Cover
Titel
Verzoening in de praktijk. De NCSV en de Duitse Questie


Autor(en)
Veen, Wilken
Erschienen
Anzahl Seiten
124 S.
Preis
€ 12,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Katharina Kunter, Department of Church History and Practical Theology, University of Aarhus

Die Geschichte der deutsch-niederländischen Beziehungen nach 1945 hat seit einiger Zeit Konjunktur. Grundlegend sind hierbei die Studien von Friso Wielenga 1 und Jacco Pekelder. 2 Mit dem Deutschlandinstitut in Amsterdam und dem Zentrum für Niederlandestudien an der Universität Münster 3 bieten darüberhinaus zwei angesehene Institutionen ein Diskussionsforum für verschiedene Themen der deutsch-niederländischen Nachkriegsgeschichte. Wie eine Tagung über die Niederländischen Kirchen, die Friedensbewegung und die DDR in den 1970er und 1980er-Jahren in Münster 2002 deutlich machte, spielen neben Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur auch die grenzüberschreitenden Kontakte von Gemeinden, Gruppen und Kirchen eine besondere Rolle in dieser Beziehungsgeschichte.4

In diesen Kontext gehört das Buch von Wilken Veen, Verzoening in de praktijk? De NCSV en de „Duitsche Quaestie“ (dt: Versöhnung in der Praxis? Die Niederländische Christen Studentenvereinigung/NCSV und die Deutsche Frage). Veen, seit 1982 Pfarrer in Amsterdam, erhielt 1999 im Anschluss an die Dissertation von A.J. van der Berg 5 den Auftrag, eine Spezialstudie über die niederländisch-deutsche Annäherung des NCSV zwischen 1945-1950 anzufertigen. Hierfür konnte Veen neben Zeitzeugengesprächen auf drei Archivbestände im Rijksarchiv Utrecht auf das persönliche Archiv von C.L. Patijn und die Collectie Van Roon zurückgreifen.

Chronologisch vorgehend gibt Veen in sechs Kapiteln einen Überblick über die ersten Annäherungen zwischen niederländischen und deutschen Protestanten nach 1945. Er schildert die Schwierigkeiten dieser persönlichen Begegnungen und beschreibt das allmähliche Anwachsen dieser Kontakte bis hinein in die 1950er-Jahre. Dabei konzentriert er sich zwar überwiegend auf die Ebene der studentischen Kontakte, nimmt jedoch auch andere kirchliche Personen, Institutionen oder Versammlungen in den Blick.

Im ersten Kapitel skizziert Veen unter der Fragestellung „Ein neuer Beginn?“ den Anfang dieser Kontakte, der zunächst von großer Zurückhaltung der Niederländer geprägt war. „Offizieller Kontakt mit der Duitsche Kerk ist nicht erwünscht“, hieß es etwa in einem Schreiben vom 26.7.1945; auch bei individuellen Begegnungen dürfe die kollektive Schuld der Deutschen nicht aus den Augen verloren werden (S. 21). Vereinzelt aber gab es bereits Christen, die sich für eine Wiederaufnahme der Beziehungen zu Deutschland aussprachen. So etwa Van der Loo, der in einem Memorandum vom 21.8.1945 davor warnte, dass Deutschland erneut zu einem gefährlichen Vakuum mitten in Europa würde. Es sei daher die Pflicht der Franzosen, Belgier und Niederländer, die unmittelbar an Deutschland grenzten und ganz andere Kenntnisse von Land, Menschen, Mentalität und kulturellen Gegebenheiten besäßen, Kontakt mit Deutschland aufzunehmen. Das Stuttgarter Schuldbekenntnis vom 19.10.1945 markierte dann einen Wendepunkt für die Aufnahme kirchenoffizieller Beziehungen zwischen Deutschland und den Niederlanden.6

Den mühsamen Beginn dieser Treffen von 1946 zeichnet Veen in Kapitel zwei nach. Bei einer Zusammenkunft des World Student Christian Federation (WSCF) im Mai 1946 sind neben Mitgliedern des NCSV und der Evangelischen Studentengemeinde (ESG) auch die beiden ehemaligen Sekretäre der Deutschen Christlichen Studentenvereinigung (DCSV), Reinhold von Thadden und Eberhard Müller, anwesend. Vor allem von Thadden gewinnt als ein feiner, tiefsinniger und nachdenklicher Mann die Sympathien der Niederländer, als er davon spricht, dass „nicht alles Schuld, sondern auch Schicksal, nicht alles Schicksal, sondern auch Schuld“ war (S. 34). Für weniger profilierte Studenten der Bekennenden Kirche dagegen bedeuteten die internationalen Treffen häufig ein beklemmendes Rechtfertigen, wie ein niederländischer Bericht über die Ökumenische Hochschulwoche in Basel vom 7.-12.6.1946 verdeutlichte.

