M. Junkelmann: Hollywoods Traum von Rom

Cover
Titel
Hollywoods Traum von Rom. 'Gladiator' und die Tradition des Monumentalfilms


Autor(en)
Junkelmann, Marcus
Reihe
Kulturgeschichte der Antiken Welt 94
Erschienen
Anzahl Seiten
462 S.
Preis
€ 59,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anja Wieber, Dortmund

Das Buch über den Film "Gladiator" (USA 2000), das zugleich ein gediegenes Kompendium über den römischen Monumentalfilm darstellt, beginnt mit einem lateinisch-deutschen Empfehlungsschreiben des bekannten Münchener Klassischen Philologen Wilfried Stroh, gewissermaßen Vertreter einer sprachlichen 'Re-enactment-Bewegung'1: "Lieber Marcus Junkelmann, dass sich Musen vortrefflich aufs Lügen verstehen, wusste schon der alte Dichter Hesiod [...] Eines jedoch konnte der Mann noch nicht ahnen: dass keine Muse dies je frecher und verwegener treiben würde als die zehnte, die sich neuerdings unter dem Namen 'Kineto' [...] dem Reigen ihrer neun Schwestern angeschlossen hat. Vor allem tut sie das, wenn sie sich eine Römertoga anzieht, um in Sandalen [...] durchs alte Römische Weltreich zu geistern, bis sie am Ende wieder auf ihrem Helikon bei Hollywood landet. Sie wirkt zwar wegen dieser Kühnheit oft recht erheiternd; aber ganz verachten sollte man sie darum doch nicht, sofern man eben nur sorgfältig zwischen dichterischer Freiheit und historischer Wahrheit unterscheidet [...]" (nach dem Inhaltsverzeichnis o.S.).

Mit einem gewissen Augenzwinkern verweist dieses Zitat allerdings auf eine der Hauptdichotomien des Buches: das Gegensatzpaar von 'dichterischer Freiheit' - gewissermaßen die Lizenz zum Filmen - und historischer Wahrheit. Dass nun gerade Marcus Junkelmann, der sich seit Jahren über Deutschland hinaus einen Namen als experimenteller Archäologe gemacht hat, diese historische Wahrheit besonders in der filmischen Darstellung der antiken Realien einfordert (S. 32, 54, 294 und passim in den Kapiteln zu Kleidung, Arena und Architektur), erstaunt nicht, ebenso wenig, dass er als Experte für römisches Militär und die Gladiatur 2 den Kassenerfolg "Gladiator" zum Ausgangspunkt seiner Bearbeitung gewählt hat. Das Prüfkriterium "richtig" oder "falsch" hat eine lange Tradition in der Dekonstruktion cineastischer Illusion, der nicht nur ein fachwissenschaftliches Publikum bei der Betrachtung eines Historienfilms, sondern auch KinogängerInnen verschiedenster Provenienz nachgehen, wie neuerdings die unzähligen Internetforen zum Thema "Filmfehler" belegen. Geschichte wird aber immer wieder neu er- bzw. gefunden und die 'historische Wahrheit' kann je nach Zeit, Ort und an der Betrachtung Beteiligten sehr verschieden ausfallen, ebenso deren Rezeption in diversen Disziplinen. Bei der Umsetzung schriftlicher Quellen, deren unterschiedliche Deutung durch Traditionalisten/Revisionisten der Fachwissenschaft Junkelmann beim Beispiel des Cäsarenwahns einräumt, ist er eher bereit, der Filmbranche Lizenzen zu erteilen; denn eine Berücksichtigung dieser Debatten erwarte er nicht unbedingt im Kino (S. 337). Einer derartigen Sicht dürfte wohl die Anschauung zugrunde liegen, dass antike Sachüberreste der 'Wahrheit' per se mehr verpflichtet und damit realitäts- und publikumsnäher seien als literarische Quellen. Die dem Publikum so eingängigen "monströsen Charaktere und spektakulären Untaten" der Kaiser (S. 337) lassen sich jedoch genauso als Konstruktion des 19. Jahrhunderts 3 entlarven wie manches Filmrequisit - warum sollte also eine filmische Adaptation nicht auch in einem gewandelten Kaiserbild 4 ihren zeitgemäßen Ausdruck finden? Außerdem haftet der Deutung der Sachüberreste genauso der Charakter des Prozesshaften und Fiktiven an: Was beispielsweise an einer Kaiserstatue als stilisiert, was als historisch 'korrekt' anzusehen ist und somit als Anleitung für einen Film zu gelten hätte, kann durchaus kontrovers gesehen werden.

