Die postmoderne Jubiläumseuphorie des vergangenen Jahres hat nicht nur der "Friedensstadt" Münster neben anderen Attraktionen Kanaldeckel mit dem "Friedenslogo" beschert, sie hat auch Hunderte von Wissenschaftlern bei Dutzenden von Fachtagungen und Festvorträgen in Atem gehalten, und sie hat den Umfang des Schrifttums zum Westfälischen Frieden erneut erheblich vergrößert. Dabei zählte die "Bibliographie zum Westfälischen Frieden" schon vier Jahre vor dem Jahrestag über 4.000 Titel, die sich mit dem einen oder anderen Aspekt der Verhandlungen von Münster und Osnabrück mehr oder weniger ausführlich befaßten. Eine entsprechende Literatursammlung zum gesamten Dreißigjährigen Krieg müßte gewiß ein Vielfaches an Einträgen enthalten (1). Aus der Fülle der neuerschienenen Arbeiten zum Dreißigjährigen Krieg und zum Westfälischen Frieden - denen weitere folgen werden, wenn die Dokumentationen der Kolloquien und Kongresse des Jubeljahres vorliegen - sollen im folgenden exemplarisch fünf Titel herausgegriffen werden, die Anlaß zu Reflexionen über den Stand der Erforschung und Interpretation der Friedensverträge von Münster und Osnabrück und der vorhergehenden kriegerischen Auseinandersetzungen geben. Andere Neuerscheinungen hätten mit gleichem Recht ausgewählt werden können, blieben aber aufgrund ökonomischer oder beschaffungstechnischer Einschränkungen unberücksichtigt.
I. Fünf Neuerscheinungen
Mit einem zeitlichen Vorlauf von zwei Jahren veranstaltete Heinz Duchhardt 1996 in Münster einen ersten großen Kongreß zum Westfälischen Frieden. 39 der Vorträge des Kolloquiums sind in dem zugleich als Beiheft 26 der Historischen Zeitschrift erschienenen Sammelband dokumentiert. Dabei sind die meisten Beiträge - insgesamt fünfzehn - den Interessen und der Diplomatie der europäischen Mächte in bezug auf die Friedensverhandlungen in Münster und Osnabrück gewidmet. Ein zweiter Themenblock behandelt in acht Aufsätzen die Politik einzelner Reichsstände. Zehn Beiträge sind unter dem Titel "Kulturelles Umfeld und Rezeptionsgeschichte" versammelt, vier befassen sich mit dem Westfälischen Frieden "als Epochenereignis", zwei Texte zum Militärwesen des 17. Jahrhunderts ergänzen das Panorama.
Deutlich anders liegt der Schwerpunkt in dem zweiten hier behandelten Sammelband von Horst Lademacher und Simon Groenveld. Von insgesamt 21 Beiträgen sind den Themenbereichen "Krieg und Nation", "Krieg - Frieden - Recht" und "Toleranz als Möglichkeit" jeweils zwei das Reich und die Niederlande getrennt betrachtende Abhandlungen gewidmet. Ein abschließendes Kapitel zur "Dauerhaftigkeit des Friedens" enthält zudem drei Aufsätze zu den längerfristigen Auswirkungen des Friedens im Reich und in den Niederlanden. Die übrigen Beiträge behandeln unter den Rubriken "Krieg im Alltag", "Krieg und Frieden in Malerei und Graphik", "Literaten und Publizisten über Krieg und Frieden" und "Volkslied und Kunstmusik" Einzelaspekte der Kulturgeschichte des Dreißigjährigen Krieges und des Westfälischen Friedens.
Rechtzeitig zum Jubiläumsjahr erschien auch die von Dieter Albrecht verfaßte, lange erwartete Biographie Maximilians I. von Bayern. Ausführlich und einfühlsam, dabei mit kritischer Distanz zu den Manierismen des Zeitalters, erzählt Albrecht nicht nur die Lebens- und Wirkensgeschichte des bayerischen Herzogs und späteren Kurfürsten, der zu den entscheidenden Gestaltern des Kriegsgeschehens und der Friedensverhandlungen zählte, sondern er zeichnet - im ersten Drittel des Buches in thematischen Schwerpunktkapiteln, später en passant bei entsprechenden Anlässen - auch ein detailreiches Bild von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur in Bayern in den Jahren der Herrschaft Maximilians.
