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Titel
Atomgeschäfte. Die Nuklearexportpolitik der Bundesrepublik Deutschland 1970–1979


Autor(en)
Romberg, Dennis
Erschienen
Paderborn 2020: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
VIII, 413 S.
Preis
€ 109,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Frank Uekötter, School of History and Cultures, University of Birmingham

Am 27. Juni 1975 unterzeichneten Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher und sein brasilianischer Amtskollege einen Vertrag über die friedliche Nutzung der Kernenergie. Für zwölf Milliarden Mark sollte die Kraftwerk Union, Deutschlands führender Reaktorhersteller, in Brasilien acht Kernkraftwerke bauen. Der erste Reaktor wurde nach allerlei Verzögerungen 2001 in Betrieb genommen, der zweite ist immer noch im Bau, und von den übrigen redet niemand mehr. Es handelt sich um das größte Exportgeschäft in diesem Band, der auch die bundesdeutschen Projekte mit Iran, Argentinien, Südafrika und der Sowjetunion bilanziert. Das Debakel der Atomwirtschaft in der Bundesrepublik ist historiographisch vertrautes Terrain, seit sich Joachim Radkau vor bald vier Jahrzehnten über Aufstieg und Krise der deutschen Atomwirtschaft habilitierte, aber immerhin hat es der nukleare Komplex geschafft, dass die Bundesrepublik zeitweise zu den größten Produzenten von Atomstrom weltweit zählte.1 Beim Export deutscher Nukleartechnologie sah es hingegen richtig finster aus. Neben der Hängepartie in Brasilien entstanden aus den Verhandlungen, die Dennis Romberg in seiner Münsteraner Dissertation dokumentiert, nur zwei kleinere Reaktoren in Argentinien und eine Bauruine im iranischen Buschehr.

Das war nicht nur ein betriebswirtschaftliches Problem für Siemens, seit 1977 alleiniger Besitzer der Kraftwerk Union. Nuklearexporte warfen heikle außen- und bündnispolitische Fragen auf, die unter Historikern seit Längerem diskutiert werden. Stephan Geier hat zum Beispiel in seiner 2013 erschienenen Dissertation gezeigt, wie die Exportinteressen der bundesdeutschen Atomindustrie die internationalen Bemühungen um die Nichtverbreitung von Kernwaffen zu unterlaufen drohten.2 Der Tanz von Diplomaten und Managern wird von Romberg in großer Detailschärfe diskutiert. Einerseits hatte die Bundesrepublik den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet, und einen offenen Vertragsbruch konnte sich das Land nicht leisten. Andererseits strebten Länder wie Brasilien und Iran nicht nur nach Atomreaktoren, sondern auch nach Zugang zur Anreicherungstechnologie, und da stellte sich regelmäßig die Frage, ob es um das legitime Interesse an einer gesicherten Versorgung mit Kernbrennstoffen ging oder um den Griff nach der Bombe.

Diese Frage kann Romberg schon deshalb nicht klären, weil seine Studie überwiegend auf bundesdeutschen Quellen basiert. Kern der Studie sind fünf Kapitel über Atomgeschäfte, die stets dem gleichen Schema folgen. Romberg skizziert in knapper Form die Beziehungen der Bundesrepublik zu Brasilien, Iran, Argentinien, Südafrika und der Sowjetunion, umreißt ebenso knapp deren Atomprogramme, um sich sodann ausführlich den Verhandlungen über Exportgeschäfte zu widmen. Dabei orientiert sich der Autor durchweg eng am Quellenmaterial, und der Blick richtet sich im Wesentlichen auf die Vorgänge in den 1970er-Jahren. Sobald sich der Autor von seinem Kernthema löst, wird die Darstellung merklich unsicher. Dies ist ein Problem, das sich durch die inzwischen recht umfängliche Literatur zur Geschichte der Kernenergie zieht: Atomare Technologie ist kompliziert und internationale Verhandlungen sind es erst recht, und wenn man es erst einmal geschafft hat, einen Überblick über die Geschehnisse zu bekommen, fehlt oft die Kraft für eine souveräne Kontextualisierung.

Romberg weist nach, dass die Bundesregierung ihren Verhandlungspartnern ziemlich weit – bis hin zu geheimen Zusagen – entgegenkam. „Einbindung durch Kooperation“ lautete die Devise, und die Formulierung war mit ihrem Echo von „Wandel durch Annäherung“ auch schon das charmanteste an den Gesprächen. Lakonisch konstatiert Romberg an einer Stelle, „dass bei der Nuklearkooperation mit Argentinien die Kooperation im Vordergrund stand und nicht die Einbindung“ (S. 199). Schamgrenzen zeigten sich am ehesten beim Umgang mit dem Apartheidstaat Südafrika. Es gab Verhandlungen über den Bau eines Atomkraftwerks, aber das Bedauern hielt sich in Grenzen, als der Auftrag an Frankreich ging. Mit der Sowjetunion verhandelte die Bundesregierung drei Jahre lang über ein Atomkraftwerk in Kaliningrad inklusive Direktleitung nach Berlin-West, und als die Sowjets das Projekt abbliesen, war man sogar überrascht. Wer jahrelang nichts anderes machte als Atomgeschäfte zu verhandeln, war wahrscheinlich irgendwann völlig schmerzfrei.

Die chronologische Erzählung hat den Nachteil, dass die Akteure eher blass bleiben. So wüsste man gerne etwas mehr über die handlungsfreudigen Männer in den Bundesministerien für Wirtschaft sowie Forschung und Technologie, die immer mal wieder mit den Diplomaten im Auswärtigen Amt zusammenprallten. Noch mehr würde man gerne über die Kraftwerk Union wissen, deren Innenleben eines der letzten großen Mysterien der bundesdeutschen Atomgeschichte darstellt. Aus Rombergs Darstellung ergibt sich der Eindruck eines Konzerns, der zumindest bis zur Unterzeichnung des Brasilien-Vertrags geradezu verzweifelt nach Käufern für die eigenen Reaktoren suchte. Aber vielleicht war das auch nur eine Taktik, mit der clevere Manager im eskalierenden Streit um die Atomkraft Druck auf wankelmütige Politiker ausüben wollten? Vor vier Jahrzehnten veränderte Joachim Radkau unser Verständnis des bundesdeutschen Atomstaats, weil er Zugang zu den Akten der Bundesregierung bekam. Heute legt man Rombergs Studie mit dem Eindruck beiseite, dass man mit dem intensiven Blick in die Akten nicht mehr allzu weit kommt. Die Diskussion über die Zukunft der Atomgeschichte ist hiermit eröffnet.

Anmerkungen:
1 Joachim Radkau, Aufstieg und Krise der deutschen Atomwirtschaft 1945–1975. Verdrängte Alternativen in der Kerntechnik und der Ursprung der nuklearen Kontroverse, Reinbek bei Hamburg 1983.
2 Stephan Geier, Schwellenmacht. Bonns heimliche Atomdiplomatie von Adenauer bis Schmidt, Paderborn 2013.

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