Die Erforschung westlicher Experten im China des 19. und 20. Jahrhunderts erlebte mit den modernisierungstheoretisch beeinflussten Studien der 1960er Jahre eine erste Blüte. In jüngerer Zeit ist sie wieder aufgenommen und intensiviert worden, wobei der Akzent nunmehr auf den mit der Beratertätigkeit verbundenen interkulturellen Interaktionen liegt. Diesem Perspektivwechsel ist auch Elisabeth Kaskes Berliner Dissertation verpflichtet, die im Rahmen des von der Stiftung Volkswagenwerk geförderten Forschungsprojekts “Deutsche Berater in China” entstanden ist. Im Unterschied zu früheren Arbeiten konzentriert sich Kaske nicht auf zeitgenössisch prominente Berater wie Robert Hart, Timothy Richard oder Gustav Detring, sondern auf eine Gruppe von 35 preußischen Offizieren und Unteroffizieren, die in ihrer Mehrzahl während des chinesisch-französischen Krieges von 1884/85 vom damaligen chinesischen Gesandten in Berlin Li Fengbao angeworben wurden. Lediglich drei von ihnen gelangten erst später durch offizielle Vermittlung deutscher diplomatischer Stellen nach China.
Kaske verbindet in ihrer Arbeit eine “gruppensoziologische[n] Untersuchung” (S. 12), die Herkunft, Motive, Arbeitsbedingungen sowie den weiteren Lebensweg aller Gruppenmitglieder untersucht, drei illustrierenden Fallstudien, die rund ein Drittel des Gesamttextes ausmachen. Die Li Fengbao-“Mission” wies dabei zwei Besonderheiten auf: Erstens bestand ihr unmittelbarer Zweck nicht darin, die angeworbenen Preußen als Berater zu gewinnen, sondern die chinesische Regierung hoffte der französischen zu suggerieren, dass Bismarck die chinesische Seite im Krieg gegen Frankreich insgeheim unterstütze. Zweitens erfolgte die Einstellung gegen den Willen der deutschen Regierung, die in Wirklichkeit strikt neutral bleiben wollte. Infolgedessen kamen die preußischen Instrukteure mit Ausnahme der drei Letztangeworbenen nicht aus dem aktiven Dienst und wurden erst als Berater eingesetzt, als das diplomatische Ziel ihrer Mission verfehlt worden war. Wie der Verlauf der weiteren Untersuchung zeigt, stießen alle Angeworbenen auf die gleichen Probleme, auch unabhängig davon, ob sie wie die Mehrheit unter Generalgouverneur Li Hongzhang im nordchinesischen Tianjin oder unter seinem Kollegen Zhang Zhidong im südchinesischen Kanton Dienst taten.
Kaske untersucht zunächst die Motive, aus denen sich die Instrukteure zu einer Tätigkeit in China bereiterklärten. Dabei bewertet sie die “push”-Faktoren wie z.B. unehrenhaften Ausschluss aus der Armee (nur in einem Fall) oder die Schwierigkeit, nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst einen Zivilberuf zu finden, vergleichsweise gering. Tatsächlich ging der Anreiz vor allem von den großzügigen Angeboten Li Fengbaos aus, besonders den hohen Gehältern und den günstigen Arbeitsbedingungen. Obwohl sich die finanzielle Situation der Instrukteure tatsächlich recht günstig gestaltete, führten die tatsächlichen Lebensbedingungen sowie die Tatsache, dass viele Versprechungen nicht eingehalten werden konnten, mehrheitlich zu rascher Ernüchterung. Und obwohl den meisten angeworbenen Preußen dies in ihrem Überlegenheitsdünkel entging, trafen sie, wie Kaske zeigt, nicht mehr auf eine “traditionelle”, sondern auf eine in einem Modernisierungsprozess befindliche Armee. Die chinesischen Offiziere waren (mit wie wenig Recht, sollte erst der Krieg gegen Japan 1894/95 zeigen) durchaus stolz auf das bereits Geleistete und begegneten den fremden Beratern entsprechend selbstbewusst.
