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Titel
Der Winterkönig. Friedrich von der Pfalz. Bayern und Europa im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges


Herausgeber
Haus der Bayerischen Geschichte
Erschienen
Stuttgart 2003: Theiss Verlag
Anzahl Seiten
376 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Magnus Rüde, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Er war beides zugleich: ein Medienereignis seiner Zeit und doch nur eine Randfigur in den blutigen politischen Auseinandersetzungen des Dreißigjährigen Krieges. So blieb dem Pfalzgrafen Friedrich V. nach seiner Niederlage am Weißen Berg 1620 von seiner Königswürde nur noch ein trostloses Exil in den Niederlanden und der beißende Spott einer Flut von Flugschriften, die ihm den noch heute prominenten Titel “Winterkönig“ verliehen. Der Spottname dient nun dem Haus der Bayerischen Geschichte als Aufhänger für eine im Frühjahr 2003 in Amberg eröffnete Ausstellung. Sie will zeigen, wie sehr das Schicksal des jungen Pfalzgrafen nicht nur mit der Geschichte der Oberpfalz, sondern auch mit jener der angrenzenden Regionen Bayern und Böhmen sowie mit dem gesamteuropäischen Geschehen verknüpft ist.

Dieser ambitiösen Zielsetzung dient auch der konzeptionell und gestalterisch aufwändige Ausstellungskatalog. Über eine dank CD-Rom auch multimedial aufbereitete Zusammenschau des in Amberg gesammelten Schatzes an Exponaten hinaus bieten 16 Aufsätze zu Biografie, politischen Ereignissen, Wirtschafts- und Kulturgeschichte einen perspektivenreichen Einblick in das Thema. Hierbei wird deutlich, wie eng und vielfältig die Beziehungen in einem Gebiet waren, das sich von Kaiserslautern bis an die Moldau erstreckte und mit Heidelberg, Nürnberg und Prag wichtige Zentren spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Reichspolitik aufwies.

Die einleitenden biografischen Beiträge zu Friedrich V. und Elizabeth Stuart von Peter Bihlhöfer und Rosalind Marshall liefern über die Hauptdarsteller der Ausstellung hinaus einen Abriss zur ambitiösen Politik der Kurpfalz zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Nach der Gründung der Protestantischen Union 1608 erhielt der vornehmste weltliche Reichsstand dank der dynastischen Verbindung mit dem englischen Königshaus endgültig den Rang eines ernstzunehmenden Akteurs in den frühneuzeitlichen internationalen Beziehungen. Aber bereits an dieser Stelle werden die konzeptionellen Schwächen des Katalogs und der Ausstellung sichtbar. Denn über dem allzu Anekdotischen versäumen es die Autoren, die strukturellen Bedingungen Kurpfälzer Politik im Reich und im europäischen Mächtesystem zu erörtern. So erscheint die schicksalhafte Annahme der böhmischen Krone dem Launenspiel eines ehrgeizigen Ehepaares geschuldet gewesen zu sein, ohne dass die schwierigen politischen Entscheidungsprozesse und die externen Einflüsse auf ein frühneuzeitliches Staatengebilde berücksichtigt werden, das sich zwischen feudalem Lehnstaat und teilmodernisiertem konfessionellen Territorialstaat bewegte.

Daher hätte man sich ergänzende Beiträge gewünscht, die analog zu den Aufsätzen zu Böhmen und zur Außenpolitik Bayerns die Ereignisse in einen größeren strukturellen Zusammenhang stellen. So zeigen Joachim Bahlcke und Jaroslav Pánek, inwieweit der böhmische Aufstand und die Wahl Friedrichs V. zum böhmischen König als Staatsgründungsexperiment unter ständischem Vorzeichen nach niederländischem Beispiel zu verstehen sind. Michael Kaisers Analyse der bayrischen Außenpolitik wiederum macht bewusst, dass die Pfälzer Sache angesichts der dynastisch-machtstaatlichen Politik Herzog Maximilians I. wenig Aussicht auf Erfolg hatte.

Was bewegte Friedrich V. und die kurpfälzischen Räte überhaupt dazu, sich so eng mit der böhmischen Ständeopposition zu verbinden und mit der Annahme der Wenzelskrone die Großmacht Habsburg herauszufordern? Die Beiträge geben unterschiedliche Antworten auf die Frage nach den Antriebskräften kurpfälzischer Politik. Von Marshall (S. 39) und auch Bihlhöfer (S. 24) werden konfessionelle Motive für die aktive Außenpolitik Heidelbergs verantwortlich gemacht. Der konfessionelle Faktor bleibt aber im Vagen, denn die Autoren verzichten auf eine genauere Definition, was eigentlich konfessionelle oder religiöse Außenpolitik für das frühe 17. Jahrhundert bedeutete. Selbst in Peter Claus Hartmanns Betrachtungen zu den Konfessionskulturen der Frühen Neuzeit wird im Gegensatz zu den einleitenden Bemerkungen (S. 46) nicht wirklich deutlich, welchen Einfluss die kalvinistische Konfessionskultur auf die Politik der reformierten Kurpfalz hatte.

