Die jüngst von Manfred Clauss ins Leben gerufene Reihe "Gestalten der Antike" widmet sich biografisch fassbaren Männern und Frauen des Altertums, deren Leben spannend, klar, informativ und allgemein verständlich dem Leser vermittelt werden soll (S. 7). Hartmut Leppin beschäftigt sich in diesem Zusammenhang mit der Person Theodosius' des Großen, und, um es vorwegzunehmen, was er uns "erzählt" (S. 14) - denn mit der Konzeption von Geschichtsschreibung als "Erzählung" hat er offensichtlich keine Probleme -, ist in hohem Maße überzeugend und der Intention des Herausgebers entsprechend.
Auf ein einführendes Kapitel über das spätrömische Reich und seine Probleme im Allgemeinen (S. 15ff.) lässt Leppin einen kleinen Abschnitt über den Lebenslauf des Theodosius vor seiner Bestellung zum Augustus folgen (S. 29ff.). Anschließend werden die Ereignisse während der Herrschaft des Kaisers weitgehend in chronologischer Folge erzählt, gegliedert nach den Aufenthaltsorten unseres Protagonisten: zunächst also die schwierigen Anfangsjahre bis 383, geprägt von den Folgen der epochalen Niederlage gegen die Goten bei Adrianopel und der Notwendigkeit, die Eliten des Ostens dem gebürtigen Spanier Theodosius gefügig zu machen (S. 35ff.). Jahren der Konsolidierung (S. 87ff.) folgte 387/88 die Herausforderung durch den Gegenkaiser Magnus Maximus und nach dessen Bezwingung ein dreijähriger Aufenthalt in Mailand (S. 135ff.). Nach der notdürftigen Neuordnung des Westens kehrte Theodosius in den östlichen Reichsteil zurück, wo die politischen und religiösen Spannungen während seiner Abwesenheit keineswegs geringer geworden waren (S. 169ff.). Dennoch war er in seiner letzten Regierungsphase 394/95 nochmals gezwungen, Konstantinopel zu verlassen (S. 205ff.). Nach der gewaltsamen Niederringung des Usurpators Eugenius verstarb der Kaiser am 17. Januar 395 im Alter von nicht einmal fünfzig Jahren in Mailand.
Leppins Darstellung schreitet in der Regel zügig voran; nur an einzelnen Stellen, wie zum Beispiel dem Gotenvertrag von 382 (S. 49ff.), dem Streit um die Zerstörung der Synagoge von Kallinikon 388 (S. 139ff.) und selbstverständlich dem berühmten Bußakt von Mailand 390 (S. 153ff.) leistet er sich eine eingehendere Betrachtung - mit Recht, denn es handelt sich in all diesen Fällen um Episoden, die für die Beurteilung von Theodosius' Wirken von herausragender Bedeutung sind.
Im letzten Kapitel, das bezeichnenderweise den Titel "Theodosius der Große" trägt, versammelt Leppin nochmals alle bereits im vorausgehenden Text eingeführten Aspekte, die ihn zu seinem insgesamt positiven Theodosius-Bild geführt haben (S. 229ff.). Er betont vor allem den umfassend integrativen Ansatz des Kaisers (S. 232ff., aber auch schon zuvor, z.B. auf S. 84 u. 219), seinen Willen, angesichts der zentrifugalen Kräfte innerhalb des Reiches, allen sozialen, politischen und religiösen Gruppen entgegenzukommen, soweit es sein Bekenntnis zum nizänischen Christentum zuließ. Zwar sei Theodosius seit seiner Taufe im Jahre 380 gerade in seiner Religionspolitik nicht unerheblich determiniert gewesen, doch dürfe man sich durch die harschen Verlautbarungen seiner Gesetze nicht über deren in der Regel milde und nachsichtige Umsetzung täuschen lassen. Der Kaiser hatte angesichts der vielfältigen Probleme in Ost und West kein Interesse an einer weiteren Radikalisierung auf religiösem Gebiet; in zentralen Bereichen seiner Außendarstellung wahrte er strikt den "Code der religiösen Neutralität" (S. 223).
Es gehört zu den Vorzügen von Leppins Buch, dass er über den unbestreitbaren Erfolgen seines Protagonisten nicht die - sonst leicht übersehenen - strukturellen Mängel von dessen Herrschaft aus den Augen verliert. Das Taktische, vielfach Situationsgebundene und Vorläufige seiner Handlungen ist Resultat der Schwäche eines Mannes, dem es während der sechzehn Jahre seiner Regierung nicht gelungen ist, die zivilen Eliten in Ost und West dauerhaft an seine Person zu binden (S. 57ff., 115ff., 181ff., zusammenfassend S. 234f.), der die Finanz- und Rekrutierungsprobleme seines Reichsteils - erst recht nicht des Westens - nie in den Griff bekam (S. 119f., 162f., 185, zusammenfassend S. 234) und der schon zu seinen Lebzeiten die Vernachlässigung von Räumen, die aus der Sicht Konstantinopels als peripher betrachtet werden konnten (Nordafrika, Gallien usw.) in Kauf genommen zu haben scheint (S. 149, 167, 202f.). Vielleicht redet Leppin etwas zu oft von Zufall und Fortüne, wenn er Erfolge des Theodosius erklären will (S. 115, 133, 219, 233f., 239), aber richtig liegt er schon damit, dass die Ballung an Bedrohungen, denen das Reich zumal nach 395 ausgesetzt war, auch einen so flexiblen Herrscher wie ihn möglicherweise überfordert hätte (S. 234).
