Die Welt, so will es die globale Kulturindustrie, ist nicht genug. Zumindest nicht für den weltweit operierenden, berühmtesten Agenten des britischen Geheimdienstes, dessen „Missionen“ als nostalgische, bisweilen gar selbstironische Reminiszenz an die verlorene Weltgeltung eines in die Post-Kolonialität gezwungenen British Empire daherkommen – auch dies ist eine unter zahlreichen Geschichten der Globalisierung.
Der deutschen Geschichtswissenschaft ist ‚die Welt’ als Referenzrahmen ihrer Analysen derzeit mehr als genug. Hierzulande beginnt man eher zögerlich, über den vertrauten nationalen Rahmen hinaus europäische oder gar globale Verflechtungen in den Blick zu nehmen. Jürgen Osterhammel und Niels P. Petersson haben mit ihrer jüngst in der C. H. Beck Wissen - Reihe vorgelegten „Geschichte der Globalisierung“ einen solchen Blick getan und den Versuch unternommen, dem Begriff der Globalisierung „historische Tiefenschärfe“ zu verleihen, wie der Klappentext verspricht. Sie reüssieren dabei auf ganzer Linie: Wer sich in Zukunft im weitesten Sinne mit globalen Fragestellungen befasst, kommt an Osterhammel/Peterssons „Geschichte der Globalisierung“ schwer vorbei. Das Büchlein, welches lediglich dem Format und Umfang nach ein kleines ist, fasst auf rund 110 Textseiten die Epochen einer Geschichte der Globalisierung zusammen, die spätestens um 1500 beginnt, einen ersten Anlauf bis 1750 nimmt, durch die Fernwirkungen der Industriellen Revolution nochmals eine Intensivierung erfährt, um 1880 vor allem „politisch“ wird und nach 1945 durch die Konkurrenz zweier Machtblöcke geprägt ist. Allein diese inhaltliche Darstellung auf derart knappem Raum stellt eine beachtliche Leistung dar. Gerahmt werden die Analysen von zwei hinführenden und einem abschließenden Kapitel, die sich mit Begriffen und Dimensionen von Globalisierung befassen, einen möglichen Kriterienkatalog für die Intensität von Globalisierung liefern und aufzeigen, was das Konzept der Globalisierung nicht ist und kann.
Die gegenwärtige Virulenz von „Globalisierung“ in Medien und Sozialwissenschaften nehmen Osterhammel/Petersson zum Anlass, nicht nur die in den aktuellen Debatten implizit oder explizit vorausgesetzte Novität des Phänomens zu hinterfragen, sondern auch gleich den möglichen Ertrag eines konturierten Globalisierungsbegriffes für die Geschichtswissenschaft herauszustellen: „Globalisierung“ könnte die Leerstelle zwischen den etablierten „’Diskursen’“ (S. 10) der Historiker füllen und einen Ort markieren, an dem all das viel zitierte und selten systematisierte „Inter-Kontinentale, Inter-Nationale, Inter-Kulturelle“ (S. 9) geschichtswissenschaftlicher Produktion unterzubringen wäre. Wenn Globalisierung dann eher allgemein als „Aufbau, [...] Verdichtung und [...] zunehmende Bedeutung weltweiter Vernetzung“ (S. 24) aufgefasst wird, mindert dies die analytische Schärfe des begrifflichen Instrumentariums in keiner Weise. Im Gegenteil. Die inhaltlichen Ausführungen der folgenden Kapitel demonstrieren, dass nur mit einem derart breiten Verständnis von Globalisierung die Vielschichtigkeit und Multidimensionalität des beschriebenen Prozesses hinreichend erfasst werden kann.
Wirtschaftshistoriker haben zwar die zunehmende Integration eines Weltmarktes und das Ausmaß an ökonomischer Verflechtung in ähnlichen wie den von Osterhammel/Petersson vorgeschlagenen Periodisierungen beschrieben. Dass Globalisierung sich jedoch nicht auf ihre zweifellose ökonomische Dimension reduzieren lässt, sondern ebenso in Migration, internationalen Beziehungen sowie Kolonialismus und Imperialismus bestand, machen die Verfasser überzeugend deutlich. In dieser Sicht, welche die Beziehungen zwischen den vormals in separierter Forschung betrachteten Dimensionen der Globalisierung berücksichtigt, liegt denn auch eine mögliche Erweiterung des Gegenstandes, die das Osterhammel/Petersson’sche Angebot vorhandenen Darstellungen voraus hat: Globalisierung als Perspektive auf die Geschichte, heißt der ebenso einfache wie einleuchtende Vorschlag.
