U. Gerhard: Frauenbewegung und Feminismus

Cover
Titel
Frauenbewegung und Feminismus. Eine Geschichte seit 1789


Autor(en)
Gerhard, Ute
Erschienen
München 2020: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
144 S.
Preis
€ 9,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julia Paulus, LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte, Münster

Im „knappen Format“ gibt dieses – angesichts der Größe des Themas – schmale (DIN A5), 144 Seiten umfassende Bändchen einen „Überblick“ oder „Einstieg“ in die Geschichte der „Frauenbewegung und [des] Feminismus“ seit der Französischen Revolution. So die Ankündigung des Beck-Verlags, der, wie so einige andere Verlage in den letzten Jahren, dieses Pocket-Format auch gern als „Studienbuch“ anpreist. Letzteres wird in dieser nun bereits vierten Auflage des Buches unter anderem dadurch unterstrichen, dass im Vergleich zu den vorherigen Auflagen, die seit 2009 textgleich erschienen, sich nun im Anhang ein nach Kapiteln unterteiltes, vollständiges Verzeichnis der verwendeten Literatur sowie ein Personenregister finden.1

Zudem verfasste Ute Gerhard unter dem Titel „Feminismen nach 1989“ für diese Ausgabe ein sechstes, „aktualisiertes“ Kapitel deutscher Geschichte feministischer Bewegungen und Geschlechterpolitiken, das bis in die unmittelbare, Pandemie geprägte Gegenwart reicht. Ähnlich wie in den Kapiteln zuvor liegt auch hier – anders als der allgemein klingende Buchtitel vermuten ließe – der räumliche (wie wohl auch politische und gesellschaftliche) Schwerpunkt der Erzählung auf Deutschland. Während Gerhard in den vorhergehenden Kapiteln stets von „der“ Frauenbewegung spricht, macht sie hier erstmals durch diese Kapitelüberschrift explizit deutlich, dass eine Veränderung stattgefunden hat: Nicht zuletzt aufgrund zunehmender sozio-ökonomischer Verwerfungen und globaler Vernetzungen stünden nun „Differenzen unter Frauen“ im Mittelpunkt und keineswegs könne (mehr) von einer einheitlichen „Richtung“ oder gar von einer „Bewegung“ die Rede sein. Schließlich stellt Gerhard den Bewegungscharakter dieser „unterschiedlichen Feminismen“ grundsätzlich zur Diskussion. Dies macht sie nicht zuletzt daran fest, dass der „einmal selbstverständlich vorausgesetzte Dreiklang von Frauenbewegung, Geschlechterforschung und Gleichstellungspolitik […] offensichtlich der Vergangenheit“ angehöre (alle Zitate auf S. 121).

Die in dieser Analyse von Gerhard zum Ausdruck kommende Irritation über die aktuelle „Bandbreite feministischer Positionen und Aktionsformen“, die sie als „facettenreich, unübersichtlich und gleichzeitig lebendig“ (S. 130) bewertet, resultiert sicherlich aus Gerhards intensiver Auseinandersetzung mit rechts- und gesellschaftspolitischen Entwicklungslinien im Bereich der Frauenrechte als Menschenrechte insbesondere des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts2, zum anderen aber sicherlich auch aus ihrer (vorrangigen) Beschäftigung mit der sogenannten ersten oder alten, bürgerlichen Frauenbewegung, ihrer Protagonistinnen und Verbandsstrukturen.3 Diese Einschätzung bestätigt sich auch, wenn man im Inhaltsverzeichnis nach dem Umfang der einzelnen thematischen Kapitel schaut: Allein die Ausführungen zu den Jahren der Französischen Revolution wie zur konstituierenden Phase der Frauenvereine im 19. Jahrhundert und während des Ersten Weltkriegs nehmen mehr als die Hälfte des Buchumfangs (73 Seiten) ein, dagegen werden auf nur 25 Seiten die Zeit der Weimarer Republik inklusive Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg dargestellt, während die „Neue Frauenbewegung“ (im Singular) West- und Ostdeutschlands und das aktuelle Kapitel zu den „Feminismen“ jeweils 14 Seiten umfassen.

Hinzukommt vielleicht auch ein biografischer Faktor, der allzu oft in der eigenen Wissensproduktion über gesellschaftliche Phänomene vernachlässigt wird, wenngleich dann in der Rückschau auf eigene Forschungsprozesse und Einschätzungen nicht selten genau dieses Moment als prägend wahrgenommen wird4: Die im Jahre 1939 geborene Juristin und Soziologin Ute Gerhard gehörte selbst spätestens seit den 1980er-Jahren zu den führenden feministischen Forscherinnen in der Bundesrepublik, die stets wechselseitig – sowohl innerhalb der Wissenschaft wie aus der Wissenschaft heraus – den auch politischen Kampf um Geschlechtergerechtigkeit in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen ausfochten. In ihrer Position als Inhaberin des ersten Lehrstuhls für feministische Forschung an einer deutschen Universität (ab 1987 in Frankfurt) und Leiterin des dort 1997 von ihr mitgegründeten „Cornelia Goethe Centrums für Frauenstudien und die Erforschung der Geschlechterverhältnisse“ regte sie über Jahrzehnte wichtige Forschungen zu entsprechenden aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten an, stets mit Blick auf ihre historischen Ursachen und Verlaufsformen.

