Ironie bereits im Titel? Das vorliegende Buch hat mit den Standardwerken zur Bildungsgeschichte eines gemeinsam: Es hält nicht, was der Titel verspricht. Ähnlich wie es in den einschlägigen Handbüchern zur (frühneuzeitlichen) „Bildung und Wissenschaft“ 1 keineswegs so allgemein um Bildung und Wissenschaft geht, wie es der Titel vorgibt, sondern lediglich um die Bildungsmöglichkeiten von Knaben und jungen Männern, so handelt auch das von Schraut und Pieri verfasste Handbuch nicht von katholischer Schulbildung im Allgemeinen, sondern von den Bildungsmöglichkeiten von Mädchen und jungen Frauen. Im Untertitel klingt dabei bereits eines der wichtigen Ergebnisse der Studie an: Frühneuzeitliche Bildung war in ihren Anfängen weit weniger geschlechtsspezifisch orientiert, als dies die spätere Betrachtung – aus der Perspektive des 18. Jahrhunderts – nahe legt. Während man im 16. Jahrhundert zu „guten Christenmenschen“ erziehen wollte, sind die „tüchtigen Jungen“ und „braven Mädchen“ erst ein Produkt der spätaufklärerischen Pädagogik und der Herausbildung der „Ordnung der Geschlechter“ 2 seit Ende des 19. Jahrhunderts.
Schraut und Pieri präsentieren eine Quellensammlung, zu der bislang nichts Vergleichbares existiert. Auf über 300 Seiten (S. 121-454) sind Dokumente zur katholischen Mädchenbildung zusammengestellt. Den geografischen Rahmen bildet das Hochstift Würzburg, den zeitlichen das späte 17., das 18. und das frühe 19. Jahrhundert. Der Quellensammlung vorangestellt sind drei einführende Kapitel, die den historischen Hintergrund und den weiteren Zusammenhang erläutern.
Unter dem Titel „Mädchenbildung im katholischen Raum“ (S. 13-70) erläutert Sylvia Schraut Theorie und Praxis der katholischen Mädchenbildung im Bistum Würzburg zwischen Konfessionalisierung und Aufklärung. Sie hebt dabei zunächst den deutlichen Einfluss französischer Pädagogen (besonders C. Fleury und F. Fénelon) hervor, die im deutschen Sprachraum durch Übersetzungen und deutsche Bearbeitungen rezipiert wurden. Im Blick auf die verschiedenen Schulformen (niederes und höheres Schulwesen) fragt sie anschließend danach, wie weit diese Theorie ihren Widerhall in der Praxis fand.
Für das niedere Schulwesen im Hochstift Würzburg stellt Schraut vier Entwicklungslinien heraus, die alle im 18. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichen: 1.) die wachsende Tendenz zur Übernahme des Schulbetriebs in staatliche Zuständigkeit, zuerst im Rahmen gegenreformatorischer, später im Kontext aufklärerischer Bestrebungen des Landesfürsten; 2.) das zunehmende staatliche Bemühen um konkrete Reformen (Durchsetzung der Schulpflicht, Verbesserung der Lehrinhalte, Standardisierung des Unterrichtsniveaus); 3.) die allmähliche Verweltlichung der Lehrinhalte und 4.) schließlich die allmähliche geschlechtsspezifische Ausdifferenzierung des Schulsystems. Der frühneuzeitliche Elementarunterricht stand dabei zunächst ganz im Dienste kirchlicher Ziele, im katholischen Würzburg also im Dienste der Rekatholisierung. Die Absicht war, „gute (katholische!) Christenmenschen“ zu schaffen, als Garanten für die Verbreitung und Stabilisierung des Katholizismus. Männer und Frauen waren dabei gleichermaßen gefordert, Frauen besonders in der Rolle derjenigen, die für die (christlich-katholische) Grundbildung der Kinder und des Gesindes zuständig waren.
