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Titel
Fotojournalismus zwischen Exotismus und Rassismus. Darstellungen von Schwarzen und Indianern in Foto-Text-Artikeln deutscher Wochenillustrierter 1919-1939


Autor(en)
Stahr, Henrick
Reihe
Schriften zur Kulturwissenschaft 57
Erschienen
Anzahl Seiten
582 S.
Preis
€ 128,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Astrid Deilmann, Hamburg

Seit einiger Zeit hat die Geschichtswissenschaft die Illustrierte, und hier insbesondere die Fotografie, als Forschungsgegenstand entdeckt 1. Diese Aufmerksamkeit verdankt sich mindestens zwei Umständen. Zum einen sichert die anhaltende interdisziplinäre Beschäftigung mit Medien und ihre Kritik der Illustrierten als erstem modernem Massenmedium mit Millionenreichweite ein zunehmendes Interesse. Zum anderen bietet sie einer mit visuellen Quellen arbeitenden Geschichtswissenschaft einen nicht zu unterschätzenden Vorteil: Ihre Fotografien lassen sich durch ihren Erscheinungsort, die Beigabe von Text und die (leider oft viel zu seltene) Angabe von Urhebern vergleichsweise sicher bearbeiten.

Henrick Stahr gebührt das Verdienst, mit "Fotojournalismus zwischen Exotismus und Rassismus" erstmals die fotografische Berichterstattung über Schwarze und Indianer zwischen 1919 und 1939 in deutschen Illustrierten in den Blick genommen zu haben. Der Zeitraum der Untersuchung ist gut gewählt, nicht nur, weil die deutsche Illustriertenlandschaft zwischen den beiden Weltkriegen ihre Blüte erlebte - der Marktführer, die "Berliner Illustrirte Zeitung" aus dem Hause Ullstein, erreichte zeitweise Auflagen von fast zwei Millionen -, sondern auch, weil sich so Aussagen treffen lassen über Unterschiede und Gemeinsamkeiten vor und nach 1933.

Aus der Vielzahl von Illustrierten sämtlicher politischer Couleur jener Jahre, von der linken "Arbeiter-Illustrierten-Zeitung" (AIZ) über die bürgerlich-liberale "Kölnische Illustrierte Zeitung" bis zum nie sonderlich erfolgreichen NSDAP-Blatt "Illustrierter Beobachter", hat Stahr insgesamt sieben 2, zum Teil recht unterschiedliche Illustrierte ausgewählt. Seine Frage: Wie wird das Fremde, wie werden Schwarze und Indianer quer durch die politischen Lager in Illustrierten dargestellt?

Die Arbeit gliedert sich in zwei Teile: einen einleitenden, semiotisch-kulturwissenschaftlich orientierten Theorieteil, der gefolgt wird von Einzelanalysen der "Foto-Text-Artikel" der sieben Illustrierten, die nacheinander abgearbeitet werden. Zwei Aspekte interessieren Stahr dabei besonders: die visuelle Konstruktion des Fremden sowie die Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der deutschen Bildpresse vor und nach 1933. Der überraschendste Befund ist dabei zweifellos, dass "sowohl in der Themenwahl als auch von der Tendenz [...] vor 1933 in Bezug auf die Repräsentationen von Schwarzen kein grundsätzlicher Unterschied zwischen der nationalsozialistischen Illustrierten und den kommerziell-‚liberalen' Blättern" bestanden habe (S. 321). Obwohl Deutschland seit 1918 keine Kolonialmacht mehr war, bot der Kolonialismus ein mentales Repertoire an Assoziationen, Klischees und Stereotypen in Bezug auf vornehmlich Schwarze, das sich auf andere Fremde übertragen ließ und so sehr Gemeingut geworden war, dass sich selbst die Arbeiter-Illustrierte-Zeitung ihm nicht entziehen konnte. So war dort etwa 1926 zu lesen, der "Neger" sei "von Natur gesellig" (S. 379), oder, in einem Bericht über eine New Yorker Theatertruppe 1929, "die Neger" seien "der Natur näher, sie sind entfesselt, wild, unsentimental, fast tierisch in ihrem Leid, und vielleicht die ursprünglichsten Schauspieler überhaupt, die es heute auf der Welt gibt" (S. 384). Diese Zuschreibungen unterschieden sich von den in der übrigen Illustriertenlandschaft anzutreffenden allein dadurch, dass sie regelmäßig in einen positiven Argumentationszusammenhang gerückt wurden - schließlich brauchte man "die Neger" für die weltumspannende kommunistische Revolution, weshalb die Leser beispielsweise 1931 mit einer AIZ-Sondernummer zum "Leben und Kampf der schwarzen Rasse" auf den gemeinsamen Klassenkampf mit den schwarzen Brüdern und Schwestern eingeschworen wurden (S. 394). Gleichwohl blieb der Rassismus des weißen Proletariats ein absolutes Ausnahmethema der AIZ (S. 405) - ebenso wie der Antisemitismus vor der eigenen Haustür (S. 423).