Unter dem anspruchsvollen, aber auch irreführenden Obertitel "Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede" behandelt der Münchner Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann in fünf Kapiteln Aspekte der lutherischen Konfessionskultur in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Dabei geht es ihm zunächst um die "konfessionstheologische und -psychologische Ausgangslage des Protestantismus" vor Beginn des Krieges, dann um die Frage, ob der Dreißigjährige Krieg ein Religionskrieg war bzw. von den lutherischen Zeitgenossen als solcher interpretiert wurde, um die "Wirkungen des Krieges auf Theologie und Frömmigkeit", um die "Deutung des Friedens" im Luthertum und schließlich um eine Einordnung der lutherischen Konfessionskultur des 17. Jahrhunderts in den größeren Kontext der frühneuzeitlichen Kirchengeschichte.
Die von der "Veranstaltungsgesellschaft 350 Jahre Westfälischer Friede" im Zusammenhang mit der Europaratsausstellung in Münster und Osnabrück herausgegebene CD-ROM "1648 - Krieg und Frieden in Europa" enthält in fünf Sprachen (englisch, französisch, deutsch, niederländisch und schwedisch) Texte zu historischen, kulturhistorischen und kunsthistorischen Themen rund um den Dreißigjährigen Krieg und den Westfälischen Frieden, vor allem aber 400 Gemälde und andere zeitgenössische Kunstwerke, z.T. in hoher Auflösung und mit ausführlicher Beschreibung. Texte und Bilder werden durch knappe Stichworterklärungen ergänzt, die i.d.R. aus den Artikeln heraus angeklickt werden können. Eine Zeitleiste - die leider keine Links zu den Texten und Bildern enthält - und eine Bibliographie ergänzen das Angebot, wobei die Bibliographie anders als im Begleitheft angegeben nicht die "neueste wissenschaftliche Literatur zum Thema der CD-ROM" enthält, sondern im wesentlichen aus den Literaturangaben zu den einzelnen Artikeln zusammengestellt wurde. Eine Suchfunktion erlaubt die Indexrecherche nach Künstlern, Werken und Schlüsselwörtern; eine Volltextrecherche ist aber ebenso unmöglich wie die Suche in den Inhalten der Zeitleiste und der Bibliographie. Die Navigation innerhalb der CD-ROM läuft über anklickbare Verweise und Ikons am Rand des Bildschirms; um die z.T. labyrinthischen Verknüpfungen voll nutzen zu können, empfiehlt sich allerdings ein intensives Studium der Hilfe-Seiten.
II. Der Friedenskongreß
Auch wenn die Standardmonographie von Fritz Dickmann von 1959 nach wie vor für viele Detailfragen maßgeblich bleibt, hat die Forschung über die Politik der Kongreßteilnehmer in den letzten Jahren erhebliche Erkenntnisfortschritte erzielt. Einen guten Überblick über die politischen Ziele der Verhandlungspartner geben die entsprechenden Aufsätze in dem von Duchhardt herausgegebenen Sammelband. Dabei werden nicht nur der Kaiser (Leopold Auer), Frankreich (Paul Sonnino, Lucien Bély), Spanien (Maria Victoria López-Cordón Cortezo), die Niederlande (Horst Lademacher) und Schweden (Sven Lundkvist) berücksichtigt, sondern auch die kleineren Mächte, für die die Bestimmungen der Westfälischen Friedensverträge z.T. weitreichende Konsequenzen hatten, werden behandelt, z.B. die Eidgenossenschaft (Peter Stadler) oder Katalonien (Fernando Sánchez-Marcos). Dazu kommen Artikel über einige Staatswesen, die an den Verhandlungen gar nicht beteiligt und von ihren Ergebnissen nur mittelbar betroffen waren, wie das Osmanische Reich (István Hiller) oder England (Ronald G. Asch). Weniger erschöpfend abgedeckt ist in dem Sammelband die - direkte und indirekte - Friedens- und Kongreßpolitik der Reichsstände, wenn etwa von den Kurfürsten nur Bayern (Dieter Albrecht) und Brandenburg (Peter Baumgart) auftreten. Die bayerische Politik in den letzten Jahren des Krieges ist allerdings von Dieter Albrecht in seiner Monographie über Maximilian jetzt noch weit ausführlicher analysiert worden (S. 1009-1085).
