M. Breitenstein u.a. (Hrsg.): Die Wirkmacht klösterlichen Lebens

Cover
Titel
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens. Modelle – Ordnungen – Kompetenzen – Konzepte


Herausgeber
Breitenstein, Mirko; Melville, Gert
Reihe
Klöster als Innovationslabore 6
Erschienen
Regensburg 2020: Schnell & Steiner
Anzahl Seiten
312 S.
Preis
€ 49,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lena Vosding, Faculty of Medieval and Modern Languages, Universität Oxford

Dass Klöster und monastische Gemeinschaften über die gesamte mittelalterliche Epoche hinweg wirkmächtige Zentren der westeuropäisch-christlichen Kultur waren, ist zwar hinlänglich bekannt, wird aber doch seit nun einigen Jahren wieder verstärkt und mit großem Gewinn diskutiert. Entscheidend ist dabei nicht zuletzt der Fokus auf die Interaktion der regulierten und unregulierten Lebenssphären, in der die Unterschiede, Gemeinsamkeiten und gegenseitige Einflüsse deutlich sichtbar werden. Auf diese Weise wurden nicht nur ganz neue Erkenntnisse gewonnen, sondern in vielen Bereichen auch ein immer noch recht fragmentarischer Kenntnisstand offenbart.

In dieses Feld sind sowohl der vorliegende Konferenzband als auch die ihn umschließende Reihe „Klöster als Innovationslabore“ einzuordnen, deren Schwerpunkt auf der Zeit des 11. bis 13. Jahrhunderts liegt. Die vierzehn Beiträge des Bandes werden unter die vier im Titel genannten Themen sortiert, sind jedoch, wie Rückentext und Einleitung erläutern, vereint in der Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen für Kloster- und Ordensgemeinschaften, durch eigene Entwicklungen als innovative Impulsgeber auf die menschliche Kultur „in Europa und weit darüber hinaus“ (Buchrücken) einzuwirken.

Unter dem Aspekt „Modelle der Klöster“ beschreibt zunächst Mirko Breitenstein (S. 13–32), wie das Konzept des schlechten Gewissens zum Inbegriff einer bereits im Diesseits erlebbaren Hölle entwickelt wurde. Dies war eine psychologische Lesart des real gedachten Ortes, der auch zahlreiche monastische Theoretiker zuneigten; wohl nicht zuletzt, weil das schmerzliche Bekennen eigener Verfehlungen für sie alltäglich war. Eva Schlotheuber (S. 33–51) macht daraufhin plausibel, wie die monastische Reform des 12. Jahrhunderts zu einer neuen Auffassung weiblicher Geistlichkeit führte, die wiederum in den Frauenklöstern eine Professionalisierung interner Selbstverwaltung und Intellektualität nach sich zog. Durch ihren Ausschluss aus dem sich zunehmend etablierenden Netzwerk männlich zugeschnittener Bildungseinrichtungen eröffnete sich den Frauen ein ganz neuer, eigener Kompetenzbereich, der zwar wirkungsvolle Impulse ermöglichte, jedoch stets der spezifischen Lebensform verhaftet blieb. Volker Leppin (S. 53–75) verfolgt schließlich detailliert, wie Wilhelm von Ockham sich sowohl im franziskanischen Armutsstreit als auch im Konflikt um Ludwig den Bayern gegen Johannes XXII. positionierte. In Ockhams Argumentation für die weiterhin gültige Unterscheidung zwischen rechtlich basiertem Besitz und franziskanischem Nutznieß kann die Grundlage seiner Begründung gottgegebener, also menschen- und kirchenunabhängiger Macht des Kaisers erkannt werden.

Das Thema „Institutionelle Ordnungen“ eröffnet Jörg Sonntag (S. 79–95) mit der Suche nach konkreten Hinweisen der Wertschätzung von monastischen Regeltexten durch die Zeitgenossen. Während die Würdigungen monastischer Autoren durchaus zahlreich und vielfältig sind, lässt sich laikale Anerkennung der Textautorität kaum nachweisen. Es folgt der Beitrag von Michael Hänchen und Gert Melville (S. 97–120), in dem die Lösung von funktionalen Störungen nach ordensintern etablierten Verhandlungsroutinen als entscheidender Garant der Ordnung und Beständigkeit eines Ordens, hier der Cluniazenser und Zisterzienser, vorgestellt wird. Jens Röhrkasten (S. 122–142) umreißt mit Fokus auf die englischen Zisterzen, in welch spannungsreichem Geflecht von eigenen und fremden Interessen unterschiedlichster Art einzelne Klöster im Laufe ihrer Geschichte stehen konnten und wie sie damit umgingen.

