E. Goez: Pragmatische Schriftlichkeit und Archivpflege

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Titel
Pragmatische Schriftlichkeit und Archivpflege der Zisterzienser. Ordenszentralismus und regionale Vielfalt, namentlich in Franken und Altbayern (1098-1525)


Autor(en)
Goez, Elke
Reihe
Vita regularis 17
Erschienen
Münster 2003: LIT Verlag
Anzahl Seiten
398 S.
Preis
€ 29,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bernhard Lübbers, Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaft, Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Die Geschichte des Zisterzienserordens ist in vielen Bereichen noch weitgehend unerforscht. Dies gilt insbesondere für die Zeit des Spätmittelalters.1 Die hier vorliegende Passauer Habilitationsschrift versucht eine Lücke in der Forschung über fränkische und altbayerische Zisterzen, namentlich gerade für das Spätmittelalter zu schließen. Die Verfasserin Elke Goez, Editorin der ältesten Urkunden der Zisterze Ebrach 2, hatte sich zum Ziel gesetzt, „die Verwaltungs- und Archivpraxis der Zisterzienser, ihr[en] Umgang mit dem eigenen urkundlichen und administrativen Schriftgut“ zu untersuchen (S. 2). Ein Forschungsfeld, das allgemein in jüngster Zeit besonders durch den Sonderforschungsbereich der Deutschen Forschungsgemeinschaft 231, „Träger, Felder, Formen der pragmatischen Schriftlichkeit im Mittelalter“ an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, verstärkt Aufmerksamkeit erfahren hat.3 Gerade der Zisterzienserorden mit seinen besonderen Verfassungscharakteristika und der schon früh ausgeprägten Sorge um die schriftliche Überlieferung bot sich für eine solche Untersuchung an.

Die regionale Beschränkung wurde von Goez mit Bedacht gewählt, da die Zisterzen des fränkisch-bayerischen Raumes eine überaus gute archivalische Überlieferung bieten und zudem eine regionale Einschränkung eine intensivere Beschäftigung mit der Thematik gewährleistet. Untersuchte Zisterzen waren in erster Linie Ebrach, Heilsbronn, Langheim, Kaisheim, Aldersbach, Fürstenfeld, Fürstenzell und Gotteszell. „Eher ergänzend wird der Blick auf Bronnbach, Bildhausen und Raitenhaslach sowie auf Waldsassen, Walderbach und Schöntal gerichtet. Außer Betracht bleiben die österreichischen Konvente in Rein, Heiligenkreuz, Zwettl, Baumgartenberg, Viktring, Wilhering, Engelszell, Lilienfeld und Stams sowie das nur kurze Zeit dem Orden angehörige Schlägl […]“. (S. 8) Die Frauenkonvente aus diesem Raum wurden ebenfalls ausgespart, da hier die Überlieferungslage sehr viel schlechter und zudem bislang völlig unzureichend erschlossen ist.

Zuerst legt die Autorin die Forschungslage zu diesem Thema dar, welche sich überaus disparat darstellt (S. 9-18). Dann folgen, in der Abfolge ihres Gründungsdatums, historische Skizzen der Zisterzen Ebrach (S. 24-31), Heilsbronn (S. 31-35), Langheim (S. 36-42), Waldsassen (S. 42-46), Kaisheim (S. 46-52), Walderbach (S. 52-55), Raitenhaslach (S. 56-60), Aldersbach (S. 60-66), Bronnbach (S. 66-70), Schöntal (S. 71-74), Bildhausen (S. 75-80), Fürstenfeld (S. 80-85), Fürstenzell (S. 85-88) und Gotteszell (S. 88-91), die jeweils auch eine Darstellung der archivalischen Quellenlage sowie deren Erschließung beinhalten.

Nach diesem historischen Überblick beginnt die eigentliche Untersuchung, die querschnittartig diverse Aspekte pragmatischer Schriftlichkeit am Beispiel der ausgewählten Zisterzen beleuchtet.

Gerade die oben angesprochenen spezifischen Charakteristika des Ordens förderten Schriftlichkeit maßgeblich. In einem eigenen, großen Kapitel werden deshalb auch die „Vorgaben des Ordens“ thematisiert. So waren beispielsweise Entschuldigungsschreiben im Falle des Fernbleibens vom Generalkapitel genauso vorgeschrieben, wie festgestellte Missstände bei Visitationen schriftlich fixiert werden mussten. In letzterem Fall diente Verschriftlichung auch als Kontrollinstanz, um Missbrauchsversuchen durch die Visitatoren vorzubeugen. Neu errichtete Zisterzen sollten sich nach Möglichkeit auch Abschriften der päpstlichen Schutzbriefe für den gesamten Orden beschaffen. Viele Anregungen zu einer Verwaltung, die hauptsächlich auf Schriftlichkeit beruhte, kamen aus der so genannten „Verwaltungskritik des Stephan Lexington“, welche in einem eigenen Kapitel behandelt wird. Den einzelnen Formen sowie Typen von Schriftlichkeit ist ein großer Teil der Untersuchung gewidmet: „Regionale Traditionen, Anpassungen und Neuansätze“ (S. 185-269). Hier werden die einzelnen, bis heute in der Überlieferung nachweisbaren Aspekte und Formen pragmatischer Schriftlichkeit analysiert und in den allgemeinen Kontext eingeordnet. Auch hier seien stellvertretend nur einige Beispiele herausgegriffen. Goez weist hinsichtlich der vornehmlich altbayerischen und österreichischen Sonderform der Traditionsnotiz auf – bislang in der Forschung kaum beachtete – burgundische Parallelen hin, was allerdings noch einer genaueren Untersuchung bedarf. Hinsichtlich von Urbaren und Zinsbüchern kann sie nachweisen, dass es wohl für die einzelnen Klosterämter wie für die Außenhöfe der Klöster, die so genannten Grangien, „Spezialurbare“ gab (S. 234). Mit Hilfe der Dorsualnotizen auf den Urkunden gelingt es Elke Goez, die Ordnungs- und Aufbewahrungsprinzipien in den jeweiligen Klöstern zu rekonstruieren (S. 240-260). Daneben wird die Frage von Teilarchiven, die in den einzelnen Grangien existierten, sowie der Schutzverlagerung von Archivalien behandelt (S. 260-277). Gerade bei Kriegsgefahr boten sich die Stadthöfe der Zisterzienser als Zufluchtsmöglichkeit an. Dorthin wurden neben den Kleinodien auch Bücher und Archivalien in Sicherheit gebracht, wie dies beispielsweise in den Rechnungen Aldersbachs schon für das Jahr 1307 belegt ist.4 Eine weitere Ausprägung der schriftlichen Verwaltung innerhalb des Zisterzienserordens sind die im Zusammenhang mit den Visitationen entstandenen Dokumente, die sich nur äußerst selten erhalten haben.5 Umso außergewöhnlicher nimmt sich ein Codex aus dem Bestand des ehemaligen Klosters Aldersbach aus, der heute im Bayerischen Hauptstaatsarchiv München verwahrt wird und bislang von der Forschung kaum beachtet wurde. Elke Goez analysiert diesen Codex ausführlich und kann in bemerkenswerter Dichte zeigen, wie intensiv sich sowohl die Kommunikation als auch der Informationsfluss innerhalb einer Filiation ausnahm.

