K. W. Rothschild: Die politischen Visionen großer Ökonomen

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Titel
Die politischen Visionen großer Ökonomen.


Autor(en)
Rothschild, Kurt W.
Reihe
Kleine politische Schriften 9
Erschienen
Göttingen 2004: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
218 S.
Preis
€ 24,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Vera Ziegeldorf, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Während im 21. Jahrhundert die Frage der Dominanz von Wirtschaft oder Politik in der Gesellschaft durch das Denken von Globalisierung vor allem in ökonomischen Kategorien beantwortet zu sein scheint, betont Kurt W. Rothschild die Einheit politischer und wirtschaftlicher Ideen begründet in der Philosophie Platos und Aristoteles. Schon hier finden sich, wenn auch oft aus der Motivation heraus, bestehende Gesellschafts- und Eigentumsformen zu rechtfertigen, ökonomische Überlegungen als Teil einer praktischen Philosophie, die die Trias von Politik, Wirtschaft und Ethik als Grundlage gesellschaftlicher Verfassung betonen. Ökonomie war nicht nur ein Segment gesellschaftlicher Ordnung, welches technische Verfahren regelte oder Produktivitätsprinzipien formulierte, sondern losgelöst von höheren Werten, Tugenden und Ethik nicht zu denken war. Erst im 18. Jahrhundert schienen sich beide Bereiche aufgrund von zunehmender Komplexität gesellschaftlicher Gemeinschaft und damit einhergehender Spezialisierung von Politik, Wirtschaft und Kultur stärker von einander zu lösen und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert gänzlich voneinander zu entfernen. Die Beschreibung, Analyse und Problematisierung von Gesellschaft war nun nicht mehr über eine Universalwissenschaft zu lösen; diese wurde vielmehr durch spezialisierte Zugänge abgelöst. Die Wirtschaftswissenschaften fühlten sich aufgrund des starken Wirkens von messbaren Größen, der dadurch möglichen Anwendung von quantitativen Verfahren und den scheinbar ableitbaren ökonomischen Gesetzen eher mit den aufkommenden Naturwissenschaften verbunden, was zu einer Entkopplung des methodologischen Leitbildes von der philosophischen Tradition einer umfassenderen Sicht des Humanproblems führte. Das Ergebnis war die weitgehende gedankliche Trennung politischer und wirtschaftlicher Aspekte unter Vernachlässigung ethischer Fragen. Dieser Entkopplungsprozess manifestierte sich im Methodenstreit zwischen den Wirtschaftstheoretikern Gustav Schmoller und Carl Menger, der, entschieden zu Gunsten Mengers, der für ein Theorieverständnis eintrat, das generell gültige Gesetzmäßigkeiten zu erkennen suchte, die weitere, isolierte Entwicklung der Wirtschaftswissenschaften von den Humanwissenschaften bestimmte. (S. 11ff.)

Kurt W. Rothschild, Professor emeritus der Universität Linz, führt die ökonomischen Fragen wieder auf ihre Ganzheitlichkeit zurück, und verbindet sie mit philosophischen und politischen Problemansätzen. Exemplarisch stellt er die Lehren von Adam Schmith, John Stuart Mill, Karl Marx, Alfred Marshall, Joseph Alois Schumpeter, John Maynard Keynes und Friedrich August von Hayek nebeneinander und liefert damit gleichsam einen Querschnitt englischer, amerikanischer, österreichischer und deutscher Denkschulen vom 18. zum 20. Jahrhundert. Bei der Auswahl der großen Nationalökonomen war für Rothschild das Kriterium maßgebend, dass diese sowohl in methodischer als auch visionärer Hinsicht bedeutendes geleistet haben, d.h. sowohl hinsichtlich eines tieferen als auch breiteren Verständnisses der Ökonomie beigetragen haben. Bedeutende Nationalökonomen, die wesentliches für einen dieser Bereiche geleistet haben, wie Cournot, Samuelson, Arrow einerseits und Max Weber, Sombart und Polanyi andererseits, mussten daher für Rothschild aus der Betrachtung herausfallen. Durch den Zugang der Untersuchung politische Ideen von Ökonomen darzustellen, soll der gewählte Ansatz der Publikation, die kaum trennbare Zusammengehörigkeit zwischen politischer und ökonomischer Sphäre aufzuzeigen, erfüllt werden.