Das Buch gliedert sich mit der Einleitung (S. 1-4) in 17 Kapitel, von denen die ersten 10 Kapitel die Gattung des römischen Monumentalfilms in ihrer Typik und Geschichte und dem zugrunde liegenden Geschichtsbild, auch unter Bezugnahme auf "Gladiator", untersuchen, während die restlichen Kapitel einen Filmpart aus "Gladiator" zum Ausgangspunkt für einen Vergleich der darin dargebotenen Stoffe und Motive mit anderen, älteren Filmen machen (dazu Filmographie, S. 427-429). Die zahlreichen Anmerkungen finden sich um des besseren Leseflusses willen am Ende des Bandes (S. 361-421). Die Qualität der Bebilderungen mit Filmstillen, Plakaten, Gemälden und archäologischem Vergleichsmaterial kann als vorbildlich bezeichnet werden, sind doch so Vergleiche mit visuellen Vorläufern eines Filmmotivs augenfällig, die Kontrastierung mit den antiken Realien kann unverzüglich erfolgen. Junkelmann hat die neuere Forschung zum Thema Antikfilm umfassend rezipiert und so - besonders im Falle der angloamerikanischen und französischen Forschung - einem breiteren Publikum, aber auch verschiedenen Spezialdisziplinen zugänglich gemacht, nicht zuletzt durch das umfassende Literaturverzeichnis (S. 431-445). Alle fremdsprachigen Zitate finden sich in den Anmerkungen im Original wieder, bei Zitaten der Filmdialoge wird sowohl die synchronisierte Version als auch die nicht selten davon abweichende Originalversion dargeboten.

Der Aktualität des Antikfilms geht Junkelmann im Anschluss an die Einleitung kurz nach (S. 5-11), wobei er auf den Erfolg des Films "Gladiator", aber auch auf die kritischen Stimmen eingeht. Die Darlegung, dass die filmische Eroberung der Geschichte mit den entsprechenden Auswirkungen auf ein gewandeltes historisches Bewusstsein bereits selbst auf eine fast 100-jährige Geschichte zurückblicken kann, und eine knappe Definition der Gattung 'Historienfilm' sind Themen des nächsten Kapitels (S. 12-21). In den folgenden drei Kapiteln erörtert Junkelmann die mangelnde filmische Historizität und Authentizität (S. 21-59): An filmischen Sachzwängen, die zu einer Perpetuierung der 'mangelhaften Vergangenheit' beitragen, ergeben sich u.a. die Festschreibung der SchauspielerInnen auf bestimmte Rollen, besonders im Zeitalter der großen Studios, die Anpassung des historischen Themas an einen Standardplot, die Tendenz zu filmischen Remakes und die oft nur partielle Einbeziehung der Fachleute, die zumeist in einem sehr frühen Stadium des Drehbuchs erfolgt, das dann häufig noch Veränderungen unterliegt und als Schriftdokument dem Film nicht gerecht wird. Dazu findet sich auch eine Stellungnahme Kathleen M. Colemans, Expertin zum Thema Spiele, die über ihre Erfahrung als Fachberaterin bei "Gladiator" berichtet.

Wie sehr der Antikfilm im 19. Jahrhundert verwurzelt ist, zeigt Junkelmann im Folgenden (S. 60-89), knüpfen die ersten Filme doch alle an die Historien- und Genremalerei sowie an den so genannten Professorenroman an. Die Geschichte des Genres, das ursprünglich in Italien in der Stummfilmzeit seinen Ausgang nahm, und dann - je mehr Kino zur Materialschlacht wurde - ein amerikanisches Phänomen wurde, schließt sich an. Die Ausführungen über Kostüme und Körperlichkeit (S. 116-149) zeigen die Antikfilme deutlich durch die jeweilige Mode und das Fortschreiben bestimmter, einmal filmisch etablierter Attribute (wie etwa die völlig erfundenen Unterarmmanschetten der Heroen, S. 121) geprägt. Nach einer kurzen Studie zu "Spartacus" als Paradebeispiel für die "Sachzwänge [...], denen die Herstellung eines Monumentalfilms unterworfen war und ist" (S. 151-165; hier S. 151), wendet sich Junkelmann einem Vergleich der Prologe (S. 166-176) in "Quo vadis", "The Fall of the Roman Empire" und "Gladiator" zu, um daran den unterschiedlichen filmischen Zugriff auf römische Geschichte deutlich zu machen: vom Bild Roms als Antichrist über die Endzeit Roms zum Traum vom Frieden. Der Vergleich der thematisch verwandten Filme "The Fall of the Roman Empire" und "Gladiator" mit der historischen Überlieferung (S. 177-193) ergibt diverse Abweichungen, so etwa bei den Personenkonstellationen, den Schauplätzen und der Chronologie. Die Analyse der Schlachtensequenz in "Gladiator" (S. 194-213) eröffnet neben dem Aufweis zahlreicher historischer Fehler interessante Einblicke in die Zusammenhänge mit Kriegsfilmen anderer Epochen ("Saving Private Ryan", "Path of Glory" und "Platoon") und in die Kameratechnik ("Shuttereffekt", S. 213). Es folgt eine Untersuchung zur Welt der Circusspiele und der Gladiatorenkämpfe und zu ihrer Umsetzung in Antikfilmen im Allgemeinen und in "Gladiator" (S. 214-269) im Besonderen: Unzählige Fehler beispielsweise in der Ausstattung der Gladiatoren, in der Programmfolge, in den Kampfarten und der Darstellung der Kampforte belegen, dass kein Interesse an archäologischer Rekonstruktion besteht.

