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Titel
Arbeitserziehungslager Nordwestdeutschland 1940-1945.


Autor(en)
Tech, Andrea
Reihe
Bergen-Belsen Schriften 6
Erschienen
Göttingen 2003: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
331 S.
Preis
€ 66,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marc Buggeln, Universität Bremen

Die Geschichte der Arbeitserziehungslager ist erst in den letzten zehn Jahren in den Blickpunkt der Forschung zum Nationalsozialismus geraten. Dies ist überraschend, da die Lager ein zentrales Element bei der Aufrechterhaltung der Arbeitsmoral und vor allem der Unterdrückung der ausländischen Zwangsarbeiter im Dritten Reich bildeten. Unter anderem lässt sich das Versäumnis vielleicht damit erklären, dass nur wenige ehemalige Häftlinge ihre Erinnerungen an die Zeit im Arbeitserziehungslager niederschrieben und es kaum bundesdeutsche Prozesse gegen ehemalige Wachleute der Lager gab. Im Zuge der verstärkten Thematisierung des Einsatzes der ausländischen Zwangsarbeiter im Dritten Reich wurden aber auch die Arbeitserziehungslager endlich Objekt der Forschung.

Mit dem im Juni erschienenen Buch von Andrea Tech über die Arbeitserziehungslager in Nordwestdeutschland liegt nun eine weitere Veröffentlichung zum Thema vor. Das Buch wurde bereits Ende der 90er Jahre an der Universität Hannover als Dissertation angenommen. Durch das späte Erscheinen stellte sich für Tech eine wichtige Frage: Wie mit dem seit 2000 vorliegenden Standardwerk von Gabriele Lotfi zur Geschichte der Arbeitserziehungslager 1 umgehen? Tech entschied sich, das Buch in der Einleitung kurz anzuführen und in einigen Fußnoten im Hauptteil als Bestätigung ihrer Thesen zu nutzen. Auf eine kritische Auseinandersetzung mit Lotfis´ Thesen wurde jedoch verzichtet. Leider ist dieses Vorgehen symptomatisch für das Buch. Tech hat viel Fleißarbeit geleistet und dem Leser umfangreiches Material geordnet vorgelegt, doch ist sie in der Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur und der eigenen Thesenbildung sehr vorsichtig. So weiß der Leser zwar am Ende viele Details über die Arbeitserziehungslager in Nordwestdeutschland, wird aber mit der Einordnung der Fakten weitgehend allein gelassen.

Im Ansatz zeigt sich das Problem bereits in der Einleitung. So begründet Tech die Auswahl der im Buch ausführlicher dargestellten drei Arbeitserziehungslager damit, dass sie sich nach Klärung der Quellensituation so entschieden hat. Dieses Argument leuchtet nicht ein, da es auch für die nicht ausgewählten Lager in Kiel oder Salzgitter ausreichend Quellenmaterial gibt. Es wäre zudem interessant, etwas über die angesprochenen Quellen zu erfahren, doch ist dies nur über das Studium der Fußnoten möglich. Dort erkennt man, dass die Hauptquelle für alle drei dargestellten Lager aus Unterlagen besteht, die für und während der britischen Nachkriegsprozesse gesammelt wurden. Um die Besonderheit der Quellengattung und ihre Bedeutung für die Arbeit einschätzen zu können, wäre eine kurze Erläuterung in der Einleitung sinnvoll gewesen.