Auffällig sind in allen Beiträgen zur Kongreßdiplomatie die Diskrepanzen zwischen den ideologischen und teilweise idealistischen Leitlinien der Politik der Monarchen und ihrer Minister, ihren oft kompromißhaften realpolitischen Entscheidungen und der tatsächlichen Politik der Gesandten in Münster und Osnabrück. Hier besteht an vielen Punkten noch Forschungsbedarf zu Entscheidungsprozessen und Handlungsspielräumen auf der einen Seite und zu Informationsflüssen und Kommunikationsmustern auf der anderen Seite, bei denen sich - unabhängig von den jeweils konkreten inhaltlichen Interessen - recht ähnliche Konfliktlagen ergeben zu haben scheinen.
In seinem Vorwort zu dem Sammelband weist Duchhardt auf das Defizit hin, daß "der Kongreß selbst als ein soziales und kulturelles Ereignis fast völlig unbeleuchtet bleiben" mußte (S. X). Tatsächlich ergibt sich aus dem Zugriff aus der Sicht der einzelnen Teilnehmer eine Aufsplitterung des Kongreßgeschehens in ein Kaleidoskop divergierender und konkurrierender politischer Strategien, während die Aspekte der Konvergenz und der letztendlichen Beilegung der Konflikte zurücktreten. Das Fehlen von Beiträgen über die Friedensvermittler macht sich hier ebenfalls bemerkbar. Eine andere Perspektive nimmt in diesem Punkt jedenfalls in Teilen die Ausstellungs-CD-ROM ein, die den Verhandlungen ein eigenes Kapitel widmet, das mit Illustrationen zu Schauplätzen und Etappen des Kongresses einen Einblick in dessen Funktionsmechanismen vor Ort gewährt. Bemerkenswert ist allerdings, daß dieser Blick aus den Friedensstädten zwar einerseits das regionale Geschehen erfaßt und andererseits den europäischen Kriegs- und Kongreßteilnehmern Niederlande, Spanien, Dänemark, Schweden und Frankreich jeweils einen eigenen Aufsatz widmet, daneben aber den Kaiser und die Reichsstände keiner separaten Behandlung für wert hält - eine überraschende Manifestation des "Europa der Regionen" in Kategorien des 17. Jahrhunderts...
III. Krieg und Frieden
Jenseits des unmittelbaren Kongreßgeschehens in Münster und Osnabrück beherrschen zwei Themenbereiche die jüngere (historische) Fachdiskussion um den Dreißigjährigen Krieg und den Westfälischen Frieden. Zum einen wird die Auseinandersetzung um die Gründe für den Ausbruch und die Dauer des Krieges stetig weitergeführt. In der Frage nach der Bedeutung der Religion in diesem Kontext ergibt sich dabei aus den vorgestellten Arbeiten die Tendenz zu einer Zusammenschau von Politik und Religion, die in der Folge der Konfessionalisierungsdebatte religiöse Aspekte nicht mehr nur als Zweck, sondern auch als Instrument politischen Handelns versteht: "Die alteuropäische Säkularisierung war durch eine Dialektik charakterisiert, die die religiöse Dynamik nicht abkappte, sondern ins Weltliche hineinnahm und damit die Durchschlagskraft und die Legitimität politischen und gesellschaftlichen Handelns entscheidend stärkte" (Heinz Schilling in Duchhardt, S. 18). Entsprechend urteilt Albrecht über die Politik Maximilians von Bayern: "Staatspolitische und konfessionspolitische Zielsetzungen standen sich nicht alternativ gegenüber, sondern korrespondierend nebeneinander und bildeten in diesem Sinne eine Einheit, deren Komponenten jeweils nach Möglichkeit realisiert wurden" (S. 1115), und aus seiner Analyse der lutherischen Deutung des Friedensschlusses folgert Kaufmann: "Aus lutherischer Sicht hat nicht die 'Abkopplung von Konfession und Politik', sondern ihre geschichtstheologische Integration den Weg in eine neue Zeit eröffnet" (S. 138). Eng verbunden mit dieser Debatte ist auch die Diskussion um den "Toleranzgehalt" des Westfälischen Friedens (Winfried Schulze in Duchhardt, Helmut Gabel und Horst Lademacher in Lademacher/Groenveld), deren abwägende Ergebnisse umso mehr betont werden müssen, als die Internet-Seite der Stadt Münster "Toleranz" neben "Föderalismus" und "Völkerrecht" als eine der drei Errungenschaften des Westfälischen Friedens herausstreicht.