Stattdessen kann die Arena vielfach als Anspielung auf andere Zeiten und Filmgenres gelesen werden. Erinnert die Ausbildung der Gladiatoren doch oft an den Umgang mit dem Drill-Sergeant im modernen Kriegsfilm (S. 229) oder das Arenageschehen an eine Sportübertragung. Die teilweise 2000 Jahre auseinander liegenden und oft futuristisch wirkenden Phantasiekostüme in "Gladiator" lassen sich als überzeitliche Metapher für Krieg verstehen, ein Eindruck, der in diesem Film noch durch Anspielungen auf Science-Fiction-Filme verstärkt wird (S. 246). Die filmische Darstellung der Größe Roms (S. 270-303) erfolgt nicht über die Wiedergabe einer archäologisch korrekten Topografie der Stadt, sondern über einen oft den Totalitarismus zitierenden Monumentalismus. Herrscherbilder orientieren sich an imperialen Vorstellungen napoleonischer Zeit (S. 290-293) und auch bei den Innenausstattungen steht das Interieur des 19. Jahrhunderts Pate. Das Feldherrenzelt des Marc Aurel in "Gladiator" gerät so zu einer "mobile(n) Außenstelle des Victoria- und Albertmuseums" (S. 302). Junkelmann geht dann der unterschiedlichen Funktionalisierung Roms im Film als Zerrbild staatlicher Tyrannei bzw. gesellschaftlicher Dekadenz einerseits und als Vorbild imperialer Größe und republikanischer Tugenden andererseits nach (S. 305-347), um in "Gladiator" in der Figur des Commodus das prohibitive Exemplum für Despotie und in dem aufrechten Kampf des Soldaten Maximus das Bild republikanischer Größe angelegt zu sehen (S. 335). Als außergewöhnlich für das Genre der Römerfilme kann die Auseinandersetzung mit dem Sterben gelten, die in "The Fall of the Roman Empire" und in "Gladiator" als Schlusspunkt dieser Untersuchung angesprochen wird (S. 348-360), besonders da beide Filme keiner christlichen Thematik verpflichtet sind, wenn auch "Gladiator" von einer "Basisreligiosität" geprägt ist (S. 351).

Junkelmann hat - wie zu Beginn angekündigt (S. 5) - in seiner Untersuchung den Zusammenhang des Films "Gladiator" mit den Vorbildern trefflich aufgedeckt und vor allem als Altertumswissenschaftler Standpunkt gegenüber Antikfilmen eingenommen. Die Gründe für ein Revival der Antikfilme werden jedoch nicht vertieft. Vor geraumer Zeit schrieb der Filmkritiker Michael Gierke: "Größe ist in dem Maße beliebt, wie sie als Thema wie als unmittelbare Erfahrung einen Ausweg aus unnützer Komplexität, schwieriger Lesbarkeit der Geschichte und Vergeblichkeit filmkritischer Intervention verspricht" 5 - unter ähnlichen Aspekten wäre künftig die "Wiedergeburt eines tot geglaubten Genres" (S. 5) zu überdenken.

Anmerkungen:
1 Stroh, Wilfried, Art. "Lebendiges Latein", in: Der Neue Pauly, Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte, Bd. 15, Stuttgart 2001, Sp. 92-99.
2 Junkelmann, Marcus, Die Reiter Roms, 3 Bde., Mainz 1990-1992; Ders., Die Legionen des Augustus. Der römische Soldat im archäologischen Experiment, 9. erg. Aufl., Mainz 2003; Ders., Das Spiel mit dem Tode. So kämpften Roms Gladiatoren, Mainz 2000.
3 Holl, Karl; Kloft, Hans; Fesser, Gerd, Caligula - Willhelm II. und der Caesarenwahnsinn. Antikenrezeption und wilhelminische Politik am Beispiel des "Caligula" von Ludwig Quidde, Bremen 2001.
4 Vgl. z.B. Winterling, Aloys, Caligula. Eine Biographie, München 2003.
5 Michael Girke, Liebling, ich habe das Kino geschrumpft. Krieg und Kino und Kritik, filmkritik 23.02.2002 (http://filmkritik.antville.org/20020223;18.04.2004).

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