1947 stabilisierten sich die studentischen Kontakte, wie Veen im dritten Kapitel ausführt. Gemeinsame Konferenzen, universitärer Austausch, Korrespondenz, Büchersendungen und Hilfsaktionen für Deutschland nahmen zu, was auch dem Einsatz des 1947 gewählten, neuen Generalsekretärs des NCSVs, Wim Wesseldijk, zu verdanken war. Aber die Annäherungen blieben schwierig. In einer Predigt über die Situation in Deutschland betonte etwa ein Pfarrer die große Apathie unter der deutschen Jugend. Ähnliches berichtete A. Fisker über Treffen mit jungen Deutschen bei der Weltkonferenz der christlichen Jugend in Oslo (22.7.-1.8.1947). Zwar seien die Niederländer dankbar über diese Begegnungen, doch gleichzeitig enttäuscht, da sich die Mehrheit der deutschen Jugend nicht verteidige, sie wären mürbe und ängstlich. Diese Abgeschiedenheit vom Rest der Welt sei das Schlimmste bei den jungen Deutschen, so das Fazit Fiskers (S. 64). Umgekehrt war es aber gerade die Offenheit der niederländischen Studenten, die die deutschen Teilnehmer beeindruckte: „Man kann es kaum recht formulieren, was mit diesen Menschen ist. Sie haben nicht die ausgemergelten Gesichter mit dem erloschenen Blick, die wir auf unseren Reisen in Deutschland immer vor uns sehen; es liegt auf ihnen nicht jene Gereiztheit, die bei den kleinsten Anlässen zum Streit führt – diese Menschen haben fröhliche Gesichter und klare Augen.“ (S. 71)

Im Jahr 1948, über das das vierte Kapitel handelt, nahm die Deutschland-Kommission des Ökumenischen Rates unter der Leitung von Hebe Kohlbrugge ihre Arbeit auf 7; die Kontakte wurden nun stärker koordiniert. Ein wichtiges Ziel des niederländischen Engagements blieb der Versuch, mit dem internationalen Austausch die Isolierung der deutschen Studenten aufzubrechen, denn – so ein Beobachter – zum einen seien viele deutsche Professoren noch sehr konservativ-nationalistisch und ausgesprochene Bücherwürmer, an denen das Tagesgeschehen vorbeilaufe, zum anderen aber hätten die Deutschen noch immer die Neigung, alles mit ihrem eigenen nationalen Maßstab zu messen (S. 87).

Als Jahre der Normalisierung stellt Veen schließlich die Jahre 1949-1950 in seinem fünften Kapitel vor. Unter dem Einfluss des Marshall-Plans nahm die Bedeutung der „Deutschen Frage“ für die niederländischen Studentenkreise ab. Kirchliche Entwicklungen in der Bundesrepublik wurden skeptisch beobachtet; die EKD-Synode von Bethel 1949 etwa sei eine Enttäuschung gewesen, eine klerikale, konfessionalistische Veranstaltung; Predigen deutscher Pfarrer seien zeitlos und salbungsvoll (S. 92f.). Die Deutschland-Kommission wurde 1951 aufgelöst, der von ihr unterstützte niederländisch-(west)deutsche Studentenaustausch hörte damit ebenfalls auf. Gleichzeitig aber rückten bei den niederländischen Protestanten mehr und mehr die ostdeutschen Studenten aus der Sowjetischen Besatzungszone in den Blickwinkel. Für sie werden ab 1954 durch den NCSV im Haus Villigst spezielle Konferenzen organisiert, auf die Veen kurz in seinem letzten Ausblickskapitel eingeht.

Veen hat keine historische Analyse vorgelegt, aber ihm gelingt eine atmosphärisch dichte, zeitnahe Darstellung, die der in der kirchlichen Zeitgeschichte gerade begonnenen Diskussion um den Weg des deutschen Protestantismus nach 1945 8 neue Facetten beifügt. Besonders deutlich wird durch Veens Untersuchung, dass für die Beschreibung dieser Epoche in Deutschland die Perspektive des Auslandes eine wichtige Quelle für die evangelische Alltags- und Mentalitätsgeschichte darstellt. Es ist schließlich diese andere Perspektive, die Wahrnehmung von außen, die beim Lesen der Studie beeindruckt. Die holländischen Quellen zeichnet ein empathischer und gleichzeitig nüchterner Blick auf die blassen, müden jungen Deutschen aus, die – isoliert, hungrig und ausgelaugt - den Krieg überlebt haben. Dass einige engagierte Niederländer aus christlicher Überzeugung diese Generation nach Europa zurückholen wollte, war schon damals ein Zeichen guter Nachbarschaft.

Anmerkungen
1 Wielenga, F., Vom Feind zum Partner. Die Niederlande und die DDR seit 1945, Münster 2000.
2 Pekelder, J., Die Niederlande und die DDR. Bildformung und Beziehungen 1949-1989, Münster 2002.
3 Vgl. www.duitslandinstituut.nl und www.hausderniederlande.de
4 Vgl. Jahrbuch des Zentrums für Niederlande-Studien 13 (2002), Münster 2003.
5 van der Berg, A. J., De Nederlandse Christen Studenten Vereinigung 1896-1985, ´s Gravenhage 1991.
6 Vgl. Greschat, M. (Hg.), Die Schuld der Kirche. Dokumente und Reflexionen zur Stuttgarter Schulderklärung vom 18./19.10.1945, München 1982.
7 Vgl. Kohlbrugge, H., Zwei mal zwei ist fünf, Leipzig 2003.
8 Vgl. Greschat, M., Die evangelische Christenheit und die deutsche Geschichte nach 1945. Weichenstellungen in der Nachkriegszeit, Stuttgart 2002.

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