Die Abteilung „Mediale Kompetenzen“ leitet Martin Kintzinger (S. 148–176) ein, indem er den Bezügen zwischen innovativer Gelehrsamkeit und Ordenszugehörigkeit nachspürt. Mit Blick auf den französischen Königshof kann eine funktionale Unterscheidung von Benediktinern und Franziskanern festgestellt werden, die aber in ihrem Dienst als Gelehrte eher als Einzelperson, nicht als Vertreter ihres Ordens auftraten. Annette Kehnel (S. 177–199) präsentiert daraufhin die Franziskaner in England als Beispiel für den wesentlichen Anteil der Mendikanten an der Verdichtung europäischer Kommunikationsnetzwerke. Ein speziell auf die Seelsorge ausgerichtetes Kommunikationsmedium steht dagegen im Zentrum des Beitrags von Regina D. Schiewer (S. 202–218), in dem sie die deutschsprachigen „Millstätter Predigten“ ins Kloster Admont und somit in den Hirsauer Reformkreis verortet. Einem kommunikativen Genre widmet sich abschließend auch Julia Burkhardt (S. 219–231), die nach der Funktion einzelner und gesammelter Exempel für den Zusammenhalt des (dominikanischen) Ordens fragt.

Der Abschnitt „Konzepte“ ist als perspektivische Klammer angelegt, in deren Innern zwei Einzelfälle untersucht werden: Zum einen zeichnet Henryk Anzulewicz (S. 245–273) Leben und Persönlichkeit Alberts des Großen in seiner Rolle als Gelehrter, besonders aber als intellektueller Innovator für den Dominikanerorden nach. Zum anderen verfolgt Matthias M. Tischler (S. 276–298), wie das Bemühen um eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Islam, das von zisterziensischen Theologen angeregt wurde, erst zeitverzögert und in Abhängigkeit ordensgeschichtlicher Entwicklungen seine Wirkung entfalten konnte. Den Rahmen um diese beiden Studien bilden zwei übergeordnete Betrachtungen: Jean-Claude Schmitt (S. 236–244) reflektiert prägnant über die dynamisierende Spannung zwischen Kontemplationsstreben und weltlicher Teilhabenotwendigkeit, die dem regulierten Leben stets immanent war und immer neue Lebensformen hervorbrachte. Geschlossen werden Thema und Band schließlich von einem der letzten Artikel Stefan Weinfurters (S. 299–307), der hier nochmal die weitreichenden Impulse der monastisch-kanonikalen Reform des 11. Jahrhunderts in emphatische Worte fasst.

All diese Beiträge decken in ihrer Zusammenschau ein breites Feld von Mikro- und Makroaspekten ab, die die Vielschichtigkeit regulierten Lebens deutlich machen und an mehreren Stellen auch unmittelbar ineinandergreifen. Dass dabei unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und Rückschlüsse gezogen werden, ist nicht nur erwartbar, sondern auch anregender Ausweis lebendiger Forschungsdiskussion. Dennoch löst sich der Eindruck nicht völlig auf, dass hier und da die Konzentration auf das Hohe und frühe Spätmittelalter eine solitäre Außergewöhnlichkeit der monastischen Entwicklungen dieser Zeit evoziert, die zumindest hinterfragt werden kann. Zu fragen wäre auch, warum Burkhart nur einen Artikel, nicht aber die Monographie Markus Schürers verwendet, die doch ganz der gemeinschaftsbildenden Funktion von Exempla in den Mendikantenorden gewidmet ist.1 In gleicher Weise unklar ist das Fehlen eines Kommentars zur Arbeit von Enno Bünz in Schiewers einleitenden Ausführungen zur Seelsorgeorganisation.2 Klar zu beanstanden ist hingegen, dass – mit Ausnahme des Beitrags von Schlotheuber – weibliches Religiosentum kaum thematisiert wird; Begriffe wie „Orden“ oder „Mendikanten“ werden in der Regel allein „männlich“ verwendet. Diese Vernachlässigung großer Teile aktueller Forschung muss irritieren, ist doch gerade in jüngster Zeit die elementare Teilhabe von Frauenkonventen in monastischen Netzwerken vielfach herausgearbeitet worden, z.B. als Reflexionsräume, sozialpolitische Kommunikationszentren, wirtschaftliche Autoritäten und intellektuelle Multiplikatoren.3

So bleibt am Ende zu konstatieren, dass der Band eine gute Zusammenfassung verschiedener Phänomene regulierten Lebens und ihrer Untersuchung bietet. Scheint auch an einigen Stellen die innovative Wirkmacht des Gegenstands diejenige der Betrachtung zu überflügeln, so bringen doch viele Beiträge ganz Wesentliches auf den Punkt und leisten einen wichtigen Beitrag zur andauernden Erforschung mittelalterlicher Klosterkultur.

Anmerkungen:
1 Markus Schürer, Das Exemplum oder die erzählte Institution. Studien zum Beispielgebrauch bei den Dominikanern und Franziskanern des 13. Jahrhunderts (Vita regularis. Abhandlungen 23), Münster 2005, ebenfalls schon die theoretischen Ansätze von Alain Bernstein und Jörn Rüsen nutzend.
2 Enno Bünz, Die mittelalterliche Pfarrei. Ausgewählte Studien zum 13.–16. Jahrhundert, Tübingen 2017, darin S. 77–118 speziell zur Entwicklung der Seelsorgestrukturen als zentrale Aufgabe des Amtsklerus.
3 Vgl. entsprechend Ralf Lützelschwab, Rezension von: Alison I. Beach / Isabelle Cochelin (Hrsg.), The Cambridge History of Medieval Monasticism in the Latin West, 2. vol., Cambridge 2020, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 9 [15.09.2020], <http://www.sehepunkte.de/2020/09/34068.html> (31.10.2020).

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