Was die inhaltlichen Ausführungen zu den einzelnen Etappen einer Geschichte der Globalisierung auszeichnet, ist ein souveräner Umgang mit strukturellen Schneisen und Zäsuren. Die gekonnt zusammenfassende und in ihrer idealtypologisierenden Herangehensweise unmittelbar einleuchtende Darstellung eines „sehr langen ‚Mittelalters’“ (S. 30) von etwa 500 bis 1500 würde man sich gerne gemeinsam mit der folgenden Analyse der frühen Globalisierung von etwa 1500 bis 1750 als ausgekoppelten und detaillierter ausgeführten Band einer mehrbändigen Globalisierungsgeschichte ins Regal stellen. An Osterhammel/Peterssons Darstellung des Zeitraumes von 1750 bis 1880 überzeugt vor allem ihre Einordnung der „Doppelrevolution“ des 18. Jahrhunderts, der Industriellen und der Französischen Revolution. Der entscheidende Globalisierungsschub dieser Phase setzte bereits vor dieser „Doppelrevolution“ ein und „speiste sich aus der Dynamik von Staatsbildung und vorindustriellem Kolonialismus.“ (S. 46) Globalisierungsgeschichtlich relevant wurde die Industrielle Revolution vor allem in ihren Fernwirkungen, die sich besonders in technischen Innovationen wie Dampfschiffen und Eisenbahnen, Telegraphen oder Rüstungsproduktionen manifestierten.
Verglichen mit diesen ersten beiden Abschnitten leuchtet die Darstellung einer dritten Epoche der Globalisierung, der Periode von 1880 bis 1945, weniger ein. Ausgehend von der weitgehenden Rückkehr zum Protektionismus nach einer Epoche des Freihandels im Jahre 1878 läuten Osterhammel/Petersson hier eine Phase der „Politisierung der Globalisierung“ ein, die in der Abgrenzung zu einer vorherigen ‚unpolitischen’ Globalisierung als Konzept nicht recht zu tragen scheint. Die Hochphase des Imperialismus ab etwa 1880, ein verschärft nationalistisches Klima in Europa und auch die entstehenden Strömungen des Pansislamismus, Panafrikanismus und Panasianismus deuteten um die Jahrhundertwende zwar tatsächlich stark in die Richtung einer fragmentierenden Entwicklung, die für Kooperationen, Solidaritäten und die Überwindung von Gegensätzen wenig Raum zu gewähren schien und Konfrontation geradezu heraufbeschwor. Derartige Fragmentierungen, die mit der Verflechtung und zunehmenden Homogenisierung der Welt in dialektischer Verbindung einhergingen, waren jedoch stets Bestandteil der Globalisierung. Vielleicht sollte auch eine eher allgemeine Definition von Globalisierung dieser Doppelgesichtigkeit Rechnung tragen und den Prozess der Verflechtung um das Moment der Fragmentierung ergänzen. Die zunächst paradox anmutende Feststellung, dass Nationalismen gerade in einer Hochphase globaler Vernetzung prosperierten, erscheint vor diesem Hintergrund weniger widersprüchlich: Verflechtung produzierte als Gegenreaktion immer auch Abschottungstendenzen, die dann wiederum als Verstärkung nationaler Entitäten wirkten. So versuchten sich die USA wie andere Staaten in dieser Zeit ebenfalls seit 1882 mit dem „Chinese Exclusion Act“ vor der Zuwanderung billiger chinesischer Arbeitskräfte zu schützen. Derartige Maßnahmen waren jedoch nicht in höherem Maße politisch als der Freihandel zuvor unpolitisch gewesen wäre, was schon der in der Forschung weithin akzeptierte Terminus des „Freihandelsimperialismus“1 suggerieren sollte, mit dem die wirtschaftlichen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts häufig charakterisiert werden. Großbritannien öffnete zwar unilateral seine Märkte, schuf jedoch durch seine ökonomische Überlegenheit wiederum weitreichende Abhängigkeiten.