Neben der Debatte um Religion, Konfession und Toleranz zeichnet sich eine neue Kontroverse ab, die durch die These Johannes Burkhardts vom Dreißigjährigen Krieg als "Staatsbildungskrieg" angestoßen wurde (2). Diskutiert wird über die Bedeutung des Dreißigjährigen Krieges und des Westfälischen Friedens für den Prozeß der frühmodernen Staatsbildung, und zwar sowohl auf der innerstaatlichen Ebene als auch im zwischenstaatlichen Bereich. Wenn nun auf der einen Seite Dieter Albrecht erklärt, "daß die Charakterisierung des Dreißigjährigen Krieges als eines 'Staatsbildungskrieges' in bestimmter Weise auch am bayerischen Beispiel exemplifiziert werden kann, insoferne Staats- und Konfessionspolitik Maximilians den einheitlichen und geschlossenen Territorialstaat unter fürstlicher Leitung zum Ziele hatten" (S. 1116), zugleich aber zu bedenken gibt, "daß Bayern nur eine Macht zweiten Ranges war, die der Anlehnung an eine größere Macht bedurfte" (S. 1079), während auf der anderen Seite Georg Schmidt im Dreißigjährigen Krieg einen "föderativen Nationalismus" als "Integrationsutopie der Deutschen" (Schmidt in Lademacher/Groenveld, S. 75) am Werke sieht und im Prager Frieden die "Möglichkeit eines deutschen Reichs-Staates mit einer starken kaiserlichen Spitze" erkennt, die "an falschen Prioritäten" gescheitert sei (ebd. S. 69), so zeigt sich, daß gerade für das Reich die Interpretation des Krieges als Kampf um die "Organisationsebene künftiger Staatlichkeit" (Burkhardt) in neue Aporien führen kann. So begrüßenswert es ist, daß an die Stelle der pauschalen Verurteilung des Westfälischen Friedens aus der Sicht nationalstaatlich orientierter Historiker des 19. und frühen 20. Jahrhunderts eine differenziertere Betrachtung der Errungenschaften und der Defizite der Verträge von Münster und Osnabrück getreten ist, so absurd ist es, den Dreißigjährigen Krieg und den Westfälischen Frieden nun in eine positiv besetzte Ahnenreihe sowohl der souveränen Territorialstaaten, als auch des deutschen Föderalismus oder sogar des deutschen Nationalstaats zu stellen. "Staatlichkeit" hatte in Europa auch nach 1648 viele Facetten, und im Reich war und blieb das diffizile In-, Neben- und Miteinander verschiedener Ausprägungen staatlicher Macht besonders eklatant.