Dabei konnte Gerhard sicherlich bei all ihren Projekten und Aktivitäten mit einer Generation von engagierten Frauen rechnen, in deren Biografie es ebenfalls (noch) häufig selbstverständlich war, grundsätzliche Ungleichheit qua Geschlecht unmittelbar im eigenen privaten wie beruflichen und politischen Lebensumfeld erfahren und in feministischen Zusammenhängen reflektiert zu haben – lange bevor sowohl politische wie administrative Entscheidungen und Institutionen sich dieser Fragen annahmen.

Man merkt dem „Studienbuch“ diese Prägung an: Vermutlich stellte noch in den 1980er-Jahren das gemeinsam erfahrene „Wir Frauen“ eine wesentliche Grundlage der Arbeit von Ute Gerhard dar5, obgleich bereits in jenen Jahren die Stimmen immer deutlicher wurden, die auf die intersektionale Verschränkung von unterschiedlichen sozialen Ungleichheitserfahrungen aufmerksam machten und dabei beispielsweise eine kritische Bestandsaufnahme von vorhergehenden Annahmen einer heteronormativen Gewissheit anmahnten.

Insofern war die vermeintliche Einheit dieser von Gerhard im Singular beschriebenen „Neuen Frauenbewegung“ der 1970er- und 1980er-Jahre letztlich bereits genauso eine Chimäre, ein erhofftes Ideal oder strategisches Vehikel, um frauen- bzw. gleichstellungspolitische Veränderungen in Gang zu setzen, wie auch das Geflecht aus unterschiedlichen politischen, sozialen und konfessionellen Frauenverbands- und Frauenvereinsaktivitäten während des Kaiserreichs, der Weimarer Republik und in den ersten Jahren der Bundesrepublik.

Darüber und über die Wirkmacht gegenläufiger Diskurse in den feministischen Debatten der letzten fast 250 Jahre lässt sich sicherlich immer wieder produktiv streiten. Was grundsätzlich bleibt – und dies ist überaus bravourös von Ute Gerhard auf diesen wenigen Seiten systematisch dargestellt worden –, ist die Notwendigkeit, trotz oder wegen der nur langsamen Erfolge, bedingungslos die Bedeutung von Frauenrechten als Menschrechte zu betonen und den Mut und die Entschlossenheit der vielen Vorkämpferinnen wach und in unserer Erinnerung zu halten.

Anmerkungen:
1 Insbesondere für Studierende und Mittler:innen politischer Bildung sei angemerkt, dass man das Buch als Lizenzausgabe bei den Landeszentralen der politischen Bildung gegen eine Schutzgebühr erwerben kann. Zudem ist 2020 eine Ausgabe von Frauenbewegung und Feminismus. Eine Geschichte seit 1789 in der Türkei erschienen (Istanbul: RUNÍK KÍTAP 2020).
2 Vgl. u.a. Ute Gerhard, Verhältnisse und Verhinderungen. Frauenarbeit, Familie und Rechte der Frauen im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1978; dies., Gleichheit ohne Angleichung: Frauen im Recht, München 1990; dies. / Mechthild Jansen / Andrea Maihofer / Pia Schmid / Irmgard Schultz (Hrsg.), Differenz und Gleichheit. Menschenrechte haben (k)ein Geschlecht, Frankfurt am Main 1990; Ute Gerhard, Frauen in der Geschichte des Rechts. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, München 1997; dies., Für eine andere Gerechtigkeit. Dimensionen feministischer Rechtskritik, Frankfurt am Main 2018.
3 Vgl. u.a. Ute Gerhard (unter Mitarb. v. Ulla Wischermann), Unerhört. Die Geschichte der deutschen Frauenbewegung, Reinbek 1990; dies. (Hrsg.), Feminismus und Demokratie: europäische Frauenbewegungen der 1920er Jahre, Königstein 2001; dies. / Petra Pommerenke / Ulla Wischermann (Hrsg.), Klassikerinnen feministischer Theorie. Grundlagentexte, Bd. 1: 1789–1919, Königstein 2008; Ute Gerhard / Ulla Wischermann / Susanne Rausche (Hrsg.), Klassikerinnen feministischer Theorie. Grundlagentexte, Bd. 2: 1920–1985, Königstein 2010.
4 Vgl. u.a. Interviews mit Ute Gerhard zu ihrem Leben: Soziologin und Feministin Ute Gerhard – „Die Gemeinschaft der Frauen hat mich beflügelt“. In: Deutschlandfunkkultur, <https://www.deutschlandfunkkultur.de/soziologin-und-feministin-ute-gerhard-die-gemeinschaft-der.970.de.html?dram:article_id=439047> (01.11.2021); Ute Gerhard, Wie ich Soziologin wurde – eine Rekonstruktion, in: Ulrike Vogel (Hrsg.), Wege in die Soziologie und die Frauen- und Geschlechterforschung. Autobiographische Notizen der ersten Generation von Professorinnen an der Universität, Wiesbaden 2006, S. 50-59.
5 Nicht zu verwechseln mit der (ehemals u.a. von der DKP betriebenen) feministischen Zeitschrift und dem Kalender „Wir Frauen“: <https://wirfrauen.de/seit-ueber-30-jahren-erscheint-die-zeitschrift-wir-frauen/> (01.11.2021).

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