Die Unterdrückung der Schwarzen fand auch in die bürgerlichen Illustrierten Eingang, etwa bei Berichten über die Rassentrennung in den USA, die nach 1933 in der gleichgeschalteten Bildpresse jedoch vor allem dazu dienten, implizit die antisemitische NS-Politik zu legitimieren. Zu den konstanten Mustern der "vielschichtige[n] [...] Repräsentationsformen, Themen und ideologischen Gehalten" (S. 489) der Bildpresse gehörte ein "arrogante[r], ethnozentrische[r] ‚Humor'", der unter den Schwarzen und Indianern "Typen" suchte, um sie entweder zum naturbelassenen, edlen Wilden zu stilisieren (bei Frauen oftmals mit erotischen Implikationen) oder, weitaus häufiger, sie als fremd und unbeholfen in der modernen Zivilisation grotesk zu überzeichnen. Der - teils touristische - Blick war dabei fast stets der des "überlegenen Voyeurs, der die Objekte seines Begehrens fixieren kann" (S. 491) - oder sie sogar fixieren musste, um die in einer modernen Welt scheinbar unabwendbar vom Aussterben Bedrohten für die Nachwelt zumindest fotografisch festzuhalten. Rassismus wie Exotismus bedienten demnach dasselbe Bedürfnis: die Selbstversicherung der eigenen, als überlegen behaupteten und damit sicheren Identität. Völlig außen vor blieben in allen Illustrierten die Afrodeutschen. Stahr macht hierzu im gesamten Untersuchungszeitraum nur einen einzigen Artikel aus, der im Januar 1933 in der "Kölnischen Illustrierten Zeitung" erschien (S. 311-313, 497).

Zu den Stärken der Arbeit gehört insbesondere das Kapitel über die Arbeiter-Illustrierte-Zeitung. Stahr liefert hier neben einer Artikelsynopse (die für die anderen Illustrierten fehlt) stringente Beobachtungen und überzeugende Argumentationen. Schwerer tut sich Stahr mit den bürgerlichen Massenillustrierten, zu deren Prinzip es gehörte, auch Unvereinbares nebeneinander stehen zu lassen, um sich als apolitisch und damit als Massenblatt für jedermann gerieren zu können. Gerade diese massentaugliche "Unentschiedenheit" des Boulevards, die den Redaktionen als Erfolgsgeheimnis galt, bereitet Stahr Schwierigkeiten. Oftmals bleiben seine Analysen hier in zwar formal detaillierten, jedoch in ihrem Schluss oberflächlichen Beschreibungen stecken. Bögen zu visuellen Bildtraditionen und in den Zwischenkriegsjahren aktuellen Darstellungen des Fremden (mit Ausnahme des an einer Stelle erwähnten "Sarotti-Mohrs", der 1920 in der Werbung auftauchte) werden nicht gespannt, inhaltliche Rückgriffe auf die Xenophobie-Forschung sowie vor allem auf Debatten der Zeit über die Dekolonialisierung fehlen, ebenso wie Hinweise darauf, dass der koloniale Gedanke seinen Höhepunkt in der Breite erst nach dem Verlust der Kolonien erreichte. 3

So wird der Leser zwar mit einem reichen Materialfundus versorgt, bleibt aber angesichts der Vielzahl der Einzelanalysen, deren Befunde oft kaum in den historischen Kontext eingeordnet und leider auch nicht durchgehend systematisch in die Zeit vor bzw. nach 1933 unterteilt sind, etwas ratlos zurück. Hier macht sich bemerkbar, dass Stahr neben den Illustrierten nur auf zwei Archivalien zurückgegriffen hat. Zurück bleibt ein ambivalenter Eindruck. Zwar erkennt Stahr die "Illustrierte als diskurskonstituierendes System" (S. 503) und öffnet den Blick für ein vernachlässigtes Thema. Doch er versäumt es, konsequent auf den Punkt zu bringen, wie Politik, Öffentlichkeit und Medien in der Konstruktion des Fremden in Illustrierten der Zeit ineinander griffen.

Anmerkungen:
1 S. u.a. Von Dewitz, Bodo; Lebeck, Robert (Hgg.), Kiosk. Eine Geschichte der Fotoreportage. 1839-1973, Göttingen 2001; mit dem Schwerpunkt Werbung: Bonacker, Kathrin, Hyperkörper in der Anzeigenwerbung des 20. Jahrhunderts, Marburg 2002; zuletzt erschienen: Deilmann, Astrid, Bild und Bildung. Fotografische Wissenschafts- und Technikberichterstattung in populären Illustrierten der Weimarer Republik (1919-1932), Osnabrück 2004; im Entstehen: Hartewig, Karin, Wir sind im Bilde. Eine Geschichte des Fotojournalismus in West und Ost 1945-1967.
2 "Berliner Illustrirte Zeitung", "Münchner Illustrierte Presse", "Kölnische Illustrierte Zeitung", "Hackebeils Illustrierte", "Die Deutsche Illustrierte", "Illustrierter Beobachter" und "Arbeiter-Illustrierte-Zeitung".
3 Vgl. zuletzt Van der Heyden, Ulrich; Zeller, Joachim (Hgg.), Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche, Berlin 2002.