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Titel
Fertigbilder. Polaroid Sofortbildfotografie als historisches und ästhetisches Phänomen


Autor(en)
Jelonnek, Dennis
Erschienen
München 2020: Edition Metzel
Anzahl Seiten
304 S., 108 SW-Abb.
Preis
€ 28,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Mirco Melone, Staatsarchiv Basel-Landschaft, Liestal

Dennis Jelonneks Studie „Fertigbilder. Polaroid Sofortbildfotografie als historisches und ästhetisches Phänomen“ ist eine Wegmarke für die Fotografiegeschichte. Denn trotz der Verbreitung und Beliebtheit der Sofortbildfotografie fehlten bisher fundierte wissenschaftliche Arbeiten dazu. Das Ziel der Monografie, die 2017 an der Freien Universität Berlin als kunsthistorische Dissertation angenommen wurde, ist es, eine „Differenzierung und Neubewertung“ der vielen mythisch-verklärenden Geschichten zur Sofortbildfotografie zu erreichen (S. 10). Jelonnek wendet sich zum einen gegen die über Jahrzehnte verfestigten, tendenziösen Historiografien zur Polaroid-Sofortbildtechnik. Zum anderen unternimmt er den Versuch, sich für die Erarbeitung einer neuen, eigenständigen Geschichte dezidiert auf die bereits bekannten, immer wieder zitierten Bilder und Objekte zu stützen. Darin liegt die methodische Setzung, die für den Zuschnitt der Studie zentral ist. Das Phänomen Sofortbild wird anhand einer eklektischen Auswahl von einzelnen, teilweise miteinander verbundenen Objekten in den Blick genommen, darunter Bilder aus der Produktionsgeschichte der Polaroid Corporation, Werbegrafiken und -anzeigen, Artikel und Fotobeiträge in Zeitungen und Zeitschriften sowie technische Objekte wie Kameras und Filme.

Das reichhaltig mit Bildmaterial ausgestattete Buch ist in drei Hauptteile gegliedert. Der erste Teil, „Technik und Gebrauch“, ist der allgemeinen Anwendung der Sofortbildfotografie gewidmet. Im Zentrum stehen dabei die Praktiken der Ermöglichung, Vermarktung und Bewertung derselben. Im zweiten Teil, „Referenzen und Kontexte“, konzentriert sich Jelonnek auf zeitgenössische Einflüsse und historische Referenzgrößen. Das Ziel ist es, die fotografie- und wissenschaftsgeschichtlichen Vorläufer zu identifizieren, an denen sich sowohl der Firmengründer Edwin Land (1909–1991) als auch die Polaroid Corporation insgesamt orientierten. Der dritte Teil, „Kunst und Konsum“, fokussiert anhand der Positionen von Robert Heinecken, Andy Warhol, Marcel Duchamp und Cyprien Gaillard exemplarisch auf den künstlerischen Umgang mit der Sofortbildfotografie. Diskutiert wird hier neben der künstlerischen Reflexion auch die praktische Aneignung des Produkts Sofortbildfotografie. Die Stärken der gesamten Studie liegen in den vielschichtigen, quellennah herausgearbeiteten wirtschafts-, wissenschafts- und fotohistorischen Dimensionen des Phänomens Sofortbildfotografie.

Jelonnek erläutert, wie das fotografische Verfahren als traditionell und innovativ zugleich präsentiert wurde. Deutlich wird dies an den minutiös inszenierten Vorführungen der Sofortbildtechnik, die der Autor als fruchtbares Zusammenspiel bestehender Semantiken analysiert. Denn Land bettete sein Unternehmen und die Sofortbildfotografie mithilfe rhetorischer Kniffe geschickt in ein historisches Bezugsnetz ein. Bereits mit der Einführung des Trennbildverfahrens 1947 evozierte Land das Ende der bis dahin gebräuchlichen fotografischen Verfahren. Zugleich schrieb er seiner neuen Bildtechnik die Fähigkeit zu, das latente Potenzial der unmittelbaren Sichtbarmachung zu nutzen, das seit der Frühzeit des Mediums immer schon vorhanden war. Land referenzierte auf William Henry Fox Talbot, der sein fotografisches Verfahren im 19. Jahrhundert dergestalt präsentiert hatte, und schuf so eine Art Genealogie. Diese Wahlverwandtschaft Lands mit Talbot konstruierte die Polaroid Corporation auch auf ikonografischer Ebene. Denn die zur Präsentation der Sofortbildfotografie gewählten Bildmotive verweisen wiederum auf Vorbilder in Talbots „Pencil of Nature“ von 1844.1 Jelonnek zeigt plausibel auf, wie das Sofortbildverfahren rhetorisch, technisch und ikonografisch in eine historische Kontinuität eingepasst war. Den Ausflügen in die Geschichte der Fotografie stellte Land zudem wissenschaftsgeschichtliche Ähnlichkeiten zur Seite. Anhand der Inszenierungen neuer Polaroid-Produkte zieht Jelonnek Parallelen zur Praxis der naturwissenschaftlichen Schauexperimente des 18. und 19. Jahrhunderts, namentlich zu Michael Faraday. Die Evidenz erzeugenden öffentlichen Vorführungen dienten nicht nur dazu, die neuen, in Produkte überführten Forschungsergebnisse zu präsentieren. Ebenso versicherte sich der als „Unternehmer-Erfinder-Anwender“ (S. 128) auftretende Land damit seines Ranges als glaubhafter Wissenschaftler und mythische Figur.

