Im Zentrum der Analyse stehen die sozialen, ökonomischen und politischen Umstände des bekannten Tourismusortes Bad Gastein (Salzburg/Österreich) zwischen 1918 und 1938. Für den Aussagewert der Ergebnisse, die Krisch mittels seiner mikrohistorischen Studien erhält, ist folgende Tatsache von großer Bedeutung, dass Bad Gastein in drei sozial sehr unterschiedliche Wahlsprengel zerfällt. Während das Ortszentrum selbst urban geprägt ist, dominiert im ländlichen Sprengel Badbruck der primäre Sektor und der Sprengel Böckstein ist als Arbeiter- und Eisenbahnerdorf bekannt. Die erhobenen lebensgeschichtlichen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Basisdaten verwendet Krisch, um eine Kollektivbiografie der illegalen Nationalsozialisten des Ortes zu erstellen, die einen Einblick in den Aufschwung des Nationalsozialismus während der dreißiger Jahre gewährt. Durch die EDV-unterstützte Erfassung von 553 illegalen Bad Gasteiner Nationalsozialisten gelang ihm eine kollektivbiografische Darstellung mit Seltenheitswert in der deutschsprachigen Historiographie. Neben den üblichen sozialwissenschaftlichen Variablen eruierte er zudem Verwandtschaftsverhältnisse, Wahlsprengelzugehörigkeit, Milieuzugehörigkeit („Schüren-Code“), Nachbarn, Parteizugehörigkeit, (Partei-)Freunde, Vereinszugehörigkeit und wirtschaftliche Verhältnisse (u.a. Arbeitslosigkeit, Konkurse, etc.). Dabei steht für Krisch die Suche nach einem nationalsozialistischen „soziokulturellen Milieu“ im Mittelpunkt. Für die Analyse stellt er das volkswirtschaftliche Sektorenmodell hinter die Milieu-Theorie, um die unterschiedlichen Milieus innerhalb eines Sektors zu beachten. Dies ermöglicht ihm tiefere Einblicke, da beispielsweise Hotelbesitzer und Kellner, die eigentlich beide dem tertiären Sektor angehören, nicht in einer gemeinsamen Aufstellung erscheinen, sondern einmal im bürgerlichen Milieu und einmal im Arbeitermilieu.
Ausgehend vom nationalsozialistischen Aktionismus während der Verbotszeit, der in Bad Gastein im Frühjahr 1934 einerseits durch seine Intensität, anderseits durch die restriktiven Reaktionen des Ständestaates gekennzeichnet ist, entwickelt Krisch nicht nur eine Motivationsanalyse der Akteure, sondern ordnet die behördlich registrierten Teilnehmer und Teilnehmerinnen nach sozialwissenschaftlichen Variablen. Diese Betrachtung leitet er in eine wirtschaftliche Analyse über, die ergibt, dass nach der Ernährungskrise unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg bis 1922 ein kurzfristiger wirtschaftlicher Aufschwung einsetzte, der 1923 durch die Marktinflation massiv gebremst wurde. Bis zur Weltwirtschaftskrise 1929 konstatiert Krisch eine Scheinkonjunktur, die vor allem investitionsfreudige Hoteliers fehlinterpretierten, die kurz darauf neben den rückläufigen Besucherzahlen mit der 100-Mark-Verordnung und später mit der 1000-Mark-Sperre konfrontiert waren. Auch wenn sich die wirtschaftliche Lage kurz vor dem Anschluss Österreichs zu erholen begann, weist Krisch für Bad Gastein auf die Schuldenlast der Hoteliers hin.
Den ersten großen Wahlerfolg verzeichnete die erst seit 1925 in Bad Gastein tätige NSDAP bei den Gemeinderatswahlen 1931 (9,4 % aller Wahlberechtigen). Bei den letzten Wahlen der Ersten Republik, den Landtagswahlen vom April 1932 erreichten die Nationalsozialisten sogar 22,8 % aller möglichen Stimmen. Dieser Aufwärtstrend ist nicht nur mit dem wirtschaftlichen Konjunkturrückgang zu erklären, sondern Krisch verweist vor allem auf den Ortsgruppenleiter Anton Wintersteiger, den späteren Stellvertretenden Gauleiter Salzburgs, der es als „fähiger Lokalpolitiker“ in Kombination mit einem aggressiv geführten Wahlkampf vermochte, auch Nicht- und Neuwähler zu mobilisieren.
Mit Ende der demokratischen Gemeindevertretung in Bad Gastein im Herbst 1933 stieg die nationalsozialistische Agitation sprungartig an. Typische Aktionsformen waren dabei Hakenkreuzschmierereien, Abbrennen von Hakenkreuzen, Hakenkreuzwimpel auf elektrischen Leitungen, Streu- und Klebezettel, Böller, bis hin zur geplanten Brückensprengung. 53 % der illegalen Nationalsozialisten, die in der „NS-Datenbank“ Krischs aufscheinen, wurden im Zeitraum zwischen Parteiverbot und Juliputsch 1934 behördlich registriert, was auf die verstärkte politische Tätigkeit in diesem Zeitraum verweist.
Um die illegale Zeit der NSDAP in Bad Gastein kollektivbiografisch zu bearbeiten, erstellte Krisch eine dreistufige Typologie, die zwischen (a) gemäßigten Illegalen (Sympathisanten, Gesinnungsgenossen), (b) engagierten Illegalen (Aktivisten) und (c) fanatischen, gewaltbereiten Illegalen (Fanatiker, fanatische Aktivisten, radikale Aktivisten, Terroristen) unterscheidet.
