H. Klueting (Hg.): Irenik und Antikonfessionalismus

Klueting, Harm (Hrsg.): Irenik und Antikonfessionalismus im 17. und 18. Jahrhundert. . Hildesheim 2003 : Olms Verlag - Weidmannsche Verlagsbuchhandlung, ISBN 3-487-11940-4 336 S. € 39,80

: Toleranz und Irenik. Politisch-religiöse Grenzsetzungen im England der 1650er Jahre. Mainz 2003 : Philipp von Zabern Verlag, ISBN 3-8053-3291-2 300 S. € 45,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Astrid von Schlachta, Institut für Geschichte, Universität Innsbruck

Bald nachdem die Spaltung der Christenheit durch die reformatorischen Ideen sichtbar und ihre Unwiderrufbarkeit deutlich wurde, setzten Versuche ein, durch Gespräche und Diskussionen eine erneute Annäherung der Konfessionen zu erreichen. Besonders im 17. Jahrhundert und dann im Zeitalter der Aufklärung beschäftigten sich zahlreiche Theologen mit der Frage, welche Grundvoraussetzungen gegeben sein müssten, um die Spaltung, die im 16. und 17. Jahrhundert blutige Kriege und Auseinandersetzungen verursacht hatte, zu überwinden. Diese Diskussionen über Irenik und Toleranz haben ihre Aktualität bis in die heutige Zeit behalten. In Fragen der Ökumene und des kleinsten gemeinsamen Nenners von protestantischer und katholischer Lehre lässt sich eine Linie von der frühen Neuzeit bis ins 21. Jahrhundert ziehen. So finden die verschiedenen Konzepte von Irenik und Toleranz in den letzten Jahren zunehmend die Aufmerksamkeit der Historiker, wie etwa der im Jahr 2000 vom Institut für Europäische Geschichte in Mainz veröffentlichte Sammelband „Union-Konversion-Toleranz“ verdeutlicht. 1 Die hier zu rezensierenden Werke stehen ebenfalls beispielhaft dafür, dass sich der Blick der Historiker und Kirchenhistoriker vermehrt dem 17. und 18. Jahrhundert zuwendet und nach der Beschäftigung mit der Reformation und der Konfessionalisierung nun die weitere Entwicklung der Konfessionen bis in die Zeit der Aufklärung ins Blickfeld gerät. Der Sammelband „Irenik und Antikonfessionalismus“ und die Monografie „Toleranz und Irenik“ bieten dabei einen interessanten und weit gefächerten Überblick über die verschiedenen Ansätze, Möglichkeit und Grenzen von Irenik und Toleranz im Europa der frühen Neuzeit.

Der von Harm Klueting herausgegebene Sammelband „Irenik und Antikonfessionalismus im 17. und 18. Jahrhundert“ vereinigt Beiträge einer 2001 in Hildesheim veranstalteten Tagung, bei der die Anwesenheit von Wissenschaftlern aus verschiedenen Disziplinen – Allgemeinhistoriker, Theologen, Kirchenhistoriker, Juristen und Philosophen – eine abwechslungs- und perspektivenreiche Beschäftigung mit den Unionsbestrebungen in der frühen Neuzeit garantierte. Geografisch beschränken sich die Beiträge auf das Deutsche Reich, ein Beitrag widmet sich England. Die Themenvielfalt bietet ein buntes Bild verschiedener Verhandlungen über eine Union oder Reunion der gespaltenen Kirchen – sowohl innerprotestantisch und innerkatholisch als auch auf protestantisch-katholischer Ebene. Der Band spannt einen Bogen vom 16. Jahrhundert und der reichsrechtlichen Bedeutung der Reformation bis ins späte 18. Jahrhundert zu den Toleranzpatenten von Kaiser Joseph II. (1781) und dem Wöllnerschen Religionsedikt (1788).