Gegen Ende ihrer Studie kommt Goez zu dem Schluss, dass die Zisterzienser „zweifellos an hervorragender Stelle“ zu „den Lehrmeistern“ pragmatischer Schriftlichkeit gehörten, diese Vorrangstellung allerdings im Laufe des Spätmittelalters einbüßten (S. 303). Die weißen Mönche mussten sich so organisieren, da ohne ausgeprägte Schriftlichkeit der Ausbau der Grundherrschaft nur schwerlich in diesem Maße möglich gewesen wäre. Die „Archive waren die Arsenale der Klöster zur Verteidigung ihrer materiellen Stellung“ (S. 312) und die in ihnen bewahrten Dokumente gleichsam die Waffen, die zu dieser Verteidigung notwendig waren.

Leider fehlt dem Band ein Register, was umso bedauerlicher ist, da die vielfältigen Forschungsergebnisse gerade im Hinblick auf die einzelnen Zisterzen auch für die regionale Forschung ungemein anregend wären. Einige kleinere Ungenauigkeiten und Anmerkungen sind noch anzuführen. So konnte Ottheinrich Waldsassen 1571 nicht mehr auflösen (S. 45), da er bereits am 12. Februar 1559 in Heidelberg gestorben war. Weiterhin wäre im Hinblick auf den Absatz, welcher sich mit der Einrichtung einer zentralen Finanzkasse in Cîteaux beschäftigt (S. 144f.) zumindest ein Hinweis auf die Edition von Johnson und King wünschenswert gewesen.6 Zu fragen ist ferner, warum das Jahr 1098 in den Titel der Studie aufgenommen wurde, beginnt sie doch erst mit der Gründung der Abtei Ebrach im Jahr 1127.

Diese Marginalien schmälern jedoch weder die Leistung der Autorin noch den positiven Gesamteindruck der Studie. Elke Goez kann eindrucksvoll zeigen, dass die Zisterzienser Vorreiter moderner Verwaltungstätigkeit waren, da die weißen Mönche schon sehr früh die Bedeutung einer schriftlichen Verwaltung und damit zusammenhängend auch einer entsprechenden Aufbewahrung von schriftlichen Erzeugnissen erkannt hatten. Bereits Reinhard Schneider hatte mit seiner innovativen Studie „Vom Klosterhaushalt zum Stadt- und Staatshaushalt“ gezeigt, dass die weißen Mönche im Bereich der wirtschaftlichen Verwaltung und Rechnungslegung führend in ganz Europa waren.7 Mit ihrer verdienstvollen Studie konnte Elke Goez dem Bild über den Zisterzienserorden einen weiteren, wichtigen Aspekt hinzufügen. So bleibt nur, dem Buch eine gute Aufnahme und viele Leser zu wünschen.

Anmerkungen:
1 Vgl. Eberl, Immo, Die Zisterzienser. Geschichte eines europäischen Ordens, Stuttgart 2002, S. 8.
2 Goez, Elke (Hg.), Codex diplomaticus Ebracensis 1: Die Urkunden der Zisterze Ebrach 1127-1306, 2 Bde., Neustadt an der Aisch 2001.
3 Vgl. beispielsweise Keller, Hagen; Grubmüller, Klaus; Staubach, Nikolaus (Hgg.), Pragmatische Schriftlichkeit im Mittelalter. Erscheinungsformen und Entwicklungsstufen, München 1992.
4 Vgl. Muffat, Karl August, Historische Notizen aus einem Rechnungsbuche des Klosters Aldersbach, München 1856, S. 453.
5 Vgl. Oberste, Jörg, Die Dokumente der klösterlichen Visitationen, Turnhout 1999.
6 Johnsen, Arne Odd; King, Peter (Hgg.), The Tax Book of the Cistercian Order, Oslo 1979. Vgl. hierzu auch die Studie von King, Peter, The Finances of the Cistercian Order in the Fourteenth Century, Kalamazoo 1985.
7 Schneider, Reinhard, Vom Klosterhaushalt zum Stadt- und Staatshaushalt, Stuttgart 1994.

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