A. Krüger: Südfranzösische Lokalheilige

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Titel
Südfranzösische Lokalheilige zwischen Kirche, Dynastie und Stadt vom 5. bis zum 16. Jahrhundert.


Autor(en)
Krüger, Anke
Reihe
Beiträge zur Hagiographie 2
Erschienen
Stuttgart 2002: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
406 S.
Preis
€ 70,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Eric Steinhauer, Universitätsbibliothek, Technische Universität Ilmenau

Die Eichstätter Dissertation von Anke Krüger behandelt die Geschichte der Verehrung lokaler Heiliger im mittelalterlichen Südfrankreich. Lokale Heilige sind örtliche Schutzpatrone. Ausgehend vom antiken Patronus-Begriff sollen sie Heil und Segen für die sich ihnen anvertrauenden Menschen und Orte bewirken. Einen Heiligen bzw. dessen Grab am Ort zu haben, sollte geistliche und materielle Wohlfahrt sichern. Krüger untersucht in ihrer Arbeit die Funktion der Patrone für die örtliche Gemeinschaft. Dabei geht es ihr weniger darum, das Leben der Heiligen historisch-kritisch zu erheben. Sie will vielmehr die Geschichte ihrer Verehrung nachzeichnen, die vor allem in Heiligenviten und liturgischen Texten fassbar ist.

Die Untersuchung geht auf die lokalen Heiligen der Städte Arles, Aix-en-Provence, Marseille, Tarascon, Narbonne und Toulouse näher ein. Sie beginnt mit einer Einleitung, in der der Forschungsstand konzis und zutreffend wiedergegeben wird. Dort legt Krüger auch ihren methodischen Ansatz dar. Neben Liturgie und Heiligenviten werden literarische, diplomatische (Siegel) und ikonographische Zeugnisse untersucht. Die Ausführungen zu den einzelnen Orten, die jeweils in einem gesonderten Abschnitt erfolgen, sind stets in drei historische Teile (5.-9., 10.-12. und 13.-15. Jahrhundert) und in spezielle Untersuchungen zu den einzelnen lokalen Heiligen übersichtlich unterteilt. Im Einzelnen werden näher behandelt: in Arles die Heiligen Genesius, Honorat, Hilarius, Trophimus, Caesarius von Arles, Dionysius Areopagita, Louis Aleman; in Aix-en-Provence die Heiligen Mitrius, Maximin, Maria Magdalena; in Marseille die Heiligen Viktor von Marseille, Chromatius/Probatius, Lazarus, Douceline, Louis von Toulouse, Papst Urban V.; in Tarascon die Heilige Martha; in Narbonne die Heiligen Paulus von Narbonne, Justus und Pastor; in Toulouse die Heiligen Saturnin, Exuperius, Martial. Die Fülle der Heiligen führt Krüger auf fünf Grundtypen zurück, nämlich frühchristliche Märtyrer/Bekenner (Genesius, Mitrius, Viktor), Gallierapostel bzw. legendäre Gründerbischöfe (Chromatius/Probatius, Paulus von Narbonne, Saturnin, Trophimus), Heilige der Bethaniengruppe (Lazarus, Maria Magdalena, Martha), Bischöfe (Caesarius, Exuperius, Hilarius, Honoratus) sowie zeitgenössische mittelalterliche Heilige (Douceline, Louis Aleman, Louis d’Anjou).

