T. Blaha: Willi Graf und die Weiße Rose

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Title
Willi Graf und die Weiße Rose. Eine Rezeptionsgeschichte


Author(s)
Blaha, Tatjana
Published
München 2003: K.G. Saur
Extent
208 S.
Price
€ 68,00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Christine Hikel, München

Gedenken hat Konjunktur: Das haben die Veranstaltungen und Veröffentlichungen zum „Weiße-Rose“-Gedenkjahr 2003 gezeigt. Tatjana Blahas Dissertation widmet sich zwei bis jetzt weniger beachteten Themenkreisen der „Weißen Rose“: der Person Willi Graf und seiner Rezeption in Wissenschaft und Publizistik.

Die Arbeit beginnt mir einem biografischen Teil, in dem der Lebenslauf Grafs als „Weg in den Widerstand“ geschildert wird. 1918 in Kuchenheim im Rheinland geboren, wächst Graf in einer katholischen Familie in Saarbrücken auf. Er tritt 1929 in den Bund Neudeutschland ein, der neben seiner konfessionellen Bindung an Formen und Idealen der bündischen Jugend orientiert ist. Als nach 1933 der Druck auf freie Jugendgruppen steigt, schließt sich Graf dem vom Nationalsozialismus später als oppositionell eingestuften „Grauen Orden“ Fritz Leists an. 1938 wird er deshalb von der Gestapo wegen „Bündischer Umtriebe“ verhaftet, aber nicht verurteilt. Nach Abitur und Reichsarbeitsdienst beginnt er 1937 sein Medizinstudium in Bonn, das er kurze Zeit später in München fortsetzt und das zwischen 1940 und 1942 von mehreren Fronteinsätzen u.a. in Frankreich und Russland unterbrochen wird. 1942 lernt Graf in der Studentenkompanie in München Hans Scholl und Alexander Schmorell kennen und wird im Laufe dieses Jahres wohl auch in deren Widerstandsaktivitäten eingeweiht. Im Zuge des 18. Februar 1943 wird auch Graf verhaftet, im zweiten „Weiße-Rose“-Prozess am 19. April 1943 zum Tode verurteilt und am 12. Oktober 1943 hingerichtet.

Nach Blaha verursacht die katholische Prägung Grafs von Beginn an eine weitgehende Resistenz gegen den Nationalsozialismus. Diese Haltung habe sich noch durch die vom NS-Regime vorgenommene Kriminalisierung des „Grauen Ordens“ verstärkt. Blaha sieht dabei Grafs Mitgliedschaft im „Grauen Orden“ noch nicht als bewusste Widerstandsaktion, sondern lediglich als jugendliches Protestverhalten gegen die Erwachsenenwelt an, die aber als Widerstand interpretiert worden sei. Neben diesen beiden Faktoren sei dann letztendlich Grafs Zusammentreffen mit Hans Scholl sowie das Fronterlebnis entscheidend für seinen Eintritt in den aktiven Widerstand gewesen. Innerhalb der „Weißen Rose“ sei Graf hauptsächlich für Mitgliederwerbung und Hilfsdienste eingesetzt worden, habe inhaltlich jedoch keine tragende Rolle gespielt.

In der Summe bringt Blaha trotz einiger neuer Quellen – vor allem unveröffentlichte Briefe und Tagebuchaufzeichnungen Grafs – keine neuen Erkenntnisse. Dabei hätte zum Beispiel eine gründlichere Beschäftigung mit dem „Grauen Orden“ noch Interessantes zu Tage bringen können, insbesondere in Bezug auf dessen Gedankenwelt, politische Einstellung und Haltung zum aktiven Widerstand. Blaha weist zwar darauf hin, dass Graf auch in München noch Kontakt zu dieser Gruppe hatte und dass das Verhältnis immer schwieriger wurde, ohne dies aber genauer auszuarbeiten und zu begründen.

Der zweite Teil von Blahas Arbeit behandelt die Rezeptionsgeschichte des Widerstands der „Weißen Rose“ unter besonderer Berücksichtigung der Darstellung Willi Grafs. Die Überleitung bilden ein Abschnitt über die Berichterstattung über die Prozesse der „Weißen Rose“ während der NS-Zeit sowie ein knapper Abriss der Rezeptionsgeschichte des deutschen Widerstands in der historischen Forschung.

Daran schließt sich ein Literaturüberblick an. Chronologisch geordnet werden verschiedene Publikationen zur „Weißen Rose“ dahingehend untersucht, wie die einzelnen Beteiligten dargestellt und gewichtet werden. Die Analysekriterien sind hauptsächlich quantitativ, d.h. es wird meist der Frage nachgegangen, wie häufig und auf wie vielen Seiten die einzelnen Personen genannt sind. Blaha konstatiert, dass die Literatur ihr Hauptaugenmerk auf die Geschwister Scholl gelegt habe, während andere Beteiligte wenig berücksichtigt worden seien. Ausnahmen stellen für Blaha lediglich die von Anneliese Knoop-Graf mit herausgegebenen Werke dar, die sich eine gerechte Einordnung Willi Grafs bemüht hätten, sowie Christian Petrys Untersuchung: „Studenten aufs Schaffott“, die als erste wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der „Weißen Rose“ gewertet und eingehender – leider ohne große analytische Leistung – dargestellt wird.