Der Hauptteil der Arbeit gliedert sich in zehn Kapitel, die sich in drei wesentlichen Schwerpunkten zusammenfassen lassen: Zuerst wird die Entstehungsgeschichte der Arbeitserziehungslager mit den begleitenden zentralen Erlassen dargestellt. Anschließend beschäftigt sich Tech mit den wichtigsten Gruppen für die Geschichte der Lager: der Gestapo, den Wachmannschaften und den Häftlingen. Im dritten Abschnitt werden drei nordwestdeutsche Arbeitserziehungslager im Detail untersucht. Die einführenden Abschnitte zur Entstehungsgeschichte der Arbeitserziehungslager fragen vor allem nach der Situation ausländischer Arbeitskräfte im Dritten Reich und führen im Wesentlichen zur Bestätigung der Thesen Ulrich Herberts.2 Die Einrichtung und Entstehung der ersten Arbeitserziehungslager ist kompakt und schlüssig dargestellt, geht jedoch nur selten über die Erkenntnisse Lotfis hinaus. Detaillierter als Lotfi analysiert Tech die zentralen Erlasse für die Arbeitserziehungslager. Im Zentrum stehen der grundsätzliche Erlass über die Arbeitserziehungslager vom Mai 1941 sowie die überarbeitete Fassung des Erlasses vom Dezember 1941. Neben der Beschränkung der Haftzeit auf 56 Tage sind vor allem die Regelungen hinsichtlich des Verhältnisses der Gestapo zu den Häftlinge einsetzenden Firmen von Interesse. Im Mai-Erlass sollten die Unternehmer pro Häftling den Tariflohn für einen ungelernten Arbeiter plus 15 Prozent für Unfall- und Sozialversicherung an das Reich überweisen. Im Dezember-Erlass wurde der Satz dann auf Tariflohn plus 10 Prozent abgesenkt. Der Großteil der gezahlten Summe wurde vom Reich einbehalten, die Häftlinge erhielten nur 0,50 RM pro Tag von ihrem Lohn. Wie Tech später zeigt, waren diese Regelungen ein zentraler Konfliktpunkt zwischen Gestapo und Unternehmen.

Das bewachende und verwaltende Personal der Arbeitserziehungslager zeichnete sich nach Tech vor allem durch seine Inhomogenität aus. Verantwortlich für die Rekrutierung war die Gestapo. Sie hatte die Möglichkeit, Polizisten abzustellen oder Dienstverpflichtungen bzw. Neueinstellungen vorzunehmen. Die Lagerführer wurden direkt vom Chef der zuständigen Gestapo ernannt. Obwohl die Lagerführer diesen unterstellt blieben, handelten viele nach Dienstantritt eigenmächtig und selbstherrlich. Die gesonderte Stellung erlaubte ihnen Freiheiten und die Vorgesetzten griffen oft nur zögerlich ein. Anschließend beschreibt Tech die Biografien einiger Lagerführer, wobei sie auf die Bewertung der Ähnlichkeiten und Unterschiede in den Biografien verzichtet. So hat Tech zwar mehr Material zu den zentralen Tätern gesammelt als Lotfi, kommt aber in der Einordnung nicht über deren Erkenntnisse hinaus. Bei der Gruppe der Wachmannschaften gelingt es Tech die Heterogenität der eingesetzten Personen und deren Aufgabenzuteilung gut herauszuarbeiten. So wurde in Liebenau die lagerinterne Bewachung von der Schutzpolizei und die äußere Bewachung vom Werkschutz geleistet, während bei den Hermann-Göring-Werken der Werkschutz auch für die lagerinternen Aufgaben zuständig war. Aus diesem Grund wurde der Werkschutz dort schon 1942/43 der Befehlsgewalt der Gestapo unterstellt. In Lahde, Oldenburg und Steinbergen wurden Angehörige privater Wachdienste zur Bewachung der Häftlinge eingesetzt. Tech zeigt die zunehmende Bedeutung von Werkschutz und Wachdiensten und deutet an, wie wertvoll eine Arbeit sein könnte, die sich dem Ausbau dieser Dienste im Nationalsozialismus widmen würde.