Osterhammel/Petersson verweisen neben dem Freihandel zudem auf die breite Bewegung der technisch-industriellen Standardisierer, die sich als Teil dieser „’unpolitischen’“ (S. 74) Globalisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts über internationale Konventionen zur Durchleitung von Telegraphensignalen, Eisenbahnspurbreiten oder allgemeingültige Einheiten für Maße und Gewichte verständigen konnte. Freihandel und Standardisierungen könnten jedoch in einer anderen möglichen Lesart, die hier nur kurz angedeutet werden soll, ebenso wie „Realpolitik“ oder die italienische Konsenspraxis des „Trasformismo“ in das Zeitalter einer postideologischen Politik gehören, die sich bewusst mit der Aura von Rationalität, Effizienz und Pragmatik umgab. Michel Foucault hat diese spezifische Form des „Regierens“ als Kunst beschrieben, „die Macht in der Form und nach dem Vorbild der Ökonomie auszuüben.“2 Die revolutionären Krisen der Jahrhundertmitte bereiteten gewissermaßen das Terrain für diese Umwertung der Politik, die auch in ihren zahlreichen anderen Aspekten einmal genauer zu untersuchen wäre. Charles S. Maiers Konzept der Territorialität3 gehört in diesen Kontext, und Michael Geyer hat argumentiert, dass simultan auftretende, aber autonom induzierte Krisen um die Jahrhundertmitte – der Taiping-Aufstand, der Triple-Allianz-Krieg gegen Paraguay, der Krimkrieg, der Indische Aufstand, der Amerikanische Bürgerkrieg, die europäischen Revolutionen und die nationalen Einigungskriege etwa – in einem Kontext intensivierter Interaktionen und durch das Wissen der Akteure umeinander zu globalen Krisen konkurrierender Machtzentren wurden. Diese Krisen erforderten neue Lösungen, die fortan nicht mehr in Restauration, sondern in Strategien der Selbsterneuerung und damit verbunden einer Art Ideologie der ideologiefreien Politik bestanden.4 Dass diese jedoch mitsamt den Standardisierungen nicht weniger politisch war als Nationalismen und Chauvinismen nach 1880 illustriert ein russisches Beispiel: Die militärische Bedeutung der Eisenbahnen war nach dem Krieg von 1870/71 in Europa unumstritten, und um Pläne einer Invasion des Landes zu durchkreuzen, wurden die Spurbreiten der Eisenbahnen in Russland bewusst ein wenig breiter konstruiert als der europaweit praktizierte Standard es vorgab.5
Die mehr aus der Bewertung der zurückliegenden Phase geschöpfte Einschätzung der Zeit zwischen 1880 und 1945 verdeutlicht denn auch, dass globalgeschichtliche Ansätze allgemein und auch eine Geschichte der Globalisierung als ein „Unterproblem“ (S. 19) dieser Zugänge von einer stärkeren Theoretisierung ihrer Fragestellungen und der Berücksichtigung kulturgeschichtlicher Aspekte profitieren könnten. Dass Osterhammel/Petersson der Rede von der unpolitischen Globalisierung gewissermaßen ‚aufsitzen’, liegt, so könnte man zuspitzen, auch daran, dass sie sich der diskursiven Dimension des Themas nicht öffnen. Auch die inhaltlichen Ausführungen der Verfasser zur Konsumgeschichte des 20. Jahrhunderts weisen in diese Richtung und stellen mögliche Anknüpfungspunkte dar: Die Globalisierung hat nicht nur eine Geschichte, sondern auch eine Kulturgeschichte. Gegenüber der Gesamtleistung des Buches treten diese Desiderate, die sich eigentlich mehr an die Forschungsrichtung allgemein richten, jedoch zweifellos in den Hintergrund.
Stellung beziehen die Verfasser noch einmal am Ende ihrer Darstellung, wenn betont wird, was Globalisierung nicht ist: Ein linear-teleologischer Prozess, der den ‚Rest’ der Welt sukzessive mit europäischen Errungenschaften eindeckte. Vielmehr wurden von Europa und Nordamerika ausgehende „Impulse von Modernisierung“ (S. 112) nicht einfach adaptiert, sondern in jeweils eigenen Ausprägungen transformiert und multipliziert. So ist zwar die Vermarktungsmaschinerie des James-Bond-Films „Die Welt ist nicht genug“ beispielsweise auch über Indien hinweggerollt, aber Bollywood oder die ägyptische Filmindustrie haben sich in einer Praxis der „kreativen Aneignung“ (S. 111) sicher längst ihre eigenen Agenten erschaffen: multiple globalizations.6
Anmerkungen
1 Gallagher, John; Robinson, Ronald, The Imperialism of Free Trade, The Economic History Review 6 (1953), S. 1-15.
2 Foucault, Michel, Die Gouvernementalität, in: Bröckling, Ulrich; Krasmann, Susanne; Lemke, Thomas (Hgg.), Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen, Frankfurt a. M. 2000, S. 41-67, hier S. 49.
3 Vgl. Maier, Charles S., Consigning the Twentieth Century to History: Alternative Narratives for the Modern Era, in: AHR 105 (2000), S. 807-831, hier v. a. S. 822.
4 Vgl. Geyer, Michael; Bright, Charles, World History in a Global Age, in: AHR 100 (1995), S. 1034-1060, hier S. 1045f.
5 Vgl. Kern, Stephen, The Culture of Time and Space 1880-1918, Cambridge, MA, 1983, S. 269.
6 Vgl. Eisenstadt, Shmuel, Multiple Modernities, in: Daedalus 129 (2000), S. 1-29.