In den 1960er-Jahren forcierte die Polaroid Corporation dann den Wandel zu einem neuen, eigenständigen Design ihrer Kameras, verbunden mit den in der Werbung akzentuierten Alleinstellungsmerkmalen des Sofortbildverfahrens. Es waren die goldenen Jahre des Unternehmens, nicht nur aufgrund des wirtschaftlichen Erfolgs, sondern auch wegen der Popularität seiner Produkte. Die Sofortbildtechnik wurde durch prägnante, mit visuellen Anwendungsszenarien unterlegte Slogans wie „The 60-second excitement“, „It’s like opening a present“ oder „Instant Memories“ beworben (S. 56). Jelonnek bringt in Anschlag, wie sehr die Sofortbildfotografie als Produkt der Werbung betrachtet werden muss – mitsamt den daran gekoppelten Praktiken des Marketings sowie der rhetorischen und visuellen Konditionierung der Anwendenden durch das Unternehmen. Die Studie liefert hier einen wertvollen Beitrag zur wirtschafts- und konsumhistorischen Perspektive auf Fotografie, die in der Forschung bisher meist nur beiläufig verfolgt wird.

Ein weiterer Pluspunkt der Studie ist, dass Jelonnek diese konsumgeschichtliche Perspektive mit einem Blick auf die Produktionskontexte ergänzt. Er legt säuberlich frei, dass sämtliche Experimente und Materialentwicklungen der Polaroid Corporation von Beginn an auf die ökonomische Verwertbarkeit hin zugeschnitten waren. Dieser anwendungsorientierten Forschung entsprangen in den 1930er-Jahren die ersten Standbeine des Unternehmens: ein mit Polarisationsfolie versehenes Scheinwerfersystem für Automobile sowie polarisierende Sonnenbrillen. Der Weg zum fotografischen Verfahren war also keinesfalls vorgezeichnet. Die Polaroid Corporation steht beispielhaft für einen neuen Typ von Industriebetrieb mit angeschlossenem Forschungslabor. Das Labor war Ausgangspunkt für eine spätere Profitabilität, mit der sich das Wachstum des Unternehmens überhaupt erst realisieren ließ. Damit verbunden waren und sind bis heute rechtliche Aspekte. Land hält nach Thomas Alva Edison noch immer die meisten US-Patente – ein Umstand, der aufzeigt, wie sehr die Entwicklung der Polaroid-Sofortbildfotografie durch den Rahmen eines wissenschaftlich-industriellen Forschungs- und Vermarktungssystems bedingt und geprägt war.

Im Rahmen dieses Systems verfolgt Jelonnek auch die Spur eines Beziehungsgeflechts, das Land während des Zweiten Weltkriegs geknüpft hatte. Land profitierte maßgeblich vom Austausch mit Vannevar Bush, dem geistigen Vater des Analogcomputers Memex, sowie mit dem Röntgen-Physiker William D. Coolidge und General George William Goddard, einem Pionier der fotografischen Luftaufklärung. Sie alle standen in enger Verbindung mit dem Office of Scientific Research and Development, das während des Kriegs sämtliche Forschungsprojekte des US-amerikanischen Militärs koordinierte. Die Polaroid Corporation, die ab 1943 zum Rüstungs-Zulieferbetrieb wurde, entpuppt sich so als ein Kind des militärisch-industriellen Komplexes, das nach Kriegsende auf den zivilen Massenmarkt umsattelte. Die über diese Beziehungen aufgebaute Expertise bildete seit 1945 die Grundlage für die Entwicklung des Sofortbildverfahrens zu einem Konsumgut.