Im Rahmen ihrer Untersuchung geht Krüger von den überlieferten hagiographischen Texten aus. Sie benutzt dabei edierte wie unedierte Quellen. Ein ausführliches Handschriftenregister (S. 369-373) macht deutlich, dass hier viel Arbeit am Original geleistet wurde. Krüger vergleicht die einzelnen Fassungen der Viten, arbeitet Varianten heraus und verfolgt ihre liturgische Rezeption. Hier tritt Interessantes zutage. Es gelingt Krüger, Verbindungen zwischen der jeweiligen Vitenfassung und der politischen Funktion der Heiligenverehrung aufzuzeigen. So werden vor allem bei den Gründerbischöfen immer dann besondere Bezüge zu einem apostolischen Ursprung betont, wenn es darum geht, die Position eines Bischofssitzes zu stärken. Besonders ausführlich zeigt Krüger das am Beispiel des Heiligen Trophimus, des legendären Gründerbischofs von Arles. Hierzu bietet die Arbeit in einem Anhang bislang unedierte Viten (S. 349-362). Eine vollständige Edition der Trophimus betreffenden hagiographischen Texte durch Krüger befindet sich in Vorbereitung, doch bietet das im Anhang Beigegebene schon eine gute Grundlage, um die Entwicklung der Trophimus-Legende nachvollziehen zu können. Neben dem Trophimus-Kult, der in einem weiteren Zusammenhang zu den anderen Gallieraposteln steht, erfährt die Verehrung der Bethanienheiligen eine vertiefte Behandlung. Diese Heiligen dienten in gleicher Weise wie die auf die Jünger Christi zurückgeführten Gallierapostel dazu, die Apostolizität und Würde der jeweiligen Ortskirchen zu stärken.

Krügers Arbeit ist eine überzeugende Studie, die den Zusammenhang zwischen der Produktion von Heiligenviten einerseits und der politisch-gesellschaftlichen Situation andererseits gut herausarbeitet. Allerdings stellt sie nicht in allen Punkten zufrieden. Die Verfasserin bestimmt als Ausgangspunkt: „In dieser Arbeit soll es nicht um eine Annäherung an die historisch greifbare Wahrheit eines bestimmten Heiligen jenseits der Legende gehen [...] Im Mittelpunkt steht vielmehr die Frage, wie sich die Verehrung einzelner [...] Heiliger im Laufe der Geschichte in Hagiographie und Kult entwickelt“ (S. 13). Von daher finden sich auch kaum Versuche, die Viten historisch zu verifizieren. Von der Fragestellung der Arbeit her ist das konsequent. Fraglich ist nur, ob dieser Ansatz auch angemessen ist. Gerade im Zuge der liturgischen Reformen in der katholischen Kirche vor und besonders nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde sehr darauf geachtet, den Heiligenkult auch historisch redlich zu vollziehen. Hagiographische Lesungen in der Liturgie, die historisch nicht haltbar waren, sind verschwunden. In der Liturgie ist also das von Krüger praktizierte (methodische) Auseinanderfallen von Kult und Geschichte überwunden. Das war im Mittelalter meist anders, aber gerade die mittelalterlichen Heiligen wurden in der restaurativen Epoche des 19. und frühen 20. Jahrhunderts mit ihrer romantisierenden Mittelalterbegeisterung stark in den Mittelpunkt gestellt. Wenn Krüger an mehreren Stellen immer wieder darauf verweist, dass der Kult der lokalen Heiligen bis ins 20. Jahrhundert hinein fortlebt (S. 158, 212, 233, 334), so wird man neugierig und möchte erfahren, inwieweit die alten Viten kultisch rezipiert wurden. Kleinere Exkurse, die sich dieser Frage vor allem aus aktueller heortologischer Sicht angenommen hätten, hätten Krügers Untersuchung abgerundet. Darüber hinaus hätte man sich auch eine breitere Verarbeitung der Sekundärliteratur gewünscht. Als Beispiel sei die Literatur zum hl. Trophimus genannt. Den hervorragenden Artikel zu diesem Heiligen von Friedrich Prinz im Lexikon des Mittelalters (VIII, Sp. 1044 f.) zitiert Krüger gar nicht, auch die dort angegebene Literatur sucht man in Krügers Literaturverzeichnis vergebens. Auf einem so beschränkten Gebiet wie der Trophimus-Forschung darf der Leser schon weitgehende Vollständigkeit der Literatur erwarten. Generell wäre eine stärkere Berücksichtigung der hagiologischen Lemmata der einschlägigen Lexika und der dort aufgeführten Literatur wünschenswert gewesen.

Diese Kritik schmälert aber nicht den mediävistischen Wert der Untersuchung vor allem bei der Auswertung der Quellen, die methodisch überzeugt und für vergleichbare Fragestellungen über den eigentlichen Untersuchungsgegenstand hinaus mit Gewinn konsultiert werden kann.

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