Die strukturellen Grundlagen hierfür wurden unter Fürstbischof Julius Echter von Mespelbrunn geschaffen und fanden ihren Ausdruck in der 1589 publizierten Kirchenordnung (S. 143-145). Unter bischöflicher Aufsicht sollten Schulen eingerichtet und von einer qualifizierten Lehrerschaft geleitet werden. Der Unterhalt der Schulen und die Besoldung des Lehrpersonals oblag der jeweiligen Gemeinde. Die lückenhaft erhaltenen Visitationsberichte lassen darauf schließen, dass es, sofern die Gemeinden finanziell dazu in der Lage waren, ein recht breites Schulangebot gab, das im Großen und Ganzen auch von der Bevölkerung genutzt wurde. Ein wesentlicher Faktor für den tatsächlichen Schulbesuch der Kinder war allerdings die Bereitschaft der Eltern, auf die Arbeitskraft ihrer Kinder für die Dauer der Schulzeit zu verzichten. Dass Mädchen seltener als Jungen die Schule besuchten, lässt sich „nur hin und wieder“ (S. 29) belegen.
Die Kirchenordnung von 1670 (S. 150-153) setzt erstmals deutliche geschlechtsspezifische Akzente (Mädchen und Jungen sollen getrennt von einander sitzen, Mädchen möglichst von Lehrerinnen unterrichtet werden), allerdings noch ohne eine geschlechtsspezifische Differenzierung der Bildungsinhalte. Ein grundlegender Wandel ist dann aber im 18. Jahrhundert festzustellen. Im Geist der Aufklärung wurden nun Schulreformen vorangetrieben, die seit den 1780er-Jahren (unter dem Einfluss des Bildungsreformers Franz Oberthür), besonders ausgeprägt seit der Wende zum 19. Jahrhundert, ein spezifisches Konzept schulischer Mädchenbildung hervorbrachten (S. 38) mit der „Vorstellung von einem separaten Mädchenunterricht, der sich am wie auch immer definierten weiblichen Wesen auszurichten habe“ (S. 45).
Die höhere Mädchenbildung war in Würzburg wie in anderen katholischen Territorien Sache der Orden, hier besonders der Ursulinen, die von Frankreich aus in Würzburg und Kitzingen Niederlassungen gegründet hatten (S. 46-66). Mehrere Quellen dokumentieren die Gründung, den Werdegang sowie Erziehungsziele und pädagogische Praxis der Ursulinenschulen, die zwar auch Elementarunterricht anboten, ihr Renommee aber vor allem ihren höheren Schulen verdankten. Diese höhere Mädchenbildung orientierte sich an den Bildungszielen des Adels: „Ein gefestigtes katholisches Weltbild, Bereitschaft zur Unterordnung unter die Familieninteressen, aber auch ein weit reichender weltlicher und höfischer Bildungsstandard“ war das, was für eine adlige Frau notwendig schien. Die Ausbildung bei den Ursulinen entsprach diesen Zielen und geriet erst im Gefolge der Aufklärung gegen Ende des 18. Jahrhunderts in die Kritik (S. 67-70).
Erziehung und Bildung ist in der Frühen Neuzeit konfessionell geprägt und zielt – in allen Konfessionen – primär auf religiöse Erziehung und religiöse Bildung; ihre Grundlage ist die Katechese. Es gehört noch zu den Desideraten der Bildungsforschung, diese katechetischen Grundlagen genauer herauszuarbeiten. Einen ersten Ansatz dazu bietet Gabriele Pieri im zweiten einführenden Kapitel („Obrigkeitliche Erziehungsbemühungen auf der Grundlage des Katechismus“) (S. 71-107). In chronologischer Reihenfolge analysiert sie Katechismen und katechetischen Handbücher, die in den Schulen Verwendung fanden, und fragt danach, welches Bildungsideal sie vermittelten und welche Vorbilder (biblische Frauengestalten und weibliche Heilige) sie den Mädchen vor Augen stellten. Auch hier zeigt sich ein Wandel vom ursprünglich geschlechtsunspezifischen Frömmigkeitsideal zu einer seit dem 18. Jahrhundert besonders ausgeprägten Typisierung von weiblicher und männlicher Frömmigkeit.