Die Rezeption des „Weiße-Rose“-Widerstands innerhalb der Presse wird anhand der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Süddeutschen Zeitung sowie der Saarbrücker Zeitung nachvollzogen. Der betrachtete Zeitraum umfasst die Jahre 1943 bis 1993 und beschränkt sich auf Artikel, die in den jeweiligen „Gedenkmonaten“ der „Gedenkjahre“ erschienen sind. Blaha geht hierbei wiederum rein quantifizierend vor, indem sie den Anteil an Veröffentlichungen zu den Geschwistern Scholl und Willi Graf bzw. den anderen Beteiligten darstellt, woraus sie dann ableitet, dass auch hier die Geschwister Scholl gegenüber allen anderen dominieren.

Die letzten Kapitel setzen sich mit Formen, Orten und Institutionen der Erinnerung an den Widerstand der „Weißen Rose“ auseinander. Eine Sonderstellung nimmt hier für Blaha die „Weiße-Rose“-Stiftung ein: „Die Weiße Rose Stiftung e. V. ist die erste Einrichtung ihrer Art, die versucht, die Erinnerung gleichermaßen an alle Beteiligten zu erhalten“ (S. 186). Das ist eine durchaus fragwürdige Bewertung. Blaha scheint entgangen zu sein, dass die personelle Besetzung der „Stiftung“ diesen Schluss in Zweifel zieht, denn die Familien Probst und Schmorell gehören ihr nicht an. Kann diese Stiftung wirklich alle repräsentieren, wenn sie diese nicht einmal in ihren Reihen zusammenbringen kann? Gerade hier wäre eine kritische Analyse der Erinnerungspolitik aller Angehörigen und Überlebenden der „Weißen Rose“ wünschenswert gewesen.

Was in Blahas Rezeptionsgeschichte völlig fehlt, ist die Verarbeitung der Geschichte der „Weißen Rose“ in anderen medialen Formen. Dazu gehört die Verfilmung des Stoffes durch Mario Krebs und Michael Verhoeven. Gerade der Film „Die Weiße Rose“ erzielte große Breitenwirkung und hätte in die Besprechung aufgenommen werden müssen. Zudem wird Graf hier eine für das Widerstandsgeschehen der „Weißen Rose“ tragende Rolle zugeschrieben.

Blahas Vorgehen ist in weiten Teilen ihrer Arbeit rein deskriptiv, nicht analytisch. So werden im biografischen Abschnitt keine neuen Sichtweisen vorgestellt, es werden nicht einmal Perspektiven eröffnet, die über bereits Bekanntes hinausgehen. Zu wenig beachtet ist auch eine genauere Einordnung Grafs in den Kreis der „Weißen Rose“, denn dessen Struktur wird nicht untersucht, und so wie in vielen Publikationen Graf am Rand des Interesses steht, geschieht es hier mit den anderen Beteiligten. Dadurch fehlen aber Bezugspunkte, um Willi Graf neu zu verorten. Das gilt auch für die anschließende Besprechung der Rezeptionsgeschichte. Blaha weicht diesem Problem aus, indem sie lediglich quantifizierend argumentiert. Das begriffliche Instrumentarium bleibt auf dünnem Fundament. Nur knapp wird auf den Begriff „Widerstand“ und auf den Umgang mit diesem Phänomen in der historischen Forschung eingegangen. Eine Auseinandersetzung mit den für Blahas Arbeit zentralen Begriffen „Erinnern“ bzw. „Erinnerungsarbeit“ unterbleibt.

Bei ihrer Quellenarbeit ist auffällig, dass sie ungeachtet der methodischen Problematik der „Oral history“ gerade darauf großes Gewicht legt, insbesondere was die Aussagen Anneliese Knoop-Grafs angeht. Diese werden stets als Maßstab für Aussagen anderer Quellen – beispielsweise der Gestapo-Verhörprotokolle – verwendet.

Neben diesen methodischen und argumentativen Schwachpunkten steht die problematische Grundkonzeption der Dissertation: „Die Arbeit verfolgt mit der Biografie Willi Grafs und der Rezeption seiner Person in der Nachkriegszeit zwei Ansätze: zum einen ist es ein Versuch, die Person Grafs aus dem Schatten der Geschwister Scholl zu heben, und zum anderen soll sie verdeutlichen, dass Grafs Leistung und Einsatz gleichermaßen beachtens- und würdigenswert sind wie das Wirken von Hans und Sophie Scholl.“ (S. 11) Für Blaha steht also die Frage nach der Erinnerung im Mittelpunkt, wobei sie aber nicht nur diese als historisches Phänomen („Rezeptionsgeschichte“) aufarbeiten will, sondern ihre Aufgabe gleichzeitig darin sieht, Einfluss auf das aktuelle Erinnern zu nehmen. Hier verschwimmen zwei ganz unterschiedliche Ebenen: die der historisch-wissenschaftlichen und der erinnerungspolitischen Auseinandersetzung mit der „Weißen Rose“.

So verfängt sich Blahas Dissertation in ihrer problematischen Konzeption und kann letztendlich weder inhaltlich noch methodisch überzeugen. Das ist schade, denn die „Weiße-Rose“-Forschung könnte durchaus neue Impulse vertragen, gerade von jungen Wissenschaftlern, die den Kreis der alt bekannten „Weiße-Rose“-Geschichtsschreiber aufbrechen. Der vorliegenden Arbeit ist das nicht gelungen.

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