Die Ergebnisse der Datenbank zeigen, dass die Wirtschaftskrise bei existenzbedrohten Unternehmern eine kämpferische NS-Gesinnung freisetzte, dass arbeitslose Illegale wesentlich radikaler eingestellt waren als die übrigen Illegalen, dass mit zunehmendem Alter die Bereitschaft zum politischen Aktionismus sank, dass die aggressivsten Nationalsozialisten zwischen 21 und 40 Jahre alt waren, und dass die illegale NSDAP eine Partei der „Jungen“, der 21-30-Jährigen war.
Die illegale NSDAP Bad Gasteins war eine kleinbürgerliche/bürgerliche Partei (54,7 %) mit im Vergleich zur Bevölkerungsstruktur unterrepräsentiertem Arbeitnehmeranteil, wobei sich dieser vor allem aus gewerblichen Arbeitern und Beschäftigten im Tourismusbereich zusammensetzte. Dieses Ergebnis steht damit im Einklang mit den bisher bekannten Daten der Allgemeingeschichte: Überrepräsentation des bürgerlichen Milieus und Unterrepräsentation sowohl des bäuerlichen als auch des Arbeitermilieus.
In Summe führt Krisch diese Entwicklung auf eine „Kombination von traditionellem ‚Deutschbewusstsein‘, fähigen Führerpersönlichkeiten, geschlossenen nationalsozialistischen Wir-Gruppen und die sich anbahnende Wirtschaftskrise“ (S. 243) zurück. Bemerkenswert sind hierbei offensichtlich die Rolle des „deutschvölkischen Turnvereins“ mit seinem charismatischen Turnlehrer, der deutsche Ideale an die Jugend vermittelte, sowie die lokale Führerfigur des Ortsgruppenleiters der NSDAP. Lokale „kleine Führer“, so eine Erkenntnis von Krisch, waren sehr wohl für den Aufschwung des Nationalsozialismus verantwortlich, vor allem abseits des großen Führerkultes.
Was Krisch gekonnt in seine Darstellung einbettet ist auch der Antisemitismus im Ort. Im Gegensatz zu anderen Tourismusgemeinden im Salzburger Land wurde nicht offen gegen Juden und Jüdinnen vorgegangen. Der Ort blieb ein beliebtes jüdisches Urlaubsziel, auch wenn nationalsozialistische Zeitungen jüdische Gäste und Geschäftsleute diffamierten und der deutschvölkische Turnverein die „deutsche Rasse“ feierte. Auch zu Zeiten als der Antisemitismus stärker zu Tage trat, wurde versucht, diese Entwicklungen im Sinne des Fremdenverkehrs einzudämmen. So wurde etwa in Bad Gastein kein Gemeinderatsbeschluss gefasst nach dem Juden unerwünscht gewesen wären.
Der „Blick im Kleinen“ ist Krisch gelungen. Seine Arbeit zu der Entwicklung des Nationalsozialismus hebt sich eindeutig von einer platten narrativen Heimatkunde ab und präsentiert einen mikrohistorischen Einblick in die Frühphase des österreichischen Nationalsozialismus. Die von Krisch erstellte „NS-Datenbank“ verleitet ihn jedoch nicht zu einem sperrigen und kalten Stil, sondern es gelingt ihm, eine Ausgewogenheit zwischen straffer sozialwissenschaftlicher Darstellung und einem Einbeziehen von subjektiven Erfahrungen der Zeitgenossen zu erreichen, ohne in eine dubiose Narrativität zu verfallen. Das ständige Prüfen der Quellen anhand seiner umfangreichen Daten verhalfen der Arbeit zu einer konsequenten mikrohistorischen Aufarbeitung seiner Fragestellung. Durch transparente Darlegung der Datensätze in Form von Tabellen und Diagrammen wird zudem ein eigenständiges Reflektieren der Interpretationslinien möglich.
Besonders erwähnenswert scheint mir auch der Umgang mit der Variable „Geschlecht“ zu sein. Krisch sieht diese lobenswerterweise bereits als standardisierte wissenschaftliche Kategorie des historiographischen Kanons an, die er bei seinen Befunden mitdenkt. So ergänzt er etwa auch den Schüren-Code um die in dessen Zuordnungsschemata nicht beachteten (Ehe)Frauen.
Dass die Arbeit Lücken im genuinen Sinn enthält, möchte ich bezweifeln, vielmehr ergeben sich aus dem dargelegten Material neue Fragen, etwa nach dem Einfluss der reichsdeutschen Touristen als mögliche Katalysatoren für ein NS-Bewusstsein, nach dem Einfluss des Altreiches aufgrund der geografischen Nähe und nach dem transnationalen Austauschprozessen von NS-Ideologie und Hitler-Mythos.
Insgesamt ist das Buch eine gelungene mikrohistorische Studie, die aufgrund ihrer Tiefe und Quellendichte, aber auch aufgrund der von Krisch verwendeten Methode ein Vorzeigebeispiel ist, aber gleichzeitig auch dem derzeitig herrschenden Mainstream einer moralisierenden Forschung zum Nationalsozialismus eine nüchterne Analyse von Sachverhalten entgegenhält.