„Der Siegeszug des weltlichen Schulbuchs“ – so der Titel des dritten einführenden Beitrags von Sylvia Schraut (S. 109-119) – löst seit den 1770er-Jahren in den Würzburger Schulen die katechetische Literatur ab. Rochows „Kinderfreund“ bot hier ein Vorbild, das auch von katholischen Autoren nachgeahmt wurde. Die „Verweltlichung“ der Schullektüre spiegelt die neuen Tugenden und Werten, zu denen Jungen und Mädchen erzogen werden sollten. Nicht mehr die Gläubigkeit der Christenmenschen stand an höchster Stelle, sondern Ordnungsliebe, Fleiß, Bescheidenheit und Folgsamkeit – mit je geschlechtsspezifischen Konnotationen: Für die Jungen galt: „Früh will ich Fleiß und Arbeit lieben, schon jetzt Verstand und Hände üben“, für die Mädchen: „Erst die Mühe, dann der Lohn, hurtig folgen kann ich schon!“ (S. 119).
Die Dokumentation der Quellen, auf die sich die Darstellung Schrauts und Pieris bezieht (S. 121-465), gliedert sich in vier Teile: Teil A („Niedere Mädchenbildung im Bistum Würzburg“) präsentiert die einschlägigen Bildungstheorien und -konzepte, bischöfliche und staatliche Schulordnungen sowie Visitationsberichte, Teil B („Leben und Lernen bei den Ursulinen“) Berichte über die Ursulinengründungen in Würzburg und Kitzingen, Auszüge aus der Ordenschronik und Details über Lehrinhalte der Schulen und den Tagesablauf von Lehrerinnen und Schülerinnen. Dritter und vierter Teil dokumentieren schließlich Auszüge aus Katechismen (Teil C) und weltlichen Schulbüchern (Teil D), die über die jeweiligen Bildungsideale Aufschluss geben.
Insgesamt ist der Durchgang durch die Quellen spannend und aufschlussreich. Nicht unproblematisch ist allerdings das wissenschaftliche Arbeiten mit dem Material. Es fehlt ein Register, das einen detaillierten und zielgenauen Zugriff ermöglichen könnte; die einzelnen Quellentexte werden ohne textkritischen Apparat und ohne Erläuterungen zu Autoren und historischem Kontext angeboten. Die notwendigen Hintergrundinformationen lassen sich ausschließlich aus den drei einführenden Kapiteln erschließen, die ihrerseits weder durch ein Register noch durch präzise Seitenangaben zu den einzelnen Abschnitten aufzuschlüsseln sind.
Trotzdem kann – angesichts der immer noch weithin brachliegenden Erforschung der Mädchenbildung 3 – der Wert des Bandes nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Ausführungen Schrauts und Pieris sowie vor allem die Quellensammlung bieten einen detaillierten Blick auf Theorie und Praxis des Mädchenbildungswesens einer Region. Es ist zu hoffen, dass weitere vergleichbare Studien diesen Blick noch erweitern können.
Anmerkungen:
1 Z. B. Hammerstein, Notker, Bildung und Wissenschaft vom 15. bis zum 17. Jahrhundert, München 2003; Schindling, Anton, Bildung und Wissenschaft in der Frühen Neuzeit 1650-1800, München 1999.
2 Immer noch lesenswert: Honegger, Claudia, Die Ordnung der Geschlechter. Die Wissenschaften vom Menschen und das Weib, Frankfurt am Main 1991; Weckel, Ulrike u. a. (Hgg.), Ordnung, Politik und Geselligkeit der Geschlechter im 18. Jahrhundert, Göttingen 1998.
3 Dazu demnächst: Conrad, Anne, Bildungschancen für Frauen und Mädchen im interkonfessionellen Vergleich, in: Archiv für Reformationsgeschichte 95 (2004).