Cover
Titel
Rassismus. Eine Sozialgeschichte


Autor(en)
Priester, Karin
Erschienen
Anzahl Seiten
293 S.
Preis
€ 11,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Boris Barth, Fachbereich Geschichte und Soziologie, Universität Konstanz Email:

An handlichen Überblicksdarstellungen zur Entstehung von Rassismus besteht kein Mangel. Karin Priester, Professorin für Soziologie in Münster, hat nun auf knappem Raum eine weitere Geschichte des Rassismus vorgelegt. Es handelt sich insgesamt um ein bemerkenswert wenig soziologisches Buch, das an vielen Stellen stark ideen-, nicht so sehr sozialgeschichtlich argumentiert, auch wenn die großen Klassiker der Soziologie gerne als Autoritäten zitiert werden. Priester arbeitet mit einem mehrstufigen Modell, in dem Ethnozentrismus scharf von Rassismus getrennt wird. Unter Rassismus versteht sie eine „bestimmte, pseudowissenschaftlich untermauerte Strategie zur Ablenkung von sozialen Konflikten und zur Legitimation von Vorherrschaft“ (S. 8).

Die Problematik der scharfen Zäsuren für geistes- und sozialgeschichtliche Entwicklungen ist Priester bekannt und wird von ihr kenntnisreich diskutiert. Dennoch empfindet sie (ähnlich wie vor ihr andere deutschsprachige Autoren) das Jahr 1492, in dem ihre Darstellung beginnt, als Einschnitt. Die Jahreszahl 1492 stünde für einen historischen Moment der Verdichtung von Widersprüchen (S. 22). Priesters eigentliche Analyse der Entstehung von Rassismus setzt im 18. Jahrhundert ein, in dem Germanenmythos und Anthropologie entstanden.

Priesters Darstellung der Spätaufklärung und ihrer Ambivalenzen, die die Sicht auf fremde Völker und Kulturen betrafen, bietet eine zuverlässige Zusammenfassung des deutschsprachigen Forschungsstandes und ist als Lektüre zu empfehlen. Auch werden einige Gedanken zu Herders Humanitätstheorie entwickelt, die in dieser Form originell sind. Die Ambivalenzen in Herders Denken werden kenntnisreich und abgewogen dargelegt. Der Leser sei allerdings darauf hingewiesen, dass fast zeitgleich ein anregendes und innovatives Buch von David Bindman 1 erschienen ist, der sehr viel stärker als Priester die ästhetischen Theorien der Aufklärung Ende des 18. Jahrhunderts für die Entstehung spezifischer Stereotypen verantwortlich macht. Hier bietet sich Stoff für eine kontroverse Debatte.

In einem Vergleich zwischen Südafrika und Brasilien macht Priester die Entstehung von Rassenvorstellungen und von Rassismus in zwei unterschiedlichen kolonialen Kontexten fest. In diesem Kapitel irritiert allerdings, dass die englischsprachige Fachliteratur zum Thema, an der es wahrlich nicht mangelt, nahezu vollständig ignoriert wird. Zu Südafrika wäre etwa die ältere, ebenfalls vergleichende und methodisch immer noch anregende Studie von Fredrickson zu erwähnen. 2 Priesters These, dass der Rassismus in Brasilien weniger aggressiv als in anderen Kolonialgesellschaften wurde, ist nicht neu und beruht auf der Tannenbaum-Schule, wird aber derzeit keineswegs überall akzeptiert. 3 Zumindest hätte an dieser Stelle darauf verwiesen werden müssen, dass inzwischen eine umfangreiche Literatur zum Portuguese seaborne empire die Auffassung von den wenig rassistischen Portugiesen grundsätzlich in Zweifel zieht, sieht man von der kurzen Periode des aufgeklärten Despotismus unter dem Marquis de Pombal ab. 4 Man muss sich dieser Auffassung nicht anschließen, sollte sie aber zumindest diskutieren.

Ausgehend von der Entwicklung im 19. Jahrhundert befasst sich Priester anschließend mit dem Antisemitismus im deutschen Kaiserreich, dessen Entstehung sie von der so genannten „Sündenbocktheorie“ aus betrachtet. Priester betont stark den manipulativen Charakter der neuartigen rassistischen Feindschaft gegen Juden. Am Beispiel von Stoecker, Treitschke und einigen anderen exponierten Personen hebt Priester die Abkehr vom älteren Konservatismus und die Hinwendung zu anti-liberalen, anti-modernen bürgerlichen Bewegungen hervor. Allerdings fundiert Priester die These vom Antisemitismus im Kaiserreich weitgehend auf älteren Darstellungen, die wiederum auf Rosenberg aufbauen, der noch die so genannte „Große Depression“ für eine Radikalisierung des deutschen Denkens verantwortlich gemacht hat. 5 Wie inzwischen zweifelsfrei gezeigt worden ist, hat es diese Große Depression aber gar nicht gegeben, bzw. beruht sie auf einem Mythos. 6 Daher müssen andere grundlegende Faktoren für die periodischen Wellen von Antisemitismus im Kaiserreich verantwortlich gewesen sein, die eine komplexe Vorgeschichte hatten. Die Forschung bewegt sich hier derzeit in einer offenen Debatte. Knapp, aber präzise und kenntnisreich handelt Priester daraufhin die Entstehung des Sozialdarwinismus und der Eugenik bis hin zur Erbgesundheitspflege im Nationalsozialismus ab. Zwei abschließende Kapitel, die ebenfalls zur Lektüre zu empfehlen sind, befassen sich mit der Frage von Ethnopluralismus und differenzialistischem Rassismus, sowie mit Identitätspolitik unter der Fragestellung, ob ethnische Identität wählbar sei.

Um es zusammenzufassen: Das Buch gibt einen guten Überblick zum Thema der Geschichte des Rassismus und dürfte vor allem an Studenten und interessierte Laien gerichtet sein. Es ist flüssig und leicht lesbar geschrieben und verzichtet bewusst auf jeden überzogenen Wissenschaftsjargon. Der Bogen der Argumentation ist insgesamt sehr weit gespannt, und in den Kapiteln zur Judenfeindschaft und zum Antisemitismus finden sich gelungene Synthesen. Auch wenn man an einigen Stellen, die das 18. und 19. Jahrhundert betreffen, Einwände haben kann, wird der Gesamtwert der Darstellung dadurch nur wenig geschmälert. Allerdings basiert das Buch auf einem fast ausschließlich deutschsprachigen Forschungsstand und verzichtet darauf, offene Fragen und Kontroversen der Forschung zu benennen oder zu diskutieren. Wer sich weiterführend für das Thema interessiert, bleibt auf die Lektüre zumindest englischsprachiger Werke angewiesen.

Anmerkungen:
1 Vgl. Bindman, David, Ape to Apollo. Aestetics and the idea of race in the eighteenth century, London 2002.
2 Fredrickson, George M., White supremacy. A comparative study in American and South African History, Oxford 1981.
3 Die Debatte setzte ein mit: Tannenbaum, Frank, Slave and citizen. The Negro in the Americas, New York 1946.
4 Die Debatten um die Frage, ob nicht gerade auch die Portugiesen eine harte rassische Ordnung in ihren Kolonien schufen, begannen mit der Darstellung von Boxer, Charles R., The Portuguese Seaborne Empire 1415-1825, London 1969.
5 Rosenberg, Hans, Große Depression und Bismarckzeit. Wirtschaftsablauf, Gesellschaft und Politik in Mitteleuropa, Berlin 1967.
6 Vgl. Saul, Samuel B., The myth of the Great Depression, 1873-1896, London 1969.

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