Dass die Mehrzahl der Instrukteure in den ihnen zugewiesenen Aufgabenfeldern erfolglos blieben, lag an ganz unterschiedlichen Faktoren, wie die drei von Kaske vorgestellten Fallstudien belegen: Scheiterte der “Konteradmiral” Sebelin an seiner Überheblichkeit und Unfähigkeit im Umgang mit Chinesen, so wurde Major Pauli an der Militärschule in Tianjin durch eine Intrige von Landsleuten, darunter der deutsche Gesandte Max von Brandt, zu Fall gebracht. Demgegenüber verdankte der in Kanton tätige Torpedospezialist Ernst Kretzschmar seine vergleichsweise produktive Tätigkeit dem Umstand, dass er auch widrige Umstände und Verschlechterungen seiner Arbeitsbedingungen zu akzeptieren bereit war. Kaske demonstriert jedoch im weiteren Verlauf, dass das Scheitern der meisten Instrukteure keineswegs nur durch persönliche Dispositionen, sondern vor allem durch tiefer liegende strukturelle Ursachen bestimmt war: Neben der Konkurrenz anderer europäischer sowie chinesischer, in Europa ausgebildeter Instrukteure war es vor allem in der Politik der chinesischen Behörden begründet, die die Europäer einer strikten Kontrolle unterwarfen. Sie erhielten keine eigene Kommandogewalt (auch Beförderungen bedeuteten in Wirklichkeit nur Titularränge), sondern waren auf eine oft mühsame Zusammenarbeit mit Chinesen angewiesen. Vertragliche Anstellung und Verleihung von Orden (beides in China nicht üblich) dienten nicht der Integration der ausländischen Berater, sondern im Gegenteil ihrer Isolierung. Zudem blieb das Modernisierungskonzept insgesamt Stückwerk, was dazu führte, dass verschiedene nationale Standards (etwa hinsichtlich des Dienstreglements) miteinander konkurrierten.
Unter diesen Umständen ist es nicht erstaunlich, dass die Mehrzahl der Instrukteure nach dem mehrheitlich frühen Ende ihrer Kontrakte zwar weiterhin im Kontakt mit China blieb, aber durch den Eintritt in deutsche Chinafirmen oder den diplomatischen Dienst deutlich ihre einseitige Loyalität gegenüber ihrem Heimatland demonstrierte. Insgesamt zieht Kaske den Schluss, dass die Vermittlungstätigkeit der deutschen Instrukteure eindeutig von den Rezipienten, also den Chinesen, bestimmt wurde. Sie beurteilt daher das Wirken der Li Fengbao-Mission insgesamt als nur von vorübergehender Dauer, was sie besonders darauf zurückführt, dass ihre Mitglieder nicht literarisch tätig geworden sind. Damit privilegiert sie jedoch das Medium der Schriftlichkeit gegenüber der unmittelbaren persönlichen Interaktion, ohne darauf hinzuweisen, dass es sich dabei womöglich eher um ein Problem der quellenmäßigen Fassbarkeit handelt. Dagegen weist sie einleitend (S. 15) auf die verschiedenen Möglichkeiten des Wissenstransfers hin, von denen der Instrukteur eben nur eine darstellte.
Damit ist bereits auf den Bereich verwiesen, in dem die Arbeit gewisse Schwächen erkennen lässt, nämlich ihre theoretische Fundierung. In der Einleitung (S. 12f.) geht Kaske vom Konzept des “Kulturtransfers” aus und bringt es mit einem “systematischen Kulturbegriff” in Verbindung, der kulturellen Wandel als Konsequenz einer veränderten Umwelt begreift. Diese beiden Grundparameter werden aber nicht nur unzureichend erläutert, sondern im Verlauf der Untersuchung auch kaum je operationalisiert. Bezeichnenderweise greift Kaske bei der Bilanzierung (S. 247) auf keines dieser Konzepte, sondern auf einen kulturpsychologischen Ansatz zurück, um den “Kulturschock” der deutschen Instrukteure zu erläutern. Auf diese Weise gerät ihr die sonst in dieser Arbeit so prominente chinesische Seite aus dem Blick, vor allem deren Dilemma, einerseits – in Kaskes Terminologie – von einer sich wandelnden Umwelt zu Veränderungen gezwungen zu sein, andererseits aber die Kontrolle über den Veränderungsprozess behalten zu wollen.
Insgesamt überwiegen gleichwohl die positiven Aspekte dieser Studie: Kaske hat ihr Material gründlich aufbereitet und schlüssig interpretiert, wobei sie viel Einfühlungsvermögen für individuelle Dispositionen und unterschiedliche kulturelle Perspektiven beweist. Insgesamt ist ihre Arbeit mit Gewinn zu lesen und vermag mittels ihres gruppensoziologischen Ansatzes Impulse für weitere Untersuchungen ausländischer Berater in China zu geben.