Einen Wendepunkt für die Sofortbildfotografie markiert Jelonnek mit dem 1972 präsentierten Integralbildverfahren. Damit wurde die bisherige Orientierung an der Fotografiegeschichte durch ein neues, zukunftsorientiertes Image ersetzt. Es ist der Zeitpunkt, als die Polaroid-Bilder sich von sämtlichen anderen Bildformaten zu unterscheiden begannen und der am unteren Rand verbreiterte weiße Rahmen eingeführt wurde. Die Polaroid Corporation geriet in dieser Zeit jedoch auch unter Druck. Der große Konkurrent Eastman Kodak brachte 1975 ein eigenes Sofortbildverfahren auf den Markt. Im gleichen Jahr entwickelte der Kodak-Ingenieur Steve Sasson die erste Digitalkamera, die schließlich 1978 patentiert wurde und eine Zeitenwende ankündigte. Hinzu kamen bei Polaroid Schwierigkeiten mit der Produktionslogistik und Imageprobleme, die von billig produzierten Kameramodellen und visuellen Mängeln wie Unschärfe und Brüchigkeit bei den Filmen befeuert wurden. Vor dem Hintergrund der beginnenden Computerisierung der Kameras versuchte das Unternehmen, das Sofortbild als eigenständiges Medium einer elektronisch gestützten, ästhetischen und kreativen Erfahrung zu positionieren. Es folgte eine Abkehr von bisherigen Zulieferern und Partnern aus der Fotoindustrie. Land suchte neue Kooperationen mit Firmen wie Texas Instruments, die über Erfahrung in der Herstellung von Computern verfügten. Zu Beginn der 1980er-Jahre zog sich Land jedoch zunehmend aus dem Unternehmen zurück. Mit seinem Ausscheiden endete auch die Phase intensiver Neu- und Weiterentwicklung von Kameratechnik und Filmchemie, was den langsamen wirtschaftlichen Niedergang einleitete. Mit der Marktreife digitaler Kameras fiel der (zu) lange gepflegte Außenseiterstatus der Polaroid-Sofortbildfotografie schließlich in sich zusammen. Der Anschluss an die technische Entwicklung war verpasst worden. Wie bei vielen Fotografiegeschichten ist also auch in der vorliegenden Darstellung die Digitalisierung der Endpunkt.

Jelonneks Buch setzt für die Geschichte der Sofortbildfotografie neue Maßstäbe und ist eine Pionierarbeit. Hervorzuheben ist, dass er das reichhaltig präsentierte Bildmaterial in ansprechender Weise als ein konsequent tragendes Element seiner Studie einzusetzen weiß. Das erhöht den Lesegenuss merklich, weil Jelonnek mithilfe der Bilder kenntnisreich und spannend durch die Geschichte der Sofortbildfotografie manövriert. Zugleich offenbart aber der teilweise sehr ausführliche Fußnotenapparat eine Art Paratext. Diese zusätzliche Ebene der Studie zeigt ihre profunde Basis, wirkt indes als Kleingedrucktes etwas verloren und wäre wohl – zumindest ausschnittweise und als bereicherndes Element für das Lesepublikum – im Haupttext besser aufgehoben gewesen.

Dem Status einer Pionierarbeit entsprechend betont der Autor explizit, dass weitere Untersuchungen diejenigen Aspekte ausleuchten müssen, die in seiner Geschichte nicht behandelt werden (S. 11) – es fehlt beispielsweise eine vertiefte historische Analyse der sozialen Gebrauchsweisen der Sofortbildfotografie jenseits der Kunst. Zudem basiert diese Geschichte der Sofortbildfotografie gerade nicht auf den Firmenarchiven und -dokumentationen der Polaroid Corporation. Deren Ausmaß von rund 1.220 Regalmetern Unterlagen sowie etwa 9.000 Objekten ist zwar eingangs erwähnt, erschien dem Autor jedoch als eine praktisch nicht zu bewältigende Menge. Das eigentliche Archiv des Unternehmens bleibt also in gewisser Weise ungehoben. Das ist in Anbetracht seiner schieren Größe verständlich, aber auch schade. Damit ist ein Desiderat benannt, das weitere Studien zur Sofortbildfotografie aufgreifen müssen. Den Wert von Dennis Jelonneks Studie schmälert dies jedoch in keinster Weise.

Anmerkung:
1 William Henry Fox Talbot, The Pencil of Nature, London 1844. Siehe dazu http://www.fotomanifeste.de/manifeste/1844-talbot-pencilofnature (22.11.2020).