischen der SBZ/DDR und der Tschechoslowakei zwei der größten sowjetischen Auslandsunternehmen.
Doch wer meint, nur eine Darstellung der Wismut AG vor sich zu haben, sieht sich getäuscht. Apuleius Motto folgend: Lector intende, laetaberis! (Merk auf Leser! Du wirst deine Freude daran haben!), zeichnen Rainer Karlsch und Zbynek Zeman die Geschichte der Wismut AG und des tschechoslowakischen Nationalunternehmen Jáchymov nach und geben Einblicke in den neuesten Forschungsstand über den Wettlauf um die Atombombe. Die Autoren haben erstmals Quellen aus deutschen, russischen, tschechoslowakischen, amerikanischen und britischen Archiven ausgewertet, um die “Urangeheimnisse” aufzudecken, die einst das Erzgebirge ins Zentrum der Weltpolitik rückten.
Das Buch gliedert sich in vier Hauptteile. Im ersten Teil (“Der Wettlauf um die Atombombe”, S. 9-69) skizzieren Karlsch und Zeman die deutsche Kernforschung bis 1945, die Bombenvorhaben Japans; es werden das amerikanische und sowjetische Atombombenprojekt vorgestellt sowie die Bedeutung des Erzgebirges für die sowjetische “Uranlücke” eingehend dargestellt. Bei der Beschreibung von Hitlers Kernphysikern eröffnen die Autoren Einblicke in den neuesten Forschungsstand. Während bislang Werner Heisenberg, Harteck und Diebner als die zentralen Figuren galten, lassen sich inzwischen noch andere Forschungsgruppen im Dritten Reich nachweisen, die möglicherweise noch weiter als die Genannten kamen.
Besonderes Augenmerk kommt hier den österreichischen Wissenschaftlern um Georg Stetter, Wissenschaftler der Reichspostforschungsanstalt mit Manfred von Ardenne an der Spitze und in Miersdorf bei Zeuthen um Georg Otterbein als Leiter zu sowie ein “bisher nur schemenhaft zu verortendes Team der SS in Thüringen, Österreich und Böhmen” (S. 16). Nach dem Attentat auf Hitler vom Juli 1944 drängte der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, immer stärker darauf, die wichtigsten Rüstungs- und Forschungsprojekte seiner Organisation zu unterstellen. In diesem Zusammenhang erlangte die Gruppe um SS-General Dr. Hans Kammler einen enormen Machtzuwachs. Über die Ergebnisse der ihm unterstehenden Arbeiten gibt es widersprüchliche Aussagen. In diesem Kontext taucht auch hier die brisante Frage auf: “Hat es Anfang März 1945 in Thüringen einen Test einer kleinen Atomwaffe gegeben?” (S. 17)
Ebenfalls wird deutlich, dass die Führung des Dritten Reiches mehr über das amerikanisch-britische Atomprojekt wusste, als bislang angenommen. “Wie sie mit ihren bruchstückhaften Kenntnissen umging, konnte bislang nicht ausreichend beantwortete werden.” (S. 14) Logischerweise brauchte Deutschland für derartige Forschungen u.a. auch Uranerz. Dieses konnte teilweise im Krieg erbeutet werden, z. B. in Belgien, oder auch im Erzgebirge abgebaut werden, dessen Uranminen nach dem Anschluss der Tschechoslowakei 1938 dem Deutschen Reich ganz zur Verfügung standen, obwohl, um es vorweg zu nehmen, die dortigen Vorkommen an Uranerz als wesentlich geringer eingeschätzt wurden als sie sich nach dem Krieg tatsächlich herausstellten.
An diese Darstellung schließen sich kurze Kapitel über Japans Vorhaben, Los Alamos und Stalins Atomprojekt an. Etwas länger verweilen die Autoren bei der Schilderung des Luftangriffes der USA auf das Werk der Auergesellschaft in Oranienburg und der Zonenteilung 1945 (S. 30-38). Der Angriff auf die uranerzverarbeitende Auergesellschaft vom 15. März 1945 war ein deutliches Zeichen der westlichen Alliierten an ihre sowjetischen Verbündeten. Der beginnende Kalte Krieg begann sich bereits abzuzeichnen. Dabei bleibt zu konstatieren, dass zwischen der Bereitschaft der Amerikaner, sich aus Sachsen und Thüringen zurückzuziehen, und der Entscheidung zur Bombardierung ein scharfer Kontrast besteht. US General Groves konnte sich in den letzten Kriegsmonaten ein sehr genaues Bild über das deutsche Atombombenprojekt machen – doch über die Uranerzvorkommen im Erzgebirge war er weniger gut informiert, denn nur die ältesten europäischen Erzminen von Jáchymov waren ihm bekannt und diese galten als wenig ergiebig.
