C. Jansen: Paulskirchenlinke und deutsche Politik 1849-1867

Titel
Einheit, Macht und Freiheit. Die Paulskirchenlinke und die deutsche Politik in der nachrevolutionären Epoche 1849-1867


Autor(en)
Jansen, Christian
Reihe
Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 119
Erschienen
Düsseldorf 2000: Droste Verlag
Anzahl Seiten
Preis
€ 75,70
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Constantin Goschler, Berlin

Die Geschichte des deutschen Liberalismus von der Revolution bis zur Reichsgründung steht traditionell im Schatten des "borussischen Diskurses", der die kleindeutsche Reichsgründung als Folge eines Bündnisses des 'realistischen' Teils des Liberalismus mit Bismarck feierte. Zur Hartnäckigkeit der damit traditionell verbundenen Geringschätzung der bürgerlichen Linken als unpolitische und machtferne Ideologen trug nicht zuletzt die Tradierung nationalliberaler Werturteile Hermann Baumgartens bei, die sein Neffe Max Weber in Gestalt des Gegensatzes von "Verantwortungsethik" und "Gesinnungsethik" kanonisierte. Christian Jansen will dagegen in seiner Bochumer Habilitationsschrift diese historiographische Schieflage beenden und eine bislang wenig gewürdigte politische Traditionslinie ins rechte Licht rücken. Dazu untersucht er die Bedeutung der Paulskirchenlinken in der deutschen Politik in der nachrevolutionären Epoche bis 1867. Dabei verfolgt er das Ziel, die bislang zu wenig berücksichtigten demokratischen und föderalistischen Positionen im immer noch am wenigsten erforschten Zeitabschnitt der deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts zu beschreiben. Im Mittelpunkt stehen dabei das Festhalten an den "Ideen von 1848", d. h. der Glaube, dass sich die Erlangung von Freiheit, Macht und Einheit Deutschlands wechselseitig bedingten. Am Anfang der deutschen Reichsgründung, so Jansen emphatisch, habe nicht Bismarck, sondern 1848 gestanden (23).

Zum anderen will Jansen mit seiner Studie einen Beitrag zur Modernisierung der Politikgeschichte leisten, die durch die Konjunkturen der Sozial- wie der Kulturgeschichte gleichermaßen in den Geruch der methodischen Rückständigkeit geriet. Dazu gehört für ihn neben der Überwindung einer nationalgeschichtlich-teleologischen Linearität auch, dass die Brüche und Alternativen deutlich gemacht werden müssen, die zuvor im Namen der Nation unterdrückt worden seien. "Eine moderne Politische Geschichte", so Jansen, "sollte die Instrumentarien und methodologischen Erkenntnisse, die die Sozial- und neuere Kulturgeschichte für den Mikrobereich des Lokalen, Individuellen und Alltäglichen entwickelt und erprobt hat, wieder auf die großen politischen Entscheidungen und Prozesse sowie auf die Führungseliten anwenden." (S. 27 f.) Deshalb wählt er die Form einer Kollektivbiographie von rund 50 linken Paulskirchenabgeordneten, die er als eine Gegenelite untersucht. Anhand dieser Gruppe schreibt er nicht allein eine Geschichte der nachrevolutionären Linken, "sondern eine exemplarische Geschichte des Nations- und liberalen Parteibildungsprozesses der 1850er und 1860er Jahre". Dabei durchzieht seine Arbeit, wie er selbst schreibt, ein "melancholischer Grundton", sei doch die Geschichte des Liberalismus, wie sie anhand der Paulskirchenlinken erzählt werden könne, "vornehmlich eine Geschichte des Scheiterns" (S. 30 f.).

Jansens Studie setzt diese ambitionierten Ziele in beeindruckender Weise um. In einem ersten Teil bietet er eine Kollektivbiographie der Paulskirchenlinken nach der Revolution. Dieser gehört zu den gelungensten Teilen dieser Studie, gelingt ihm hier doch eine spannende Vermischung von Erfahrungsgeschichte, Sozialgeschichte und politischer Ideengeschichte. Jansen charakterisiert die von ihm untersuchte Gruppe als "marginalisierte Intelligenz" (54) und untersucht deren Verfolgungsschicksal nach der Revolution sowie ihre Versuche, sich wieder persönlich und politisch zu organisieren. Eindrücklich schildert er die Härte der Reaktionsmaßnahmen: "Mehr als die Hälfte der oppositionellen Paulskirchenabgeordneten war von der nachmärzlichen Repressionswelle in Form von Verurteilungen, Dienstentlassungen usw. unmittelbar betroffen; mehr als ein Drittel ging vorübergehend oder endgültig außer Landes" (597). Der politische Kern der linken Opposition überlebte trotz der Verfolgungsmaßnahmen in weitgespannten politischen Netzwerken. Nach der Lockerung der Repression und dem Ende der Emigration kehrten viele der 48er wieder in die Politik zurück. Dabei spielte diese Gruppe, so Jansen, eine wichtige Rolle für die Entwicklung des politischen Journalismus wie des Berufspolitikers. Bei all dem war die Paulskirchenlinke von einem Selbstverständnis als politischer Elite und unbeugsame Streiter geprägt, das ihnen eine bruchlose Identitätskonstruktion auch in Zeiten der politischen Unterdrückung sichern sollte, zumal sie andererseits wegen des Scheiterns der Revolution mit dem Makel behaftet waren, als politische Führer versagt zu haben.