Der zweite große Themenbereich, der in den letzten Jahren in der Forschung über den Dreißigjährigen Krieg und den Westfälischen Frieden an Popularität gewonnen hat, ist die Alltags-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte. Dabei steht an erster Stelle wohl die Erforschung der zahlreichen Friedensfeste, mit denen nicht nur im Reich nach 1648 der Abschluß der Friedensverträge zelebriert wurde. Diesem Thema sind in den beiden Sammelbänden gleich mehrere Aufsätze gewidmet, die mit unterschiedlicher analytischer Schärfe Verlauf, Geschichte und Bedeutung solcher Feierlichkeiten untersuchen (Bernd Roeck und Katrin Keller in Duchhardt, Mieke B. Smits-Veldt und Jaconelle Schuffel/ Marc Temme /Marijke Spies in Lademacher/Groenveld). Eng verknüpft mit den Friedensfeiern sind oftmals die aus Anlaß oder im Umfeld der Friedensschlüsse von Münster und Osnabrück entstandenen Dichtungen (Klaus Garber in Duchhardt, Henk Duits und Ferdinand van Ingen in Lademacher/Groenveld), Kunstwerke (Frank Fehrenbach und Malgorzata Morawiec in Duchhardt, Angelika Lorenz und Mechthild Beilmann in Lademacher/Groenveld) oder Musikstücke (Klaus Hortschansky und Louis Peter Grijp in Lademacher/Groenveld). Für den Bereich der bildenden Kunst bieten zudem die auf der Ausstellungs-CD-ROM versammelten Werke einen guten Einblick in die Stilrichtungen und in den Geschmack der Zeit.
Die Geistes- und Mentalitätsgeschichte der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ist vor allem in dem Sammelband von Lademacher/Groenveld mit einem Aufsatz über Johann Jacob von Grimmelshausen (Klaus Härkamm) und mit einem Beitrag zur deutschsprachigen Publizistik zum spanisch-niederländischen Krieg (Johannes Arndt) vertreten. Daneben handeln auch weite Teile der Monographie von Kaufmann von den Wechselwirkungen zwischen Krieg und zeitgenössischen (protestantischem) Schrifttum. Besonders originell sind in diesem Zusammenhang die Analysen der Folgen des Krieges für die Frömmigkeitskultur und für das Selbst- und Fremdbild der lutherischen Pfarrer (Kapitel III).
Der Alltag des Krieges, sowohl für die Soldaten als auch für die Bevölkerung, die Militärgeschichte des Krieges also in einem modernen Sinne, hat ebenfalls - spätestens seit der Veröffentlichung des Söldnertagebuchs durch Jan Peters (3) - einen merklichen Aufschwung genommen. In dem Sammelband von Lademacher/Groenveld behandeln zwei Essays von Johannes Burkhardt und Simon Groenveld den Kriegsalltag im Reich und in den Niederlanden vor allem aus der Sicht der betroffenen Einwohner; in dem Sammelband von Duchhardt sind zwei Aufsätze von Bernhard Sicken und Bernhard R. Kröner dem Militärwesen des 17. Jahrhunderts gewidmet. Vor allem aus den beiden letztgenannten Beiträgen ergibt sich, daß von einem "stehengebliebenen Heer" aus dem Dreißigjährigen Krieg als Vorstufe zum stehenden Heer des absolutistischen Staates kaum die Rede sein kann. Dieser Befund wird von Albrecht auch für das bayerische Heer bestätigt (S. 1090).
Auffällig ist in allen besprochenen Veröffentlichungen der geringe Anteil von Arbeiten zur "klassischen" Wirtschafts- oder Sozialgeschichte des Kriegs und des Friedens. Ausnahmen bilden lediglich die einschlägigen Überblickskapitel in Albrechts Biographie, sowie der Beitrag von Jean Meyer zu der CD-ROM, der auf instruktive Weise den Einfluß der französischen Wirtschaftsinteressen auf die Kriegsführung darstellt. Daß dagegen in einem Sammelband, der die Niederlande explizit thematisiert, Handels- und Wirtschaftsbeziehungen weitgehend unerwähnt bleiben, ist ebenso bedauerlich wie die Tatsache, daß demographische Analysen zu den Auswirkungen des Krieges nach wie vor auf die Arbeiten von Günther Franz von 1940 zurückgreifen müssen (4). Mehr als zwei Jahrzehnte nach der Diskussion um die "Krise des 17. Jahrhunderts" scheint auf diesen Gebieten noch immer - oder erneut - Forschungsbedarf zu bestehen, zumal im Lichte der neueren Ergebnisse zur Politik- und Diplomatiegeschichte und zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte von Dreißigjährigem Krieg und Westfälischem Frieden.