Das Grundproblem aller Unions- oder Reunionsbestrebungen war die Suche nach dem „Fundamentalkonsens“, auf dessen Basis eine Union der Kirchen möglich gewesen wäre. „Theologische Subtilitäten“ dagegen, also trennende, aber als unwesentlich geltende Lehrmeinungen, sollten zurückgestellt werden, um eine Einheit in der Vielfalt auf Reichsebene zu erreichen. Georg Calixt beispielsweise versuchte im frühen 17. Jahrhundert, mit dem Konzept des consensus antiquitatis die fundamentalen Glaubensartikel zu definieren, deren Zentrum für ihn die Inkarnation Christi als Offenbarung Gottes bildete. Bereits am Beispiel Georg Calixts zeigen sich drei Merkmale, die für irenische Bemühungen und die Initiierung von Religionsgesprächen signifikant waren. Zum einen standen Theologen, die sich für eine Union der Kirchen einsetzten, immer in der Gefahr, von der eigenen Kirche mit dem Vorwurf der Heterodoxie belegt zu werden. Zum anderen werden die grenzübergreifenden Kontakte und die Vernetzungen von Theologen aus dem Reich und anderen Territorien, beispielsweise aus England und den Niederlanden, deutlich. Ein drittes Merkmal sind die Probleme, die entstanden, wenn die Unionskonzepte auf eine breitere institutionelle und personelle Basis gestellt werden sollten.

Nicht nur die Definition eines Fundamentalkonsenses oder die Umsetzung der Unionskonzepte an sich, sondern bereits die Festlegung der Bedingungen für kirchenübergreifende Religionsgespräche stellte die Theologen vor manchmal unüberwindbare Hürden. Beispielhaft hierfür können die protestantisch-katholischen Reunionsbestrebungen des 17. Jahrhunderts um Christóbal de Rojas y Spinola und seinen protestantischen Gesprächspartner in Hannover, Georg Walter Molan, stehen. Obwohl man sich grundsätzlich über eine Union einig war, blieb der Weg dorthin mehr als umstritten. Besondere Vorbehalte bestanden generell besonders auf protestantischer Seite gegenüber der katholischen Position, da man vermutete, die Katholiken wollten die Protestanten nur unter das Dach der Kirche zurückzuholen – was sich manchmal auch als zutreffend herausstellte. Doch nicht nur die katholisch-protestantische Verständigung gestaltete sich schwierig, auch im lutherisch-reformierten Bereich waren die Verhandlungen keineswegs einfach. Symptomatisch hierfür ist der Konflikt in Preußen, der sich zwischen dem calvinistischen Kurfürsten und den lutherischen Theologen in Wittenberg entspann.

Der Band „Irenik und Antikonfessionalismus“ beschäftigt sich mit einer Vielzahl von Unionskonzepten – von der „philadelphischen Bewegung“ Nikolaus Ludwig von Zinzendorfs über die Konzepte Daniel Ernst Jablonskis, die die politischen Akteure stärker mit einbezogen, bis hin zur modern erscheinenden Auffassung Johann Salomo Semlers, dass Religion Privatsache sei. Die einzelnen Konzepte stehen für das Streben nach einer Reunion; die verschiedenen Bedingungen und Voraussetzungen sowie die unterschiedlichen Vorstellungen, die jede Seite vom Endergebnis hatte, sorgten allerdings dafür, dass die Konzepte zum Scheitern verurteilt waren. Weitere Beiträge beschäftigen sich mit Konversionen im 17. Jahrhundert, mit der Versachlichung und Abschwächung der konfessionellen Polemik im 18. Jahrhundert, mit den irenischen Möglichkeiten von Jansenismus und Pietismus, mit der katholischen Kantrezeption sowie dem Piderit-Böhm-Plan und den Unionsbestrebungen um Nikolaus von Hontheim, der im 18. Jahrhundert die Macht des Papstes zugunsten einer Stärkung der Bischöfe einschränken wollte, um eine Reunion der getrennten Kirchen zu erreichen.

In fast allen Beiträgen wird die Relevanz deutlich, die die historisch-philosophische Beschäftigung mit dem Thema für die heutige Zeit hat. Zwei ökumenische Predigten und Grußworte von Bischöfen ergänzen in diesem Sinne den Tagungsband und unterstreichen das Anliegen der Tagung, unter anderem „eine Ortsbestimmung für die Gegenwart“ zu geben. Die Beiträge zum Sammelband lieferten Eckhard Gorka, Christoph Böttigheimer, Josef Homeyer, Gunther Wenz, Horst Hirschler, Christoph A. Stumpf, Sebastian Barteleit, Matthias Schnettger, Alexander Ritter, Klaus Wappler, Dietrich Meyer, Gottfried Hornig, Bruno Bernard, Martin Brecht, Wolf-Friedrich Schäufele, Harm Klueting, Norbert Hinske und Christoph Link.