Im Kapitel über die Häftlinge in den Arbeitserziehungslagern untersucht Tech zuerst die Einweisungsgründe und –prozeduren. Hierbei kommt sie zu einer Überbewertung der Rolle der Gestapo bei der Einweisung, die auch im Fazit bekräftigt wird. Dort heißt es: “Mit der Zeit entwickelten sich die Arbeitserziehungslager mehr und mehr zu einer Art “Haus-KZ” der jeweils zuständigen Gestapo-Stellen.” (S. 297) Die Einschätzung führt zu einer Heraushebung weniger Einzelpersonen und Sondergruppen unter den Häftlingen, welche direkt von der Gestapo ausgewählt wurden. Die Mehrzahl der Inhaftierten kam hingegen auch zum Kriegsende hin weiter durch Anzeige der Arbeitgeber in die Arbeitserziehungslager. Zudem wird zumindest für das Lager in Bremen-Farge die große Bedeutung der Handelskammer als Koordinatorin der Firmeninteressen übersehen. Gesondert untersucht Tech vor allem die jüdische Häftlingsgruppe sowie die Rolle der in die Arbeitserziehungslager überstellten Kriegsgefangenen. Der Schwerpunkt der Ausführungen liegt auf dem Lager Lahde, in dem sowohl die eingewiesenen jüdischen Häftlinge, wie auch die sowjetischen und britischen Kriegsgefangenen sehr hohe Sterblichkeitsziffern aufwiesen. Über die Belegungszahlen und die Zusammensetzung der Häftlingsgruppen in den einzelnen Lagern konnten nur wenige konkrete Angaben ermittelt werden. So kann Tech im Wesentlichen festhalten, dass in vielen der untersuchten Lager der Anteil der sowjetischen und polnischen Häftlinge an der Gesamtbelegung bei über 70 Prozent lag.

Von den im dritten Abschnitt ausführlicher dargestellten Arbeitserziehungslagern wird dem Lager in Lahde am meisten Platz eingeräumt. Dort wurden die Häftlinge zum Bau eines Kraftwerks der Preußag eingesetzt. Die Aufnahmeprozedur, die hygienischen Bedingungen und das Ausmaß der eingesetzten Gewalt waren dort ohne Zweifel mit jenem in einem Konzentrationslager vergleichbar. Von zentraler Bedeutung ist die Erkenntnis, dass dort die Funktionshäftlinge weit länger als die erlaubten 56 Tage festgehalten wurden und eine ausgebildete Häftlingshierarchie entstehen konnte. Die Evakuierung des Lagers war von besonderer Brutalität gekennzeichnet. Bei der Räumung exekutierte das Lagerpersonal vor Ort zwanzig Häftlinge, den Rest verbrachte man zur Gestapostelle Hannover-Ahlem. Dort wurde der große Teil der Häftlinge später bei den Exekutionen der Hannoveraner Gestapo auf dem Seelhorster Friedhof getötet.

Tech hat für das Lager in Lahde auch Unterlagen über Verhandlungen zwischen der Gestapo und einer von der Preußag eingesetzten Baufirma gefunden, deren zentralen Inhalt Auseinandersetzungen über die Häftlingsentlohnung bilden und die einen von der Forschung bisher wenig ausgeleuchteten Bereich erhellen. Der Tariflohn für ungelernte Bauarbeiter betrug damals 0,58 Reichsmark. Dem Erlass vom Dezember 1941 entsprechend, hätte die Baufirma der Gestapo 0,64 Reichsmark überweisen müssen. Im ersten Vertragsentwurf zwischen den Firmen und der Gestapo waren jedoch nur von 0,54 Reichsmark plus fünf Prozent die Rede. Aus diesem Grund verweigerte das Reichssicherheitshauptamt dem Vertrag die Anerkennung und bestand auf der Zahlung der im Erlass festgelegten Summe. Daraufhin beschwerte sich die Baufirma, dass bereits der im Vertrag festgelegte Lohn weit über den Wert der von den Häftlingen geleisteten Arbeit hinausginge und sie 0,40 Reichsmark für eine angemessene Bezahlung halten würde. Leider geht aus den Unterlagen nicht hervor, wie sich die Parteien schließlich einigten.

Zusammenfassend betrachtet ist Tech ein faktengesättigtes Buch über die nordwestdeutschen Arbeiterziehungslager gelungen, das einige neue Erkenntnisse zu Tage fördert. Da Tech aber in der Heraushebung der Besonderheiten, in der Bildung weiterreichender Thesen und in der Auseinandersetzung mit vorheriger Forschung sehr zurückhaltend argumentiert, hat das Werk nicht die Qualität, Gabriele Lotfis Buch als Standardwerk zur Geschichte der Arbeitserziehungslager abzulösen.

Anmerkungen:
1 Lotfi, Gabriele, KZ der Gestapo. Arbeitserziehungslager im Dritten Reich, Stuttgart 2000.
2 Herbert, Ulrich, Fremdarbeiter. Politik und Praxis des “Ausländer-Einsatzes” in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Berlin 1985.

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