Die folgenden fünf Teile bieten dagegen eine politische Geschichte der deutschen bürgerlichen Linken aus der Perspektive der Gegenelite von 1848/49. Gezeigt wird der politische Weg dieser Gruppe von anfänglicher Radikalisierung vor allem der Emigranten hin zur realpolitischen Wende der meisten von ihnen. Manch einen führte dieser Weg nicht nur in deutsche Landesparlamente, sondern auch in den Dienst der zuvor bekämpften Regierungen. Der gruppenbiographische Ansatz verliert im weiteren Verlauf der Darstellung allerdings an Prägnanz: Wie Jansen selbst feststellt, handelt es sich bei der nachrevolutionären Geschichte der Paulskirchenlinken wie der bürgerlichen Linken insgesamt um eine Geschichte der Diffusion und der politischen Differenzierung. Die Darstellung konzentriert sich deshalb vor allem auf die demokratische Einigungsbewegung, wobei versucht wird, den besonderen Stellenwert der 48er jeweils herauszuarbeiten. Verliert diese dabei ihr Charakteristikum als geschlossene Gruppe, so bietet dies andererseits den Vorteil, das breite Spektrum der Positionen zu verdeutlichen.

Jansen zeigt die Entstehung tiefer Risse vor allem zwischen Emigranten und Nicht-Emigranten ebenso wie die regional unterschiedlichen Entwicklungen innerhalb des Deutschen Bundes. Vor dem Hintergrund eines Paradigmenwechsels hin zu einem naturwissenschaftlich verbürgten Fortschrittsglauben fand in den 1850er Jahren eine Wendung zur "Realpolitik" statt, in deren Folge seit Mitte der 50er Jahre wieder beschränkte Versuche zur Koordinierung liberaler Politik und zu deutschlandpolitischen Debatten stattfanden. Dabei charakterisiert Jansen den Zusammenprall vier unterschiedlicher deutschlandpolitischer Modelle, die jeweils auf andere Akteure zu ihrer Verwirklichung setzten: Dem vor allem in Südwestdeutschland favorisierten Modell eines föderativen Zusammenschlusses standen in Preußen eine demokratisch-unitaristische Richtung sowie eine gouvernemental-autoritäre Strategie gegenüber. Ein weitere Option war schließlich ein supranationaler Staatenbund möglichst unter Einschluss Österreichs.

Zwar verbesserten sich, so Jansen, seit Mitte der 50er Jahre die Rahmenbedingungen für die politische Organisation, doch erlitten die verschiedenen deutschlandpolitischen Modelle nacheinander Schiffbruch. Die Gründung des deutschen Nationalstaats 1867/71 lag jedenfalls außerhalb dieser Alternativen, sondern wurde bekanntlich in der Form eines Fürstenbundes verwirklicht. Trotz des von Jansen konstatierten fortdauernden politischen Einflusses und Erfolges der Paulskirchenlinken sei daher ihr politisches Projekt, "Einheit" und "Freiheit" zugleich zu erreichen, gescheitert. Die Frage, inwieweit beides nur zugleich oder schließlich auch die "Einheit" zuerst erreicht werden sollte, bildete die entscheidende Bruchlinie innerhalb der bürgerlichen Linken.

Vor dem Hintergrund dieser bekannten Entwicklung gelangt Jansen zu einigen interessanten Thesen, die das bisherige Bild der demokratischen Nationalbewegung in Teilen revidieren. So hebt er erstens die große Bedeutung eines bürgerlich-nationaldemokratischen Militarismus hervor, der aus einer Interpretation des Scheiterns der Revolution aufgrund des Fehlens militärischer Machtmittel resultierte. Die Militarisierung der politischen Kultur des Kaiserreichs sei daher nicht nur als ein Anpassungsprozess des Bürgertums an einen adlig-militärischen Wertekanon zu verstehen, vielmehr besitze dieser ebenso kräftige Wurzeln im bürgerlichen Männlichkeits- und Selbständigkeitsideal sowie im demokratischen Staatsverständnis. Hinzu kam, dass die bürgerliche Linke durch die Erfahrung mehrerer europäischer Kriege eine Akzeptanz des Krieges als Mittel politischer Veränderungen und des historischen Fortschritts entwickelte. Dies wird noch durch die These verstärkt, dass spätestens seit 1848 gerade die bürgerliche Linke zunehmend zu einer ethnischen Definition der deutschen Nation tendierte und damit eine folgenreiche Abkehr vom universalistischen politischen Denken einleitete. Damit, so Jansen, sei die verbreitete Unterscheidung eines "linken" von einem "rechten", aggressiven Nationalismus unsinnig. Auch der politischen Kultur der demokratischen Linken stellt Jansen ein ambivalentes Zeugnis aus: Aufgrund des Avantgardebewusstseins ihrer Führungsgruppen seien ihre Organisationen nur im Ausnahmefall demokratisch strukturiert gewesen. Dabei stellt er idealtypisch zwei verschiedene politische Mentalitäten gegenüber: risikobereiten Dezisionismus und zögernde Haltung, die häufig in politischem Attentismus mündete. Die Reichsgründung von 1867/71, so Jansen, sei jedenfalls nicht das Ergebnis einer rational abwägenden "Realpolitik", sondern habe auf dem nationalistischen und modernisierungstheoretischen Glauben basiert, dass der Nationalstaat der beste Garant politischer und wirtschaftlicher Entwicklung sei.