Diese Ereignisse werfen Fragen von großer historischer Wichtigkeit auf. So weisen die Autoren zu recht darauf hin, dass die kurze Zeit der amerikanischen Besetzung von Teilen der künftigen sowjetischen Zone immer wieder Anlass für Spekulationen gab. “Warum zogen sich die Amerikaner aus Sachsen und Thüringen zurück, anscheinend ohne zu ahnen, dass sie damit den Sowjets überhaupt erst den Zugriff auf die wichtigsten europäischen Uranressourcen lieferten? Hat das Uranproblem gar schon bei der Festlegung der alliierten Besatzungszonen eine Rolle gespielt? Haben die Amerikaner mit ihrem Rückzug eine welthistorische Chance versäumt?” (S. 36) Von den Sowjets eilig eingesetzte deutsche und sowjetische Geologen bezifferten die Uranerzvorkommen im Erzgebirge auf nur wenige hundert Tonnen. Doch schon bis Januar 1946 konnten 1600 Tonnen Uranerz gefördert werden. “Den sowjetischen Verantwortlichen war jetzt klar, dass in Sachsen die wohl größten Uranvorkommen im sowjetischen Machtbereich lagerten.” (S. 44)
Im zweiten Teil des Buches (“Uranbergbau im Erzgebirge”, S. 46-69) beschreiben Rainer Karlsch und Zbynek Zeman zunächst die historische Bergbauentwicklung dieser Region. Beginnend mit einem Überblick vom Silberbergbau des 13. Jahrhunderts über die berühmten Uranfarben und Radiumbäder wird der Bogen bis zum Beginn des Atomzeitalters gespannt. Dabei wird auch auf die gesundheitlichen Risiken des Uranerzbergbaus dezidiert eingegangen. Die Probleme und die meist tödlichen Folgen der “Joachimsthaler Bergkrankheit” werden von den Autoren ausführlich behandelt, da sie den Uranbergbau bis zu seiner Einstellung begleiteten. Statistiken im Anhang des Buches geben u.a. die Zahlen über Unfälle und Berufskrankheiten bei der SDAG Wismut und die Anzahl der anerkannten Berufskrankheiten bei der SDAG Wismut 1952-1990 wieder (S. 302). Und nach der Besetzung des Sudetenlandes 1938 stand auch die Frage nach der Vernichtung durch Arbeit in den Uranminen im Raum (S. 61).
Der dritte Teil (“Ein Industriegebiet mit ‚strahlender Zukunft’ – Das tschechoslowakische Nationalunternehmen Jáchymov”, S. 70-140) beschäftigt sich mit dem tschechoslowakischen Nationalunternehmen Jáchymov und seiner Bedeutung bei der Schließung der sowjetischen “Uranlücke”. Hierbei räumen die Autoren dem Zustandekommen des sowjetisch-tschechoslowakischen Freundschaftsvertrages viel Platz ein. Zeugt er doch u.a. von dem großen Wert, den das böhmische Uranerz für die Sowjets hatte.
Der sowjetische Einfluss auf den neu gegründeten Staat wurde rasch spürbar und das Uranerz wurde, von der Öffentlichkeit unbemerkt, zum Dreh- und Angelpunkt der sowjetisch-tschechoslowakischen Beziehungen. Bereits am 23. November 1945 kam es zur Unterzeichnung eines Uranvertrages zwischen beiden Staaten. Dieser geheime Vertrag “führte de facto zur Übergabe eines industriellen Schlüsselsektors an Moskau und erlaubte es den Sowjets, Einblicke in die tschechoslowakische Gesellschaftsordnung zu gewinnen” (S. 104). Der sowjetische Uranbedarf, der Arbeitskräftemangel in den ersten Nachkriegsjahren und die Methoden von Berijas Geheimdienst waren hierbei auf ungewöhnliche Weise miteinander verknüpft. Hinzu kam, dass das Gebiet in der Grenzregion überwiegend von Deutschen besiedelt und nun weitgehend entvölkert war. Die Folge war ein tschechoslowakischer Archipel GULag (S. 119). Mitte der fünfziger Jahre erreichte die Arbeitskräftezahl in der Uranindustrie der CSR mit 46.351 Beschäftigten ihren Höhepunkt, darunter 9.214 Häftlinge.
Im vierten Teil ihres Buches (“Ein ‚Staat im Staate’ – Die Wismut AG in Ostdeutschland”, S. 141-255) widmen sich Karlsch und Zeman der ostdeutschen Wismut AG. Bis 1990 wurden in Ostdeutschland 221.000 Tonnen Uran gefördert. Damit gehörte die DDR nach den USA und Kanada zu den bedeutendsten Uranproduzenten der Welt. Wie bereits skizziert, begann alles sehr schnell. 1946 begannen die Sowjets mit dem Abbau von Uranerz im Erzgebirge, und am 10. Mai 1947 kam es durch eine Verordnung des Ministerrats der UdSSR schließlich zur Bildung der Aktiengesellschaft (AG) Wismut. Jedoch war die Wismut AG kein normaler Betrieb. “Dieses größte Reparationsunternehmen des 20. Jahrhunderts wurde in unglaublich kurzer Zeit fast aus dem Nichts heraus aufgebaut.
In den ersten Jahren des Uranbergbaus musste unter Bedingungen gearbeitet werden, die denen der frühen Neuzeit glichen.” (S. 196) Die Wismut AG besaß für die Absicherung der sowjetischen atomaren Rüstung höchste strategische Priorität. Ähnlich wie in der Tschechoslowakei trug die Organisation in der Anfangsphase Züge des GULag Straflagersystems. Aber im Gegensatz zum Nationalunternehmen Jáchymov trat dieses System bald mehr und mehr in den Hintergrund. Denn die erhofften Produktionsleistungen konnten auch durch Repressalien dieser Art nicht durchgesetzt werden. Der Uranabau führte zu einem immensen Raubbau an der Natur, der von den Autoren eindringlich geschildert wird. Die Umweltschäden, u.a. auch durch den “Bergbau im Vorgarten” und die radioaktive Kontamination der Schlammdeponien, nahmen immense Ausmaße an.
Insgesamt liegt eine gelungene Arbeit vor, die, nicht zuletzt auch durch ihren flüssigen und gut zu lesenden Schreibstil, eine freundliche Aufnahme und eine breite Resonanz finden wird. Das Buch enthält neben den Verzeichnissen der Anmerkungen und Abkürzungen, eine Statistik, ein Quellen- und Literaturverzeichnis mit dem Verzeichnis der Archive, ein Abbildungsverzeichnis und ein Personenregister sowie eine Fotosektion in der Mitte des Buches.