IV. Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Frieden als europäische Ereignisse?
War nun der Dreißigjährige Krieg ein "teutscher Krieg" oder war er "ein europäischer Flächenbrand" (John H. Elliott auf der CD-ROM)? War der Westfälische Friede also ein "deutscher Friede", oder war er "ein bestimmendes Moment der europäischen Geschichte" (Elliott)? Die Antwort auf diese Fragen wird auch und gerade angesichts der Neuerscheinungen des Jubiläumsjahres ein ambivalentes Sowohl-als-auch oder ein unschlüssiges Weder-noch bleiben müssen. Selbstverständlich resultierte ein großer Teil der Auseinandersetzungen aus innerreichischen Konflikten, die dann ja auch in Münster und Osnabrück zu den wesentlichen Verhandlungsgegenständen gehörten; zugleich haben aber mehrere auswärtige Mächte erheblichen Einfluß auf Ausmaß und Dauer des Krieges gehabt, und ihre Erklärungen, sich etwa für die Belange der Reichsstände einsetzen zu wollen, dürfen nicht davon ablenken, daß jede von ihnen auch eigene - dynastische, territoriale, konfessionelle oder machtpolitische - Interessen verfolgte. Die Behauptung, man habe zwischen 1618 und 1648 "um spezifisch deutsche Konfessions- und Verfassungsfragen gekämpft", die sich mit anderen Konflikten zwar "verknoteten", in Ursachen und Ausgang jedoch von ihnen unabhängig waren (Schmidt in Lademacher/Groenveld S. 72) greift deshalb ebenso zu kurz wie die Formulierung, die Verträge von Münster und Osnabrück hätten "drei europäische Kriege" [sc. zwischen Spanien und den Niederlanden, zwischen Habsburg und Schweden und zwischen Habsburg und Frankreich] beendet (Elliott). Der Charakter des Westfälischen Friedens ist im Ende so vielschichtig, wie der Dreißigjährige Krieg, den er beendete, und die Aufgabe des Historikers bleibt die differenzierte Analyse aller Schichten und ihrer Interferenzen.
Die Konjunktur des europäischen Gedankens und die finanziellen Lockungen der europäischen Töpfe mögen im Jubiläumsjahr nicht nur in den Straßen von Münster und Osnabrück zur Stilisierung des Westfälischen Friedens zu einem europäischen Event beigetragen haben, und die katalytische Funktion dieser Symbiose für die historische Forschung ist offensichtlich. Umso dringender ist daher jetzt die Rückkehr zur wissenschaftlichen Normalität und zur nüchternen Aufarbeitung der neuen Impulse - auch auf den Kongreß von Münster und Osnabrück folgte schließlich ein Exekutionstag.
Anmerkungen:
(1) Heinz Duchhardt (Hrsg.), Bibliographie zum Westfälischen Frieden. Bearbeitet von Eva Ortlieb und Matthias Schnettger, (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte, 26), Münster 1996.
(2) Johannes Burkhardt, Der Dreißigjährige Krieg. Frankfurt/M. 1992; Johannes Burkhardt, Der Dreißigjährige Krieg als frühmoderner Staatsbildungskrieg, in: GWU 45 (1994), 487-499.
(3) Jan Peters (Hrsg.), Ein Söldnerleben im Dreißigjährigen Krieg. Eine Quelle zur Sozialgeschichte, Berlin 1993.
(4) Günther Franz, Der Dreißigjährige Krieg und das deutsche Volk. Untersuchungen zur Bevölkerungs- und Agrargeschichte, (Arbeiten zur Landes- und Volksforschung, 6), Jena 1940, 4. Aufl., (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte, 7), Stuttgart 1979.