Exemplarisch soll auf zwei Beiträge Rothschilds eingegangen werden. Alfred Marshall (1842-1924) repräsentiert in der Darstellung Rothschilds den Bruch von der klassischen zur nachklassischen Wirtschaftstheorie, der sich um das Jahr 1870 vollzog und eine Revolution der Forschung bedeutete. Grundlage dieses Paradigmenwechsel waren die Veröffentlichungen von Karl Menger (Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, 1871), W. Stanley Jevons (The Theory of Political Economie, 1871) und Leon Walras (Éléments d’économie politique pure, 1874), die die Grenznutzenschule begründeten und die Rolle der Nachfrage sowie Hintergründe der Wert- und Preisbildung der klassischen Theorie hinterfragten und durch die Ermittlung von subjektiven Werten und des Marginalprinzips als relevante Faktoren der Preisbildung die Komplexität von Marktprozessen aufdeckten. Verfeinerte mathematische Modelle wurden zur Erfassung dieser Marktprinzipien erforderlich, die ein philosophisches Verständnis in den Hintergrund drängten. Trotz dieser Fokussierung der Wirtschaftstheorie war es Alfred Marshall als Vertreter der neoklassischen Schule, der mit seinem Werk „Principles of Economics“ die wirtschaftlichen Ideen der 1870er Jahre durch eine über das Ökonomische hinausgehende gesellschaftliche Perspektive vorantrieb. Dabei waren die ökonomischen Erkenntnisse nicht Selbstzweck. Das Problem der Armut als Zerstörer der Lebensqualität war für Marshall einer der wichtigsten Gründe, Ökonomie zu verstehen und politische Handlungen abzuleiten. Zwar sollte der Staat im Produktionsbereich zurückhaltend sein, um jedoch „extreme Ungleichheit“ zu korrigieren, sollte ihm mehr Handlungsspielraum in Umverteilungsmaßnahmen wie durch eine progressive Einkommenssteuer zugestanden werden, wobei Marshall gleichzeitig Gewicht auf die Selbsthilfe durch Genossenschaften legte. (S. 112, 119f.)

Im Gegensatz zu Marshall vertrat Friedrich August von Hayek (1899-1992), Anhänger eines extremen klassischen Liberalismus bei gleichzeitiger Prägung durch die Wiener Schule der Nationalökonomie, die menschliche und institutionelle Einflüsse auf die Marktprozesse berücksichtigte, ein radikal-liberales Weltbild. Über die Enttäuschung seiner Außenseiterstellung seines rein ökonomischen Werkes „The pure Theory of Capital“ (1941) wandte sich Hayek eher ökonomisch-philosophischen Fragen zu und war der angelsächsischen neoliberalen Politik der 1980er Jahre eine ideologisch-legitimatorische Stütze. (S. 194) In seinen Werken plädierte Hayek für die Unverzichtbarkeit der freien Marktwirtschaft worin seine Vorstellung einer „spontanen Ordnung“ zum Ausdruck kommt. Damit bezog Hayek eine Position, die sich klar von der anderer liberaler Ökonomen selbst Smith klar abhebt, die politische Aktivitäten befürworten, wenn sie gerechte Verteilungsmaßnahmen betreffen.

In sehr knappen acht Kapiteln gelingt es Rothschild einen interessanten und dichten Überblick über die politischen Ideen einzelner Ökonomen zu geben und gleichzeitig trotz des personalen Zugangs die innere Entwicklungslinie und Gedankenzusammenhänge der Nationalökonomie selbst aufzuzeigen. Rothschild verwirft dabei nicht den Ansatz der reinen Ökonomie, sondern hält vielmehr sowohl die Ableitung von ökonomischen Gesetzmäßigkeiten als auch die Berücksichtigung gesamtgesellschaftlicher Faktoren für relevant. Mit diesem Buch ist es ihm gelungen, die Interdependenzen der ökonomischen und politischen Sphäre zu betonen und damit einer einseitigen Betrachtung ein Korrektiv zur Seite zu stellen, dass keinen Alleingültigkeitsanspruch erhebt, sondern ergänzend wirkt, indem es die Komplexität wirtschaftlicher Zusammenhänge und deren Einbettung in gesamtgesellschaftliche Fragen betont. Er stellt damit der Neuen Politischen Ökonomie, die mit Hilfe ökonomischer Analyseansätze politische Handlungen und Motivationen dem Muster der rationalen Kosten-Nutzen-Überlegungen angeglichen und damit weitere gesellschaftliche Bereich berücksichtig haben, gleichzeitig aber der rein ökonomische Zugang nicht aufgebrochen, einen gewinnbringenden Ansatz gegenüber. Wenn es allerdings Anliegen des Buches war, die Verquickung ökonomischer und politischer Ideen zu veranschaulichen, hätte man sich mehr die konkretere, tatsächliche Umsetzung der Ansätze der sieben Nationalökonomen gewünscht. Trotzdem versteht es Rothschild eindrucksvoll ökonomische Prinzipien, politischen Ideen und biographischen Hintergründen miteinander zu verweben. Und gerade weil dieses Büchlein zum Weiterlesen geradezu einlädt, wäre ein umfangreicheres Literaturverzeichnis wünschenswert.

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