In eine ganz andere Richtung geht der Beitrag des Projektleiters Peter Wolf. Er vertritt die These eines merkantilen Interesses der Kurpfalz, vor allem ihres Amberger Statthalters Christian I. von Anhalt. Angesichts einer im Niedergang befindlichen oberpfälzischen Montanindustrie habe Christian I. von Anhalt in seiner Nebenrolle als Unternehmer eine stärkere Anbindung an die florierenden Erzgewinnungsstätten in Böhmen sowie eine Umgehung kartellrechtlicher Bestimmungen in den Oberpfälzer Abbau- und Verarbeitungsgebieten gesucht. Wolf bleibt die Quellenbelege für seine These aber weitgehend schuldig. Der Hinweis auf ein kurpfälzisches Rätegutachten vom Sommer 1619 ist wenig überzeugend: wenn dessen erster Satz Böhmen als “herrliches Land“ beschreibt (S. 72), so ist es quellenkritisch mehr als gewagt, dies als Hinweis darauf zu verstehen, dass der Ressourcenreichtum Böhmens für die Pfälzer Ratgeber im Vordergrund stand.

Es ist überhaupt sehr zweifelhaft, ob der Faktor Ökonomie im frühen 17. Jahrhundert ein ernst zu nehmender Bestandteil außenpolitischer Strategie sein konnte. Denn die Politik hatte im frühen 17. Jahrhundert ein parasitäres Verhältnis zur Ökonomie. Letztere war ein Stützfaktor, um politische Ziele zu erreichen und entwickelte selten den Rang einer autonomen Kraft. Das verwertbare Kapital, das in Böhmen auf die Kurpfalz und dessen Fürsten wartete, war daher auch weniger ökonomischer als vielmehr sozialer Natur. Die böhmische Königswürde versprach für den seit dem Einzug einer königlichen Prinzessin expandierenden Heidelberger Hofstaat und dessen fürstliche Spitze neue Reputationschancen. Mit den durch die Wenzelskrone anfallenden Ämtern und Pfründen ließ sich nicht nur eine seit 1613 wachsende Zahl an Pfälzer Klienten versorgen. Die Königswürde selbst bedeutete für das Kurpfälzer Haus Wittelsbach eine Erleichterung angesichts der im Ausstellungskatalog zwar erwähnten, jedoch zu wenig berücksichtigten dynastischen Auseinandersetzungen zwischen Heidelberg, Neuburg und München. Denn seit dem Tod des Pfalzgrafen Friedrich IV. im Jahr 1610 geriet das herrschende Haus Pfalz-Simmern unter dem Eindruck der Auseinandersetzungen mit Neuburg und Bayern um die Pfälzer Administration und Kurwürde unter erheblichen dynastischen Druck. Die Hochzeit mit einer purpur geborenen Prinzessin und die Annahme der Wenzelskrone müssen daher nicht zuletzt als dynastischer Befreiungsschlag Heidelbergs gewertet werden.

In welchem Maße dynastisch-höfische Faktoren neben der Konfession die Heidelberger Außenpolitik und das ‚Winterkönigtum‘ Friedrichs V. erklären, machen denn auch weniger die politik- oder wirtschaftsgeschichtlichen, als vielmehr die kunsthistorischen Beiträge des Sammelbandes deutlich. Die Aufsätze zu Heidelberg als Residenzstadt, zur Prager Kunstsammlung und zum Pfälzer Exilhof in Den Haag und in Rhenen zeigen, dass dynastische Faktoren in Gestalt eines aufwändigen höfischen Zeremoniells und der damit verbundenen Zurschaustellung fürstlicher Ehre und Macht für das Kurhaus selbst unter den finanziell und politisch schwierigen Bedingungen des Exils von höchster Bedeutung waren. Hier stößt auch die Erklärungskraft konfessioneller Kulturen an ihre Grenze, denn ungeachtet eines bilderfeindlichen bürgerlich-kalvinistischen Umfelds in Den Haag verzichtete die kurfürstliche Familie keineswegs auf eine international wettbewerbsfähige Hof- und Bildkultur und auf die Repräsentation ihres königlichen und dynastischen Herrschaftsanspruchs.

Trotz der Vielfalt der Perspektiven und der analytischen Stärke einzelner Beiträge versäumt es der Sammelband, auf der Grundlage einer konzisen Fragestellung und besser abgestimmter Artikel sich dem Phänomen der kurpfälzischen Herrschaft in der Oberpfalz, in Böhmen und dem anschließenden niederländischen Exil anzunähern. Dies betrifft gerade die Gewichtung der Gründe, die zur schicksalsträchtigen Annahme der Wenzelskrone im Jahr 1619 führten. Zudem trüben ärgerliche sachliche Fehler - Friedrichs Onkel und Erzieher war Henri Duc de Bouillon und nicht Lothringens Herzog Karl III. (S. 12), die Heidelberger Universität nannte man nach Leiden das “Dritte“, nicht das “Zweite Genf“ (S. 13) und Christian von Anhalt begleitete nicht den jungen Kurerben nach London (S. 21) - sowie ein störendes Durcheinander zwischen alter und neuer Datierungsweise (S. 21) den Gesamteindruck eines ansonsten sehr ansprechend gestalteten Ausstellungskatalogs.

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