N. Spannenberger: Der Volksbund der Deutschen in Ungarn 1938-1944

Cover
Titel
Der Volksbund der Deutschen in Ungarn 1938-1944 unter Horthy und Hitler.


Autor(en)
Spannenberger, Norbert
Reihe
Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 22
Erschienen
München 2002: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
472 S.
Preis
€ 44,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Árpád von Klimo, International University Bremen

Mit seiner preisgekrönten Münchner Dissertation (1999) füllt Norbert Spannenberger eine Lücke in der Geschichte der ungarndeutschen Verbände der Zwischen- und Weltkriegszeit, die bisher noch nicht adäquat erforscht wurde. Spannenberger kann zeigen, dass die Probleme der ungarndeutschen Minderheitenpolitiker unmittelbar mit der spezifischen außen- und innenpolitischen Situation Ungarns zusammenhingen. Um es auf eine kurze Formel zu bringen: Der extreme ungarische Nationalismus nach Trianon verhinderte die Entstehung einer gemäßigten ungarndeutschen Minderheitenvertretung und trieb später viele Ungarndeutschen wider deren Willen in die Arme der nationalsozialistischen „Deutschtums“-Politik. Ähnlich wie bei der sozialen Frage führte die kurzsichtige Politik der ungarischen Eliten dazu, dass Ende der 1930er-Jahre nationalsozialistisch orientierte Parteien und Verbände bei sich benachteiligt fühlenden Gruppen Deutungshoheit errangen. Erschwerend wirkte sich aus, dass die deutsche Minderheit in Ungarn – im Unterschied zu den Nachbarländern – vor 1918 kaum politisch in Erscheinung getreten war.

In sieben Kapiteln behandelt der Autor Vorgeschichte, Geschichte und Ende des 1938 gegründeten „Volksbunds“ der deutschen Minderheit in Ungarn. Die größte nationale Minderheit des verkleinerten ungarischen Königreichs konnte sich aufgrund des Drucks nationalistischer Kreise nicht politisch betätigen. Die ungarischen Nationalisten, die auch die Presse und das politische Leben dominierten, kriminalisierten jeglichen Versuch, politische Forderungen anzumelden, als „Staatsverrat“. In diesem Klima gelang es dem Germanisten und Budapester Hochschullehrer Jakob Bleyer, kleinere Spielräume für den 1924 gegründeten Ungarländischen Deutschen Volksverein zu gewinnen. Er taktierte geschickt zwischen den verschiedenen Vertretern der Donauschwaben, der Siebenbürger Sachsen sowie der ungarischen Regierung und dies mit indirekter Unterstützung Deutschlands. Die erreichten Zugeständnisse bleiben trotzdem gering. Der Sekretär des Vereins, Franz Anton Basch, der in Deutschland studiert hatte und stark von völkischen Ideen geprägt war, erlangte ab Mitte der 1930er-Jahre, nach Verbüßung einer mehrmonatigen Gefängnisstrafe wegen „Demütigung der ungarischen Nation“ (S. 98), großen Einfluss auf die Politik der ungarndeutschen Bewegung.

Spannenberger beschreibt, wie der Prozess gegen Basch dazu führte, dass dieser im Reich und bei anderen „Deutschtums“-Verbänden zum „Führer der Deutschen in Ungarn“ stilisiert wurde. Die diskrimierende Politik des rechtsradikalen Ministerpräsidenten Gömbös führte zu einer Spaltung des Volksbildungsvereins und zu einem Erstarken der völkisch ausgerichteten „Volksdeutschen Kameradschaft“, der auch Basch angehörte. Zudem mischte sich seit 1939 die deutsche Regierung zunehmend in die Belange des „Deutschtums“ auch in Ungarn ein, obwohl es weiterhin gewisse Vorbehalte wegen des Bündnisses mit Ungarn gab, das 1939 dem Antikominternpakt beigetreten war. Bis zur Besetzung Ungarns durch deutsche Truppen im März 1944 bemühte sich die ungarische Regierung weiterhin, die Rechte der deutschen Minderheit zu beschränken. Seit dem Kriegseintritt Ungarns schließlich, als die Rekrutierung von „Freiwilligen“ zur SS unter den „Volksdeutschen“ von der ungarischen Regierung zugelassen wurde, engten sich die Spielräume für die Vertreter der deutschen Minderheiten mehr und mehr ein, denen lediglich die Assimilierung als Ausweg blieb. Der Autor beschreibt diesen Prozess in all seinen Verästelungen, im Bezug auf die sich verändernden außen- und innenpolitische Situationen. Er kann ihn anhand von Quellen aus verschiedenen deutschen und ungarischen Archiven sowie durch Experteninterviews (nicht: „oral history“, wie es im Anhang heißt) eindrucksvoll belegen.

Trotz aller Verdienste dieser quellennahen Studie, sollen aber auch ihre teilweise gravierenden Unzulänglichkeiten nicht verschwiegen werden. Schon in der Einleitung fällt auf, dass der Autor zwar einige Forscher, besonders Repräsentanten der ungarischen Forschung der kommunistischen Zeit bzw. frühere Arbeiten von Ungarndeutschen, als „unwissenschaftlich“ abkanzelt, aber es offenbar selbst nicht für notwendig hält, seine eigene Fragestellung und Methoden darzulegen. Wie soll die wissenschaftliche Distanz zu den Quellen ohne begründeten und reflektierten Ansatz erzeugt werden? Daher verwundert es nicht, dass Spannenberger an vielen Stellen ganz ungezwungen hochproblematische Quellenbegriffe wie „Volkstum“, „Volkstumskampf“ (z.B. S. 17) übernimmt. Erschwerend tritt hinzu, dass er weder die Nationalismusforschung noch die inzwischen ebenfalls ausufernde Minderheitenforschung rezipiert. Was eine Nation und eine Nationalität ist, wird stillschweigend vorausgesetzt, dabei geht es bei der Nationalitätenpolitik gerade um Diskurse, in denen „ethnische“ Identitäten überhaupt erst konstruiert werden. Der Tunnelblick auf die Minderheitenfunktionäre führt auch dazu, dass Spannenberger die deutsche Minderheit gleichsetzt mit dieser Funktionärselite. So spricht er am Schluss des Buches von den „Rahmenbedingungen für die Geschichte der Deutschen in Ungarn“, dabei geht es bei ihm einzig und allein um die Möglichkeiten, Strategien und Ergebnisse der Politik einzelner Minderheitenpolitiker, aber keineswegs um „die Deutschen“ in Ungarn (S. 396). Trotz seiner Schwächen kann das Buch von Spannenberger als Standardwerk über die Geschichte des Volksbunds angesehen werden.

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