In England bot sich in der Mitte des 17. Jahrhunderts aufgrund der religiösen Vielfalt und der verschiedenen konfessionellen Gruppierungen ein diversifizierteres Bild als im Reich. Sebastian Barteleit untersucht in seiner Monografie „Toleranz und Irenik“ für die recht kurze, aber intensive Zeit der 1650er Jahre die Diskussionen um eine Annäherung der Konfessionen, die vor allem von den Erfahrungen des Bürgerkriegs bestimmt waren. Dabei wird deutlich, dass in England, das gemeinhin als Paradebeispiel für frühe religiöse Toleranz und die Anerkennung anderer Religionen gilt, die Kircheneinheit fast immer protestantisch und gegen die katholische Kirche gedacht war. Auch hier galten die Diskussionen zunächst der Frage nach den Werten, die einen Konsens herbeiführen und damit als Grundlage für Toleranz dienen konnten.

Barteleit verfolgt das Ziel, die irenischen Bestrebungen und theologischen Diskurse besonders unter dem Aspekt der politischen Kommunikation zu untersuchen. Dieser Zielsetzung liegt das Konzept der „politischen Sprachen“ zugrunde, wie es vor allem von der Cambridge-Schule um Quentin Skinner theoretisch definiert wurde und das davon ausgeht, dass bei der Untersuchung einer sprachlichen Äußerung immer deren Intention, politische Wirklichkeit zu verändern, mitgedacht werden muss. Demzufolge sind die Quellen der Arbeit zum großen Teil politisch-publizistische Schriften und Traktate, hauptsächlich die so genannten Thomason Tracts, ein von dem Buchhändler George Thomason von 1640 bis 1663 gesammelter Bestand an Druckschriften. Insgesamt wurde – ausweislich der Bibliografie – die beeindruckende Zahl von über 200 Druckschriften ausgewertet.

Das England der 1650er-Jahre bietet ein vielfältiges Bild verschiedener anerkannter und devianter Kirchen und religiöser Gruppierungen. Katholiken, Anglikaner, die puritanischen Gruppen der Presbyterianer und Kongregationalisten sowie Baptisten und verschiedene Spiritualisten (Ranter, Seeker, Quäker) traten in einen intensiven publizistischen Diskurs über Wahrheit und Rechtgläubigkeit, dem häufig die Verurteilung der jeweils anderen Konfessionen folgte. Schnell werden auch hier die Grenzen von Toleranz und Irenik deutlich. Wie der Untertitel der Monografie „Politisch-religiöse Grenzsetzungen“ verdeutlicht, soll sie nicht zuletzt verschiedene Formen der Grenzziehung, Grenzaufhebung und -verschiebung sowie Mechanismen der Ab- und Entgrenzung aufdecken. Eine für die englische Situation in der Mitte des 17. Jahrhunderts symptomatische Tendenz ist dabei der offene, weit verbreitete und variabel angewendete Umgang mit dem Vorwurf „papistisch“. Die Wandelbarkeit des Attributs drückte sich darin aus, dass es auf jede religiöse Gruppierung angewendet werden konnte, um sie zu verunglimpfen. Dabei machte sich die konfessionelle Polemik die generelle Angst vor einem wachsenden „Papismus“ und einer zunehmenden Unterwanderung durch die Jesuiten zunutze.

Zentrale Punkte der englischen Diskussion betrafen den Grad der Institutionalisierung der Kirche – von einer institutionell ausgestalteten bis zu einer vom Geist inspirierten, nicht institutionalisierten Form – sowie das Verhältnis Geistlichkeit-Laien, die Legimitation durch Heiligen Geist, Bibel oder Tradition und die Rolle der Frauen. Gleichzeitig kreisten die Diskussionen um Fragen der Trennung von weltlicher und geistlicher Obrigkeit, beispielsweise in der „Engagement“-Kontroverse (1649/50): Wie weit sollte eine weltliche Obrigkeit in geistliche Dinge eingreifen und vice versa? Theologen und Ireniker wie John Dury und Richard Baxter vertraten hier unterschiedliche Positionen. Während Dury für eine weit reichende Einbeziehung der Obrigkeit war, sah Richard Baxter vor allem die Geistlichkeit als kompetent, eine Union herbeizuführen. Auch die Frage, ob eine weltliche Obrigkeit konfessionelle Uniformität durch Zwang erzeugen könnte, war Bestandteil des Diskurses. Kritiker wie der Verfasser des Traktates „Zeal Examined“ sahen im Zwang zur Konformität die Gefahr, dass dies Heuchelei fördern würde. Befürworter entnahmen ihre Argumente aus den weit reichenden geistlichen Kompetenzen, die der Obrigkeit im Alten Testament zugestanden werden.