Hartmut Leppin hat ein Buch über Theodosius den Großen geschrieben, das gut lesbar ist und sich für interessierte Laien und Fachhistoriker gleichermaßen zur Lektüre eignet. Über die Anmerkungen am Ende des Buches ist leicht ein tieferes Eindringen in die Forschungsliteratur möglich, denn der Autor verzeichnet nahezu stets die jüngste Monografie bzw. den jüngsten Aufsatz zum gerade angeschnittenen Thema, auf dessen Basis dann weiterrecherchiert werden kann. An mehreren Stellen führt Leppin exemplarisch Quelleninterpretationen vor (etwa zu Theodoret auf S. 41ff. u. zu Themistios auf S. 60ff.), die - wie eingangs vom Herausgeber gefordert (S. 7) - Einblick in die "Werkstatt" des Historikers vermitteln und auch auf diese Weise den Brückenschlag zwischen Fachwissenschaft und interessierter Leserschaft schlagen.
Gegenüber all den geschilderten Vorzügen könnte Kritik leicht beckmesserisch erscheinen, dennoch seien zum Ende dieser Rezension diesbezüglich zwei Anmerkungen gemacht:
1. An verschiedenen Stellen erwähnt Leppin, dass Theodosius in seiner öffentlichen Repräsentation an seine kaiserlichen Vorgänger Trajan und Konstantin den Großen hat anknüpfen wollen (S. 129, 198f., 231). Dieser Aspekt hätte durchaus eine kurze, in sich abgeschlossene (und eben nicht verstreute) Darstellung, z. B. im Rahmen des Kapitels "Die werdende Hauptstadt: Konstantinopel", verdient gehabt, gibt er doch zusätzliche Hinweise für das Selbstverständnis des beschriebenen Herrschers.
2. Leppin neigt mit Recht dazu, lieb gewonnene und durch die Handbücher festgeklopfte Gewissheiten zu relativieren, so etwa auch die Vorstellung, Theodosius sei eben ein frommer nizänischer Christ gewesen, und seine (Religions-)Politik sei, zumal seit seiner Taufe, von diesem Faktum maßgeblich bestimmt gewesen. Demgegenüber betont er auch hier den taktischen Aspekt: Das Bekenntnis zum Nizänum habe sich für den Kaiser auch und vor allem politisch ausgezahlt (zusammenfassend S. 235ff.); selbst Ereignisse wie der so genannte Bußakt von Mailand 390 hätten den Kaiser mittelfristig als christlichen Herrscher eher gestärkt als geschwächt (S. 158ff., 238). Dem lässt sich Folgendes entgegenhalten: Durch seine vorzeitige Taufe im Jahre 380 hat sich Theodosius sicherlich in weitaus höherem Maße seinem (nizänischen) Bekenntnis und der Weisung der Kirche verpflichtet gefühlt als seine Vorgänger, denn ihm war dadurch nun einmal die Möglichkeit genommen, sich auf dem Totenbett wie einst Konstantin durch den Empfang der Sakramente von allen begangenen Sünden rein zu waschen. Dies verpflichtete ihn geradezu zu einem eindeutigen Zeugnis in der Frage der Wesenheit Jesu, obwohl er dadurch notwendig Unruhe zwischen Nizänern und Homöern stiften musste. Und - das zeigt der Bußakt von Mailand - es machte ihn in gewisser Weise gegenüber forschen Klerikern wie Ambrosius erpressbar, ob das nun in diesem speziellen Falle weltgeschichtliche Folgen gehabt hat - dies wird von Leppin sicher zu Recht abgelehnt (S. 159ff.) - oder nicht.
Die angeführten Kritikpunkte schmälern den uneingeschränkt positiven Eindruck des Buches in keiner Weise. Insbesondere im letzten Fall handelt es sich ja um eine Gewichtungsfrage, die jedem Beurteiler der Geschehnisse persönlich anheim gestellt ist. Das Buch, das Hartmut Leppin über Theodosius den Großen geschrieben hat, kann jedem, der sich mit der Person und ihrer Zeit beschäftigt, als einführende Lektüre empfohlen werden.