Jansens Fazit lautet, dass die bürgerliche Linke von 1848/49 weder weltfremd noch machtfremd gewesen sei. Er hebt hervor, dass sie seit ihrer realpolitischen Wende zu einer bestimmenden Kraft geworden sei und wichtige politische Impulse geliefert habe. Seine Bilanz fällt dabei wiederum zwiespältig aus: Zählt er einerseits das Wachhalten der Liberalisierungs- und Demokratisierungsforderungen von 1848 zu den spezifischen politischen Beiträgen der politischen Linken, die die deutsche Entwicklung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geprägt hätten, so zählt er zu ihrem politischen Erbe andererseits auch das irredentistische Beharren auf einer Integration Schleswigs und Holsteins sowie des Elsass in den künftigen Nationalstaat, aber auch die zunehmend ethnische Definition der deutschen Nation sowie schließlich auch den bürgerlich-demokratischen Militarismus. Gleichwohl betrachtet Jansen die Ideen der Linken von 1848 insgesamt als gescheitert, konnten sie doch die Einigung unter Bismarkschen Vorzeichen nicht wesentlich beeinflussen. Bei seiner Interpretation der Spaltung der bürgerlichen Linken in der Frage der Bismarckschen Einigungspolitik greift er dabei auf die alte Unterscheidung von Gesinnungs- und Verantwortungsethik zurück, relativiert jedoch die damit traditionell verbundene Wertung dadurch, dass letztlich beide vor dem Hintergrund ihres jeweiligen Fortschrittsglaubens agiert hätten. Als langfristig folgenreich bezeichnet es Jansen schließlich, dass es infolge der Reichsgründung zum Verschwinden des demokratisch-republikanischen Radikalismus gekommen sei. Damit, so Jansen, verschwand auch ein Ansatz, der der Lagerbildung des deutschen Parteiensystems entgegengesetzt gewesen sei und schließlich erst in den deutschen Volksparteien zum Tragen gekommen sei, die die deutsche Mittelstandsgesellschaft nach 1945 zu einem Erfolg werden ließen.

Jansen ist es überzeugend gelungen, seinem hohen Anspruch gerecht zu werden und die politische Rolle einer verschütteten Traditionslinie herauszupräparieren und dabei gleichzeitig methodisch innovativ für die Politikgeschichte insgesamt zu wirken. Allerdings bleibt sein Gesamturteil über die politische Bedeutung der bürgerlichen Linken, der zwischen Scheitern und Erfolg schwankt, etwas in der Schwebe. Dies hat vielleicht mit dem Anspruch dieser Studie zu tun, gleichzeitig einen Beitrag zur politischen Traditionsbildung leisten zu wollen. Nachdem Jansen die Ambivalenz der "Ideen von 1848" und ihre Wandlungen in der nachrevolutionären Epoche so überzeugend herausarbeitete, wird jedoch nicht ganz einsichtig, worin das positive Erbe der 48er zur Überwindung politischer Milieus und dem Aufbau einer deutschen Mittelstandsgesellschaft nach 1945 bestanden haben soll. Dies gilt um so mehr, als er sich aus analytischen Gründen weitgehend auf ein politisches Zentralproblem konzentriert, nämlich auf das Verhältnis von "Einheit" und "Freiheit". Doch gerade wenn man, wie Jansen, das positive Erbe des demokratisch-republikanischen Ansatzes zur Überwindung der Klassengesellschaft hervorhebt, wäre es vielleicht sinnvoll gewesen, auch die Bedeutung der sozialen Frage in diesem Kontext zu beleuchten. Ein grundsätzliches Bedenken richtet sich schließlich gegen den Versuch an sich, eine derartige Traditionslinie herzustellen zu wollen. Vielleicht liegt es an der Befangenheit des Rezensenten, der sich im vergangen Jahrzehnt in kritischer Auseinandersetzung mit der "Erbe-Konzeption" der DDR sah, dass ihm ein solches Vorhaben auch unter bundesrepublikanischem Vorzeichen nicht unproblematisch erscheint. Am Ende läuft dies so auf die Frage zu, ob sich eine moderne Politikgeschichte damit begnügen sollte, Traditionen kritisch zu befragen, oder ob es auch ihre Aufgabe sein kann, solche zu begründen.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension