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Titel
Rethinking Military History.


Autor(en)
Black, Jeremy
Erschienen
London 2004: Routledge
Anzahl Seiten
257 Seiten
Preis
£ 22.50
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Florian Altenhöner, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Wer je in einer britischen Buchhandlung vor dem Regal mit Titeln zur Militärgeschichte stand, hat eine Ahnung davon, worüber der britische Historiker Jeremy Black in seinem Buch schreibt. Themen und Titel, die in Deutschland zumeist in Bahnhofsbuchhandlungen verbannt werden oder gar nicht erst erscheinen, stehen dort neben akademischen Schriften. Diese Beobachtung verweist auf das zentrale Problem, „Rethinking Military History“ zu rezensieren: Vor einem britisch-amerikanischen Hintergrund geschrieben, ist es nur schwer in die neuere deutschsprachige Diskussion um die Militärgeschichte einzuordnen.

Im Vorwort kündigt Black an, dass sein Buch die Militärgeschichte zu Beginn des 21. Jahrhunderts neu positionieren soll, und fährt später fort: “This is a book about the practices and ideas of the military and of military force, and about the writing of military history.” (S. IX f.) An den Anfang seines Buches stellt Black sechs Thesen zu den großen Problemen der zeitgenössischen Militärgeschichte (S. IX), die er im Folgenden diskutiert. Erstens beklagt Black einen Eurozentrismus, der europäische bzw. amerikanische Entwicklungen überbetont, bzw. nichtwestliche Stile der Kriegführung ignoriert und unterbewertet. Zweitens verweist der Verfasser auf eine Überbetonung des technischen Fortschrittes bei der Beurteilung militärischer Fähigkeiten. Er spannt diesen Argumentationsstrang bis in die Gegenwart und diskutiert kritisch die amerikanische ‚Revolution in Military Affairs’ und ihre Wahrnehmungen. Drittens konstatiert er eine Überbetonung der großen Mächte, aus deren Geschichte Paradigmen mit universellen Gültigkeitsansprüchen abgeleitet werden, ohne aber empirisch abgesichert zu sein. Viertens bemängelt Black, dass in den meisten Fällen Auseinandersetzungen nicht gleichermaßen als See- und Landkonflikte betrachtet würden. Fünftens neigt seiner Meinung nach die Militärgeschichte zu einer Überbetonung zwischenstaatlicher Konflikte, und untersucht nicht die Gewaltanwendung innerhalb von Staaten. Als letztes verweist er darauf, dass militärische Erfolge zu wenig an der jeweiligen politischen Aufgabenstellung bemessen würden.

Allen Thesen geht Black in den neun Kapiteln seines Buches nach. Er widmet aber jedoch nicht jeder seiner Thesen ein eigenes Kapitel, sondern folgt einem anderen Gliederungsschema. An den Anfang stellt Black eine Zustandsbeschreibung der Militärgeschichte heute – fällt aber genau dem von ihm anfangs bemängelten zu engen Horizont zum Opfer, in dem er eben nicht das Potential außereuropäischer Perspektiven auslotet, sondern mehrheitlich amerikanische und britische Entwicklungslinien referiert. Es ist freilich dennoch ein lesenswertes Kapitel, da Black die aktuellen Entstehungsbedingungen der Werke der dortigen Militärgeschichte diskutiert, vor allem ihre Abhängigkeit von den großen Verlagshäusern.

Black spannt in seinen Kapiteln nicht nur zeitlich und räumlich große Bögen, sondern arbeitet sich auch inhaltlich an einer Vielzahl von Facetten seines Themas ab. Schlachten wie die von Salamis (480 v. Chr.), Agincourt (1415), Adua (1896), die Zulu-Kriege und der Irakkrieg von 2003 dienen ihm als Belegstellen seiner Thesen. Er greift hierbei nicht allein auf das Panoptikum der ‚wichtigsten Schlachten der Weltgeschichte’ zurück, sondern vermag eigene Akzente zu setzen, indem er neben zwischenstaatlichen Konflikten und dem amerikanischen Bürgerkrieg auf eine Vielzahl von Konflikten aus aller Welt Bezug nimmt. Black betont die Bedeutung solcher Konflikte, an denen westlichen Armeen nicht beteiligt waren. Jedoch leidet die Plausibilität seiner Beispiele nicht unerheblich, wenn sie dem Leser nicht geläufig sind – man ist geneigt zu betonen: gar nicht geläufig sein können. Zu knapp fallen seine Beispiele aus, zu rasch geht der Galopp durch Epochen und Kontinente. In manchen Kapiteln weiß der Leser nicht, ob er einen Essay oder eine kommentierte Bibliographie liest. Wenn Black z. B. die Bedeutung madegassischer und hawaianischer Kriegskanus oder der westafrikanischen Yoruba für eine Geschichte des Seekrieges betont, dann sollte er darüber mehr Informationen anbieten als den bloßen Verweis. Entweder ist die Disziplin hoffnungslos eurozentriert und hat von der außereuropäischen Militärgeschichte schlicht keine Ahnung, dann bedürfen entsprechende Sachverhalte der Erläuterung; oder der Leser weiß, wovon der Autor schreibt – aber warum dann Eurozentrismus beklagen?

Black vermeidet zudem Begriffe, die bei der Frage einer Neupositionierung der Militärgeschichte auf der Hand liegen, und sei es nur als Abgrenzung zum Forschungsstand. Bei diesen Lücken handelt es sich keineswegs um verschwurmelte sozial- oder kulturwissenschaftliche Terminologien, sondern schlicht um zentrale Begriffe der vergangenen Jahrzehnte, die zugegebenermaßen schon etwas aus der Mode gekommen schienen: Der ‚totale Krieg’ wird bei Black ebenso wenig diskutiert wie das Konzept des ‚Militarismus’. Beide Begriffe verdienen es kritisch hinterfragt und diskutiert zu werden. Sie aber zu übergehen, und gleichzeitig die Bedeutung hawaianischer Kriegskanus für die Geschichte des Seekrieges zu betonen, gehört zu den eher eigenwilligen Akzenten, die Black setzt.

Black verfolgt in seinem Buch – anders als es der Titel verspricht – weniger die Geschichte des Militärs als vielmehr eine Geschichte des Krieges. Das Militär als gesellschaftliche Organisationsform ist für ihn von nachrangigem Interesse. Black zielt auf eine Geschichte des Militärischen, die auf die Schlachtfelder führt, die wirtschaftlichen, kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Entwicklungslinien aber zurückstellt. In einer Konferenzserie und den daraus resultierenden Büchern haben Roger Chickering, Stig Förster und eine Reihe von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen den Begriff des ‚totalen Krieges’ wieder belebt. Insbesondere Chickering hat mit der Frage, ob der totale Krieg eine totale Geschichte erfordert, ein zentrales Problem der aktuellen Militärgeschichtsschreibung diskutiert.

Black plädiert dagegen für einen die Fächer übergreifenden Methodenpluralismus, um aus dem Kanon der traditionellen Schlachtengeschichte auszubrechen. Obwohl er die Abgrenzung von der ‚Drums and Trumpets’ Perspektive auf die Militärgeschichte sucht, geht er – auf dem Feldherrenhügel stehend – in die Falle, Militärgeschichte allein als eine Geschichte militärischer Konflikte zu betrachten. Zudem versucht er diese Konflikte aus einer eher operationsgeschichtlichen Perspektive zu erfassen. Alltags- oder Erfahrungsgeschichte findet bei ihm nicht statt.

Zu empfehlen ist das Buch vor allem jenen Leserinnen und Lesern, die an einer globalen Geschichte des Krieges und des Militärischen interessiert sind. Auf die Frage, was Militärgeschichte ist und was sie zu leisten vermag, finden sich für den wissenschaftlichen Hausgebrauch an anderer Stelle Antworten. Als ein Kompendium der Neugierde und der Anregungen, als eine Einladung zum Weiterdenken ist es hingegen jeder und jedem Interessierten zu empfehlen. Black bietet Kommentare, öffnet Perspektiven, stellt Fragen, leistet aber eben keine Neupositionierung der Militärgeschichte.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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