Die irenischen Diskussionen in England dienten nicht nur der Suche nach einem Fundamentalkonsens, sondern sie entfalteten ihre Wirkung auch nach innen für die Identität der einzelnen Konfessionen: Ihre Identitätsbildung fand nicht zuletzt über die Abgrenzung der eigenen zu anderen Konfessionen statt. Da zudem die Zensurpolitik auch nach 1640 repressiv blieb, brachte jede Gruppierung eigene Märtyrer hervor, die zur Stabilisierung dieser Identität beitrugen. Sebastian Barteleit kommt generell zum Schluss, dass man im England der Mitte des 17. Jahrhunderts von Toleranz nur in den „seltensten Fällen“ sprechen könne (S. 255).

Auch die vielfältigen Bemühungen im Reich im 17. und 18. Jahrhundert zeigen eher ein Scheitern als wirklich entscheidende Erfolge. Die Grenzen der Toleranz wurden dort sichtbar, wo es um die konkrete Definition konfessionsübergreifender Werte und eines Fundamentalkonsenses und um die Umsetzung erster versöhnender Schritte ging. Für die Untersuchung von Irenik erweist sich die Gegenüberstellung der Situation in England und im Reich dabei als äußerst spannend: In England wurde aufgrund der religiösen Vielfalt und der vielen separatistischen und devianten Gruppen eine sehr lebendige Diskussion auf breiter Ebene geführt. Im Reich waren die irenischen Verhandlungen dagegen weitgehend auf die drei „großen Konfessionen“ Lutheraner, Reformierte und Katholiken beschränkt. Jedoch könnte hier das Bild durch einen Blick auf kleinere deviante Gruppen, die es auch im Reich gab, bereichert werden. So entwickelten sich beispielsweise zwischen einigen Täufergruppen oder den Schwenckfeldern in Schlesien und den pietistischen Bewegungen irenische Diskussionen, die bei den Täufern unter anderem zur Abkehr von der strikten Absonderung und zur Öffnung gegenüber anderen Konfessionen führten. Das verbindende Glied für diese irenischen Kontakte bildete der Pietismus, dessen Gedanken eifrig rezipiert wurden. Auch die Rolle der Quäkermissionare für die wachsenden interkonfessionellen Kontakte und Verbindungen darf nicht unterschätzt werden.

Das Thema Irenik verdeutlicht die Aktualität von Geschichte auf besondere Art und Weise. Ökumenisch interessierte Menschen des 21. Jahrhunderts können aus der Beschäftigung mit der historischen Situation Argumente und Hilfestellungen entnehmen – eine Zielsetzung des Tagungsbandes „Irenik und Antikonfessionalismus“. Dieses Anliegen wird dadurch unterstrichen, dass die Beiträge durch thematisch passende ökumenische Predigten und Grußworte von Geistlichen ergänzt werden, was sicher nicht der Norm wissenschaftlicher Werke entspricht. Im vorliegenden Fall erweist sich dies für die Thematik jedoch als durchaus bereichernd. Die Predigten und Grußworte markieren die Linie, die sich aus dem 17. und 18. Jahrhundert bis ins 21. Jahrhundert zieht. Somit bleibt Geschichte nicht nur theoretisch, sondern wird auch praktisch und „nutzbar“. Es zeigt sich, dass viele Diskussionen, die heute geführt werden, irgendwann schon einmal auf der Tagesordnung standen.

Anmerkung:
1 Duchhardt, Heinz; May, Gerhard (Hgg.), Union-Konversion-Toleranz. Dimensionen der Annäherung zwischen den christlichen Konfessionen im 17. und 18. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz Beiheft 50), Mainz 2000.

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