Das Fuerstbistum Muenster, das Heilige Roemische Reich, Europa: Bereits ganz am Anfang der Chronik des Adolff Wilhelm Moerbecke ueberlagern sich die raeumlichen Bezuege. Die Schilderung der Ereignisse beginnt im Jahre 1633 mit der Einquartierung hessischer Truppen im muensterischen Gebiet. Der Verfasser war sich jedoch der Tatsache durchaus bewusst, dass diese Vorgaenge in einen grossen "Schwedischen Krieg" einzuordnen waren, der auf
den militaerischen Einfall Gustav Adolfs ins Reich "dor behulp van vele der Dutschen vorsten, rycks- en anseesteden" (75) im Jahre 1630 zurueckging.
Durch die vom Westfaelischen Archivamt vorgelegte Edition ist der historischen Forschung eine wichtige Quelle zugaenglich gemacht worden, die uns zum Teil ueber bislang unbekannte Einzelheiten der Kriegsereignisse des 17. Jahrhunderts im niederrheinisch-westfaelischen Raum unterrichtet. Ihre Relevanz geht jedoch noch darueber hinaus. Zwar war die Chronik urspruenglich als kurze Darstellung ("kort verhael") des Kriegsverlaufs im Fuerstbistum konzipiert worden. Bei der Fortfuehrung der vermutlich in den 1640er Jahren begonnenen Niederschrift gewannen weitere historische Schauplaetze jedoch zunehmend an Bedeutung. Moerbecke berichtet mit Blick auf das Fuerstbistum und die Nachbarterritorien ueber Ereignisse im Dreissigjaehrigen Krieg, im sogenannten Duesseldorfer Kuhkrieg, in den kriegerischen Konflikten zwischen dem Landesfuersten Christoph Bernhard von Galen und der Hauptstadt seines Territoriums sowie zwischen dem Fuerstbistum und den Niederlanden. Darueber hinaus informiert er den Leser ueber weitere Kriege der 1650er bis in die 1670er Jahre, u.a. den Schwedisch-Bremischen Krieg, den Schwedisch-Daenischen Krieg und den Englisch-Niederlaendischen Krieg. Schliesslich sind einige Exkurse zur Englischen Revolution und zur spaeteren Restauration des Koenigtums von besonderem Interesse.
Ueber die im Rijksarchief Zwolle befindliche Handschrift, die nahezu vollstaendig von Juergen Strothmann transkribiert worden ist, erschliessen sich damit auch die betraechtlichen Moeglichkeiten eines im niederlaendisch-westfaelischen Grenzraum lebenden Adeligen, sich mit Nachrichten zu versorgen. Wie Strothmann ausfuehrt, griff der in Haus Stevening bei Ahaus lebende Moerbecke vornehmlich auf die in grosser Zahl erscheinenden gedruckten "Zeitungen" zurueck. Die bekanntesten, das "Theatrum Europaeum" sowie das "Diarium Europaeum", koennen dabei weitgehend als Informationsquelle ausgeschlossen werden. Moerbecke bezog sein Wissen aus anderen "Zeitungen", die er nicht namentlich erwaehnt. Dabei war er bestrebt, diese Nachrichten moeglichst originalgetreu in seine Chronik einfliessen zu lassen.
Strothmann ist daher beizupflichten, dass es sich bei der Chronik kaum um ein Ego-Dokument handelt. Dennoch ist die Bedeutung auch fuer einen an wahrnehmungsgeschichtlichen Fragestellungen interessierten Historiker nicht zu unterschaetzen. Sie tritt im gelegentlichen Abweichen vom Tenor des reinen Berichtens zutage, etwa bei der Bewertung des Prozesses gegen Karl I. von England. Moerbecke kann und will nicht verhehlen, dass er die Enthauptung des Koenigs sowie die Inbesitznahme koeniglichen Gutes durch die Revolutionaere als Ungeheuerlichkeiten betrachtet (234). Ebensowenig verbirgt er seine Sympathie fuer den 1660 nach England zurueckkehrenden Karl II., dem er eine glueckliche und langandauernde Regierung wuenscht (286). Darueber hinaus werden die Friedensverhandlungen und -vertraege von 1648 kommentiert: In den Berichten ueber das Jahr 1645 ist der Wunsch Moerbeckes zu lesen, Gott moege dem bereits 26 Jahre andauernden grausamen Krieg im Reich ein Ende setzen (147). Auch weist der Chronist im Jahre 1648 auf verbreitete Skepsis gegenueber den Verhandlungen zwischen Spanien und den Niederlanden hin: "Tegen die opinie van velen" (183) sei es nach 80 Jahren zum Friedenschluss gekommen. Nur wenige Jahre spaeter, 1651, bringt der Autor - einem verbreiteten Muster der zeitgenoessischen Chronistik folgend - seine Sorge um die friedliche Zukunft zum Ausdruck, nachdem er vom Auftauchen ungewoehnlicher, unbekannter Tiere im Fuerstbistum Muenster erfahren hat (204), die sich als Vorboten weiteren Unheils deuten lassen.
Diese exemplarischen Beobachtungen koennen den Quellenwert der Chronik Moerbeckes nur unterstreichen. So bleibt festzuhalten, dass die Edition eine Bereicherung fuer die Fruehneuzeitforschung darstellt. Ihr sind zudem einige Beitraege beigefuegt, die die Erschliessung erleichtern: die einfuehrenden Texterlaeuterungen und Mitteilungen der Editionsregeln seitens des Bearbeiters, genealogische Informationen zur Familie des Adolff Wilhelm Moerbecke zu Stevening, erarbeitet durch Josef Wermert, und linguistische Ueberlegungen zu den im Text verwendeten Sprachen von Robert Damme. Literaturhinweise, ein Glossar, ein Personen- und ein Ortsindex runden den Band ab.