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Title
Otto IV.. Der wiederentdeckte Kaiser. Eine Biographie


Author(s)
Hucker, Bernd U.
Published
Frankfurt am Main 2003: Insel Verlag
Extent
676 S., Abb.
Price
€ 16,00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Christian Hillen, Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv, Köln

Wenn ein Autor zum zweiten Mal innerhalb von 13 Jahren einer Person eine Biografie widmet 1, dann muss er dafür schon besondere Gründe haben. Das Auftauchen neuer Quellen, die Hinzunahme bisher nicht beachteter oder die Neuinterpretation alter Zeugnisse können solche Gründe sein. Da ersteres bei herrschenden Personen des Mittelalters nur ausgesprochen selten geschieht, kommen nur die letzten beiden Gründe in Frage. So schien es Hucker nun „an der Zeit, das Kunst- und Literaturschaffen als unbestechlichen Spiegel jener Epoche noch eindringlicher heranzuziehen, als das früher geschehen konnte“ (S. 13). Zudem wollte er sich neben den Schriftquellen verstärkt „Überresten in Realien, Kunst- und Literaturwerken“ (S. 13) widmen. Aber es gibt noch eine Motivation für Hucker, die schon der Untertitel „Der wiederentdeckte Kaiser“ verrät: Er möchte seinen „Helden“ der Vergessenheit entreißen und gleichsam aus dem Schatten des ihn umgebenden staufischen Glanzes herausholen, um ihn einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Dabei ist Hucker ein durchaus respektabler Wurf gelungen, wenngleich es später noch gilt, auf einige Fußangeln aufmerksam zu machen.

Dass sich dieses Werk an einen weiteren Leserkreis richtet – etwas, dass durchaus als Verdienst an sich gelten sollte – wird schon durch die Ausgabe als Taschenbuch deutlich. Aber auch die Sprache, die dieses Werk zu einem angenehmen Leservergnügen macht, die Endnoten und die zahlreichen Abbildungen tragen dazu bei, diesen nicht gerade leicht verdaulichen Stoff des Thronstreites auch für Laien verständlich und anschaulich zu machen. Als Hilfsmittel für eben diese Laien wurde ein kurzes Glossar häufig vorkommender Personen und Begriffe angehängt – eine sehr gute Idee.

Auf diese Weise vorbereitet wird der Leser nun durch das Leben Ottos IV. geleitet. Dieses geschieht – wie für Biografien nahe liegend – in chronologischer Reihenfolge, die aber gelegentlich durch einige systematische Kapitel zum Beispiel zur „Bau- und Kulturblüte“ unterbrochen wird. Die einzelnen Wendungen des Thronstreites zwischen Otto und Philipp von Schwaben werden dabei ebenso detailliert dargestellt, wie die ritterliche Gesellschaft auf dem Turnier von St. Trond oder die Entstehungsgeschichte und Bedeutung der Ebstorfer Weltkarte, die in Ottos Umkreis entstanden ist. Hucker gelingt es so, neben der Ereignisgeschichte ein Panorama der Zeit Ottos vor dem Leser auszubreiten und ihm viel von der Mentalität mittelalterlicher Menschen zu vermitteln. Man erfährt Genaues zur Landesgeschichte der welfischen „Territorien“ ebenso wie zur großen „Weltgeschichte“ des Papsttums, der Kaiseridee oder dem neuen Minoritenorden. Beeindruckend ist dabei auch für den Experten die sichere Beherrschung der Quellen. Kaum ein Zeugnis zu Otto IV. das Hucker nicht kennt und für seine Zwecke auswertet. Genauso souverän beherrscht Hucker die Sekundärliteratur, die er natürlich seit seiner ersten Otto-Biografie auf den neuesten Stand gebracht hat.

Tückisch wird es allerdings – und zwar vor allem für Laien –, wenn es um Forschungsmeinungen und Interpretationen geht. Ganz en passant werden Armin Wolffs Thesen zu Entstehung des Kurfürsten-Kollegs oder Caroline Göldels Interpretation des Tafelgüterverzeichnisses als gängige Forschungsmeinung präsentiert, von denen man jedoch bestenfalls sagen kann, dass sie noch einer weiteren Überprüfung unterzogen werden müssten. Gleiches gilt für die „Staatsstreichthese“ im Bezug auf die Ermordung Philipps von Schwaben 1208, die sicher viel Diskussionswürdiges enthält, aber nicht in allen ihren Bestandteilen einer näheren Untersuchung standhalten dürfte. Problematisch wird auch Huckers Interpretation von Ottos Einstellung zur Amtskirche, wobei an erster Stelle zu fragen ist, was man denn unter Amtskirche im 13. Jahrhundert zu verstehen hat. Hier verwickelt sich Hucker auch in Widersprüche. Behauptet er auf der einen Seite, „Otto und seine Anhänger“ hätten „das Vertrauen in die Amtskirche“ „bald verloren“ (S. 428), so spricht er schon wenige Seiten später davon, dass „besonders der Kirchenbann“ auf Otto lastete (S. 431). Zudem habe er „sein Amt als spezieller Schutzherr des Ordens [der Zisterzienser] sehr ernst genommen“ (S. 433). Huckers Behauptung „Ottos persönliche Frömmigkeit war tief in seiner Familie veranlagt“ (S. 437) bleibt einfach im Raume stehen ohne Hinweis darauf, wie er denn methodisch sauber anhand der vorhandenen Quellen den persönlichen Anteil an der Frömmigkeit ausmacht. Die Grenzen zwischen persönlich und öffentlich sind gerade bei mittelalterlichen Herrschern ausgesprochen fließend. Kein König oder Kaiser konnte sich erlauben, an der „Amtskirche“ zu zweifeln. Vielmehr scheint dies auch völlig außerhalb des Vorstellungshorizonts der Herrschenden gelegen zu haben. Fast hat man den Eindruck, Hucker möchte Ottos Gedankenwelt hier in eine Reihe mit der „Aufgeklärtheit“ seines großen Widersachers, Friedrichs II., stellen.

Überhaupt scheint dies, wie anfangs angedeutet, Huckers hauptsächliche Motivation für eine neue Biografie Ottos gewesen zu sein. Man hat beinahe das Gefühl, als wolle er sein Werk in einer Reihe mit den Biografien Friedrichs II. von Kantorowicz 2 oder Ludwigs des Heiligen von Le Goff 3 sehen. Dazu fehlt es Hucker jedoch an der sprachlichen Gewalt des einen und der methodischen und analytischen Brillanz des anderen. Verstecken braucht sich sein Werk deswegen aber noch lange nicht. Eine solch umfassende und sprachlich gelungene Biografie muss anderen erst einmal gelingen.

Anmerkungen:
1 Hucker, Bernd Ulrich, Kaiser Otto IV., Hannover 1990.
2 Kantorowicz, Ernst, Kaiser Friedrich der Zweite, Berlin 1928.
3 Le Goff, Jacques, Ludwig der Heilige, Stuttgart 2000.

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